Protokoll der Sitzung vom 21.06.2007

Ich möchte zunächst eine Vorbemerkung machen. Was Sie als Kompromiss bezeichnen, bezeichne ich als „Kompromist“, der auf Ihr Verhalten bei den Verhandlungen zurückzuführen ist. Es war in erster Linie die starre Haltung der CDU/CSU, die zu diesem unmöglichen Ergebnis geführt hat. Das werfe ich Ihnen vor. Sie als Sozial- und Familienministerin müssten eigentlich wissen, dass sich Familien mit einem geringen Einkommen Kinder nicht mehr leisten können. Deswegen wäre es schon wichtig, daran stärker mitzuwirken, dass Löhne so gestaltet werden, dass man davon leben kann. Die Sozialversicherungskassen hätten es Ihnen gedankt, wenn mehr Geld hereingekommen wäre; dann müssten sie nicht mehr klagen, dass das Geld nicht mehr reicht. Ihre Ideologie ist es, Kosten der Arbeitgeber zu sozialisieren.

Mit Ihren Überlegungen, dass dazugezahlt werden muss, wenn es nicht reicht, sozialisieren Sie Arbeitskosten. Kann es wirklich Ihr Ziel sein, dem Arbeitgeber Geld um die Ecke zuzuschieben, weil er selbst nicht bereit ist, etwas mehr zu zahlen? Auch Minister, denen etwas Falsches aufgeschrieben worden ist, können lernen. Nach einer neuen Studie beträgt der Mindestlohn in England für je

manden, der das 22. Lebensjahr überschritten hat, 7,85 Euro. Ihre Zahl stammt aus dem Jahr 1999; das ist schon ein bisschen länger her. Lassen Sie bitte Ihre Zahlen aktualisieren. Dann macht die Diskussion viel mehr Spaß, und Sie werden vor allem glaubwürdiger. Die Einführung des Mindestlohns in England hat seinerzeit zu Lohnerhöhungen von 15 % geführt, und siehe da, die englische Wirtschaft ist trotzdem gewachsen und gedeiht.

Herr Kollege, Sie sind über der Zeit. Frau Staatsministerin, bitte.

Herr Kollege Wörner, das englische Arbeitsrecht kennt zum Beispiel keinen Kündigungsschutz; es ist wesentlich fl exibler.

(Zurufe von der SPD)

Sie wollen in Deutschland das starre Arbeitsrecht erhalten, zusätzlich einen Mindestlohn einführen und die Tarifhoheit aushöhlen.

(Widerspruch bei der SPD)

Das wird Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland vernichten, gerade Arbeitsplätze für niedrig qualifi zierte Menschen. Insbesondere in den neuen Ländern wird das sehr viele Arbeitsplätze vernichten. Vor diesem Hintergrund sind vor allem die Menschen in den neuen Ländern gegen die Festsetzung von Niedriglöhnen. Das sollten Sie sich sehr gut merken.

(Zuruf der Abgeordneten Christa Steiger (SPD))

Ich habe zur konkreten Höhe des gesetzlich festgelegten Mindestlohns in Großbritannien gar nichts gesagt, sondern ich habe nur gesagt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Sie wissen auch, dass so gut wie kein englischer Arbeitnehmer klagt und dass es weit darunterliegende Löhne in Großbritannien gibt. Die Zahl, die ich genannt habe, stammt vom Vorsitzenden des Rats der Wirtschaftsweisen, von Herrn Prof. Rürup, der die Zahl von 4,50 Euro genannt hat.

(Widerspruch bei der SPD)

Lernfähig ist jeder von uns, nicht nur der Minister, keine Frage. Ich halte den Kompromiss, der im Koalitionsausschuss gefunden wurde, für tragfähig. Er geht weit über das hinaus, worauf sich die SPD im Koalitionsvertrag verständigt hat.

(Widerspruch der Abgeordneten Christa Steiger (SPD))

Sie wissen das vielleicht nicht. Die Union hat sich sehr stark bewegt. Nach wie vor geben wir der Tarifhoheit der Sozialpartner in der Lohnbindung den Vorrang. Ich halte diesen Weg für richtig. Andernfalls würden wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland vernichten. Sie würden gerade die Chancen der niedrig qualifi zierten Arbeitslosen, wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert

zu werden, vernichten. Das wäre sozialpolitisch ein völlig verfehltes Signal.

