Protokoll der Sitzung vom 16.02.2006

Sie haben erklärt, dieser Satz sei aus redaktionellen Gründen aufgenommen worden. Ich halte diesen Antrag aber auch aus juristischen Gründen für unnötig; denn er weicht nicht von der geltenden Rechtslage nach dem Tierschutzgesetz ab. Die Ausnahmegenehmigung – die Sie vehement einfordern – wird nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erteilt, die im Einzelfall zu prüfen ist. Diese Ausnahme ist einzelfallbezogen und befristet. Dies ist in § 6 Absatz 3 des Tierschutzgesetzes nachzulesen.

Das ist die aktuelle Rechtslage. Ich traue es den Kollegen in den Veterinärämtern zu, vor der Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung eine verantwortungsvolle Abwägung vorzunehmen, ob die Kürzung des Schnabels wirklich notwendig ist im Vergleich zu den schwerwiegenden Folgen des Schnabelpickens und des Kannibalismus. Die Folgen kann man sich als Tierarzt ansehen: Der Federverlust führt zu Unterkühlung. Die Tiere werden empfi ndlich und krankheitsanfälliger, was wiederum zu einer erhöhten Morbidität führt. Dies ist die Folge des Kannibalismus und einer nicht erfolgten Kürzung des Schnabels.

Ich betone noch einmal: Für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung muss im Einzelfall geprüft werden, ob die fachlich anerkannten Anforderungen an die Putenhaltung nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und der Technik erfüllt sind und ob alle anzunehmenden ursächlichen Faktoren für Federpicken und Kannibalismus ausgeschlossen sind. Damit kommen wir an des Puters Kern: Schnabelpicken ist ein multifaktorielles Geschehen. Hier geht es nicht nur um das Vorhandensein des Schnabels. Das Phänomen des Schnabelpickens, des Federpickens

und des Hackens ist zunächst einmal genetisch bedingt. Die von Ihnen bevorzugten „Big Six“ von British United Turkey haben diesbezüglich nicht weniger Probleme als die Tiere von Kelly Bronze. Dieses Phänomen tritt bei beiden Arten auf. Außerdem gibt es noch andere Einfl ussfaktoren, zum Beispiel das Klima. Wenn das Klima nicht stimmt, tritt das Phänomen häufi ger auf. Weitere Phänomene sind die Beleuchtung und die Haltung.

An dieser Stelle muss ich noch einmal sagen: Wenn Kannibalismus auftritt, ist das kein zwingendes Indiz dafür, dass die Haltung schlecht ist. Dieses Phänomen tritt – auch wenn wir dies nicht gern wahrhaben wollen – auch in Freiland-Biohaltungen auf. Deshalb habe ich erstaunt in Ihrem Antrag gelesen, dass Sie eine Ausnahmezulassung zum Kürzen der Schnabelspitze nur unter gleichzeitiger Verbesserung der Haltungsbedingungen erlauben wollen. Das subsumiert natürlich, dass alle Haltungsbedingungen verbesserbar sind. Wenn jemand gute Haltungsbedingungen hat und vor der Notwendigkeit steht, eine Schnabelkürzung vornehmen zu müssen, frage ich mich, was er an der Haltung verbessern soll. Ich halte den Deal für sehr fragwürdig, der lautet: Ich genehmige euch im Einzelfall das Schnabelkürzen, wenn ihr dafür Haltungsverbesserungen vornehmt.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Was schlagen Sie denn vor? Ich höre nichts!)

Für mich ist das der falsche Ansatz. Die Frage muss lauten: Wie kann ich durch Züchtung, Fütterung, Klima, Licht und Haltung die Bedingungen so verbessern, dass es gar nicht zum Picken kommt.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau, da sind wir beieinander!)

