Protokoll der Sitzung vom 19.10.2005

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier hat Bayern genauso geschlafen wie die EU. Und um das Bild des Kollegen Huber aufzugreifen: Nicht nur die EU-Verantwortlichen haben nicht täglich an ihrer Firewall gearbeitet, sondern auch die Verantwortlichen in Bayern haben nicht täglich an der Firewall gearbeitet. Das müssen wir uns einfach eingestehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nachdem Sie nun diese Lücke erkannt haben, Herr Staatsminister, haben Sie in Ihrem gewohnten Aktionismus gleich einmal alle 39 K-3-Betriebe gefi lzt, wie man es umgangssprachlich sagt, und vermutlich unter kollektiven Verdacht gestellt. Sie hätten ruhig zugeben können, dass es diese Kontrolllücke gibt. Sie haben auch nur sehr wenig über die Ergebnisse dieser Kontrollen in den 39 Betrieben ausgeführt. Wenn etwas dabei herausgekommen wäre, hätten wir das vermutlich von Ihnen jetzt gehört.

Es zeigt sich auch, dass die freiwillige Selbstkontrolle nur sehr bedingt dazu taugt, solche Skandale aufzudecken. Auch das haben wir vorher schon gewusst; es ist keine neue Erkenntnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein großes Problem ist es für mich, dass wir wieder einmal einerseits den Verbraucherinnen und Verbrauchern Sicherheit suggerieren und jetzt andererseits erneut zugeben müssen, dass es große Löcher im Verbraucher

schutz gibt, die bereits jahrelang vorhanden waren und nie geschlossen wurden. Das alles trägt sicherlich nicht zur Vertrauensbildung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern bei.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt noch einen weiteren Punkt, der mich nachdenklich stimmt. Sie haben schon in der Fragestunde gesagt, dass Sie am 12. Oktober von diesem Skandal erfahren hätten. Nachdem der Bericht im „Stern“, der am 13. Oktober erschien, relativ ausführlich recherchiert war, ist zu vermuten, dass die Presse lange vor den staatlichen Behörden von diesem Vorfall wusste.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das zeigt, dass auch wir in Bayern bei dieser Sache Fehler gemacht beziehungsweise geschlafen haben. Erlauben Sie mir jedoch zum Schluss noch eine Anmerkung. Dieser Lebensmittelskandal sollte für uns alle und auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher Anlass sein, über das Preisdumping im Lebensmittelbereich nachzudenken. Ich will klar sagen: Wenn heute Wurst- und Fleischwaren teilweise billiger angeboten werden als Hundefutter, liegt der Gedanke nahe, dass vielleicht nicht viel anderes drin ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das alles macht deutlich, dass der Spruch „Klasse statt Masse“ in keinem Bereich so viel Berechtigung hat wie im Lebensmittelbereich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe bekannt, dass die CSU-Fraktion namentliche Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN beantragt hat. Ab jetzt laufen 15 Minuten. Deswegen fahren wir in der Tagesordnung fort.

Ich gebe vorweg noch bekannt, dass bei der Bekanntgabe der Änderungen der Ausschussbesetzungen durch die SPD-Fraktion versehentlich nicht bekannt gegeben wurde, dass Herr Kollege Reinhold Strobl nicht nur Mitglied im Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes ist, sondern auch – das ist neu, und ich bitte es zur Kenntnis zu nehmen – Mitglied im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport.

Wir fahren nun in der Tagesordnung fort. Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Joachim Herrmann, Renate Dodell, Thomas Kreuzer u. a. u. Frakt. (CSU) Kommunen bei der Umsetzung des SGB II entlasten (Drs. 15/4110)

Als Erster hat sich Kollege Unterländer zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist den Städten und

Gemeinden zugesichert worden, dass sie jährlich um 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Dieses Ziel sollte dadurch realisiert werden, dass der Bund Kosten für Unterkunft und Heizung für Erwerbslose in Höhe von 29,1 % übernimmt.