(Beifall bei der CSU)

Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik empfi ehlt die Ablehnung. Wer dagegen dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die CSU-Fraktion. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich gebe nun das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der SPD betreffend „Individuelle Förderung statt individueller Daten“, Drucksache 15/6535, bekannt. Mit Ja haben 45 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 84. Damit ist der Antrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Antrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Reduzierung der Arbeitszeit für Beamtinnen und Beamte mit Kindern oder pfl egebedürftigen Angehörigen (Drs. 15/7463)

Wortmeldung: Herr Kollege Hallitzky.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Eltern von Kindern unter zwölf Jahren 42 Stunden arbeiten lässt und wer diejenigen 42 Stunden arbeiten lässt, die pfl egebedürftige Angehörige zuhause zu versorgen haben, hat vor dem Hintergrund der konkreten Bedürfnisse von Kindern oder Pfl egebedürftigen keine Kenntnis über das, was gesellschaftlich erforderlich ist. Eine Partei, die für sich reklamiert, familienfreundlich und kinderfreundlich zu sein, hat in diesem Punkt wohl abgedankt.

Mit unserem Antrag wollen wir die Regelarbeitszeit der Beamtinnen und Beamten im Freistaat auf 40 Stunden reduzieren, wenn diese Kinder unter zwölf Jahren oder pfl egebedürftige Angehörige zu versorgen haben. Es ist richtig – dieses Argument wird in der Debatte sicher gleich folgen –, dass davon bis zu einem Viertel aller Staatsbediensteten betroffen wären. Das bedeutet, dass ein Viertel der Einspareffekte, die durch die Arbeitszeitverlängerung statistisch zu verzeichnen waren, verloren gingen. Das ist aber der Preis, den wir aus sozialpolitischen Gründen zahlen müssen, und den wir vor dem Hintergrund der Haushaltssituation auch zahlen können.

Kinder unter zwölf Jahren brauchen eine kontinuierliche Betreuung. Dabei war es bisher möglich, bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden – zwei Stunden mehr oder weniger sind hierbei besonders wichtig – durch Arbeitszeitausgleich oder Verschieben der Arbeitszeit, Freiräume

zu schaffen, um Kindergartenveranstaltungen, Schulveranstaltungen und andere Termine im Interesse der Kinder wahrzunehmen. Das wird bei 42 Stunden für viele kaum mehr oder gar nicht mehr möglich sein. Leidtragende sind die Kinder.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gleiches gilt für die Pfl egebedürftigen. Sonntags stellt sich die verehrte Frau Sozialministerin gerne hin und redet von ambulanter vor stationärer Versorgung und davon, dass möglichst viel Pfl egebedürftige zu Hause versorgt werden sollten, während wochentags die Beschäftigten im eigenen Wirkungskreis eine Arbeitszeit ableisten müssen, die die Sonntagsforderung der Ministerin weitgehend zur Illusion macht. Unter sozialen Gesichtspunkten ist deshalb die Verkürzung der Arbeitszeit für Beamtinnen und Beamte mit Kindern unter zwölf Jahren oder pfl egedürftigen Angehörigen dringend geboten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen dieser Seite des Hohen Hauses, Ihre Gegenargumente sind schwach. Das eine Gegenargument ist die Situation der Bundesbeamten, für die die Senkung der Arbeitszeit, wie wir sie heute für die Landesbeamten fordern, gilt. Die Situation der Bundesbeamten spielt überhaupt keine Rolle für die Beurteilung unseres Antrags. Sie selber waren es, die in der Föderalismusreform den Landesbeamtinnen und -beamten zugesichert haben, dass es keine Verschlechterung gegenüber dem Status quo für die bayerischen Staatsbediensteten geben soll. Für Bundesbeamte gibt es die Möglichkeit der Senkung der Arbeitszeit. Deshalb ist die Wahrheit: Sie haben die Landesbediensteten in diesem Punkt mit falschen Zusagen hinters Licht geführt. Sie haben die Föderalismusreform entgegen Ihrer Ankündigungen zur Verlängerung der Arbeitszeit missbraucht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ferner sind Sie der Meinung, auch der Tarifvertrag deutscher Länder kenne keine verminderten Arbeitszeiten für Beschäftigte mit Betreuungsverpfl ichtungen. Dieses Argument ist absurd. Ist Ihnen nicht bekannt, dass die dem Tarifvertrag deutscher Länder unterliegenden Beschäftigten im öffentlichen Dienst keine 42 Stunden, sondern 40 Stunden arbeiten? – Genau das, was wir in unserem Antrag wenigstens für die Gruppe der Beamtinnen und Beamten fordern, die Betreuungsverpfl ichtungen haben. Deshalb ist es eine ziemliche Gedankenakrobatik, diejenigen, die von Haus aus nur 40 Stunden arbeiten, als Begründung dafür zu nehmen, warum bayerische Beamte mit besonderen Lasten nicht auch 40 Stunden arbeiten sollten.