Es wäre zu kurz gesprungen, wenn wir nur auf die Haltung schauen würden. Ich darf darauf hinweisen, dass auf die Idee, die Haltungsbedingungen zu verbessern, außer Ihnen noch ein paar Leute gekommen sind. Wir brauchen dazu nicht unbedingt den Hinweis in dem Gutachten von Frau Prof. Dr. Krautwald-Junghans. Ich darf Ihnen einige dieser Bemühungen aus der Praxis zitieren. Die Initiative „Nachhaltige deutsche Putenwirtschaft“, in der 30 Organisationen – darunter auch völlig unverdächtige Organisationen wie Tierschutzorganisationen, Verbraucherschutzorganisationen, Handel, Wissenschaft, Landwirtschaft und die Landesministerien – seit 2002 zusammenarbeiten, beschäftigt sich in Fachgruppen mit tierschutzrelevanten Themen.

Dort werden Vorschläge für mehr Bewegung, eine korrekte Defi nition der Besatzdichte und für die praktische Gestaltung von Beschäftigungsmöglichkeiten entwickelt. Der fachliche Oberbegriff hierfür lautet: „Behaviour Enrichment“. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft initiierte und fi nanziert – noch unter Frau Künast – von 2005 bis 2007 ein Modellvorhaben zur Putenhaltung mit Beschäftigungs- und Strukturelementen. Auch hier geht es um mehr Bewegung und die Gestaltung des Lebensraums. Wenn der Raum wie eine Wohnung gestaltet wird, begegnen sich die Tiere nicht dauernd. Dadurch kommt es automatisch zu weniger Aggression. In diese Richtung sollte weiter gearbeitet werden.

Auf Initiative der Länder wurde im Jahre 1999 erstmals eine Bundeseckwertevereinbarung ins Leben gerufen. Diese Vereinbarung ist dynamisch angelegt. Sie wurde im Jahre 2004 noch einmal zu einer Revision vorgelegt und weiterentwickelt. Darin wurden Eckwerte für die Verbesserung der haltungsrelevanten Faktoren gelegt, die zu einer Aggression führen können. Ich habe vor kurzem mit Prof. Dr. Korbel von der tierärztlichen Fakultät der LMU gesprochen. An der LMU läuft derzeit ein Forschungsvorhaben zum Thema „Günstige Beeinfl ussung des Verhaltens von Puten durch Änderung des Lichtprogramms“. Dies bezieht sich speziell auf den UV-Bereich.

Man versucht in Bezug auf Aggressionen auch den Faktor Licht zu untersuchen.

Zuletzt darf ich darauf verweisen, dass es eine Beispiel gebende Vereinbarung zwischen dem Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, dem Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten und dem Landesverband der bayerischen Gefl ügelwirtschaft über Mindestanforderungen bei der Haltung von Jungmasthühnchen und Mastputen gibt, welche über die derzeit bundesgesetzlich festgelegten Mindestanforderungen hinausgeht. Dabei lehnt man sich an die erwähnten Bundeseckwerte an und füllt dadurch die gesetzliche Lücke, die derzeit noch bei EU und Bund besteht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, ich konnte Ihnen glaubwürdig aufzeigen, dass wir uns in der Praxis darum bemühen, die Haltungsbedingungen zu verbessern. Es läuft hier Vieles. Wir sollten diese Entwicklungen und Forschungsvorhaben, aber auch die in der Praxis angewandten Vereinbarungen, die quasi Gesetzesersatz sind, weiter unterstützen, und wir sollten dazu beitragen, dass sich diese Bemühungen in Zukunft einmal so weit auswirken, dass wir die Schnäbel nicht mehr kürzen müssen. Dazu gehört auch die Zuchtauswahl. Mit dem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, werden wir diesem Ziel nicht näher kommen. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag ab.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächste hat Frau Kollegin Rütting das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Ist es gleich Wahnsinn, hat es doch Methode.“ Hamlet! In einer Rede sollte man nicht mehr als zwei Zitate verwenden. Da Sie noch alle da sind, will ich das zweite Zitat gleich nachschicken. Ich hatte es einmal vor Jahren von Margarete Bause gehört. Damals hat sie gesagt: „Wer heute den Kopf in den Sand steckt, wird morgen mit den Zähnen knirschen.“ Wir knirschen alle ständig mit den Zähnen, lassen den Kopf aber im Sand, weil wir nicht sehen wollen, wie wir täglich und stündlich die Natur zerstören, wie wir die Wälder, die Pfl anzen, die Tiere und auch die Menschen kaputtmachen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Greenpeace hat gerade zusammen mit der Universität von North Carolina eine Studie herausgebracht, wonach die Fische so mit Quecksilber verseucht sind, dass schwangeren Frauen davon abgeraten wird, Fisch zu essen. Es ist alles verseucht. Deshalb wundere ich mich darüber, wenn sich jemand darüber wundert, dass bei uns

