Protokoll der Sitzung vom 20.07.2006

Zur gemeinsamen Behandlung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Joachim Wahnschaffe, Kathrin Sonnenholzner u. a. u. Frakt. (SPD) BayKiBiG hier: Integration von Kindern mit Behinderung (Drs. 15/6145)

Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nachbesserungen zum BayKiBiG: Integration von Kindern mit Behinderung und von Behinderung bedrohter Kinder (geänderte Drs. 15/6196)

Dringlichkeitsantrag der Abg. Joachim Herrmann, Joachim Unterländer, Renate Dodell u. a. u. Frakt. (CSU) Gemeinsam die Integration von Kindern mit Behinderung sicherstellen (Drs. 15/6197)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Frau Kollegin Steiger. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Dringlichkeitsantrag, den wir gestellt haben, ist mehr als dringlich. Es ist dringend notwendig darüber zu beraten, denn am 01.09. wird das Kindergartenjahr mit den Vorgaben nach dem BayKiBiG, dem Bayerischen

Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz, beginnen. Die Finanzierung von integrativen Einrichtungen für Kinder mit Behinderung oder für Kinder, die von Behinderung bedroht sind, ist nicht geklärt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hat, dass das BayBiKiG schlecht ist, so ist er durch die Vorgehensweise bezüglich der Integration von Kindern mit Behinderung erbracht.

(Beifall bei der SPD)

Das zeigt auch die Tatsache, dass die anderen Fraktionen einen Antrag nachgezogen haben. Zu dem Antrag der CSU komme ich später.

Wenn man einen Gesetzentwurf wie diesen gegen unsere Stimmen verabschiedet,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Gegen viele Stimmen!)

der einen Paradigmenwechsel vollzieht und dabei wichtige Fragen schlichtweg nicht klärt, so ist das nicht nachvollziehbar. Es ist nicht mit den Partnern gesprochen worden, wie in der Eingliederungshilfe weiter verfahren werden soll. Es ist nichts Schriftliches fi xiert worden. Es ist keine Geschäftsgrundlage geschaffen worden. Dass die CSU-Fraktion einen Gesetzentwurf dieser Art verabschiedet hat, ohne sich darum zu kümmern, ob er mit dem SGB XII oder mit dem SGB VIII kompatibel ist, dass die Staatsregierung Newsletter auf Newsletter ohne Rechtskraft verbreitet, halte ich für unseriös und höchst unprofessionell.

(Beifall bei der SPD)

Sozialministerin Frau Stewens hat oft mit Vorliebe mit dem Finger auf die Schröder-geführte Bundesregierung gezeigt und gesagt, deren Gesetze seien schlecht. Das brauchen Sie nicht zu tun und das hätten Sie nicht tun müssen, denn das Beispiel eines schlechten Gesetzes ist dieses BayKiBiG.

(Beifall bei der SPD)

Frau Stewens, Sie und auch die CSU-Fraktion waren beratungsresistent. Denn es ist in allen Protokollen zu lesen und allen Stellungnahmen zu entnehmen, dass die Finanzierung und die künftige Qualität der integrativen Gruppen und der Einzelintegration ungelöst sind.

Es wurde nichts vereinbart; Verträge fehlen. Meine Kritik betrifft das SGB XII, nämlich § 53. Es betrifft außerdem § 35 a des SGB VIII. Das SGB XII wie das SGB VIII kennen keine Gewichtungsfaktoren, aber das BayKiBiG stützt sich auf den Faktor 4,5 oder 4,5 plus X bei der Integration. Das ist nicht kompatibel. Der Faktor 4,5 reicht nicht aus; das wissen wir.

Es gibt da ein wunderbares Beispiel aus einer Kreisstadt im Stimmkreis der Frau Ministerin. Da ist jetzt wohl beschlossen worden, dass der Faktor auf nahezu das Doppelte angehoben wird. Damit kommen wir wieder genau zu dem, was ich für schädlich und schlimm halte,

dass es nämlich nach der Finanzkraft der Kommunen geht. Die Eltern, die in einer fi nanzschwachen Kommune leben, wo der Faktor nicht mit „plus x“ angehoben wird, haben Pech zum Nachteil ihrer Kinder. Andernfalls müssen die Träger mit einem großen Defi zit leben. Es gibt da also keinen Ausgleich.

Der Faktor wurde ohne konkrete Leistungszusagen festgelegt. Die Förderung seelisch behinderter Kinder in den Integrationsgruppen ist nicht geklärt. Was sollen die Träger kurz vor Beginn des Kindergartenjahres den Eltern in den Aufnahmegesprächen sagen, wenn sie nicht wissen, welche Leistungen die Bezirke erbringen, wie die Kommunen die Sache mit „plus x“ entscheiden usw.? Ich halte das für unzumutbar. Das gefährdet die Einrichtungen. Für die Eltern ist es ein Sprung ins kalte Wasser. Es ist ein Stochern im Nebel.

Es besteht schlichtweg Rechtsunsicherheit. Frau Stewens, das ist Ihr Versagen. Sie waren beratungsresistent.

Bei der Beantwortung meiner Mündlichen Anfrage von gestern schoben Sie die Verantwortung wieder auf alle anderen: auf die Bezirke, die Kommunen, die Träger. Aber es liegt in Ihrer Verantwortung und in der Verantwortung Ihres Hauses; denn Sie haben dieses mangelhafte Gesetz zu verantworten. Sie haben die Verantwortung für das zu tragen, was hier falsch läuft.

