Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Vorhin wurde die Realschule genannt. Natürlich ist es falsch, von über 23 % Wiederholern zu sprechen. Wenn ein Fünftklassler in die fünfte Klasse Realschule eintritt, dann ist er kein Sitzenbleiber. Wenn das so wäre, wäre ich damals, als ich aufs Gymnasium gekommen bin, auch einer gewesen. So ein Schüler wechselt eben die Schule zu dem Zeitpunkt, zu dem es für ihn am besten ist. Es ist bekannt: In Wirklichkeit wiederholen in der Realschule in dieser Klasse, nur circa 1 % das Schuljahr. An den Realschulen werden über 5000 Schüler durch Förderunterricht gefördert. Davon wiederum kommen 81 % in das nächste Schuljahr; das heißt, sie schaffen das Vorrücken.

Ich möchte noch etwas zu den Intensivierungsstunden sagen. Diese neu eingeführte Möglichkeit im G 8 wird dazu beitragen, viele Probleme zu bewältigen, wenn die

Intensivierungsstunden über die Jahre hinweg richtig eingesetzt werden.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Leider sind hier noch Fehlleistungen zu verzeichnen, gerade von den Schulen. So ist es nicht Sinn der Sache, die Gruppen entsprechend dem Alphabet oder der Farbe des Pullovers aufzuteilen. So kann in keiner Weise individuell nach Bedarf gefördert werden.

Herr Staatsminister hat schon viele Projekte genannt; deshalb möchte ich jetzt zum Schluss kommen. Die individuelle Förderung an Schulen in Bayern zeigt Erfolge. Das gegliederte System an sich mit den zusätzlichen Maßnahmen ist ein Erfolgsmodell. Das zeigen auch die Ergebnisse im internationalen Vergleich. Vielleicht sollte man sich tatsächlich manchmal wieder stärker darauf besinnen, dass alle drei Glieder unseres Schulsystems einen eigenen Wert haben, nicht nur das Gymnasium und die Realschule, wie die Eltern denken und deshalb nur den Besuch des Gymnasiums oder der Realschule fördern. Wir fördern nicht die Sitzenbleiber, sondern wir fördern die Kinder, damit sie nicht sitzen bleiben.

Ich glaube, wir sind nicht diejenigen, die das Scheitern verordnen, sondern die Kinder müssen dort eingeschult werden, wo sie hingehören, damit sie Erfolg haben; denn unser Schulsystem ist durchlässig und bietet jedem Kind die Möglichkeit, bis zur Hochschulreife zu kommen, wenn es dafür geeignet ist.

(Beifall bei der CSU)

Es hat sich noch einmal Frau Kollegin Tolle zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil man viel von dem, was Herr Kollege Thätter gesagt hat, nicht so stehen lassen kann. Ich fange aber mit dem Minister an. Sie haben gesagt, es gäbe bei uns eine gute Schullaufbahnberatung. Herr Minister, ich denke, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Wartezeit für einen Beratungstermin 3,5 Wochen beträgt. Das halte ich nicht für ein gelungenes Kunststück aus dem Kultusministerium.

Herr Kollege Thätter hat gesagt, Pisa habe uns bestätigt. Uns hat es auch bestätigt; denn in unserem System geht es gerade nicht nach Leistung. Pisa hat uns deutlich gemacht, es geht nach Geldbeutel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn ein Kind, weil es Eltern hat, die mehr Geld im Geldbeutel haben als andere, eine größere Chance hat, das Abitur zu erreichen, dann geht es nicht nach der individuellen Leistung dieses Kindes, sondern rein danach, was seine Eltern auf dem Bankkonto haben. Hier hält Bayern

einen traurigen Rekord, und diesen Rekord gilt es abzubauen. Dazu habe ich von Ihnen noch nichts gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zu den Mobilen Sonderpädagogischen Diensten. Im Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes wurde ein Bericht über den Lehrermangel vorgestellt. Dort können Sie schwarz auf weiß nachlesen, dass sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste in Anspruch nehmen, dramatisch erhöht hat. Es ist aber in diesem Bericht nichts dazu ausgeführt worden, mit wie vielen Lehrerstellen auf diese dramatische Erhöhung reagiert wird. Ich behaupte, es ist darauf, was die Zahlen betrifft, überhaupt nicht reagiert worden. So lange das so ist, müssen Sie hier die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste nicht lobpreisen, weil Sie nämlich Ihren Lobpreisungen quantitativ überhaupt nicht standhalten.

