Wenn hier von jugendlichen Intensivtätern die Rede ist, so sind das tatsächlich Intensivtäter. Das bedeutet aber auch: Wer heute ohne Bewährung in den Jugendvollzug muss, der hat Verweis, der hat Arrest, der hat Wochenendarbeit, der hat Jugendstrafe mit Bewährung hinter sich. Sie glauben doch nicht, Kollege Streibl, dass sich die in diesem Bereich erkennenden Richterinnen und Richter keine Mühe gemacht haben, die Delinquenten auf den richtigen Pfad zu führen. Sie glauben doch nicht, dass sich Bewäh
rungshelferinnen und Bewährungshelfer, sofern sie denn da sind, nicht tatsächlich bemüht haben, alles zu unternehmen, damit es tatsächlich funktioniert. Welche Mühsal, welche Last ist damit verbunden! Und Sie kommen her und sagen, so wie das jetzt funktioniere, würden wir diese Jugendlichen abschreiben. Da ist im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht so viel geschehen, bis jemand zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wird, dass man sich gar nicht vorstellen kann, was da an Arbeit geleistet wurde.
Deswegen ist es auch klar, dass der Bundesgesetzgeber diese Vollzugsform vor einigen Jahren im Prinzip abgeschafft hat, weil man sie eigentlich nicht benötigte. Dass es in Baden-Württemberg ein Projekt gibt, das entsprechend durchgeführt wird, legt möglicherweise den Verdacht nahe, dass es Tendenzen gibt, unter Umständen einen Strafvollzug zu privatisieren. Die Kosten wurden angesprochen. Das wollen wir nicht. Auch das ist ein Grund, warum wir diesen Gesetzentwurf in voller Gänze ablehnen.
Danke schön, Herr Kollege Arnold. Als Nächste hat die Kollegin Christine Stahl von den GRÜNEN das Wort. Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Präsident, meine Herren und Damen! Wir unterstützen den Gesetzentwurf der FREIEN WÄHLER, weil er eine weitere sinnvolle Option - wohlgemerkt: Option! - beinhaltet, die Jugendkriminalität konsequent und wirksam zu bekämpfen. Wir wollen jeden Weg mitgehen, auf dem man Jugendliche resozialisieren, wenn nicht gar, wie es Kollege Streibl richtig gesagt hat, erstmals sozialisieren kann.
Der Jugendstrafvollzug darf keine Kleinausgabe des Erwachsenenstrafrechts sein. Darüber sind wir uns hier im Hohen Hause alle einig. Ich sehe sehr wohl, dass es bereits eine Reihe sinnvoller Maßnahmen gibt. Ich nenne nur das bereits gut laufende Projekt in Rummelsberg oder die Projekte der Sozialtherapie. Von weiteren therapeutischen Angeboten im Vorfeld gar nicht zu sprechen.
Es geht hier aber nicht um ein Entweder-oder. Ich gebe meinem Kollegen Arnold allerdings insoweit recht, dass sich das Entweder-oder ein Stück weit daraus ergibt, dass die personelle Ausstattung im bestehenden Bereich so miserabel ist.
Ich frage mich natürlich auch, ob das genügt, was in einem Bundesland geschieht, in dem die personelle Ausstattung in den JVAs massiv zu wünschen übrig lässt: Genügt das in einem Land, dessen Justizminis
terin sich in der letzten Zeit ausdrücklich rühmt, dass hier die Straftäter am längsten einsitzen, in einem Land, in dessen Strafvollzug HIV-Probleme und Drogenprobleme zumindest verdrängt werden und in dem jetzt auch leider wieder - das allerdings möchte ich nicht so stark hervorheben - das Thema Korruption, zum Beispiel in Stadelheim, auf der Tagesordnung steht?