Die Rahmenvereinbarung bedeutet für manche Einrichtungen fast eine Halbierung der bisherigen Entgelte. Die Aufhebung der Gruppengröße ist eine Gefahr für die Integration. Die Fachdienststundenabsenkung kommt hinzu. Die Kindertagesstätten mit heilpädagogischen Plätzen werden gegenüber der früheren Regelung schlechtergestellt. Das ist eine schlimme Entscheidung, denn Sie haben im Zusammenhang mit dem BayKiBiG immer behauptet: Die Integration hat Vorrang, die Integration ist ganz hoch anzusiedeln.

Es gibt Brandbriefe der Betroffenen und Brandbriefe der Wohlfahrtsverbände. Da musste der Ministerpräsident selber eingreifen und einen runden Tisch zur Schadensbegrenzung initiieren. Das straft die Aussagen Lügen, die noch in der letzten Woche im sozialpolitischen Ausschuss von Frau Dodell und Herrn Unterländer gemacht worden sind, dass eigentlich alles okay sei. Aber das stimmt nicht.

Am runden Tisch wurde zweimal getagt. Herr Unterländer, Sie waren dabei. Sie führen jetzt auch noch Einzelgespräche, um einiges wieder ins Lot zu bringen. Diese Situation kurz vor Beginn des Kindergartenjahres ist untragbar.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Sie haben diese Entwicklung sehenden Auges in Gang gesetzt. Keiner kann sagen: Es war nicht bekannt, um welche Situation es sich handelt.

Nun zu den Anträgen. Ich beantrage, über unseren Antrag namentlich abzustimmen. Denn wir wollen, dass Rechtssicherheit hergestellt wird. Das ist die Aufgabe des Minis

teriums. Ab dem neuen Kindergartenjahr muss eine ausreichende Finanzierung für die integrativen Einrichtungen sichergestellt sein. Auch die bisherige Qualität der Einzel- und Gruppenintegration muss gewährleistet sein.

Dem Antrag der GRÜNEN werden wir zustimmen, weil sein Inhalt von unserem Antrag bereits umfassend formuliert wird. Außerdem haben wir als SPD-Fraktion bereits im März einen Antrag zu diesem Thema in den Geschäftsgang dieses Hauses gegeben.

Zum Antrag der CSU-Fraktion. Diesen Antrag werden wir ablehnen. Er ist wieder einmal Lyrik. Es werden viele Worte gemacht, hinter denen wenig steht.

Sie schreiben:

Der Landtag weist darauf hin, dass das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz … explizit die gemeinsame Förderung von Kindern mit (drohender) Behinderung und ohne Behinderung in Kindertageseinrichtungen vorsieht …

Dazu frage ich: Warum sind die Voraussetzungen dazu nicht geschaffen worden?

Weiter schreiben Sie:

Der Landtag hält es für erforderlich, dass dieses im BayKiBiG defi nierte Ziel der Integration und gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von allen Beteiligten in gemeinsamer Verantwortung realisiert wird.

Was ist das? Was heißt das? Die Staatsregierung hat die Verantwortung. Und da schreiben Sie:

Dabei soll es für die betroffenen Kinder grundsätzlich zu keiner Schlechterstellung gegenüber der bisherigen Leistungsgewährung kommen.

Nach den jetzigen Vorgaben wird es aber so sein.

Sie haben in diesem Antrag wieder einmal die Verantwortung auf alle anderen abgewälzt. Sie übernehmen nicht die Verantwortung für das, was Sie verabschiedet haben. Denn es fehlt, wie ich vorhin schon gesagt habe, die Geschäftsgrundlage.

(Widerspruch des Abgeordneten Joachim Unter- länder (CSU))

Es gibt keine schriftlichen Vereinbarungen, Herr Unterländer. Es gibt noch keine Unterzeichnung. In der schriftlichen Beantwortung durch die Ministerin heißt es:

Ich gehe aber davon aus, dass die Finanzierung der integrativen Kosten der Kindertageseinrichtungen nach Abschluss der Leistungsentgeltvereinbarungen sichergestellt ist. Es gibt am 31. Juli noch ein Gespräch mit den Präsidenten der Bezirke.

Es ist doch alles im Fluss. Keiner weiß, wie es geht.

Ihr Antrag – auch das sage ich Ihnen, Herr Unterländer – ist eine wolkige Umschreibung eines schlechten Gesetzes. Er ist für die Lösung der Probleme untauglich. Er ist schlichtweg der unverbindliche, verzweifelte Versuch, den Schaden zu begrenzen, ohne das Gesicht völlig zu verlieren, und die Verantwortung wieder auf andere abzuschieben.

Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der SPD)

Jede Fraktion hat für ihren Dringlichkeitsantrag namentliche Abstimmung beantragt. Es kommt also zu drei namentlichen Abstimmungen.

Bei dieser Gelegenheit gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Bause, Scharfenberg und anderer und Fraktion betreffend „Keine Pkw-Maut“ – Drucksache 15/ 6143 – bekannt. Mit Ja haben 46, mit Nein 91 Abgeordnete gestimmt. Es gab keine Stimmenthaltung. Der Dringlichkeitsantrag ist damit abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Wir fahren in der Aussprache fort. Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Ackermann.