Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle ein weiteres Mal fest: Die Diskrepanz zwischen der Schönrederei hier im Parlament und der Wahrheit in Bayern ist riesig.
Ich darf Ihnen zur Untermauerung dieser Aussage die Pressemitteilungen von heute vorhalten. Bürgermeister, Sachaufwandsträger und Fraktionsvorsitzende Ihrer Partei kehren der CSU den Rücken und treten aus der Partei aus mit der Begründung – ich zitiere –: „Der Grund ist eine völlig verfehlte Schulpolitik“.
Herr Dr. Waschler, Sie sollten Ihre Schönreden bei Ihrer eigenen Partei halten und nicht hier im Parlament.
Zum Zweiten: Sie haben heute ein glühendes Bekenntnis abgelegt, dass das dreigliedrige Schulsystem erhalten
Sie diskutieren geheim, in der Hoffnung, dass es keiner hört, hinter verschlossenen Türen über die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule. Hinterher wollen Sie nichts davon wissen. Ich erinnere daran: Vor der letzten Landtagswahl hat Ihr Ministerpräsident gesagt, es wird kein G 8 geben. Diese Aussage hat keine sechs Wochen gehalten. Keiner glaubt Ihnen mehr, wenn Sie hier über Schulstrukturen reden.
Sie reden immer davon, dass Sie die Schule zukunftsfähig machen wollen. Sie reden davon, dass Ihnen die Zukunft der Kinder am Herzen liegt. Sie vergessen dabei völlig die Realitäten und die Gegenwart. Eine Schule muss heute, in der Gegenwart, die Voraussetzungen für ihre Zukunftsfähigkeit schaffen. Dabei sieht es sehr düster aus. Man muss die Realitäten der heutigen Schule zur Kenntnis nehmen. Die Rahmenbedingungen der Schule von heute hier in Bayern sind miserabel. Das wissen Sie ganz genau.
Wir werden erleben, wenn wir in der Zukunft angekommen sind, wie die Schulen dann ausschauen. Ich will Ihnen dazu einige Dinge sagen: Heute werden in Bayern 10 % der Schülerinnen und Schüler ohne Abschuss aus der Schule entlassen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das können Sie nicht wegdiskutieren. Ich habe einen Antrag gelesen, Sie wollen im Bildungsausschuss einen Aktionsplan zur Verringerung dieser Quote von 10 % bekommen. Ich kann dazu nur sagen: Guten Morgen!
Seit Jahren akzeptieren Sie, dass 10 % der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Jetzt kommen Sie darauf, der Staatsregierung den Auftrag zu erteilen, diese Quote zu verringern.
Das machen Sie aber nicht, weil Sie meinen, diese Quote sei zu hoch. Sie machen das, weil der politische Druck zu hoch ist, der auf Ihrer Partei in der Schulpolitik lastet. Das ist die Wahrheit, die dahinter steckt.
Sie wissen genau, diese 10 % der Schülerinnen und Schüler haben keine Chance auf dem Ausbildungs- und
Sie sagen, Sie wollen die Schule zukunftsfähig machen. Das ist ein Hohn. Ich sage Ihnen: Wir können es uns nicht mehr leisten, in Bayern deutlich mehr ungebildete Schülerinnen und Schüler aus der Schule zu entlassen als alle nordeuropäischen Länder zusammen. Das sind die Fakten Ihrer derzeitigen Schulpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU.
Sie verschleudern Intelligenzressourcen in unglaublichem Ausmaß. Auch das ist eine Realität der bayerischen Schule. Die individuelle Förderung ist nicht möglich, weil die Rahmenbedingungen an den Schulen nicht stimmen. Die Schule ist nicht mehr ein Ort zum Lernen für das Leben; die Schule ist eine Notenschule geworden, eine Schulaufgabenschule. Das ist das Problem in der derzeitigen Situation.
Sie beschämen die Kinder, indem Sie zulassen, dass sie in einem unglaublichen Ausmaß sitzen bleiben. Auch das sind Rahmenbedingungen, die wir derzeit an den Schulen haben.
Sie selektieren die Kinder bereits im 10. Lebensjahr. Haben Sie nicht endlich auch Verständnis dafür, was los ist, wenn Kinder in der Grundschule Übertrittszeugnisse erreichen müssen? Das alles wollen Sie nicht wahrhaben und das ist das Problem. Der Leistungsdruck in den Schulen, vor allen Dingen in der Unterstufe des achtjährigen Gymnasiums, ist inakzeptabel.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, verlagern die Schule nach Hause, in die Elternhäuser. Von der Hausaufgabenproblematik wollen sie überhaupt nichts wissen. Es gibt eine Umfrage bei den oberbayerischen Gymnasien. Sie besagt, dass nach Auskunft der Eltern mehr als 60 % der Kinder Hilfe bei den Hausaufgaben brauchen. Wollen Sie das alles wegdiskutieren? Das ist die Lage der Schule in Bayern, wie wir sie vorfi nden.
