Protokoll der Sitzung vom 20.07.2005

Das ist sehr nett, Herr Volkmann, vielen Dank. Ist Ihnen bekannt, dass der Staatsminister des Innern in der Sitzung des Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit vom 8. Juni 2005 ausweislich des Protokolls sagte: Er, Beckstein, habe im ersten halben Jahr seit In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes über keinen Fall entscheiden müssen, in dem er auf eine Empfehlung der Härtefallkommission angewiesen gewesen wäre. Alle Fälle, in denen eine besondere Härte zu vermeiden war, hätten auch auf der Basis der bisher zur Verfügung stehenden Rechtsgrundlagen gelöst werden können?

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das haben Sie doch schon ausgeführt!)

Ich habe heute Nachmittag dieses Protokoll gelesen. Ich muss Ihnen dazu sagen, Sie haben gerade das zitiert, was ich bemängelt habe. Haben Sie das nicht verstanden? Der Innenminister kann doch nicht die Härtefallkommission sein. Er ist die Spitze der Verwaltung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Muss ich Ihnen denn wirklich klarmachen, dass das zwei Paar Stiefel sein sollen?

(Margarete Bause (GRÜNE): Von demokratischer Kontrolle versteht Kollege König nichts! – Abgeordneter Alexander König (CSU) meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

Ich lasse keine Frage mehr zu, weil ich mich mit einer solch dummen Frage nicht noch einmal aufhalten lasse.

(Alexander König (CSU): Ich habe nicht gesagt, dass Staatsminister Dr. Beckstein die Härtefallkommission sei, sondern dass es keine Entscheidung gegeben hätte, für die die Härtefallkommission nötig gewesen wäre!)

Warten Sie doch ab, ich erkläre Ihnen das gleich.

Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen.

(Zurufe von der CSU)

Dass ich das Gesetz lesen soll, ist ein hübscher Hinweis von Ihnen. Ich habe das Gesetz gelesen. § 23 a, der auf Anregung von Innenminister Schily und Staatsminister Dr. Beckstein ins Gesetz aufgenommen wurde, habe ich gründlich gelesen, und kenne die Voraussetzungen sehr wohl.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass die SPD vor über einem Jahr den Antrag gestellt hat, eine solche Härtefallkommission ins Leben zu rufen. Der Gesetzentwurf der GRÜNEN ist ein halbes Jahr alt. Sie sagten die gesamte Zeit über, Sie müssten überlegen, ob Sie das machen, Ihre Entscheidungsfi ndung sei noch nicht abgeschlossen. Das hat Unterhaltungswert. Wie lange wollen Sie das noch vortragen? Wie viele Jahre wollen Sie noch sagen, Sie müssten sich das überlegen? – Sie könnten zum Beispiel – die Kollegin hat bereits darauf hingewiesen – NordrheinWestfalen als Vorbild nehmen – was Ihnen jetzt vielleicht leichter fallen dürfte, aber nichts an den Tatsachen ändert. Nordrhein-Westfalen hat seit fast genau zehn Jahren eine Härtefallkommission. Dort sind in den zehn Jahren 4700 Fälle behandelt und davon ungefähr 1000 Empfehlungen ausgesprochen worden. Die überwiegenden Empfehlungen gehen in die Richtung, dass der Regierung bzw. der zuständigen Behörde empfohlen wurde bzw. dass man sie gebeten hat, ein vorübergehendes Bleiberecht zu ermöglichen, damit der oder die Betreffende eine Berufsausbildung oder eine Schulausbildung abschließen kann. Wenn man für solche Fälle keine Härtefallkommission einsetzen kann, wofür dann?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Karin Radermacher (SPD): Sie wollen es gar nicht!)

