Protokoll der Sitzung vom 19.05.2006

(Christa Steiger (SPD): Ja, selbstverständlich!)

denn obwohl sich der DGB davon bereits verabschiedet hat, gibt es bei Ihnen noch einige Ewiggestrige, die daran festhalten.

Die mangelhafte Regelung der Niederlassungsfreiheit hat unseren bayerischen Handwerksbetrieben ein Preisdumping, meist aus Osteuropa, beschert, dem viele nicht gewachsen waren. Meine Damen und Herren, jedes Unternehmen, das in den letzten Jahren aufgeben musste – in der Spitze waren dies mehr als 40 000 pro Jahr –, ist natürlich auch vom Ausbildungsmarkt verschwunden. Bei vielen anderen ist nach der Abschaffung des Meisterzwangs die Ausbildungsbereitschaft deutlich zurückgegangen. Dennoch hat die Wirtschaft den Pakt für die Ausbildung mit der Bundesregierung übererfüllt und mehr Ausbildungsplätze als vorgesehen geschaffen – das muss auch einmal deutlich gemacht und anerkannt werden.

Meine Damen und Herren, eines ist aber auch klar: Der Ausbildungspakt funktioniert eben auch wie ein Markt. Heutzutage erfordert Ausbildungstätigkeit von den

Betrieben oftmals einen wesentlich höheren Sach- und Personalaufwand als zum Beispiel noch vor zehn Jahren. Das liegt zum einen an den gestiegenen Ausbildungsvergütungen und sonstigen Leistungen für die Azubis und zum anderen an dem erhöhten Organisations- und Unterweisungsaufwand, auch aufgrund der von Ihnen schon angesprochenen vielfach nicht hinreichenden Ausbildungsfähigkeit der jungen Leute. Dieser gestiegene fi nanzielle und personelle Aufwand ist ein Grund dafür, dass das Angebot an Ausbildungsplätzen derzeit nicht der Nachfrage entspricht und der eine oder andere kleine Betrieb sogar davon Abstand nimmt, auszubilden.

Meine Damen und Herren, für diese Rahmenbedingungen stehen aber ganz besonders die Tarifvertragsparteien in der Verantwortung. Gerade die Gewerkschaften sind es doch, die bei einem Mangel an Ausbildungsplätzen schnell die moralische Keule gegen die Wirtschaft schwingen oder nach dem Staat rufen und sich gleichzeitig selbst aus der Verantwortung stehlen.

(Beifall bei der CSU)

So mancher Jugendlicher wäre doch heute bereit, sich eine Ausbildungsvergütung mit einem anderen Kollegen zu teilen, wenn er dafür nur einen Ausbildungsplatz bekäme – dies umso mehr, als heutzutage ohne einen Berufsabschluss keine realistischen Chancen auf unserem Arbeitsmarkt bestehen.

In dieser Situation genügt es nicht mehr, meine Damen und Herren, nur über soziale Verantwortung zu sprechen, sondern jetzt sind die Arbeitgeber und vor allem auch die Gewerkschaften gefordert, diese auch mitzugestalten, sich auf ihre Weise an einem Pakt für die Ausbildung zu beteiligen, beispielsweise durch größeren Spielraum bei den Ausbildungsvergütungen mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, um den momentanen Engpass zu bewältigen, der für diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz fi nden, existenziell ist. Zumindest bis diese Talsohle durchschritten ist und wir wieder mehr Ausbildungsplätze als Bewerber haben, sollte es im Interesse unserer Jugendlichen in dieser Richtung keine Denkverbote geben.

Zusammengefasst: Wir brauchen wieder bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, wir brauchen die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe, wir brauchen aber auch die Leistungsbereitschaft der jungen Leute und die Verantwortung von uns allen.

(Beifall bei der CSU)

Ich habe in der Reihenfolge einen Fehler gemacht. Ich habe nicht registriert, dass Frau Kollegin Pranghofer vorher an der Reihe gewesen wäre. Sie hat jetzt das Wort. Bitte.

Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich meine, die Vorrednerinnen haben aufgezeigt, dass die Hürden für einen Ausbildungsplatz immer höher werden. Damit meine ich nicht unbedingt die Anforderungen, die heute an die Auszubildenden gestellt werden, sondern vor allen Dingen die wenigen, die knappen Chancen, die Jugendliche heute haben, über

haupt ausgebildet zu werden. Da nützt es wenig hier zu hören: Der Ausbildungsmarkt ist eben ein Markt. Da nützt es auch wenig, zu hören: In Bayern ist alles besser. Diese Jugendlichen haben keinen Ausbildungsplatz und damit keine Chancen für eine weitere Perspektive in ihrem Leben.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir wissen alle, die Schere geht weiter auseinander. Das wird auch im nächsten Jahr, im übernächsten Jahr und noch mindestens fünf Jahre lang so bleiben, weil wir an den Schulen hohe Schülerabgänge haben. Heute wurde von den Rahmenbedingungen gesprochen, die notwendig seien, damit Jugendliche ausbildungsfähig sind und damit die Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Ich möchte noch einmal auf diese Rahmenbedingungen zurückkommen. Ich kenne Abschlussklassen an Hauptschulen, in denen – Stand 19. Mai – noch kein Schüler einen Ausbildungsplatz hat. Die Ausbildungschancen von Hauptschülern sind erschreckend gesunken.

Die Chancen der Jugendlichen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, hängen vor allem davon ab, dass sie eine gute Grundlage in der Schule bekommen. Wenn wir davon sprechen, Rahmenbedingungen zu schaffen, sollten wir einmal sehen, was sich tatsächlich an den Schulen in Bayern tut. Ich stelle fest: Sie schaffen nicht die notwendigen Rahmenbedingungen für diese Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der SPD)

Sie tragen dazu bei, dass die Kinder heute wieder in größeren Klassen lernen müssen. Wir haben eine Zunahme der Zahl von Klassen mit 32 Schülern. Sie tragen nicht zu einer besseren Förderung an den Schulen bei.

(Beifall bei der SPD)

Bayern hat die schlechteste Lehrerversorgung pro Schüler.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist völliger Unsinn!)

Das ist wahr. Das ist ausgerechnet in der Schulart der Fall, die die größten Probleme hat, Schüler in die Ausbildung zu bekommen, nämlich in den Hauptschulen.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Dort sind die kleinsten Klassen!)

Ausgerechnet in dieser Schulart ziehen Sie Lehrerstellen ab, anstatt den dortigen Schülerrückgang zu nutzen, um mehr Förderung zu betreiben.

(Beifall bei der SPD)

Bayern hat auch keine Angebote für schwache Schülerinnen und Schüler. Wer nicht mitkommt, bekommt eben schlechte Noten. Das ist heute übrigens ein großes Hindernis, wenn es darum geht, einen Ausbildungsplatz zu

bekommen. Wer nicht mitkommt, wird sitzen gelassen oder muss in eine andere Schule.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Wir haben 1600 Förderlehrer!)

Dass die Zahl der Schüler und Schülerinnen an den Förderschulen extrem steigt, ist nicht auf das Versagen dieser jungen Menschen zurückzuführen, sondern Ausdruck einer wirklich miserablen Schulpolitik, die nur als Skandal bezeichnet werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen immer wieder, dass die Durchlässigkeit gegeben sei und in Bayern ein Schulsystem bestehe, das nach oben offen sei. Alle Abschlüsse könnten nachgeholt werden: kein Abschluss ohne Anschluss. Das sind Ihre derzeitigen Redewendungen. Theoretisch ist das richtig. Viele Schüler von M-Klassen besuchen, als Alternative zur Ausbildung oder zur Arbeitslosigkeit, eine Fachoberschule. Was fi nden sie dort vor? – Sie erhalten keine Förderung, keine Differenzierung und haben keine Chance, durch diese Schule zu kommen. In der Folge scheitern fast 50 % an den dortigen Anforderungen. Aufgrund der schlechten Lernbedingungen können diese Menschen ihr Ausbildungsziel nicht erreichen.

