Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 94. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. – Ich bitte, die Plätze einzunehmen. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde wie immer erteilt.
Die vorschlagsberechtigte CSU-Fraktion hat hierfür das Thema benannt, und zwar: „Wie beurteilt die Staatsregierung die Sicherheit in Ostbayern, insbesondere im Hinblick auf den künftigen Wegfall der Grenzkontrollen zur Republik Tschechien sowie auf die Reformplanungen zur Bundespolizei?“
Zuständig für die Beantwortung ist der Staatsminister des Innern. Ich darf Sie, Herr Staatsminister, bitten, ans Pult zu kommen. Der erste Fragesteller ist Kollege Dr. Kreidl.
Frau Präsidentin, Herr Staatsminister! Mit Wirkung vom 1. Mai 2004 sind im Zuge der Osterweiterung zehn neue Staaten in die EU gekommen. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Sicherheitslage, weil sich die Situation an den Grenzen geändert hat. Interessant ist zu wissen: Wie hat sich die Sicherheitslage in Bayern, insbesondere im ostbayerischen Grenzraum, seither verändert, und wie schätzt die Staatsregierung den Umstand ein, dass voraussichtlich zum 01.01. des nächsten Jahres, also zum 1. Januar 2008, die Außengrenze zur Tschechischen Republik fallen wird? Dabei ist es insbesondere von Interesse, welche Auswirkungen im Hinblick auf die Schleuserkriminalität und auf die organisierte Kriminalität zu erwarten sind.
Weiter ist es wichtig zu erfahren, mit welchen organisatorischen und personellen Konzepten die Staatsregierung beabsichtigt, der zu erwartenden Entwicklung entgegenzusteuern, um weiterhin die Marktführerschaft bei der inneren Sicherheit zu behalten.
Welchen Stellenwert – so lautet meine abschließende Frage – hat innerhalb dieser Konzepte das bayerische Erfolgsmodell der Schleierfahndung, und welche Weiterentwicklung der Schleierfahndung ist denkbar? Wie kann eine sinnvolle Kooperation mit den Kräften der Bundespolizei herbeigeführt werden? In der letzten Plenarsitzung ist deutlich geworden, dass die Bundespolizei umstrukturiert wird und dass dort auch Fahndungskräfte eingesetzt werden. Von daher ist es wichtig zu wissen, wie sich das auf die Schleierfahndung auswirkt und wie gewährleistet werden kann, dass das Erfolgsmodell Schleierfahndung der bayerischen Polizei fortgeführt werden kann.
Frau Präsidentin, lieber Herr Kreidl, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern ist bekanntlich das sicherste Bundesland. Wir sagen das mit Stolz; denn wir haben die niedrigste Kriminalitätsquote und die höchste Aufklärungsquote aller Bundesländer. In Ostbayern ist der Sicherheitszustand insgesamt gesehen sehr gut. Wir haben dort noch niedrigere Häufi gkeitszahlen als im Landesdurchschnitt. Wir sehen natürlich mit sehr zwiespältigen Gefühlen, dass möglicherweise schon zum 1. Januar 2008 die Grenzkontrollen zwischen Bayern und Tschechien, also zwischen Deutschland und den Osterweiterungsländern, wegfallen sollen.
Es ist noch keine Entscheidung getroffen worden. Ich hebe immer hervor: Diese Entscheidung wird im Dezember beim europäischen Rat „Justiz und Inneres“ getroffen, nachdem eine Evaluierung der Außengrenzkontrollen zwischen der Slowakei und Ungarn, zwischen Polen und Russland sowie zwischen Lettland und Russland stattgefunden hat. Wenn diese Evaluierung erfolgt ist und das Schengener-Informationssystem ausgedehnt wird – wobei nicht etwa ein Schengener-Informationssystem II kommen wird, sondern als eine Ausdehnung des jetzigen Systems als „one for all“ –, ist die Frage zu stellen, welche Auswirkungen das für uns hat.
Natürlich ist – ich sage das deutlich – ein Anstieg der Kriminalität zu erwarten. In den osteuropäischen Ländern ist der Lebensstandard noch deutlich niedriger als bei uns. Der Anreiz zur Kriminalität ist dort noch deutlich höher. Wir wissen, dass der größte Straßenstrich Europas zwischen Eger und Prag liegt, mit all den Erscheinungen der Rotlicht-Kriminalität. Wir sehen auch das Problem der Vietnamesenmärkte, auf denen in großem Umfang Urheberrechtsverletzungen stattfi nden und kopierte Produkte vertrieben werden, möglicherweise auch nicht versteuerte Zigaretten. Wir sehen dort eine Menge von Problemen. Wir stellen uns darauf ein und organisieren die Grenzkontrollen um. Die Polizisten bleiben in der Region; ein Drittel der Polizisten verstärkt die örtlichen Polizeidienststellen, ein Drittel wird im ersten Schleierfahndungsgürtel, das letzte Drittel in einem zweiten Schleierfahndungsgürtel eingesetzt. Wir sind im Moment dabei, das zu organisieren.