Das, so meine ich, genügt leider nicht. Es hat dies aber nichts mit der Privatisierung zu tun, sondern damit, dass es eine Reihe von Organisationen gerade im katholischen Bereich gibt, die sich dieses Gesetz wünschen, weil es weitere Möglichkeiten eröffnet. Ich würde das jetzt allerdings nicht als Privatisierung sehen wollen, sondern ich nehme es als Versuch, gemeinsam für eine Perspektive zu arbeiten.
Ich möchte Ihnen kurz zwei Beispiele nennen. Wir fangen ja nicht bei Null an, wenn wir Ihnen in einem Gesetzentwurf diese Option eröffnen.
Das erste Beispiel ist das Seehaus Leonberg im Rahmen des "Projektes Chance", und das zweite Beispiel ist das Projekt in Creglingen. Beide Beispiele stammen aus Baden-Württemberg und sind von SchwarzGelb eingeführt worden.
Man höre und staune: Eingeführt von Schwarz-Gelb! In Baden-Württemberg hat man gesagt, es sei eine gute Alternative, Jugendlichen zwischen 14 und 23 Jahren, die an sich arbeiten wollen, dies zu gestatten. Und genau das berücksichtigt der Gesetzentwurf. Das heißt, sie müssen einen Antrag stellen und die JVA-Leitung muss prüfen, ob die Jugendlichen dafür geeignet sind. Das wäre selbstverständlich nicht der Fall bei Selbst- und Fremdgefährdung. Deswegen gehen die Vorwürfe von Herrn Rieger voll ins Leere und zeigen, wie wenig er sich mit den Projekten beschäftigt hat.
Die Jugendlichen beginnen in diesen Projekten früh um 5.45 Uhr mit einem Tagesablauf, der nicht einfach ist und bis um 22.00 Uhr durchstrukturiert ist. Schon aus diesem Grunde schmeißen zwei bis drei Straftäter, die in diese Projekte kommen, bereits nach einem Jahr hin, weil ihnen der dort gebotene Arbeitsalltag, diese Einbindung, die Therapie, die dort erfolgt, zu hart sind.
Schön ist, dass bei diesen Projekten nur zehn Prozent rückfällig werden. Hingegen werden 80 % derjenigen rückfällig, die diese Projekte nicht durchlaufen.
Leider gibt es für Bayern null Statistiken und Zahlen, wie die Sozialtherapie oder die bestehenden Projekte anschlagen. Ich habe das in den Jugendstrafanstalten abgefragt. Dort konnte man diese Zahlen nicht nennen. Sie, Frau Ministerin, können sie aber abfragen. Deshalb sollten Sie Ihre Strafanstalten dahin informieren, wenn es diese Zahlen gibt.
Ich betone noch einmal, dass ich mit der Katholischen Bundes-Arbeitsgemeinschaft "Straffälligenhilfe", mit dem Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe, der Caritas, insgesamt also allen hier, die den Vorrang der Erziehung und der Jugendstrafe in freier Form wollen, durchaus übereinstimme. Vielleicht sollte man den Begriff "freie Form" nicht verwenden, weil er impliziert - Herr Rieger ist auch auf diesen Begriff angesprungen -, dass es hier um einen Kuschelvollzug geht. Das ist einfach absurd. Ebenfalls betonen möchte ich, dass alle Organisationen voraussetzen, dass die Jugendlichen erst einmal in den Strafvollzug einziehen und bestimmte Phasen durchlaufen mussten, um überhaupt in einen solchen freien Vollzug zu gelangen.
Die Unterstellung, der Gesetzentwurf sei blauäugig, kann ich nicht akzeptieren. Vielmehr würde er die Projektlandschaft beleben. Er würde tatsächlich von einer Reihe von kirchlichen Organisationen für bestimmte Projekte mitgetragen werden. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir dem Ganzen eine Chance geben sollten.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich in der Ersten Lesung kritisch zu diesem Gesetzentwurf geäußert. Ich muss sagen: Meine Skepsis ist nicht kleiner geworden. Ganz im Gegenteil! Ich bin überzeugt, dass wir einen Vollzug in freier Form als dritten Weg nicht brauchen; denn schon jetzt haben wir den geschlossenen und den offenen Vollzug und damit die notwendigen Steuerungsmöglichkeiten.