Das, was Sie an individueller Förderung beschrieben haben, ist in Bayern nicht ausgebaut, sondern Sie haben die individuelle Förderung als Reparaturbetrieb vorgesehen. Das darf es nicht sein. Individuelle Förderung muss die Talente der Kinder fi nden und fördern. Es kann nicht sein, dass man sie in ein Schulsystem steckt, in dem Sitzenbleiben nichts anderes ist als ein Ausbauen und eine Verfeinerung Ihres Selektionsmechanismus. Es kann nicht sein, dass man dann, wenn Schwächen auftreten, die man reparieren muss, weil es sich um ein systemimmanentes Problem handelt, das als individuelle Förderung preist. Wenn Sie Schwächen Ihres Systems ausmerzen müssen, ist das selbstverständlich und nicht besonders zu loben.

Ich sage noch einmal, sitzen bleiben ist selten bei längerer gemeinsamer Schulzeit. Für mehr individuelle Förderung brauchen wir auch mehr Ganztagsschulen mit ausreichender Ausstattung. In diesem Punkt bekleckern Sie sich im Moment auch nicht mit Ruhm. Von 19 Lehrerstunden nehmen Sie 7 weg und geben stattdessen 3000 Euro mehr, wobei Sie dem Kultusministerium pro Lehrer 12 000 Euro sparen. Ich denke, insofern fi ndet individuelle Förderung in Bayern, wenn überhaupt, nur als Reparaturbetrieb statt. Es besteht kein Grund, sich hier zu lobpreisen. Gründe für Lobpreisungen würden anders aussehen. Ich halte noch einmal fest: Unser Schulsystem belohnt nicht die Leistung, sondern es belohnt das Bankkonto der Eltern, und das ist zutiefst ungerecht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/5708 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion und die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt antiquiertem Ehegattensplitting: Zeitgemäße Förderung von Familien und Ausbau der Kinderbetreuung (Drs. 15/5709)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Frau Kollegin Bause.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen können wir miterleben, wie schwer sich die Union, auch Teile der SPD, insbesondere aber die CSU, damit tun, ihr Frauen- und Familienbild der Realität anzupassen und zu modernisieren. Da wird viel geredet in der CSU von Gleichberechtigung und Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe. Insbesondere wenn Sie wieder einmal Ihre Wahlergebnisse in den Großstädten kritisch unter die Lupe nehmen müssen, dann merken Sie, dass Sie ein Defi zit haben, was Ihre Modernität angeht. Dann reden Sie wieder vom modernen Frauen- und Familienbild und sagen, man muss die Realität akzeptieren. Wenn es aber zum Schwur kommt und wenn es darum geht, Nägel mit Köpfen zu machen und sinnvolle Reformen durchzuführen, dann hält die CSU am Frauen- und Familienbild von vor 50 Jahren fest. Dann sind Sie nicht im 21. Jahrhundert angekommen, sondern immer noch in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts stehen geblieben.

(Staatsminister Prof. Dr. Kurt Faltlhauser: Sehr witzig!)