Die Schulbildung wird für viele in dieser Gesellschaft immer weniger bezahlbar. Die Alleinerziehenden, die Familien mit geringem Einkommen, die Familien mit Migrationshintergrund können sich das, was Sie hier treiben, gar nicht mehr leisten. Die Schulkosten steigen. Studiengebühren, Büchergeld und viele andere Dinge sind fast nicht mehr zu bezahlen. Hinzu kommt das Nachhilfeerfordernis bei den Kindern. Wollen Sie das alles wegdiskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU? Sie machen nicht nur eine bildungspolitisch falsche Schul- und Bildungspolitik, Sie machen auch eine familien- und sozialpolitisch falsche Schul- und Bildungspolitik. Das müssen Sie erkennen.
Es hilft doch nicht weiter, Herr Dr. Waschler, wenn Sie das immer wieder schön reden wollen. Ich würde Sie herzlich bitten, dort umzukehren.
Vielleicht noch ein paar Anmerkungen zu Pisa. Ich gebe zu, dass es schön ist, wenn bayerische Kinder und Schü
lerinnen und Schüler gute Pisaergebnisse einfahren, aber ich sage es noch einmal, auch wenn Ihnen das nicht gefällt: Das ist nicht Ihr politisches Verdienst.
Nein, das ist das politische Verdienst der Eltern und der Lehrer und nicht das politische Verdienst Ihrer Partei, meine Damen und Herren.
Ich sage Ihnen noch etwas zu Pisa: Es ist schön, wenn wir gute Ergebnisse haben, aber, Herr Dr. Waschler, mit PisaErgebnissen machen Sie keine kleineren Klassen, mit Pisa-Ergebnissen stellen Sie nicht mehr Lehrer ein und bezahlen sie. Mit guten Pisa-Ergebnissen verhindern Sie auch nicht die 10-Prozent-Quote der Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Mit Pisa verbessern Sie nicht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit Pisa reduzieren Sie nicht die Schulkosten. Das ist die Frage der Gegenwart. Es ist schön, wenn wir gute Pisa-Ergebnisse haben; aber wir müssen die Rahmenbedingungen an den Schulen heute verbessern. Das ist doch ein wichtiges politisches Anliegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Arbeitsgemeinschaft der Eltern der Gymnasiasten in Oberbayern gibt an – und das ist in den anderen Regierungsbezirken sicherlich nicht anders –, dass 50 % der fünften Klassen im Gymnasium 33 und mehr Schülerinnen und Schüler haben. 50 %! Sie reden hier immer von einem Durchschnittswert. Aber das werden Sie mit guten Pisa-Ergebnissen eben nicht reduzieren. Dafür braucht man Bildungsinvestitionen und keine schönen Reden.
Sie haben Unruhe und Unsicherheit an den bayerischen Schulen produziert. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen. Das beginnt mit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums, das in einer Art und Weise eingerichtet wurde, die jeder Beschreibung spottet. Die Lage an den achtjährigen Gymnasien ist katastrophal. Das wissen Sie ganz genau. Sie diskutieren über Schulstrukturen, über die Zusammenlegung von FOS und BOS, was ja in der Sache durchaus richtig ist. Ich erinnere an die Orientierungsarbeiten, an die Diskussion über Haupt- und Realschule. Sie bringen eine Unruhe in die Schule hinein, die für die Schule einfach nicht gut ist. Deswegen glaube ich, dass der CSU-Bildungsweg kein Erfolgsmodell ist. Er ist für viele Familien und Kinder eine Sackgasse. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben und möglicherweise den Weg ändern.
Titel der Aktuellen Stunde angeschaut und dann konnte ich, ehrlich gesagt, nur müde lächeln, denn Erfolgsmodelle sehen anders aus.
Ich würde auch ganz gerne ein paar Beispiele aufzählen. Fangen wir einmal mit Pisa an. Bayern ist besser, aber ungerechter. Halten Sie das für erfolgreich? Wie ich schon sagte, sieht ein Erfolgsmodell anders aus. Ein wirklich erfolgreiches Bildungssystem bemisst sich an zwei Parametern, nämlich erstens Leistung und zweitens Gerechtigkeit. Das bayerische System hat zwar leistungsmäßig an die internationale Spitze aufgeschlossen – darüber freue ich mich, und das hat der Minister in seiner Regierungserklärung im Juli auch schon genug bejubelt –, die zweite Dimension aber haben Sie, Herr Minister Schneider und Herr Kollege Waschler, verschwiegen. Die zweite Dimension in unserem System heißt nämlich Gerechtigkeit.
Ist es ein Erfolg, wenn ein Akademikerkind eine fast siebenmal größere Chance hat, ein Gymnasium zu besuchen, als ein Facharbeiterkind? Ich glaube das nicht. In Bayern gilt nach wie vor: Einmal arm – immer arm. Dieser Umstand ist beklagenswert und deshalb spreche ich Ihnen das Recht ab, von einem Erfolgsmodell für die Zukunft der bayerischen Kinder zu sprechen.