Nunmehr hat die bisherige Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Kommunen künftig kein Geld mehr erhalten sollen. Darüber hinaus soll sogar ein Betrag von 2,4 Milliarden Euro zurückverlangt werden. Diese Vorgehensweise kann man mit den Arbeitsministern – wie etwa unserer Sozialministerin Christa Stewens und der hessischen Arbeitsministerin Lautenschläger – nur als unsolide, ungerechtfertigt und übereilt beurteilen, da man bisher keine defi nitiv verlässlichen Zahlen hat.

Da vonseiten der Bundesregierung ohnehin mit den Kommunen Gespräche über die Kostenentwicklung von Hartz IV und die sonstigen politischen Auswirkungen geplant sind, ist dieser Schnellschuss nicht zu akzeptieren. Man muss vermuten, dass auf die Schnelle andere Haushaltslöcher gestopft werden sollen. Dies ginge aber zulasten der Kommunen. Deshalb fordern wir die Staatsregierung auf, in den dafür vorgesehenen Gremien dafür einzutreten, dass diese Entlastung von 2,5 Milliarden Euro jährlich, die auch in § 46 Absatz 5 des Sozialgesetzbuches II vorgesehen ist, tatsächlich durchgeführt wird.

(Unruhe)

Sehen Sie sich, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch einmal die Situation in den Landkreisen und den kleineren Städten an. Von einer Entlastung kann überhaupt keine Rede sein. Vielmehr nehmen die Belastungen durch eine solche Gesetzesänderung zu. Demgegenüber wurden bundespolitische Entscheidungen wie gerade der Ausbau der frühkindlichen Betreuung im Programm der bisherigen Bundesregierung mit der Entlastung der Kommunen durch Hartz IV begründet. Wenn nunmehr nachweisbar bayerische Kommunen erhebliche Defi zite haben, so brauchen wir zunächst einmal die entsprechende Entlastung. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kommunen zu unterstützen. Wir sollten diesen Weg gehen, da ansonsten die Forderungen nach einer Entlastung der Kommunen absolut nicht mehr glaubhaft wären.

Ich darf in diesem Zusammenhang noch ein anderes Thema ansprechen, das die Kommunen selbstverständlich bewegt. Es gibt Entlastungen in anderen Bereichen bei den Bezirken, und es gibt unterschiedliche Entwicklungen in den größeren Städten und den kreisfreien Städten. Hier ist es erforderlich, für einen Ausgleich zu sorgen. Es gibt dazu Beratungen und Diskussionen. Dieses Thema wird in den nächsten Wochen und Monaten auf der Tagesordnung sein und bleiben. Darauf möchte ich für meine Fraktion ausdrücklich hinweisen.

Nun geht es aber zunächst einmal in einem ersten Schritt darum, die Situation nicht noch weiter zu erschweren und auf dieses Gesetzvorhaben zu verzichten, um nicht neue

Probleme aufkommen zu lassen, da wir vom Fachlichen her in einer unsicheren Situation sind, wie es weitergeht.

Es ist unüblich, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, wenn Beratungen zwischen dem Bund und den kommunalen Spitzenverbänden auf Bundesebene erfolgen. Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag zu unterstützen, damit das in Bayern eingeführte Konnexitätsprinzip wenigstens in einem Teilbereich von Hartz IV tatsächlich zum Tragen kommt. Ich bitte Sie um Zustimmung zum Antrag.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächste hat Frau Kollegin Strohmayr das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Kolleginnen und Kollegen der Mehrheitspartei! Dieser Antrag zeigt mir deutlich, dass sich die CSU in ihre neue Rolle noch nicht hineingefunden hat.

(Beifall bei der SPD)

Was wollen Sie denn überhaupt sein? Wollen Sie Opposition oder Regierung im Bund sein? – Sicherlich wäre es sinnvoller gewesen, Herr Kreuzer – Herr Herrmann ist heute nicht da, deswegen sprechen ich Sie an; Sie dürfen auch zuhören –, diese Frage vorab im stillen Kämmerchen zu klären, bevor Sie mit derartigen Scheinanträgen das Plenum belasten.

