Protokoll der Sitzung vom 30.11.2005

In Bayern gibt es also, wie gesagt, sehr viele offene Baustellen. Das G 8 ist noch lange nicht fertig; es fehlt ein Lehrplan, der die Oberstufe umfasst. Auch die Versprechungen, die Sie zur R 6 gemacht haben, werden nicht eingehalten. 34 % aller Kinder befi nden sich in Klassen mit einer Klassenstärke über 30. Diesen Zustand fi nde ich unerträglich.

(Zuruf des Abgeordneten Berthold Rüth (CSU))

Die Klassenstärke ist nicht das Merkmal, Herr Kollege Rüth. Ich glaube, wir sollten lieber über die Lehrer-SchülerRelation reden. Vielleicht ergeben sich dann andere Zahlen.

Sie haben sehr viele offene Baustellen. Sie haben den Lehrermangel nicht beseitigt und machen sogar neue Baustellen auf. Der Kultusminister möchte berufl iche Gymnasien, wie immer die auch aussehen sollen. Der Verbraucherschutzminister möchte Hauptschule und Realschule zusammenlegen. Ich glaube, das bringt die Leute durcheinander und schafft kein Vertrauen. Auch das Büchergeld schafft kein Vertrauen, weil es das Signal aussendet, dass die Bildungsausgaben immer stärker privatisiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zudem halte ich die Ausgestaltung des Büchergeldes für äußerst mangelhaft. Mein Kronzeuge dafür ist der scheidende Datenschutzbeauftragte, der Ihnen eine förmliche Beanstandung ausgesprochen hat. Das ist seine schärfste Waffe; das wissen Sie.

Es gibt mittlerweile Eltern, Herr Kollege Rüth, die sich an uns wenden, weil ihre Kinder in der Klasse an den Pranger gestellt werden, da die Eltern das Büchergeld nicht bezahlt haben. So etwas haben Sie mit Ihrem Gesetz auch erreicht. Der Verwaltungsaufwand ist sehr hoch. Ich freue mich, dass Sie erkannt haben, dass man die Asylbewerber vom Büchergeld ausnehmen muss und weise noch einmal darauf hin, dass es für die 20 bzw. 40 Euro überhaupt keine Kalkulationsgrundlage gibt. Wenn man

den Bürgerinnen und Bürgern Geld aus der Tasche „zockt“, sollte man ihnen auch vorrechnen können, wieso, weshalb, warum man auf einen solchen Betrag kommt.

Bildung braucht schlussendlich eine Perspektive und – das habe ich, glaube ich, lange nicht mehr gesagt – Bildung braucht die zwei K, nämlich erstens Konzept und zweitens Kohle.

Zum Konzept gehört eine Vorstellung darüber, wie ich erstens ein System sozial gerecht gestalte, wie es zweitens leistungsorientiert bleibt – weil es das ja schon ist – und drittens die Hinwendung zum Kind.

Und nun zum Thema „Kohle“. Wir brauchen kurzfristig und schnell mehr Geld für kleinere Klassen und mehr Lehrerinnen und Lehrer, um damit mittelfristig eine bessere individuelle Förderung bieten zu können. Ich habe bei der Beratung des Haushalts 2005/2006 schon gesagt, dass wir dafür die Bildungsausgaben um jährlich 3 % erhöhen müssen. Das ist fi nanzierbar und muss mit einer Umsteuerung einhergehen. Mein Ziel lautet: Leistung und soziale Gerechtigkeit. Armut bzw. Chancen dürfen sich nicht vererben. Wir müssen versuchen, die Manifestierung der Drei-Stände-Gesellschaft zu durchbrechen.

Schließlich zur Petition noch ein letztes Wort. Wenn es aus Ihrer Sicht, Herr Kollege Rüth, auch nur 0,7 % sind, so ist eine Zahl von über 22 000 Leuten, die ihre Unterschrift darunter setzen, durchaus beachtenswert. Ich wünsche mir, dass Sie diesen Bedenken Rechnung tragen und bitte Sie, mit Berücksichtigung zu votieren.

Meine Redezeit habe ich eingehalten, Herr Präsident. Das heißt, die GRÜNEN versprechen nicht, was sie nicht auch halten können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank für die Einhaltung der Redezeit, Frau Kollegin Tolle. Daran können sich viele Kolleginnen und Kollegen ein Beispiel nehmen.

(Beifall und Zurufe bei den GRÜNEN – Beifall des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Als nächstes hat Herr Kollege Waschler das Wort und da passt gerade meine Bemerkung: Sie haben nämlich nur noch genau 4 Minuten und 23 Sekunden Redezeit.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): 3 Sekunden sind schon fort!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde, wenn ich mich endlich verständlich machen kann, selbstverständlich die Redezeit einhalten.

