Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Heute geht es nicht nur um eine kleine Gesetzesänderung, sondern es geht darum, dass Sie einen Stein aus der Mauer der Freiheits- und Bürgerrechte herausbrechen wollen. Ich fordere Sie auf: Seien Sie sich bei der Abstimmung der Verantwortung, die Sie damit übernehmen, bewusst!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ehe ich in der Diskussion weiterfahre, möchte ich eine Delegation aus Namibia recht herzlich begrüßen, an ihrer Spitze Herrn Minister Nangolo Mbumba. Ich begrüße Sie recht herzlich hier in Deutschland.

(Allgemeiner Beifall)

Wir hatten schon immer sehr gute Beziehungen zu Ihrem Land. Vor allem Bayern hat eine sehr gute Beziehung zu Namibia. Ich erinnere mich daran, dass mehrere Ausschüsse von uns Sie bereits in Namibia besucht haben. Ich weiß, wie wunderschön Ihr Land ist. Seien Sie hier recht herzlich willkommen! Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt bei uns.

(Allgemeiner Beifall)

Ich gebe bekannt, dass die CSU-Fraktion Antrag auf namentliche Abstimmung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung gestellt hat. Ich bitte, das bekannt zu geben. – Wir fahren in der Diskussion fort. Als Nächster hat Herr Kollege Schindler das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit der heutigen Beratung geht eine längere Geschichte zur erneuten Änderung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes ihrem vorläufi gen Ende zu. Vorläufi g deshalb, weil bereits von außerhalb des Landtags angekündigt worden ist, gegen dieses Gesetz Verfassungsbeschwerde einzureichen. Deshalb ist damit zu rechnen, dass sich das Verfassungsgericht mit dem vorliegenden Gesetz wird beschäftigen müssen.

Ziel der Staatsregierung war und ist es – das wird auch zugegeben –, das schärfste Polizeigesetz aller Bundesländer zu bekommen. Das wollte im Übrigen der Hamburger Senat auch schon einmal. Er hat allerdings nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz klugerweise einen Rückzieher gemacht. Eine gesetzliche Befugnis zur präventiven Überwachung der Telekommunikation – die so genannte TKÜ – gibt es zur Zeit nur in den Ländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen, dort aber in jeweils unterschiedlicher Ausgestaltung und, was auch wichtig ist, ohne erkennbaren Erfolg. Jedenfalls

ist nicht bekannt geworden, dass die Sicherheitslage in den genannten Bundesländern so viel besser wäre als in Bayern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CSU-Fraktion war gut beraten, ihren Gesetzentwurf aus der letzten Wahlperiode nach einer alles in allem durchaus vernichtenden Kritik bei einer Landtagsanhörung nicht weiter zu verfolgen, sondern ihn einzumotten. Jetzt liegt uns ein Gesetzentwurf der Staatsregierung vor, mit dem die bereits bestehende Befugnis zur präventiven Wohnraumüberwachung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden soll, der aber auch eine polizeiliche Befugnis zur Überwachung der Telekommunikation zu präventiven Zwecken schaffen will, der weiterhin eine Rechtsgrundlage für die automatische Erfassung und Abgleichung von Kfz-Kennzeichen vorsieht und neue Waffen in Form von Elektroimpulsgeräten in das Polizeirecht einführen will. Wir verkennen nicht, dass sich die Staatsregierung und die CSU bemühen, bei der Änderung der Vorschrift über die Wohnraumüberwachung und der konkreten Formulierung der Vorschrift über die TKÜ den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus den Entscheidungen zum so genannten Lauschangriff und vom 27. Juli 2005 zum niedersächsischen Polizeigesetz gerecht zu werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss aber schon daran erinnern, dass die Staatsregierung dies nicht aus freien Stücken tut, sondern dazu gezwungen worden ist, weil das Bundesverfassungsgericht entsprechende Entscheidungen getroffen hat. Im Übrigen, kurz nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lauschangriff wurde das Ansinnen, die bayerischen Vorschriften anzupassen, noch weit zurückgewiesen und keine Notwendigkeit hierfür erkannt. Mittlerweile ist die Einsicht gewachsen. Darüber freuen wir uns. Auf die ebenfalls erforderliche Anpassung der Vorschriften des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes warten wir aber immer noch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Dr. Kreidl hat ausgeführt, dass die Schaffung neuer Eingriffsbefugnisse für die Polizei erforderlich sei, weil sie wegen des Fehlens bestimmter Befugnisse daran gehindert sei, erfolgreich tätig zu sein. Das stimmt nicht. Die Polizei muss auch jetzt nicht hilfl os zuschauen, wenn Gefahren heraufziehen oder wenn Straftaten begangen werden. Vielmehr verfügen die Polizei und die anderen Sicherheitsbehörden über weit reichende Befugnisse zur Gefahrenabwehr und zur Verfolgung von Straftaten.