Warum hat sich in mehr als 50 Jahren, in denen die rechtliche Grundlage für dieses Instrument schon einmal bestanden hat, niemand dafür eingesetzt, diese Form des Vollzugs einmal auszuprobieren? Es gab einen einzigen Testversuch. Am 31.12.2007 wurde
Heute wird uns nun etwas als Stein der Weisen präsentiert, was in Wirklichkeit nichts anderes ist als alter Wein in neuen Schläuchen.
Im Jugendstrafvollzug ist Bayern, was die Bildungsund Therapieangebote angeht, vorbildlich. Ob die Personalsituation in allen Bereichen ausreicht, ist eine völlig andere Debatte, die wir heute nicht führen.
Aber eines steht fest: Ein neues System brauchen wir nicht. Wir brauchen es schon deshalb nicht, weil der Anwendungsbereich viel zu schmal ist. Die Gruppe von Tätern, die infrage kommt, ist ganz klein. Nur jeder zwanzigste Straftäter überhaupt wird zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt. Von denjenigen kommen aber auch nur wieder diejenigen infrage, bei denen weder Flucht- noch Missbrauchsgefahr vorliegt, bei denen sich der Verurteilte freiwillig gestellt hat und bei denen die Dauer der Jugendstrafe nicht entgegensteht. Bei Tötungs- und Sexualdelikten kann man das wegen der Gefährdung der Öffentlichkeit ohnehin nicht riskieren und bei einer Suchtgefahr ist es auch nicht möglich. Letzten Endes bleibt eine Handvoll möglicher Täter übrig, die in diesen Anwendungsbereich fallen würde. Für eine Handvoll Täter ist ein solches System zu teuer. Kollege Rieger hat das ausgeführt. Die Kosten betragen pro Tag das Dreifache und die Effizienz dieses Systems ist alles andere als nachgewiesen. Rückfalluntersuchungen sind immer schwierig. Nach den Zahlen, die ich kenne, haben bei "Projekt Chance" in Baden-Württemberg, das bereits angesprochen wurde, 53 % der Teilnehmer in den ersten zehn Monaten keine Straftat begangen. Im Umkehrschluss haben 47 % eine Straftat begangen das ist fast die Hälfte -, und zwar schon innerhalb von zehn Monaten. Also auch hier ist die Effizienz alles andere als nachgewiesen.
Ich möchte jetzt nicht auf die Frage eingehen, ob es sich um einen Kuschelvollzug handelt oder nicht. Das spielt für mich keine Rolle. Ich glaube aber schon, dass man sich bei solchen Tätern - es handelt sich hier um schwer straffällige Jugendliche, wie Kollege Streibl auch gesagt hat - schon sehr gut überlegen muss, ob man hier eine neue Säule einführt.
Nun spricht Kollegin Stahl davon, das sei nur eine Option, eine Möglichkeit. Dem halte ich entgegen, dass eine Option nur Sinn macht, wenn man auch Gebrauch davon macht.
Wenn man aber Gebrauch davon macht, dann ist es teuer. In der heutigen Situation brauchen wir die Finanzen jedoch in anderen Bereichen dringender. Deswegen ist jeder Cent, der für eine neue unnötige Option ausgegeben werden soll, Verschwendung. Er ist verlorenes Geld.
Daher bleibt es bei meinem Fazit aus der Ersten Lesung: Der Gesetzentwurf, der heute beraten wird, ist weder sinnvoll noch erfolgversprechend noch angemessen. Er ist überdies teuer. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, lehnen Sie diesen Gesetzentwurf ab. Investieren wir das Geld da, wo es gebraucht wird.
Herr Dr. Fischer, danke sehr. Bleiben Sie bitte am Redepult. Frau Kollegin Stahl hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte sehr.