(Zuruf von der SPD: Wenn der Präsident nicht vergisst, das Mikrofon einzuschalten!)

Ich bitte vor allen Dingen die Kolleginnen und Kollegen der Opposition um Aufmerksamkeit, weil ich festhalten möchte, dass wir selbstverständlich Eingaben, egal mit welcher Unterschriftenzahl, die ans Parlament herangetragen werden, immer sehr ernst nehmen. Die CSU-Fraktion hat bewiesen, dass diese Thematik für sie an sehr bedeutsamer Stelle steht. Wir waren ja relativ wenige, als die Aktuelle Stunde um 9 Uhr begonnen hat.

(Zurufe)

Ich möchte zunächst festhalten, mit welcher Dreistigkeit manche Argumentation hier geführt wird. Selbstverständlich befi nden wir uns in einer fi nanzpolitisch schwierigen Situation, aber die Verantwortung dafür – das kann ich niemanden von Ihnen ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition – liegt in sieben Jahren rot-grüner Bundesregierung mitbegründet. Wenn wir entsprechende Handlungsspielräume gehabt hätten, wäre es uns sicherlich möglich gewesen, noch mehr Geld für den Bildungsbereich in Bayern einzubringen. Insofern muss ich den Vorwurf der SPD und der GRÜNEN zurückweisen. Hier gibt es eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, die sich bei der Opposition durchaus intensiv darstellt.

Wenn hier argumentiert wird, es gebe bei uns eine große Menge Bildungsverlierer, muss man dem deutlich entgegen halten, dass derjenige, der fl eißig und leistungsbereit arbeitet, in Bayern in jeder Hinsicht alle Bildungschancen hat, die Bayern bietet. Es reicht schon sehr nahe an eine sozialistische Vollkaskomentalität heran,

(Widerspruch und Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

bitte lassen Sie mich ausreden –, wenn hier kritisiert wird, es fi nden Schulfahrten statt und für die muss auch noch Geld bezahlt werden. Wo sind wir denn da, verehrte Kolleginnen und Kollegen?

(Anhaltende Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Wer sie sich nicht leisten kann, hat schon seit jeher die Möglichkeit, über die Elternbeiräte oder entsprechende Fördervereine einen Beitrag zu erhalten. Keiner muss daheim bleiben.

(Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist bewährte Praxis in Bayern und wird auch weiterhin positiv so praktiziert.

(Vereinzelter Beifall bei der CSU)

Zum anderen: Es wird immer mit Zahlen jongliert, wie viel Prozent der Schüler keine Abschlüsse haben. Ich gebe Ihnen vollkommen recht: Jeder Schüler ohne Abschluss ist ein Schüler zuviel. Aber halten wir fest – der Herr Minister hat dies dargelegt-: Es sind im Endeffekt 4 %, die versuchen, hier ohne Abschluss einen Weg zu fi nden.

96 % dagegen – das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen – sind erfolgreich und haben eine hervorragende Ausbildung hinter sich, und damit schließt sich der Kreis. Wir tun mit einer Spitzenleistung in der Lehrerversorgung unser Möglichstes. Wir haben entsprechende, klare Referenzen. Die Realschule ist, wie mehrfach gesagt wurde, ein Erfolgsmodell. Wir sind nicht nur intensiv dabei, die Stärkung der Hauptschule zu intensivieren,

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Ist das auch ein Erfolgsmodell?)

sondern wir wollen hier auch Fakten schaffen.

Herr Kollege Dürr, wären Sie morgens dabei gewesen und hätten Sie aufgepasst! Aber Sie bestechen nur durch Zwischenrufe. Überzeugen Sie sich einmal davon, was an den Hauptschulen in den M-Zügen Positives erbracht wurde und wie viele Schüler hier hochqualifi ziert den Weg in die berufl iche Bildung und dann über Ausbildungsplätze in die Wirtschaft fi nden. Hier schauen viele andere Bundesländer intensiv und mit großem Neid nach Bayern. Wir werden uns hier nicht irritieren lassen. Sobald Handlungsspielräume vorhanden sind, werden wir sie nutzen, um weiterhin am bayerischen Erfolgsmodell zu arbeiten.