Wenn Sie das witzig fi nden, ich fi nde das überhaupt nicht witzig, weil es nämlich für die Realität von Familien, Frauen und Kindern in diesem Land große Nachteile hat. Ihr Festhalten am Ehegattensplitting schadet den Familien und den Kindern. Das ist keine familienfreundliche Politik, die Sie hier betreiben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie mit dem Bild der Gesellschaft der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts in den Köpfen heute verantwortungsvolle Politik für die Zukunft gestalten wollen, dann sage ich Ihnen, Sie sind eindeutig fehl am Platz. Da hilft auch Ihre sogenannte Großstadtbeauftragte nichts. Es handelt sich um Frau Merk, die Sie mit großem Brimborium benannt haben, weil Sie gemerkt haben, Sie müssen etwas tun. Es hilft aber nichts, wenn man sich mit einer fl otten Ministerin auf modern schminken will; denn Ihre verstaubte Gesinnung können Sie damit nicht verstecken.

Mit Ihrem Festhalten am Ehegattensplitting subventionieren Sie eine verstaubte und anachronistische Ideologie mit jährlich über 20 Milliarden Euro. Ihre Ideologie einer bestimmten Form des Zusammenlebens, die der Staat angeblich unterstützen soll, kostet den Steuerzahler jährlich 20 Milliarden Euro. Ich frage mich, ob wir uns das wirklich leisten können in einer Zeit, in der überall gespart, gekürzt und gestrichen wird, in einer Zeit, in der die rot

grüne Bundesregierung die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschließt und in der Sie uns auf Bundesebene einen Haushalt mit einer gigantischen Neuverschuldung vorlegen. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, ob wir es uns leisten können, für eine derartige Fehlinvestition und Fehlsubventionierung 20 Milliarden Euro jährlich auszugeben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das kann kein Mensch nachvollziehen. Ihnen fehlt der Mut zu wirklich zeitgemäßen und bedarfsgerechten Reformen. Die Reform des Ehegattensplittings ist längst überfällig. In seiner bisherigen Form ist das Ehegattensplitting ein veralteter und überfl üssiger Zopf, der schnellstmöglich abgeschnitten gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Ehegattensplitting ist familienpolitisch nutzlos, es ist sozialpolitisch ungerecht, und es ist unter Gleichstellungsaspekten absolut schädlich.

Erstens. Das Ehegattensplitting ist familienpolitisch nutzlos. Es ist nutzlos, weil der Steuervorteil eben nicht an das Erziehen von Kindern geknüpft ist, sondern – das wissen Sie – allein an das Vorhandensein des Trauscheins. Herr Stoiber hat vor kurzem behauptet, das Geld würde zu 90 % Ehepaaren mit Kindern zugute kommen. Dazu muss ich sagen, Herr Stoiber sehen Sie sich erst einmal die Fakten an. Im Untersuchungsausschuss habe ich festgestellt, dass der Ministerpräsident auch da die Fakten nicht kannte. Das scheint so weiterzugehen. Tatsache ist:

43 % derjenigen, die vom Steuervorteil des Ehegattensplittings profi tieren, haben keine Kinder. Fast die Hälfte profi tiert also von einer völlig überholten staatlichen Subvention, obwohl sie keine Kinder erziehen. Die, die wirklich Unterstützung bräuchten, gehen leer aus. Stattdessen subventionieren Sie ein bestimmtes Modell des Zusammenlebens, das diese Subvention nicht braucht.

Wir brauchen mehr Geld für ein besseres Leben mit Kindern. Wir brauchen mehr Geld für die Kinderbetreuung. Wir brauchen mehr Geld für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unabhängig vom Familienstand der Eltern. Hier besteht akuter Handlungsbedarf.

Das Ehegattensplitting ist zum Zweiten sozialpolitisch ungerecht, weil der größte Steuervorteil dort zutage tritt, wo das Einkommen am höchsten ist, wo man also diese Unterstützung nicht bräuchte. Dort wird vom Staat am meisten draufgelegt, in den unteren Einkommensgruppen wird aber gar nicht oder nur sehr wenig davon profi tiert. Das kann nicht die richtige Linie sein. Wir gehen davon aus, dass jedes Kind gleich viel wert ist. Es kann nicht sein, dass es für Kinder aus besser verdienenden Familien höhere Subventionen gibt als für Kinder aus gering verdienenden Familien.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aus diesem Grund lehnen wir auch das derzeit diskutierte Modell des Familiensplittings ab. Dabei ist es sinnvoll, dass sich Teile der Union schon einmal in diese Richtung bewegen und überlegen, ob man etwas anderes schaffen könnte. Das, worüber im Moment diskutiert wird, würde aber die soziale Benachteiligung, die wir mit dem Ehegattensplitting haben, nur noch verschärfen und fortschreiben. Das würde auch bedeuten, dass Kinder aus besser gestellten Familien steuerlich mehr wert sind als Kinder aus Geringverdienerfamilien. Das kann nicht sein.

