Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

Vielen Dank, Frau Kollegin. Als Nächste hat Frau Kollegin Pongratz das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! „Kinder braucht das Land“ war kürzlich in einer Überschrift zu lesen. Die Allianz für Familien wurde vom Bundespräsidenten Horst Köhler ins Leben gerufen. Familienpolitik in Bayern heißt in erster Linie Brücken bauen zwischen Familie und Beruf. Denn die Familien sind unabdingbare Fundamente unserer Gesellschaft. Sie gilt es als Schutzraum für die Kindererziehung zu stärken und zu fördern. Dabei müssen wir Eltern eine echte Wahlfreiheit geben, damit sie Familie und Kindererziehung mit beruflicher Tätigkeit verbinden können.

Eine Vielzahl von Kinderbetreuungsangeboten ist etabliert. Sie entsprechen den unterschiedlichen Bedürfnissen, wie zum Beispiel hinsichtlich des Betreuungsumfangs oder der Mitgestaltungsmöglichkeit der Eltern. Im vergangen Jahr waren rund 2500 Kinder unter drei Jahren in so genannten Tagespflegeverhältnissen. Insgesamt wurden über 6100 Kinder betreut. Die Kinderbetreuungseinrichtungen in Bayern sind generell vorbildlich. Eine Entscheidung für Beruf und Karriere darf keine Entscheidung gegen Kinder sein. Gerade wurde eine Bestandsaufnahme zur Familienfreundlichkeit der Familienatlas 2005, vorgestellt. Die von der Prognos AG in Zusammenarbeit mit der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ und dem Bundesfamilienmi

nisterium erstellt wurde. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere süddeutsche Kreise ideale Voraussetzungen für Eltern und Kinder bieten,

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Haben Sie richtig gelesen? „Ideal“ stand aber nicht drin!)

was beispielsweise anhand von Geburtenraten, dem Zuzug junger Familien, den Bildungschancen für Jugendliche und dem Angebot an Teilzeitstellen festgemacht wurde.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Lesen Sie noch einmal nach!)

Kindertageseinrichtungen sind wichtige, aber nicht die einzigen Instrumente, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verwirklichen. In Bayern wird deshalb neben dem Ausbau der Kinderbetreuung verstärkt auf die Wahlfreiheit der Mütter und Väter gesetzt, und dies auch mit dem Landeserziehungsgeld begleitet. Bayerische Familienpolitik erstreckt sich aber auch auf die Familienfreundlichkeit der Unternehmen. Mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten oder kurzzeitiger Beschäftigung während der Familienpause, kommen sie den Bedürfnissen unserer Familien entgegen. Glaubwürdige Familienpolitik setzt auf Chancen und Kompetenzen bei familiengerechten Arbeitsbedingungen – dies aber bedarfsorientiert und nicht nach starren Vorgaben. Angesichts der drohenden Auswirkungen der demographischen Entwicklung in Bayern und ganz Deutschland sinken die Geburtenraten bei steigendem Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung. Wir müssen daher die Bedeutung von Kindern und Familien wieder stärker ins Bewusstsein rücken. Die Allianz für Familien oder die Bündnisse Familien und die Vereinbarkeit und Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf habe ich ja bereits genannt.

Aber die Bedeutung von Familie zeigt sich nicht nur beim Aspekt der Sicherung unserer sozialen Systeme, sondern auch in der Vermittlung von Werten, dem Hinführen der Kinder zu eigenständigen und verantwortungsvollen Mitgliedern unserer Gesellschaft. Wir dürfen Familienpolitik nicht auf Sozialpolitik reduzieren. Wir brauchen die Stärkung der Eltern in ihrer Erziehungsbereitschaft, in ihrer Erziehungsfähigkeit und der Verantwortung den Kindern gegenüber.

(Beifall bei der CSU)

Familie ist Gemeinschaftsaufgabe der gesamten Gesellschaft. Familien und die geleistete Arbeit in den Familien verdienen mehr gesellschaftliche Anerkennung. Ein kinder- und familienfreundliches Klima muss geschaffen werden, das im Alltag, in der Freizeit und auch in der Arbeitswelt ein kinder- und familienfreundliches Lebensumfeld nach sich zieht.