tote Schwäne herumliegen. Gestatten Sie mir bitte diesen Schlenker. Es gehört nämlich zusammen.

(Herbert Ettengruber (CSU): Warum leben wir dann noch? – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Weil wir Niederbayern so zäh sind! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich warte, bis Sie mir zuhören.

Neulich habe ich den Spruch des Indianerhäuptlings erwähnt. Herr Dr. Huber, Sie sagten dann zu Recht, die Indianer haben auch immer alles aufgegessen, was sie umgebracht haben. Die Federn haben sie aber nicht wie wir als Tütensuppe gegessen, sondern die haben sie sich in die Haare gesteckt. Dagegen haben wir diesen ganzen Unrat im Essen. Ich muss wirklich diesen kleinen Schlenker machen. Der Habicht mit dem Vogelgrippevirus wurde übrigens schon vor elf Tagen gefunden und nicht erst gestern. Ich wundere mich darüber, dass überhaupt noch ein Tier gesund am Leben ist, weil die Umwelt bereits derart verseucht ist. Ein Wal schwimmt die Themse hoch. Ein Adler, der an Bleivergiftung gestorben ist, wurde hier in Bayern gefunden. Ein anderer Adler wurde lebend legal importiert und in Brüssel mit dem Virus entdeckt. Danach haben wir einen Antrag auf ein Importverbot für Wildvögel gestellt. Dieser Antrag wurde von Ihnen wie alle unsere guten Anträge abgelehnt. Dann kam das Verbot, allerdings Gott sei Dank von der EU.

Ich möchte auch noch auf einen Satz von Pasteur hinweisen, der sagt: „Die Bazille ist nichts, das Terrain ist alles.“

(Christian Meißner (CSU): Drittes Zitat!)

Le bacille ce n’est rien, le terrain c’est tout. Es geht also um die Abwehrschwäche, an der die Natur und an der wir alle leiden. Sonst würden diese Schwäne auch nicht herumliegen, und wir hätten nicht diese Seuchen. Es geht also darum, die Abwehrkräfte zu stärken. Ich komme auch gleich auf das Schnabelproblem.

Wir stimmen dem Antrag der SPD zu. Er geht uns aber nicht weit genug. Wie Frau Götz im Ausschuss sagte, ist der Kannibalismus nicht aufzuhalten, wenn wir nur das Schnabelkürzen verbieten, die Dichte aber belassen. Ehe ich jetzt auf die furchtbaren Haltungsbedingungen hinweise, kann ich Ihnen zum Schluss noch – –

(Unruhe)

Ich warte, bis Sie mir zuhören.

(Zuruf von der CSU: Ich habe Zeit! – Anhaltende Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Diese Puten bleiben nur deshalb stehen, weil sie so dicht stehen, sonst würden sie nach vorne fallen, weil sie so gezüchtet und gemästet sind, dass das Brustfl eisch so stark entwickelt ist. Es sind die Zucht-Haltungsbedingungen, die wir verändern wollen.

Wir haben einen Antrag erarbeitet, den ich Ihnen gleich vorstellen möchte. Dass das Schnabelkürzen qualvoll ist, steht außer Zweifel, wie ich glaube. Im Ausschuss war Herr Kaul sehr betroffen, als Frau Biedefeld sagte, das Schnabelkürzen entspreche dem Abschneiden der Ober

lippe. Er fragte dann Sie, Herr Dr. Huber, ob das stimmt. Sie haben mit den Schultern gezuckt. Darüber war wiederum ich entsetzt, dass Sie es in Frage stellen können, dass das Schnabelkürzen eine Qual für die Tiere ist. Die Tiere leben Gott sei Dank nicht so lang.