Zum Dritten ist das Ehegattensplitting gleichstellungspolitisch schädlich, weil damit staatlicherseits ein Frauenbild gefördert wird, nach dem die Frau fi nanziell vom Mann abhängig und zuständig für die häusliche Arbeit ist. Der Mann hingegen gilt Ihnen offenbar immer noch als der Ernährer, der auch noch eine staatliche Prämie dafür bekommt, dass er sich zu Hause vor dem Abspülen, vor dem Kloputzen und vor dem Bügeln drücken kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Huber hat, wie ich heute der „Abendzeitung“ entnehmen konnte, dieses Modell modern und partnerschaftlich genannt. Jetzt wissen wir, welches Partnerschaftsverständnis Herr Huber hat. Ich kann nur sagen, Herr Huber, ich komme auch aus Niederbayern, und in Niederbayern ist man längst weiter, was dieses Thema angeht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Stoiber hat vor kurzem vom Wert der Ehe als „Wert an sich“ gesprochen, der gefördert, gestützt und durch das Ehegattensplitting ausgedrückt werden müsste. Dazu kann ich nur sagen, auch andere Formen des Zusammenlebens, in denen Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, sind wertvoll, Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Ich frage mich schon, worin eigentlich die besondere Wertschätzung der Institution Ehe besteht, wenn ich sie als Steuersparmodell defi niere. Nichts anderes ist das Ehegattensplitting. Es ist ein Steuersparmodell für die Alleinverdienerehe. Es ist im Kern das gleiche wie Schiffsbeteiligungen oder Wagniskapitalfonds. Ich weiß nicht, ob man damit den Wert der Ehe besonders unterstreicht. Das ist entlarvend für Ihr Werteverständnis. Man muss die Ehe nicht mystifi zieren, man muss sie auch nicht schlecht reden. Aber ein Steuerschlupfl och ist die Ehe nach meinem Verständnis nun doch nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir fordern mit unserem Antrag den Ersatz des Ehegattensplittings durch eine zeitgemäße und sozialgerechte Förderung von Familien und den Ausbau der Kinderbetreuung. Wie sieht das aus? Wir brauchen eine individuelle Besteuerung jedes einzelnen Steuerpfl ichtigen nach der Höhe seines Einkommens, unabhängig von seinem Familienstand. Nachdem wir auch sehen, dass man in Ehen und eingetragenen Partnerschaften gegenseitig zum Unterhalt verpfl ichtet ist, wollen wir, dass jährlich 10 000 Euro steuerlich geltend gemacht werden können. Damit wird dieser Unterhaltsverpfl ichtung auch steuerlich Rechnung getragen. Dieses Modell hilft den Familien und

Kindern wirklich. Es macht Schluss mit dem alten Privileg der Alleinverdienerehe. In unserem Modell ist die staatliche Unterstützung für jedes Kind gleich hoch. Es gibt nicht mehr länger Kinder, die dem Staat mehr wert sind als andere. Wir sind der Überzeugung, dass jedes Kind gleich viel wert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unser Modell ist im Übrigen auch verfassungskonform. Die Verfassungsmäßigkeit wird von Ihnen immer wie als Monstranz vor sich hergetragen. Man könne gar nichts machen, weil die Abschaffung des Ehegattensplittings angeblich gegen die Verfassung verstoße. Das ist nicht der Fall, Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Verstecken Sie sich nicht hinter der Verfassung, wenn es nur um die Verteidigung eines althergebrachten Männerprivilegs geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)