Der Verfassungsschutz kann zum Beispiel im Vorfeld beobachten, verdeckt Informationen sammeln, Telefone abhören und Wohnungen belauschen. Die Polizei kann zur Gefahrenabwehr Wohnungen betreten, durchsuchen, belauschen, verdeckte technische Mittel zur Datenerhebung einsetzen, Daten speichern und abgleichen, Kontrollstellen errichten, Schleier- und Rasterfahndung durchführen, Personen in Vorbeugehaft nehmen, Videoaufzeichnungen machen, Autokennzeichen erfassen, verdeckt ermitteln usw.

Bei der Strafverfolgung kommen noch die Befugnisse nach der Strafprozessordnung hinzu. Neuerdings gibt es zum Beispiel die Forderung, Daten, die durch das Mautsystem erhoben werden, ebenfalls zur Verbrechensbekämpfung zu verwenden. Eigentlich gibt es heutzutage keinen Lebensbereich mehr, in dem es eine Garantie dafür gibt, nicht Objekt einer – wenn auch zufälligen und noch so gut gemeinten – Beobachtung durch Sicherheitsbehörden zu werden.

Die Polizei hat also ein durchaus beachtliches Instrumentarium zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung zur Verfügung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Polizei jedoch nicht hat, ist eine ordentliche Ausstattung mit modernen technischen Geräten und mit genügend Mitarbeitern.

(Beifall bei der SPD)

Viel wichtiger als die Schaffung neuer Befugnisse wäre es, dafür zu sorgen, dass die Polizei nicht mit Oldtimern auf Verbrecherjagd gehen muss und dass Mitarbeiter nicht durch immer längere Arbeitszeiten und Wechselschichten demotiviert werden. Hiervon wird ebenso abgelenkt wie von der Tatsache, dass eine effektive polizeiliche Arbeit oftmals an der mangelnden Zusammenarbeit und Abstimmung der vielen Sicherheitsbehörden, die es in Deutschland gibt, leidet. Eine verzerrte Darstellung der Wirklichkeit in diesem Land ist es, wenn so getan wird, als hänge die Sicherheit in Bayern davon ab, ob die Polizei die Befugnis bekommt, Telefongespräche zur Gefahrenabwehr abzuhören oder nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat sich ihre Haltung zu den vorliegenden Gesetzentwürfen nicht leicht gemacht. Wir haben lange diskutiert, zwei Anhörungen im Landtag auf den Weg gebracht, Fachleute und Verbände befragt und erkennen an, dass der Gesetzentwurf bezüglich der Änderung der Vorschriften über die präventive Wohnraumüberwachung in die richtige Richtung geht. Wir haben einen Änderungsantrag eingebracht, um weitere Berufsgeheimnisträger zu schützen und die richterliche Kontrolle zu verbessern. Leider wollte sich die Mehrheit unserem Vorschlag nicht anschließen.

Im Übrigen geht die Schaffung einer Rechtsgrundlage für das automatische Kennzeichenscanning auf einen Antrag unserer Fraktion zurück. Die Frage, ob der Landesgesetzgeber für den Fall die Gesetzgebungskompetenz hat, dass sich der Einsatz automatisierter Erfassungssysteme überwiegend als Strafverfolgungsmaßnahme und gerade nicht als präventive Maßnahme darstellt, wird sich bald stellen, kann aber jetzt nicht vertieft werden.

Bezüglich des Gebrauchs von Elektroimpulsgeräten haben wir in unserem Änderungsantrag genau das vorgeschlagen, was in der Begründung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung steht. Wir wollen diese Waffen den Spezialeinheiten der Polizei vorbehalten. Im Übrigen sollten die Vorschriften über den Schusswaffengebrauch entsprechend angewandt werden. Leider sind sie auch auf diesen Vorschlag nicht eingegangen.

Diese beiden Punkte würden eigentlich ausreichen, um dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Das eigentliche Problem des Gesetzentwurfs sehen wir jedoch in Artikel 34 a bis c des Polizeiaufgabengesetzes, also der Schaffung einer neuen Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung zur Gefahrenabwehr. Eine entsprechend weit gehende Befugnis fi ndet sich bislang in keinem Polizeigesetz eines anderen Bundeslandes, nachdem die diesbezügliche Vorschrift im niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist.