Auch die Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss sind ausgegrenzt. Die Zahlen wurden schon genannt. 10 % der Schülerinnen und Schüler verlassen in Bayern die Schule ohne Abschluss. Die Entwicklung dieser Schüler lässt sich inzwischen in der Langzeitarbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit nachlesen.

Der Vorstandschef der BA, Frank-Jürgen Weise, hat in einem Interview im Wirtschaftsmagazin „Capital“ erklärt, dass es klüger sei, einen Teil der 6 Milliarden Euro, die in die Berufsvorbereitung investiert werden, für arbeitslose Jugendliche schon in der Schule zu investieren und nicht erst, wenn die Jugendlichen mit 22 Jahren ohne Abschluss und oft kaum deutsch sprechend bei uns aufkreuzten. Da hat er Recht. Allerdings weiß ich nicht, ob man dafür plädieren sollte, die Mittel der BA auch noch in das Schulsystem zu investieren. Schließlich handelt es sich hier um Mittel aus der Arbeitslosenversicherung. Trotzdem wäre das ein guter Schritt und ist eine gute Idee. Ich hoffe, dass Sie diese Idee aufgreifen und etwas daraus machen werden.

Meine Damen und Herren, das Geld ist vorhanden. Es wird aber leider häufi g falsch investiert.

Frau Kollegin Pranghofer, ich habe Ihnen bereits einen Zeitzuschlag gegeben. Jetzt sind wir aber gut über der Zeit.

Ich bitte um Entschuldigung. – Ich möchte noch einmal betonen: Das Geld ist vorhanden. Leider wird es falsch investiert. Wir investieren in Nachsorge und nicht in Ausbildungsplätze. Wir haben zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten. Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Schülerinnen und Schüler fähig sind, eine Ausbildung zu machen. Allerdings

müssen wir dann auch die Plätze und die Angebote bereitstellen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Heckner.

Verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorredner haben erklärt, dass wir derzeit eine sehr schwierige Ausbildungsplatzsituation haben. Darin sind wir uns alle einig. Wir haben eine hohe Abgangsquote von Schülern nach den Schulabschlüssen und eine rückläufi ge Zahl von Ausbildungsplätzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies sollte jedoch kein Anlass sein, unsere duale Berufsausbildung auch nur ansatzweise in Zweifel zu ziehen. Wenn wir die Arbeitslosenzahlen von jungen Menschen in den europäischen Ländern mit unseren vergleichen, so sehen wir, dass wir in Deutschland mit unserer dualen Ausbildung am unteren Rand angesiedelt sind. Wir setzen schon aus der Historie heraus darauf, die Berufsausbildung unter die gemeinsame Verantwortung von Staat und Wirtschaft zu stellen.

(Beifall bei der CSU)

Natürlich müssen wir alles unternehmen, um die jungen Menschen, die nicht auf Anhieb einen Ausbildungsplatz fi nden, nicht aus dem Tritt kommen zu lassen. Wir alle wissen, dass es bei jungen Leuten ungeheuer wichtig ist, in einem geregelten Lebenslauf zu bleiben. Sie müssen in Qualifi zierungsmaßnahmen bleiben, um das Arbeitsethos für das spätere Leben nicht zu verlieren.

Die öffentliche Hand hat zur dualen Ausbildung ergänzende Maßnahmen zu leisten. Dies geschieht in vorbildlicher Weise. Sicherlich ist es der falsche Weg, von Ausbildungsplatzabgaben zu sprechen und zu sagen, dass Appelle an die Wirtschaft nicht ausreichten. Wir sollten keine Wirtschaftsschelte betreiben. Frau Kollegin Haderthauer hat dargestellt, welche Ausbildungshemmnisse die Betriebe sehen. Wir müssen die Wirtschaft als Partner und nicht als Feind ansehen.