Wenn Ihnen die Gleichbehandlung aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst wirklich am Herzen liegt, dann gehen Sie zurück auf eine 40-Stunden-Woche, da wir im öffentlichen Dienst hinsichtlich der Arbeitszeit das grundsätzliche Problem von Unterschieden zwischen der tarifvertraglichen Regelung und der Regelung für Beamte haben. Wenn Ihnen aber dieser Aspekt der Gleichbehandlung egal ist, dann nehmen Sie wenigstens aus sozialpoliti

schen Gründen unsere Argumente ernst und stimmen unserem Antrag heute zu. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner: Herr Kollege Dr. Huber.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das eben Gehörte ist ein klassischer Oppositionsantrag. Er kommt aus der gleichen Schublade wie der vorige Antrag. Es wird nach dem Motto vorgegangen: Was kümmern wir uns um die fi nanziellen Aspekte? – Dieser Antrag hört sich – wie oft – sehr gut an. Prima vista, könnte wie man sagen: Es ist toll, mehr Zeit für Kinder, für die Pfl ege von Angehörigen zu haben; da bin ich auch dabei. Wenn man das Ganze jedoch hinterfragt, merkt man sehr schnell, dass außer schönem Schein nicht sehr viel übrig bleibt.

Der Antrag hat wie immer etwas Suggestives. Er erweckt den Eindruck, als würde der Freistaat Bayern seinen Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst keinerlei Rücksichten für besondere Familiensituationen zukommen lassen. Der Staat würde also mit seiner Verpfl ichtung, 42 Stunden arbeiten zu müssen, die Menschen knebeln, ohne dass sie Gelegenheit hätten, sich um ihre Angehörigen zu kümmern. Sie wissen aber genau, dass das nicht stimmt.

Wir haben eine ganze Reihe von dienstrechtlichen Instrumenten, die es ermöglichen, auf spezielle Familiensituationen einzugehen. Die Arbeitszeit ist zum Beispiel für Behinderte mit mindestens 50 % Erwerbsunfähigkeit oder für Menschen, die älter als 60 Jahre sind, sowie für Jugendliche unter 18 Jahren ohnehin auf 40 Stunden begrenzt. Wenn jemand besonders viel Zeit für zuhause braucht – für Kinder oder die Pfl ege von Angehörigen –, gibt es im Freistaat umfangreiche Möglichkeiten, eine Teilzeitbeschäftigung oder eine Beurlaubung zu erhalten, und zwar so viele Möglichkeiten, wie es sie kaum in der Privatwirtschaft gibt.

Für Betroffene, die Kinder unter zwölf Jahren haben – auf diese stellen Sie in Ihrem Antrag ab –, gibt es jetzt schon die Möglichkeit, Dienstbefreiungen für besondere Anlässe, zum Beispiel Erkrankung des Kindes zu bekommen, und zwar in einem Umfang bis zu zehn Tagen und für Alleinstehende bis zu zwanzig Tagen. Auch haben wir sehr weitgehende Gleitzeitregelungen für Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, um die spezielle Situation in der Familie zu organisieren.