Zur Begründung für die Notwendigkeit der neuen Befugnis führt die Staatsregierung in ihrem Gesetzentwurf unter anderem aus, dass sich die Sicherheitslage durch die Ereignisse des 11. September 2001 und die nachfolgenden Terroranschläge in Madrid – mittlerweile muss man auch London nennen – grundlegend verändert habe. Neue Erscheinungsformen der Kriminalität seien von einem hohen Maß an Konspirativität geprägt. Die Täter träfen vielfach Absprachen über das Telefon und über andere moderne Telekommunikationsmittel. Es sei deshalb erforderlich – heißt es in der Begründung –, der Polizei die Instrumente, die sie zum Zwecke der Strafverfolgung bereits seit geraumer Zeit erfolgreich einsetze, bei der Gefahrenabwehr nicht länger vorzuenthalten. Sicherheitspolitisch sei es nicht vertretbar, der Polizei zur Abwehr schwerwiegender Straftaten Mittel vorzuenthalten, die ihr nach begangener Tat zur Aufklärung zur Verfügung stünden.

Meine Damen und Herren, zugegeben, die technische Entwicklung und die Globalisierung haben neue Erscheinungsformen der Kriminalität hervorgebracht. Die Bedrohung durch organisierte Kriminalität und international agierende terroristische Netzwerke ist gegeben. Dennoch muss der Staat besonnen reagieren. Er darf gerade nicht die Grundsätze und Wertentscheidungen des Grundgesetzes, die es gegen Kriminalität und Terrorismus zu schützen gilt, selbst in Frage stellen. Deshalb freue ich mich, dass offensichtlich auch innerhalb der CSU-Fraktion ein Nachdenkprozess in Gang gekommen zu sein scheint und dass jahrzehntelang gepfl egte Vorurteile, wonach Datenschutz eigentlich immer nur Täterschutz sei, neuerdings auch seitens der CSU-Fraktion und insbesondere ihres Fraktionsvorsitzenden infrage gestellt werden. Er übernimmt sogar eine Diktion, die bislang ganz anderen Leuten zugeschrieben worden ist.

Meine Damen und Herren, auffallend ist aber, dass die Sensibilität für den Grundrechtschutz bei Ihnen, sofern es um die Ermöglichung von Kontenabfragen zur Aufdeckung der Steuerhinterziehung oder der Geldwäsche geht, viel größer ist als bei anderen Grundrechten.

(Beifall bei der SPD)

Die Abwehr einer Gefahr für den Einzelnen oder die Allgemeinheit – das kann auch die Verhinderung einer geplanten Straftat sein – ist höherrangig als – in Anführungsstrichen – nur die Verfolgung eines Straftäters, wenn die Tat schon begangen ist. In einem freiheitlichen Rechtsstaat gibt es jedoch ein Rechtsgut, das noch mehr Gewicht hat. Das ist das Grundrecht des Einzelnen, sich

frei bewegen und kommunizieren zu können, und das Grundrecht des Einzelnen, nicht zum Objekt von auch noch so gut gemeinten Überwachungsmaßnahmen zu werden. Der Staat hat nicht das Recht, jeden zum potenziell Verdächtigen zu erklären.

Nicht nur bei der Wohnraumüberwachung, auch bei der Aufzeichnung von Telekommunikationsverbindungs- und -inhaltsdaten geht es um die Einschränkung von Grundrechten. Das steht so im Gesetz. Das ist in Artikel 74 des Gesetzentwurfs nachzulesen. Nach meiner Ansicht ist es daher nicht die richtige Herangehensweise, nur zu fragen, welche Befugnisse die Polizei noch braucht und diese dann in das Gesetz hineinzuschreiben. Vielmehr besteht die richtige Herangehensweise darin, jeweils die Frage zu stellen, ob zur Verbesserung der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung weitere Grundrechtseinschränkungen hingenommen werden müssen. Falls ja, ist zu klären, wie dies am schonendsten zu bewerkstelligen ist.

Den Kritikern der präventiven TKÜ wird gelegentlich entgegen gehalten, dass die Wohnraumüberwachung wesentlich tiefer in die private Lebensgestaltung eingreife als das Abhören von Telefongesprächen oder die Überprüfung von Internetverbindungen.