Die Bundespolizei wird einbezogen. Wir müssen einen Abstimmungsprozess durchlaufen; das muss nebeneinander hergehen. Wenn man die Personalzahlen betrachtet, stellt man fest, dass wir nicht zu viel Polizei, sondern eher zu wenig haben. Niemand muss Angst davor haben, dass Polizisten keine Beschäftigung hätten. Wir würden sogar mit mehr Personal noch etwas Vernünftiges anfangen können.
Verehrter Herr Staatsminister, die bayerische Grenzpolizei ist ein hochverdienter Polizeiverband und nimmt nunmehr noch die Aufgaben im sogenannten Ostraum Bayerns wahr. Sie wird – wie Sie schon betont haben – von einer Überführungsreform betroffen sein. Die Frage, die ich an Sie stellen möchte, lautet: Können Sie die Vorteile darstellen, die sich aus der Situation ergeben, dass voraussichtlich mit Beginn des Jahres 2008 die Grenzen nach Tschechien fallen werden, und insbesondere darauf eingehen, welche Schwierigkeiten oder welche sozialen Veränderungen für die Angehörigen der bayerischen Grenzpolizei eintreten werden bzw. wie Sie die Sozialverträglichkeit dieser Überführung beurteilen?
Lieber Kollege Peterke, ich will das auch zu Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Es ist noch nicht entschieden, dass im Januar 2008 Grenzkontrollen wegfallen werden. Die bayerische Position lautet: Die Grenzkontrollen dürfen nur dann wegfallen, wenn die Ausgleichsmaßnahmen funktionieren. Das wird erst im Dezember 2007 festgestellt. Ich befürchte, dass diese Maßnahmen im Moment noch nicht ausreichend funktionieren. Ein späterer Wegfall der Grenzkontrollen wäre mir lieber als ein Wegfall zum jetzigen Zeitpunkt. Aber wir müssen uns darauf einstellen. Deshalb ist es unser Konzept, ab dem Zeitpunkt X, ab dem die systematischen Grenzkontrollen nicht mehr möglich sein werden, die Grenzpolizei vollständig in die Landespolizei zu integrieren. Die Landespolizei hat dann im unmittelbaren grenznahen Bereich ebenso sämtliche Aufgaben zu erfüllen, auch dort, wo bisher die Grenzpolizei den sogenannten Übertragungsbereich betreut hat.
Das bedeutet, dass wir die örtlichen Polizeidienststellen verstärken: Etwa ein Drittel der heute dort tätigen Polizeibeamten wird dafür eingesetzt werden. Es wird dann ein erster Schleierfahndungsgürtel in den Landkreisen eingerichtet, die unmittelbar an der Grenze liegen. Dafür wird das zweite Drittel der Polizeibeamten verwendet. Das letzte Drittel wird in einem zweiten Schleierfahndungsgürtel eingesetzt, der – wenn ich es grob angebe – von
Die Bundespolizei ist natürlich ebenso in Ostbayern tätig. Unser Anliegen war und ist es, die Bundespolizei mit denselben Personalstärken wie heute in der Region zu erhalten; denn durch den Wegfall der Grenzkontrollen werden die Sicherheitsanforderungen größer und nicht geringer. Das heißt für uns: Wir wollen in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei die Schleierfahndung durchführen. Unser Landespolizeipräsident Herr Kindler hat mit Herrn Dr. Kass, dem zuständigen Mann im Bundesinnenministerium, Absprachen getroffen, wie die Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und bayerischer Landespolizei in Grenznähe funktionieren kann. Es muss dafür gesorgt werden, dass an bestimmten Punkten entweder die Bundespolizei oder die Landespolizei tätig ist. Es sind insgesamt große Flächen abzudecken, sodass wir nicht zu viel Personal, sondern eher zu wenig Personal haben, auch wenn man beide Personalkörper zusammenrechnet.
Bayern hat zugesagt, dass jeder Polizeibeamte nicht weiter als 30 Kilometer von seinem bisherigen Dienst- oder Wohnort entfernt eingesetzt wird. Das ist auch deswegen gerechtfertigt, weil man sich nicht vorher auf die Umstellung einstellen kann. Außerdem brauchen wir die Leute weiterhin in Grenznähe; wir brauchen ihre Kenntnisse und ihre Einsatzbereitschaft. Es wird deswegen unter Umständen eine gewisse Zeit im Übersoll geben. Die gegenwärtige Umstrukturierung der Bundespolizei erfolgt leider nach völlig anderen Kriterien. Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir hier noch schwierige Gespräche mit dem Bundesinnenminister zu führen haben. Insbesondere die Aufl ösung des Standortes Schwandorf ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Wir haben deswegen heute Vormittag im Kabinett beschlossen, uns im Rahmen der Anhörung an den Bundesinnenminister zu wenden und zu sagen: Aus bayerischer Sicht wäre ein Sitz der Bundespolizeidirektion in München falsch. Der Sitz der Bundespolizeidirektion, die aus dem Amt in Schwandorf und dem Amt in München hervorgeht, sollte nach unseren Vorstellungen in Schwandorf sein.