(Beifall bei der SPD)

Was wollen Sie denn, Herr Unterländer? Wollen Sie auf diesem Weg Herrn Stoiber beauftragen, sich für die Kommunen einzusetzen? – Sicher ist es Ihnen klar, dass der von Ihnen angeschobene Gesetzentwurf der Diskontinuität unterliegt und damit erst mal hinfällig ist.

Eines ist klar: Im Zuge des laufenden Revisionsverfahrens muss über den Anteil des Bundes an den Unterkunftskosten entschieden werden. So war es vereinbart, und dazu stehen wir. Die Kommunen müssen und sollen um 2,5 Milliarden entlastet werden; so war es vereinbart. Sind allerdings Kommunen bereits jetzt stärker entlastet als vereinbart, so wäre es nur konsequent und folgerichtig, wenn die Beteiligungen des Bundes zurückgefahren würden. Dies wäre durchaus denkbar, da zum Beispiel mehr Bezieher von Sozialhilfe in das vom Bund fi nanzierte ALG II umgestiegen sind, als ursprünglich kalkuliert worden ist. Die Diskussion darüber ist Ihnen sicherlich bekannt.

Letztlich sind das Zahlenmaterial und der Modus bei der Errechnung der Entlastung problematisch und strittig. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag hinweisen. Das Staatsministerium hat keinerlei Angaben über die tatsächlichen Ent- und Belastungswirkungen machen können.

Auch Sie, Herr Unterländer, haben selbst davon gesprochen, dass es kein verlässliches Zahlenmaterial gibt.

Zusammenfassend bleibt gleichwohl ein Beigeschmack: Wie kann es kommen, dass keinerlei Zahlenmaterial vorliegt und Sie heute diesen Antrag stellen? Ich bin selbst Mitglied des Kreistags und weiß, wie schwierig die Datenerhebung vor Ort ist. Es ist schon deshalb problematisch, weil die Vergleichszahlen für die Belastung ohne Hartz IV meist nur als Schätzung oder gar nicht vorliegen. Letztlich glaube ich, dass Experten die Fragen des Rechenmodus und des Zahlenmaterials klären müssen. Eine Diskussion in diesem Parlament ist sicher nicht zielführend.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube nicht, dass Sie über die Rechenwege und das Zahlenmaterial diskutieren wollen bzw. überhaupt dazu fähig sind, darüber zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Es gilt festzuhalten, dass die CSU mittlerweile immerhin erkannt hat, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe der richtige Schritt war und dass dieser letztendlich zu einer Entlastung der Kommunen führt.

(Beifall bei der SPD)

Auch hier sah die Welt der CSU vor einem Jahr noch ganz anders aus. Herr Clement hat eine einvernehmliche Festlegung des Bundesanteils angestrebt, und es ist jetzt an Herrn Steinbrück und Herrn Stoiber, Entsprechendes zu erreichen. Derartige Anträge der CSU sind reine Makulatur. Wenn Sie den Kommunen helfen, sehr geehrter Herr Unterländer, und sie entlasten wollen, dann sollten Sie das Konnexitätsprinzip einhalten und sollten nicht die Kommunen beim G 8, den Sanierungskosten, den IZBB-Mitteln, beim Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz und bei vielen weiteren Maßnahmen zusätzlich belasten.

(Beifall bei der SPD)

Zu diesem Thema gibt es noch einen weiteren Dringlichkeitsantrag der SPD.

Nochmals meine Aufforderung, Herr Kreuzer: Klären Sie lieber einmal in Ihrer eigenen Fraktion, wohin Ihre Reise gehen soll, als durch derart unseriöse Anträge Kommunen und das Plenum zu belasten. Wir werden uns bei der Abstimmung enthalten.

(Beifall bei der SPD)