Die Arbeitsgruppe Frauen der CSU-Fraktion unter Leitung von Frau Prof. Ursula Männle hat sich immer wieder mit dem Thema Menschenhandel/Frauenhandel befasst. Wir waren vor Ort; wir haben mit tschechischen Politikern und Vertretern der Polizeibehörden gesprochen. Wir halten engen Kontakt zu den Beratungsstellen „Jadwiga“ und

„Solwodi“, die sich um verschleppte Frauen kümmern, die in der Zwangsprostitution landen.

Sie alle kennen die Situation an der bayerisch-tschechischen Grenze mit den Aspekten Menschenhandel, Menschenrechte, Prostitution, Gewalt gegen Frauen, organisierte Kriminalität usw.

Damit die angesprochenen Hilfsorganisationen weiterhin im Sinne und für die elementarsten Rechte der Frauen vor Ort tätig sein können, sind jetzt für 2005/2006 jeweils zusätzlich 100 000 Euro bewilligt worden. Eine Verdoppelung gegenüber 2004. Wir wollen die Freiheitsrechte aller Frauen sichern, die in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung leben und darüber hinaus in den unmittelbaren Nachbarländern.

Mein letztes Thema ist die Behindertenpolitik. Oberstes Ziel der Behindertenpolitik in Bayern waren und sind die Selbsthilfeförderung und die Integration der Menschen mit Behinderung. Wie bei allen Politikfeldern setzt auch in diesem Bereich die finanziell schwierige Haushaltslage gewisse Eckpunkte. Es wurde bereits über das Blindengeld gesprochen. Wir haben es zwar gekürzt aber erhalten.

Wir haben in Bayern das Gesetz zur Gleichstellung der Menschen mit Behinderungen verabschiedet, welches die gesellschaftlichen Chancen der über einer Million behinderten Menschen in Bayern verbessern soll. Damit soll zur Normalität, Integration und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft beigetragen werden.

Wir wollen ein soziales Bayern, in dem die Würde der Behinderten geschützt und geeignete Rahmenbedingungen für behinderte Menschen geschaffen werden, damit sie über ihr Leben selbst bestimmen und es so eigenverantwortlich wie möglich gestalten können. Wir wollen Teilhabe statt Sonderbehandlung, Selbst- statt Fremdbestimmung, Gleichstellung statt Diskriminierung. Im Mittelpunkt unserer Sozialpolitik steht der selbstverantwortliche Bürger, der Mensch mit seinen Rechten und Pflichten. Das heißt aber auch: Soziale Hilfen müssen wirkungsvoll bleiben. Deshalb muss jeder Missbrauch der Sozialhilfe konsequent verhindert werden.

Die CSU-Fraktion stimmt dem Haushaltsplan 2005/2006, Einzelplan 10 unserer Staatsministerin Christa Stewens zu.

(Beifall bei der CSU)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Kollegin Ackermann. Sie haben zwei Minuten, Frau Kollegin.

Ich werde kein weiteres Koreferat halten, sondern nur ein paar Bemerkungen machen. Frau Ministerin, ich habe großes Verständnis, dass Sie einen Haushalt umsetzten mussten, der vom Finanzminister diktiert wurde. Ich habe aber kein Verständnis, dass Sie diese Einsparungen versuchen zu rechtfertigen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Margarete Bause (GRÜNE): Schönreden!)

Ich habe kein Verständnis, dass Sie – eine engagierte Sozialpolitikerin – sich vor den Karren einer Sparpolitik spannen lassen, die sozial absolut verheerend ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie nehmen für sich in Anspruch, mit den Menschen im stetigen Dialog zu stehen. Haben Sie denn die Hilferufe der Initiativen nicht gehört? Haben Sie die Beschwerden der Wohlfahrtsverbände nicht gehört?

(Christa Steiger (SPD): Gehört schon aber nicht verstanden!)

Haben Sie die Bitten der Betroffenen nicht gehört? Das sind Zeichen genug, dass in Bayern etwas passiert ist, wovon alle Menschen betroffen sind, die auf soziale Hilfe angewiesen sind. Darüber können Sie sich doch nicht hinwegsetzen.