Warum? – Früher hieß die Bundespolizei „Bundesgrenzschutz“. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten liegt im grenznahen Bereich. Strukturpolitisch ist es allemal wichtiger, Arbeitsplätze im ostbayerischen Raum zu haben als in München. Ganz abgesehen davon weiß jeder bei der Polizei Tätige, dass wir im Münchner Raum eine Menge von Polizeibeamten, auch übrigens bei der Bundespolizei, haben, die eigentlich ganz woanders Dienst leisten wollten. Die Zwangsversetzungsproblematik ist hier groß. Auch aus diesem Grund hat das Kabinett heute beschlossen, sich mit unserer Meinung an den Bundesinnenminister zu wenden und klarzumachen, dass der Sitz der Bundespolizeidirektion in Schwandorf sein muss.
Darüber hinaus ist es notwendig, dass eine Kriminalitätsbekämpfungsinspektion des Bundes in Schwandorf bleibt,
auch im grenznahen Bereich, um auf diese Weise dafür zu sorgen, dass die Aufgaben in Ostbayern angemessen erfüllt werden.
Es ist das Ziel der Staatsregierung – ich weiß, dass die Messlatte hoch liegt –, selbst bei Wegfall der Grenzkontrollen einen Anstieg der Kriminalität in Grenznähe zu verhindern. Das heißt, wir wollen das Mehr an Freizügigkeit nicht mit einem Mehr an Kriminalität bezahlen. Bayern muss nach Wegfall der Grenzkontrollen dort genauso sicher sein wie heute. Das heißt, die Aufklärungsquote darf nicht sinken. Wir wollen dort genauso viel Sicherheit wie bisher haben.
An der bayerisch-österreichischen Grenze haben wir das erreicht. Da ist ein großes Lob an die Polizei fällig. In Südbayern ist trotz des Wegfalls der Grenzkontrollen im Jahre 1998 die Kriminalität zwischen Bayern und Österreich nicht angestiegen; wir verzeichnen sogar Kriminalitätsrückgänge. Unser Ziel in Richtung Osten, hin zur Tschechischen Republik, heißt deswegen auch: Wir wollen unter allen Umständen, dass die Sicherheit nicht leidet. Wir haben auch dort zum Ziel, nicht mehr Kriminalität zu haben und keinesfalls ein Ansteigen oder eine niedrigere Aufklärungsquote. Wir wollen alles dafür tun, dass Ostbayern genauso sicher bleibt, wie das heute der Fall ist.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Staatsminister, für Ihr erneutes klares Bekenntnis dazu, dass der Sitz der Direktion der Bundespolizei künftig in Schwandorf sein soll. Im Übrigen bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich mich frage, welchen politischen Zweck die heutige Veranstaltung verfolgen soll;
denn das, was Sie ausgeführt haben, ist uns bereits am 18. April in längerer und detaillierterer Form im Innenausschuss zur Kenntnis gegeben worden und ein weiteres Mal in der letzten Plenarsitzung, als es um die Pläne zur Neuorganisation der Bundespolizei gegangen ist. Eine Neuigkeit habe ich Ihren heutigen Ausführungen nicht entnehmen können.
Darüber hinaus frage ich mich das, weil wir uns doch in der Zielsetzung einig sind, dass sich die Sicherheitslage in Ostbayern nach dem Wegfall der systematischen Grenzkontrollen nicht verschlechtern darf, sondern mindestens so gut bleiben muss, wie sie heute ist. Dazu brauchen wir nicht nur die bayerische Polizei, sondern auch weiterhin die Bundespolizei, die dann in abgestimmter Vor
gehensweise mit der bayerischen Polizei Aufgaben im grenznahen Bereich erfüllen muss. Darin sind wir uns doch auch einig. Somit kann ich, wie gesagt, den Sinn der heutigen Veranstaltung nicht ergründen.
Dennoch meine Frage an Sie, Herr Staatsminister: Gibt es belastbare Vergleichszahlen über die Sicherheitslage in Ostbayern vor der Grenzöffnung, also vor 1990, und zu der jetzigen Situation und den Prognosen beim Wegfall der systematischen Grenzkontrollen?
Wenn wir uns darin einig sind, dass die Sicherheitslage in Ostbayern mindestens so gut bleiben soll, wie sie heute ist, stimmen Sie mir dann zu, dass diese Aufgabe leichter zu erledigen wäre, wenn man in Bayern darauf verzichteten würde, Stellen bei der Polizei durch Arbeitszeitverlängerung abzubauen?
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schindler, zunächst meine ich schon, dass es mir nicht zusteht, die Tätigkeit des Parlaments zu bewerten. Dennoch denke ich, es ist eine Aufgabe des Plenums, sich mit der wichtigsten Frage der Sicherheitspolitik in diesem Jahre zu beschäftigen.