Zu Ihrem Verweis, uns interessiere der Bund nicht: Sie haben in Ihrem Antrag selbst geschrieben, sie forderten eine Regelung, wie sie im Bund praktiziert werde. Dabei erwähnen Sie aber nicht, dass die Situation im Bund eine ganz andere ist. Wir haben im Bund einen Personalüberhang, den wir in Bayern in dieser Form nicht mehr haben, und zwar deswegen nicht, weil die Personalsituation im öffentlichen Dienst inzwischen – ich sage das ausdrücklich – ganz gezielt so gesteuert wird, dass wir von einer

nachhaltigen Personalpolitik sprechen können. Der Freistaat Bayern leistet sich nur so viele Beamte, wie er sich fi nanziell erlauben kann. Das hat zur Durchführung einer Verwaltungsreform geführt, im Zuge derer es zu dieser Arbeitszeitverlängerung gekommen ist. Der Personalkostenanteil, der 43 % der Staatsausgaben überschritten hat und noch steigt, zwingt den Staat dazu, zu einem Stellenabbau zu kommen, den wir in einer Größenordnung von 5000 Stellen eingeleitet haben.

Ihr Antrag würde dazu führen, dass von diesen 5000 eingesparten Stellen, deren Einsparung unbedingt notwendig war, 2500 gewissermaßen wieder verbraten würden. Das würde die gesamte Arbeitszeitreform ad absurdum führen. Sie können nicht ernsthaft von uns verlangen, dass wir auf der einen Seite mit großer Mühe eine nachhaltige Personalpolitik mit Stelleneinsparungen anstreben und diese gleichzeitig kurzfristig wieder über den Haufen werfen. Das können Sie nur machen, wenn Sie den fi nanziellen Aspekt – Sie wissen, dass Sie das oft tun – einfach beiseite lassen. Mit dem Verweis auf die Flexibilisierungsmaßnahmen für Beamte mit Kindern oder pfl egebedürftigen Angehörigen, die wir derzeit schon haben, halten wir diesen Antrag für überfl üssig und werden ihn aus diesem Grunde ablehnen.

Nächster Redner: Herr Kollege Wörner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Huber, es war ein bisschen grenzwertig, was Sie uns gerade erzählt haben. Sie sagen nämlich, was auch stimmt, der Freistaat Bayern betreibe eine Personalpolitik nicht nach Aufgabenstellung, sondern nach Kassenlage. Jetzt verstehe ich auch, warum es einen Gammelfl eischskandal gibt. Wir haben nämlich zu wenig Lebensmittelüberwacher.

(Beifall bei der SPD)

Ein zweiter Punkt, Herr Kollege Dr. Huber: Sie haben dem Bund vorgeworfen, er hätte immer noch zu viel Personal. Ich sage Ihnen darauf: Vielleicht ist der Bund sozial geringfügig besser eingestellt als der Freistaat Bayern. Es hat doch nichts mit der Personaldecke zu tun, ob eine soziale Maßnahme – als solche bezeichnen wir dies – ergriffen wird oder nicht.

Damit komme ich zum Inhalt: Langsam verstehe ich die Welt nicht mehr. Gerade haben wir von Frau Staatsministerin Stewens gehört, wie wichtig Sozialpolitik und Familienpolitik sind, wie wichtig es ist, dass die Pfl ege möglichst im eigenen Umfeld stattfi ndet. Hier könnten wir als Staat Vorbildfunktion übernehmen, um den Firmen sagen zu können: Macht es wie der Staat. Wir könnten für diejenigen Beamtinnen und Beamten, die Kinder unter 12 Jahren oder pfl egebedürftige Angehörige betreuen müssen – nur um diese geht es –, die Arbeitszeit auf 40 Stunden reduzieren. Sie wissen, dass eine große Zahl von Menschen sehr weit pendeln muss, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen. Jede zusätzliche Arbeitsstunde schmerzt diejenigen, die nebenbei die Leistung der Pfl ege oder der Kindererziehung übernehmen müssen.

Wir wissen das aus vielen Petitionen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes.

Ich zitiere Herrn Staatsminister Sinner sinngemäß: Er hat gesagt, wir hätten Geld genug, um in der Zukunft alles zu tun. Bayern habe viele technologische Projekte angeschoben. Das hat er heute Früh erzählt. Warum sollten wir außer technokratischen Projekten nicht auch eine Reihe von sozialen Projekten mit geringen Auswirkungen auf die Staatskasse fördern?