Herr Unterländer verteidigt das KEG, ein Gesetz, das dem Finanzierungsvorbehalt der Gemeinden Priorität einräumt. Das bedeutet, dass es nur dann soziale Hilfe im entsprechenden Umfang gibt, wenn die Gemeinde finanziell dazu in der Lage ist. Es hängt also an der Prioritätensetzung. Was tun wir, wenn die Kassen der Gemeinden leer sind? Was ist dann mit unserem sozialen Engagement?

Herr Unterländer hat sich auch Gedanken über die Zukunft des Sozialstaates gemacht. Ich habe bemerkt, dass sich in der CSU eine „Neusprache“ eingeschlichen hat. Ich werde Ihnen ein paar Vokabeln der Neusprache zum Sozialstaat aus CSU-Sicht verdeutlichen: „Alleingelassen“ heißt „Eigenverantwortung“, „Privatisierung“ heißt

„Selbstbestimmung“, „Absenkung der Standards“ heißt „Chance zur Strukturveränderung“ und „Sozialabbau“ heißt „Sparen für Kinder“.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Zu einer zusammenfassenden Stellungnahme hat das Wort Frau Stewens, Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur zu vier Punkten Stellung nehmen: Haushalt, Familie, Pflege und Zuwanderung. Vorher möchte ich ein paar einführende Worte sagen: Herr Kollege Wahnschaffe, Frau Kollegin Ackermann, was Sie zum KEG gesagt haben, ist falsch. Im Kostenentlastungsgesetz ist eine Finanzkraftklausel vorgesehen.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Das heißt also, ob die Menschen Leistung bekommen, wird überhaupt nicht in Frage gestellt. Es geht um die Ausgestaltung, um das Wie der Leistung.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Was heißt Ausgestaltung?)

Sie haben das Ob wieder in Frage gestellt. Das wird nicht in Frage gestellt.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Bloß wie viel?)

Da der Rechtsanspruch erhalten bleibt, kann es bei einer Klage nur um die Ausgestaltung der Leistung gehen, also um „Wunsch und Wahlrecht“. Hier wird durch die Finanzkraftklausel ein Stück relativiert. In der Abwägung wird die Finanzkraft des Kostenträgers eine Rolle spielen. Darum geht es bei der Finanzkraftklausel.

Herr Kollege Wahnschaffe, wir brauchen in der Sozialpolitik strukturelle Änderungen, damit die Kommunen für die pflegebedürftigen Menschen, die Menschen, mit Behinderungen die notwendigen finanziellen Spielräume haben. Das ist wichtig. Deshalb ist es auch wichtig, dass Eltern, deren Kinder im Heim sind, nicht auch noch das Kindergeld zur Gänze bekommen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Darüber gibt es keine Streit, das wissen Sie! Man kann aber Sozialpolitik nicht nach Kassenlage machen!)

Darüber müssen wir reden. Das sind die Inhalte des Kostenentlastungsgesetzes. Finanzkräftige Eltern sollten nicht komplett die Jugendhilfe und Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen, obwohl sie ausreichend Geld hätten, selbst zu zahlen. Wir müssen einen Paradigmenwechsel einleiten. Wir haben die Eltern ein Stück weit aus ihrer Erziehungsverantwortung entlassen. Ich will die Eltern wieder stärker in die Erziehungsverantwortung nehmen. Über diese geistigen Grundlagen müssen wir uns unterhalten. Hier sollten Sie mitmachen. Ich zitiere:

Es ist nicht einzusehen, dass gut betuchte Bürger die Hilfe der Allgemeinheit beanspruchen, obwohl sie selbst in der Lage sind, notwendige Hilfen zu bezahlen.

Ihr Parteikollege Ude hat das gesagt. Darum geht es. Ich habe den Eindruck, Sie wissen gar nicht über was Sie sprechen, wenn Sie vom Kostenentlastungsgesetz reden.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Es handelt sich um Einsparungen in Höhe von 550 Millionen Euro im Bereich Sozialhilfe und Kinder- und Jugendhilfe bei Ausgaben von 50 Milliarden Euro in Deutschland. Trotzdem reden Sie vom sozialen Kahlschlag.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Der Bundesrat sagt anderes; das ist Spiegelfechterei!)

Deshalb meine ich, eine geistige Auseinandersetzung mit dem Ziel der strukturellen Veränderung der Sozialpolitik muss sein.

(Beifall bei der CSU)

Ich meine, das würde Ihnen gut anstehen.