Das ist so pauschal nicht richtig und wird durch die konkreten Zahlen widerlegt. Während Wohnraumüberwachungen ausweislich der uns vorliegenden Auskünfte wohl auch aus technischen Gründen nur in ganz wenigen Fällen durchgeführt werden, kennt das Abhören von Telefongesprächen, auch weil es technisch leichter zu machen ist, kaum noch Grenzen. Betroffen von der Überwachung des Telefonverkehrs ist nämlich nicht nur der jeweilige Inhaber des Anschlusses, sondern jeder beliebige Kommunikationspartner. Nach einer durchaus seriösen Untersuchung, die das Max-Planck-Institut angestellt hat, sind bei einem Fünftel der angeordneten Telefonüberwachungen jeweils zwischen 1000 und 5000 Gespräche abgehört worden. Spitzenreiter war eine Anordnung, bei der sage und schreibe 30 500 Gespräche abgehört worden sind.

Noch größere Ausmaße hat die Abfrage von Telekommunikationsverbindungsdaten angenommen. Waren es im Jahr 2001 noch 1,5 Millionen Anfragen bei den Telekommunikationsanbietern, waren es 2002 schon 2 Millionen und 2003 dann 2,7 Millionen. Wie viele es in diesem Jahr sind, weiß man noch nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 12. März 2003 zur so genannten Zielwahlsuche eine Untersuchung angestellt, wie häufi g das Instrument denn überhaupt angewendet worden ist, und hat von der Telekom die Auskunft erhalten, dass im Jahr 2002 jede der 216 Millionen täglich in Deutschland hergestellten Telefonverbindungen innerhalb der dreitägigen Dauer der Speicherung – das soll in einzelnen Ländern Europas verlängert werden, was heute übrigens im Europäischen Parlament diskutiert wird, sogar auf 24 Monate – durchschnittlich zweimal in die Zielwahlsuche einbezogen worden ist.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Ja, Wahnsinn!)

So viel zu der Behauptung, die Wohnraumüberwachung wäre viel gravierender und tief greifender sein als die Telekommunikationsüberwachung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich behaupte nicht, dass eine präventive Telekommunikationsüberwachung von Haus aus verfassungswidrig ist, und verkenne auch nicht, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz nicht bedeutet, dass damit auch eine entsprechende Befugnis im bayerischen Polizeiaufgabengesetz verfassungswidrig wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Zulässigkeit und Ausgestaltung der präventiven TKÜ durch Landesgesetze nicht abschließend geäußert, aber festgestellt, dass der Bundesgesetzgeber die Telekommunikationsüberwachung zu Strafverfolgungszwecken in der Strafprozessordnung abschließend geregelt hat. Diesbezüglich und sobald eine polizeiliche TKÜ-Maßnahme auch der Strafverfolgung dienen soll, gibt es also keine Regelungskompetenz mehr für den Landesgesetzgeber.

Das Bundesverfassungsgericht hat hohe Anforderungen an die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit von gesetzlichen Ermächtigungen zu Eingriffen in das Grundrecht gemäß Artikel 10 des Grundgesetzes und die Normenklarheit gestellt und eine klare Abgrenzung zwischen einer TKÜ zu Strafverfolgungszwecken und einer TKÜ zur Gefahrenabwehr angemahnt, da nämlich ansonsten „die TKÜ im Vorfeld der Vorbereitung, des Versuchs oder der Ausführung unter geringeren rechtsstaatlichen Anforderungen möglich wäre als dann, wenn der Täter schon konkret zur Grundrechtsverletzung angesetzt hat.“ Ein solches Konzept, sagt das Bundesverfassungsgericht, „wäre in sich widersprüchlich“.

Weiterhin sagt das Gericht, „dass der Verzicht des Bundesgesetzgebers darauf, die TKÜ im Vorfeldbereich weiter auszudehnen, eine bewusste Entscheidung war und dass Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesgesetzgeber insofern Parallelregelungen durch die Länder und damit Überschneidungen hätte in Kauf nehmen wollen, nicht erkennbar sind.“

Das Problem, meine Damen und Herren, besteht darin, dass der Eingriff in das Grundrecht auf das Fernmeldegeheimnis zur Gefahrenabwehr wegen der damit verbundenen Verletzung eines Kernbereichs privater Lebensgestaltung überhaupt nur dann zulässig sein kann, wenn ein bestimmter hoher Verdachtsgrad gegeben ist. Die Staatsregierung bzw. die CSU haben dieses Problem natürlich erkannt und versuchen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen dadurch gerecht zu werden, dass sie schreiben, dass eine TKÜ nur dann zulässig sein soll, wenn konkrete Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen, dass eine Person eine schwerwiegende Straftat begehen werde. Auch wenn man über die sprachlichen Schwächen der Defi nition hinwegsieht – es muss mir einmal jemand erklären, was denn eine unbegründete Annahme sein soll, eigentlich müsste der Begriff „Annahme“ schon genügen –, bleibt das Problem des so genannten Fehlprognoserisikos.