Eine solche Überlegung in die Länge zu ziehen, ist lächerlich. Sie gerieren sich als eine Partei, der es vollständig an Entscheidungsfreude mangelt. Es wäre ehrlicher, wenn Sie sagen würden, Sie hielten nichts davon, und Herr Beckstein solle dies alleine entscheiden. Wir würden dann wissen, woran wir sind. Sie sollten kein solches Theater veranstalten, als wüssten Sie nicht, was Sie tun sollen und dabei die gesamte Öffentlichkeit hinters Licht führen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich komme zurück auf die Aussagen des Innenministers Dr. Beckstein in der Sitzung des Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit am 08.06. dieses Jahres. Er hat interessanterweise gesagt, er wäre mit der Entscheidung noch nicht soweit, weil sich die katholische Kirche dazu noch nicht geäußert habe. Das wirft die Frage auf, ob die CSU in Zukunft eine Entscheidung nur noch dann trifft, wenn die katholische Kirche in Bayern Ja gesagt hat. Herr Dr. Beckstein hat das ziemlich am Anfang der Sitzung so gesagt. Die evangelische Kirche spielt keine so große Rolle, obwohl Herr Dr. Beckstein aus Franken kommt und bei der evangelischen Kirche mit einem Amt gesegnet ist. Mich irritiert schon sehr, wenn von der Stellungnahme der katholischen Kirche eine Entscheidung abhängen soll.

Herr König, Sie sagten, Sie wüssten nicht, ob die Härtefallkommission mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Die Regelung könnte Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes widersprechen, weil gegen das Rechtsweggebot verstoßen würde. Dazu kann ich Ihnen sagen:

Erstens zur Erinnerung: In Nordrhein-Westfalen hat man die Härtefallkommission seit zehn Jahren. Sie hat 4700 Fälle bearbeitet, und nicht ein einziger dieser Fälle ging vor Gericht. Wollen Sie noch einmal zehn Jahre warten, oder sollen es zwanzig Jahre sein? Es ist absolut lächerlich, sich auf diese Argumentation zurückzuziehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweitens: Sie ist schon deshalb peinlich, weil im Gesetz ausdrücklich steht, dass sich die Kommission selbst mit diesen Dingen befasst. Kein Petent hat die Möglichkeit, sich dorthin zu wenden, und er hat auch keinen Anspruch, dass diese Kommission sich mit etwas befasst. Die Kommission wird sich nur befassen, wenn sie den Fall selbst aufgreift und entscheidet. Sie erlässt keinen Verwaltungsakt nach außen, sondern sie richtet nur an das Innenministerium eine Bitte bzw. das Ersuchen, sich den Fall in dieser oder jener Art und Weise noch einmal zu überlegen.

Wenn die CSU eine faule Ausrede braucht, könnte man dafür Verständnis aufbringen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist blamabel! – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist feige!)

Es ist aber peinlich, wenn Sie in dieser Angelegenheit nicht einfach Ja oder Nein sagen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage nochmals, zur Klarstellung, damit Sie mir auch glauben und nicht meinen, wir gingen von falschen Voraussetzungen aus: Die Härtefallkommission entscheidet nicht selbst. Sie richtet nur ein Ersuchen an die oberste Landesbehörde. So steht das ausdrücklich in § 23 a.

Und nun, meine Damen und Herren, sage ich noch einmal etwas, und das sage ich vor allem mit Blickrichtung auf

die Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Ich bin nicht Mitglied des Petitionsausschusses, es liegt in der Natur der Sache, dass die meisten von uns nicht Mitglied des Petitionsausschusses sind. Im Plenum haben wir wiederholt Fälle behandelt, in denen es um die Ausweisung von zwei oder drei Kindern ging, die über viele Jahre, zum Teil über zehn und mehr Jahre, in der Bundesrepublik Deutschland bzw. in Bayern gelebt haben, die hier aufgewachsen sind, die sich ganz integriert hatten, die sehr engagiert waren. Sie hatten sich in einem Maß integriert, wie wir Integration von den hier lebenden Ausländern erwarten. Diese Kinder haben Sie ausgewiesen, weil der Vater aufgrund des Ausländerrechts aus irgendwelchen Gründen kein Aufenthaltsrecht hatte. Das sind die Fälle, die auch mir, der ich sonst mit solchen Fällen nicht betraut bin, regelrecht „die Zehennägel aufgedreht“ hat. Es ist schon peinlich, es kann doch eigentlich auch im Freistaat Bayern nicht passieren, dass diese Kinder in ein Land abgeschoben werden, das schon lange nicht mehr ihre Heimat ist, weil eben Bayern ihre Heimat ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Ärgerlichste an der heutigen Debatte bzw. an dem Projekt „Härtefallkommission“ ist für mich aber, wie sich die CSU bei allen ausländerrechtlichen Fragen, bei Fragen der Integration und der Migration verhält. Ich beschäftige mich seit eineinhalb Jahren mit den Themen von Migration und Integration sehr intensiv. Ich beobachte also, wie sich die CSU im Landtag zu diesen Fragen verhält.