Die ergänzenden Angebote, die staatlicherseits gemacht werden, sind beachtenswert. 35 Berufsfachschulen stehen in einer Wirtschaftskooperation. Gerade diese kooperativen Berufsfachschulen weisen ungeheuer große Vermittlungsquoten in den ersten Arbeitsmarkt auf, teilweise bis zu 100 %. Wir haben außerdem kooperative BVJs – Berufsvorbereitungsjahre – zusammen mit den Berufsschulen. Wir haben 24 Berufsfachschulen im Rahmen des Beschäftigungspakts Bayern und außerdem zusätzliche Eingangsklassen bei der hervorragenden Schulart Wirtschaftsschule sowie bei Berufsfachschulen.

Meine Damen und Herren, die Forderung, dass der öffentliche Dienst in dieser Zeit vermehrt ausbilden solle, kann keine Lösung sein. Was nutzen uns Verwaltungsleute, die später in der Wirtschaft keinen Arbeitsplatz fi nden? Wir brauchen ergänzend Runde Tische, an denen auch die

Arbeitgeber, die Kommunen, die Träger der Jugendhilfe und die staatlichen Stellen sitzen, sei es auf Landes-, auf Bundes- oder auf europäischer Ebene. Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu bewältigen.

Es wird immer wieder Klage in der Wirtschaft geführt, dass unsere jungen Leute nicht qualifi ziert genug sind. Diese Klage müssen wir ernst nehmen. Es gibt eine wissenschaftliche Untersuchung zu dem Thema, was Ausbildungsreife ist. Dabei sind mitnichten die Schulnoten ausschlaggebend. Es werden Grundwissen und Grundfertigkeiten, vor allem in Deutsch und Mathematik, als notwendig angeführt. Ferner werden Defi zite bei den Kulturtechniken sowie die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Leute, an der es heute offensichtlich auf vielen Ebenen noch fehlt, genannt.

Es ist unsere Aufgabe, an den Schulen, vor allem an den Hauptschulen, mit unseren Sprachförderklassen die sprachlichen Defi zite der Schüler zu beheben. Es ist unsere Aufgabe, im Hauptschulbudget für Teilungsstunden zur individuellen Förderung Raum zu lassen. Ein hervorragendes Beispiel, gerade im Hinblick auf die Vermittlung von Ausbildungsplätzen, sind unsere Praxisklassen an den Hauptschulen. Auch die steigenden Schülerzahlen an den M-Klassen, die von der Wirtschaft verstärkt im Zusammenhang mit der Ausbildungsplatzoffensive akzeptiert werden, sind zu nennen.

Wir bieten eine ganze Reihe von Nachqualifi zierungsmaßnahmen. Es ist das A und O, dass wir unsere jungen Leute nach dem Abschluss der allgemeinbildenden Schulen nicht auf der Straße stehen lassen. Die viel gescholtenen Jungarbeiterklassen, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie sich einmal näher ansehen. Es sind Modellversuche gelaufen, die jetzt fl ächendeckend umgesetzt werden. Es wird ein starkes Engagement der Lehrkräfte an den Schulen entwickelt, um die jungen Leute individueller zu fördern. Es werden individuell an die Region angepasste Lehrpläne angeboten. Wir haben mittlerweile, um den Stellenwert der Tätigkeit der Lehrkräfte zu honorieren, Funktionsstellen angeboten. Es gibt Stellen für Fachbetreuer für junge Leute ohne Ausbildungsplatz. Es wird ungeheuer viel geleistet. Wir brauchen aber weiterhin die Partnerschaft aller, die für die jungen Leute Verantwortung tragen. Ich bin sicher, dass wir auch bei den anstehenden Verhandlungen zum Doppelhaushalt die angemessenen Mittel dafür fi nden, damit unsere jungen Leute mit Defi ziten genauso gefördert werden wie die Hochschulzugangsberechtigten, über die gestern diskutiert worden ist.