Sogar Minister Schnappauf hat gesagt, dass die Putenhaltung verbessert werden müsse. Die freiwilligen Vereinbarungen greifen aber offensichtlich nicht. Wir brauchen also Gesetze. Wir kommen aber nicht weiter. Ich höre ständig, dass es Brüssel oder die EU machen sollten, weil wir es nicht können. Ich habe mir den Landtag nicht so ohnmächtig vorgestellt, wie er sich hier darstellt. Offensichtlich ist hier nichts zu verändern.

Wir haben gehört, was die Tiere brauchen. Ich sage Ihnen noch etwas dazu, wie die biologische Putenhaltung aussieht. Wir brauchen nicht diese degenerierten Tiere. Herr Dr. Huber, Sie haben es erwähnt, es gibt die Kelly-BronzePute. Sie braucht reichlich Platz, viel Stange, und sie muss auch fl iegen können. Sie muss sich putzen können. Bioputen werden mit heimischem Weizen, mit heimischen Erbsen und Ackerbohnen gefüttert. Sie fressen Gras. Es gibt Rassen wie die Bronze oder die T 9, die langsam wachsen. Es müssen also langsam wachsende Rassen gezüchtet werden, die Zeit zum Wachsen haben. Sie brauchen eine großzügige Stallfl äche und einen weitläufi gen Grünauslauf. Sie brauchen einen überdachten Auslauf für Schlechtwettertage.

Wir müssen Achtung vor dem Tier haben. Wir dürfen die Schnäbel nicht kürzen. Biolandfutter muss überwiegend vom eigenen Biobetrieb kommen. Genfutter muss verboten werden. Wir wollen keine mit Genfutter gemästeten Tiere auf unseren Tellern. Durch das Fressen ganzer Getreidekörner ist das Tier beschäftigt. Die Tiere brauchen eine bedarfsgerechte Eiweißversorgung ohne synthetische Aminosäuren. Sie brauchen keine vorbeugende Gabe von Arzneimitteln und Antibiotika. Im Stall ist strikte Hygiene einzuhalten, der Grünauslauf muss gewährleistet sein. Die Tiere brauchen Sand- und Staubbäder. Das sind die Vorstellungen, die die Biobauern haben, und die sie auch einhalten.

Das geht natürlich nur, wenn die Verbraucher mitmachen. Sie wissen, dass es mein Steckenpferd ist, die Verbraucher aufzufordern, den Bauern für gesunde Lebensmittel mehr zu zahlen. Nur dann wird sich etwas ändern. Wir wollen aber auch, dass entsprechende Gesetze erlassen werden. Wir haben einen eigenen Antrag eingereicht. Davon das nächste Mal. Wir stimmen dem Antrag der SPD zu, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Haltungsbedingungen geändert werden.

Etwas Positives noch zum Schluss. Heute war in der Zeitung von einem Bioboom zu lesen. Der Bioboom ist derart groß, dass die Lieferanten mit ihren Lieferungen nicht nachkommen. Das ist doch auch etwas Erfreuliches. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir doch noch zugehört haben.

(Beifall bei den GRÜNEN – Engelbert Kupka (CSU): Aber doch gerne!)

Gerade wurde mir signalisiert, dass der Herr Staatssekretär seine Wortmeldung zurückzieht. Deswegen machen wir jetzt im Eiltempo weiter, dann können wir nämlich diesen Tagesordnungspunkt noch abschließen. Die Aussprache ist geschlossen. Es gibt keine Wortmeldung mehr. Wir kommen zur Abstimmung.

Der federführende Ausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz empfi ehlt die Ablehnung des Antrags. Wer dagegen dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? Wer will den Antrag ablehnen? – Die CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ein Blick auf die Uhr: Es ist 18 Uhr. Wir hatten bis 18 Uhr geladen. Die Sitzung ist beendet.

(Schluss: 18.00 Uhr)