Dass wir sehr kritikfähig sind und auch die Ecken und Kanten kennen, haben wir auch gezeigt. Wenn Sie in der Aktuellen Stunde aufgepasst hätten – Sie können es im Protokoll nachlesen –, würden Ihnen möglicherweise die Augen aufgehen und Sie hätten festgestellt, dass nicht nur Sie Kritikpunkte sehen, sondern dass auch wir von der CSU-Fraktion sehr wohl kritikfähig sind. Ich liege damit genau in der Zeit und bedanke mich.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Waschler, vielen Dank. Sie haben Recht, Sie waren genau in der Zeit. Als nächstes hat sich Herr Staatssekretär Freller zu Wort gemeldet, der eine unbegrenzte Redezeit hat, aber die 15-Minuten-Regel kennt.

Herr Pfaffmann hat vorhin so markige Worte gesprochen. Ich hoffe, er sitzt jetzt draußen und schaut im Fernsehen die Regierungserklärung der neuen Bundeskanzlerin an, die mit Ihrem Herrn Müntefering abgestimmt ist und in der festgehalten wird, dass dieses Land notgedrungen darauf angewiesen ist, nach Kräften zu sparen.

Lieber Herr Pfaffmann, wo immer Sie auch sind, wenn Sie mich hören, bitte, hören Sie auch auf das, was im Augenblick Ihre Parteifreunde in Berlin äußern, es ist vielleicht auch für Sie wichtig.

(Beifall bei der CSU)

Ansonsten haben Sie schlicht und einfach die Entwicklung der letzten Wochen verschlafen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage das deshalb, weil es mir auch wichtig ist, den Gesamtzusam

menhang herzustellen. Wir können hier selbstverständlich diskutieren und uns immer mehr Lehrer wünschen. Ich gehöre zu denjenigen, die sich über jede Lehrerplanstelle riesig freuen, und Herr Kollege Waschler mit Sicherheit ebenso. Und mein Minister kämpft zur Zeit bei den Verhandlungen über die Differenzpunkte wie viele hier in diesem Raum dafür, dass das, was immer auch möglich ist, den Schulen zufl ießt. Aber dieser Einsatz wird nur dann glaubwürdig bleiben, wenn man auch anerkennt, in welch fi nanzieller Schwierigkeit eine Nation insgesamt ist. Diesen Zusammenhang aufzuzeigen, ist mir wichtig. Ich habe das bei Herrn Pfaffmann leider etwas vermisst. Nur zu fordern, wird auf Dauer die Glaubwürdigkeit der Bildungspolitik unterlaufen. Auch das ist für mich eine Frage.

(Beifall bei der CSU)

Wir müssen also hoch sensibel bleiben, um das Realistische zu fordern. Dann sind wir wieder im Boot, ohne hier Utopien zu nehmen, die nicht erfüllbar sind.

Es ist von den beiden Vorrednern, Herrn Rüth und Herrn Waschler, eigentlich schon geantwortet worden, aber zwei, drei Dinge sind mir aufgefallen, auf sie möchte ich noch hinweisen. Ich will nur ein paar Stichwörter aufgreifen. Ich habe Verständnis dafür, wenn sich Eltern für bessere Bedingungen für ihre Kinder einsetzen. Das ist ganz natürlich und auch gut so. Es ist zunächst auch nachvollziehbar, dass sich ein Vater und eine Mutter mit ihrer Unterschrift für eine Verringerung der Klassenstärke einsetzen, weil niemand wissen kann, der weder das politische Geschäft noch die Zahlen im Detail kennt, was es bedeutet, zum Beispiel allein am Gymnasium, die mittlere Klassenstärke um nur einen Schüler zu senken. Das klingt sofort mehrheitsfähig. Die Forderung, die durchschnittliche Klassenstärke um einen Schüler zu verringern, wird jeder unterschreiben. Man muss aber nachrechnen, dass in diesem Fall 650 neue Stellen im Wert von 40 Millionen Euro notwendig sind. Dies muss man wissen, dann kann man redlicher miteinander diskutieren.

Ich möchte nun auf die Klassenstärken an Volksschulen zu sprechen kommen, die Herr Pfaffmann angesprochen hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gehen Sie doch bitte einmal in eine Versammlung – ich bin fast jeden zweiten Abend irgendwo – und fragen Sie die anwesenden Eltern, wie viel Klassen an den Volksschulen in der Region wohl mehr als 30 Kinder haben.

(Zuruf des Abgeordneten Franz Schindler (SPD))

Sie werden als gängige Antworten: 20, 10 und 5 % erhalten. Dazu, dass solch ein Bild besteht, mag vielleicht auch Ihre Polemik in vielen Diskussionen beitragen. In Wirklichkeit haben ganze 0,56 % der Klassen an Volksschulen mehr als 30 Kinder, das sind 75 %.