(Dr. Otmar Bernhard (CSU): Differenziert!)

Kollege Bernhard sagt: differenziert.

(Karin Radermacher (SPD): Wenn es nur so wäre!)

Wenn es nur so wäre, wäre es erfreulich. Ich sage Ihnen aber eines, Herr Dr. Bernhard, und das meine ich sehr ernst: Sie erwecken, und das ist auch in dieser Debatte und bei Ihrem Abstimmungsverhalten der Fall, immer wieder den Eindruck, dass alle Fragen des Ausländerrechts, von Integration und Migration, für Sie ein Transmissionsriemen sind, um innenpolitisch zu punkten, um den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen: Wir wollen, dass keine Ausländer hereinkommen.

(Zurufe von der SPD: Genau! – Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich fi nde das ausgesprochen schlecht. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich einmal die Zahlen ansehen und vergegenwärtigen, wie in den letzten 40, 50 Jahren Zuwanderung in Deutschland ausgesehen hat. Wissen Sie, in welcher Regierungsperiode wir die höchste Zuwanderungsquote überhaupt hatten? Das war zwischen 1982 und 1998, also in der Zeit, als Bundeskanzler Helmut Kohl von der CDU an der Regierung war.

(Thomas Kreuzer (CSU): Und wer hat sich geweigert, das Grundgesetz zu ändern? Sie haben sich jahrelang geweigert! – Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Nun seien Sie mal ruhig, jetzt rede ich.

(Thomas Kreuzer (CSU): Wer hat sich denn geweigert, das Grundgesetz zu ändern!)

Herr Kreuzer, Sie sind ein kluger Mensch, Sie können sich meine Ausführungen erst einmal anhören.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Ich bin überrascht, wie sehr Sie das trifft, wenn man einmal eine Wahrheit ausspricht, die unumstößlich ist.

(Beifall bei der SPD – Thomas Kreuzer (CSU): Das ist Volksverdummung!)

Damit wir uns richtig verstehen: Bei der Zuwanderung geht es nicht nur um die Zuwanderung von Ausländern, sondern auch um die Zuwanderung von Aussiedlern. Aussiedler sind nach dem Zuwanderungsgesetz jetzt endlich den Ausländern gleichgestellt. Ich sage Ihnen: In dem genannten Zeitraum gab es die höchsten Zuwanderungszahlen. Wobei ich ohne weiteres einräume, dass in diesen Zeitraum auch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Serbien, in Montenegro und im ehemaligen Jugoslawien fallen. Das hatte selbstverständlich Auswirkungen. Doch selbst wenn Sie diese Zuwanderer abziehen, sind sie noch immer einsamer Spitzenreiter.

(Dr. Ludwig Spaenle (CSU): Das ist Volksverhetzung! – Thomas Kreuzer (CSU): Wer hat sich denn geweigert, den Asylartikel im Grundgesetz zu ändern!)

Das fi nde ich schon sehr ärgerlich. Ich sage Ihnen deshalb noch einmal, eine Härtefallkommission, so wie sie vorgeschlagen ist und wie sie im Aufenthaltsgesetz steht – –

(Dr. Ludwig Spaenle (CSU): Das ist Brunnenvergiftung!)

Das ist überhaupt keine Brunnenvergiftung, Herr Dr. Spaenle. Sehen Sie sich diese Zahlen doch einmal an. Dann kommen Sie schon dahinter, was hier los ist. Eine Härtefallkommission wäre ein Signal an die hier lebenden Menschen, sowohl an die Inländer als auch an die hier lebenden Ausländer.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine Härtefallkommission wäre ein Signal, um den Menschen deutlich zu machen, dass es nicht so ist, dass alle Zuwanderer hier nicht erwünscht sind. Leider ist es so, dass wir gerade in Bayern, weil wir hier in den vergangenen 30 Jahren keine Integration betrieben haben, den Menschen klar machen müssen, dass sie hier willkommen sind.

Meine Damen und Herren, wenn Zuwanderung gelingt, dann kann sie für den Freistaat auch eine Bereicherung