Wichtiger ist aber, meine Damen und Herren, dass – das haben alle Anhörungen ergeben – kein Fall denkbar ist, der nicht bereits mit dem bestehenden gesetzlichen Instrumentarium gelöst werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß, dass immer wieder versucht worden ist, Fälle zu konstruieren, um zu beweisen, wofür man eine präventive TKÜ braucht. Bei genauerer Hinsicht und wenn man sich die Erfahrungen in dem Bericht aus Thüringen anschaut, in welchen Fällen dort mit dieser Befugnis gearbeitet worden ist, kommt man zu dem Ergebnis, dass man sie eigentlich nicht braucht.

Wenn nämlich bereits konkrete Vorbereitungshandlungen festgestellt worden sind und wenn hinzukommen muss, dass weitere bestimmte Tatsachen die, wie gesagt, begründete Annahme rechtfertigen, dass jemand eine schwerwiegende Straftat, nicht nur eine geringfügige, begehen wird, dann, meine Damen und Herren, liegt regelmäßig auch eine strafbare Handlung vor, für deren Verfolgung die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen eines Anfangsverdachts zuständig ist, weil es bei den einschlägigen schwerwiegenden Straftaten regelmäßig so ist, dass bereits der Versuch, wenn nicht gar die Vorbereitung oder die bloße Verabredung oder schon der Beginn der Bildung einer Organisation strafbar ist.

Die Abgrenzung zwischen der Abwehr einer Gefahr und der Verfolgung einer Straftat ist natürlich im Einzelfall schwierig, aber bislang immer gelöst worden, da die Staatsanwaltschaft bereits für Vorermittlungen zuständig ist. Nach Ansicht des Bayerischen Richtervereins kann die nach dem Gesetzentwurf mögliche Verselbstständigung der Polizei durch präventive TKÜ-Maßnahmen zu einer so genannten Initiativermittlungskompetenz führen. Problematisch ist nämlich der oftmals nahtlose Übergang von der präventiven Tätigkeit zur konkreten Strafverfolgung. Ergeben sich zum Beispiel aus einem präventiv abgehörten Telefongespräch Hinweise auf eine konkrete Drogenkurierfahrt, wäre in diesem Augenblick eigentlich das Ermittlungsverfahren wegen dieser konkreten Straftat einzuleiten und es müsste ab sofort die TKÜ-Maßnahme auf § 100 a der Strafprozessordnung gestützt werden. Wann dies allerdings gemacht wird, könnte faktisch die Polizei entscheiden, weil die Staatsanwaltschaft von dieser präventiven Maßnahme keine Kenntnis hat.

Wenn aber kein konkreter Verdacht, keine begründete Annahme, sondern nur eine vage Annahme gegeben ist, dass jemand eine Straftat begehen werde, dann darf die Polizei keine präventive TKÜ durchführen.

Wenn es darum gehen soll, bestimmte Milieus auszuforschen, würde sich die Polizei in das Terrain der Geheimdienste begeben.

Durch das vorgeschlagene Gesetz besteht also die Gefahr, dass einerseits die Rollenverteilung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft zulasten der Staatsanwaltschaft und damit der Justiz und zugunsten der Polizei verändert wird und dass andererseits die einigermaßen

klare Abgrenzung der Aufgaben und Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz verwischt wird.

Es geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier nicht um eine geschmäcklerische, nachrangige Spezialfrage für Spezialisten in einem polizeirechtlichen Seminar, sondern es geht letztlich um eine Grundsatzfrage und um die Wahrung des Legalitätsprinzips.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die vorgesehene neue Befugnis zur präventiven TKÜ führt also mit Ausnahme der Fälle, in denen es um das Auffi nden von Vermissten und sich in hilfl oser Lage befi ndlichen Personen geht, nicht zu einem Zugewinn an Sicherheit für den Einzelnen und die Allgemeinheit. Sie ist aus den genannten Gründen für die polizeiliche Praxis nicht erforderlich und schafft letzten Endes mehr Probleme, als sie lösen könnte, abgesehen davon, dass sie in der polizeilichen Praxis, so wie sie gefasst ist, auch kaum handhabbar wäre.