Herr Kollege Fischer, Sie werden mir doch sicherlich zustimmen, wenn ich sage, dass man diese ganze Problematik nicht betriebswirtschaftlich rechnen kann, wie Sie es tun. Selbstverständlich kosten die Täterinnen und Täter, die zurückkehren, und natürlich kosten auch die Schäden, die verursacht werden, ein immenses Geld. Deswegen können Sie nicht einfach sagen, das kostet dreimal so viel, weil jeder, der über diesen Weg nicht mehr hereinkommt - und wenn es letztendlich dann bloß 55 % sind; ich streite mich jetzt mit Ihnen nicht über diese Zahlen -, den Haushalt entlastet.
Frau Kollegin Stahl, ich widerspreche Ihnen da gar nicht, ich sehe das auch nicht betriebswirtschaftlich. Ich habe auch gesagt: Wenn die Erfolgsquote besser wäre, wenn wir mehr erreichen könnten, dann wäre ich mit Feuer und Flamme an Ihrer Seite und würde für dieses System kämpfen. Aber genau das ist nicht der Fall. Wir haben keine besseren Erfolgsquoten, das System ist nicht effizient. Ein neues System einzuführen, das a) nicht effizient und b) auch noch teuer ist, ist weder betriebswirtschaftlich noch aus Strafvollzugssicht sinnvoll, und deswegen sollten wir es bleiben lassen.
Danke schön, Herr Dr. Fischer. - Als letzte Rednerin hat nun Frau Staatsministerin Dr. Merk das Wort. Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Gut gemeint, aber nicht geeignet - lieber Herr Streibl, das würde ich jetzt als Überschrift über die Worte setzen, die ich zum Abschluss noch sagen möchte.
Wir haben heute schon gehört, und ich schließe mich da vollumfänglich den Kollegen der Regierungsparteien und der SPD an: Wir haben eine Situation, dass wir Jugendliche vor uns stehen haben, die entweder schon den ganzen Bereich der Möglichkeiten strafrechtlicher Sanktionen und Maßnahmen durchlaufen und nicht darauf reagiert, sich nicht gebessert haben, sondern resistent geblieben sind und damit als hoch kriminell, als Intensivtäter zu beschreiben sind. Oder wir haben Jugendliche, die eine so massive Straftat, ein Schwerverbrechen begangen haben, dass sie besonders behandelt werden müssen. Das sind die Fälle.
Die Systematik des Jugendstrafrechts, erst sanft anzufangen, beim ersten Mal mehr mahnend als strafend zu arbeiten, nach und nach natürlich die Intensität der Einwirkung auch zu steigern, aber immer die Hoffnung darauf zu setzen, dass Erziehungsmaßnahmen dazu führen, dass sich der junge Mensch tatsächlich noch ändert, passt nicht zu einem Vollzug der Jugendstrafe in freien Formen.
Wir haben alle Möglichkeiten, die wir brauchen. Das haben die Vorredner gesagt, das muss ich überhaupt nicht mehr betonen. Aber wenn all diese Maßnahmen nicht mehr gefruchtet haben, dann müssen eben auch noch andere Maßnahmen möglich sein. Dann, und erst dann, kommt es zum Jugendstrafvollzug. Das bedeutet nicht Wegsperren, wie immer wieder suggeriert wird. Ich lasse mich hier auch nicht polemisch angreifen von wegen, ich würde mich noch damit brüsten, dass bei uns hier in Bayern die Verbrecher am längsten im Gefängnis sind. Ich finde das nach wie vor richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Aber ich bin auch dafür bekannt - und ich betone das -, dass ich ein Herzensanliegen habe und das auch mit Herzblut erkämpfe: Diejenigen, die im Gefängnis sind, und diejenigen, bei denen man merkt, sie sind kaum mehr wegzubringen von ihrem kriminellen Tun, sollen über Therapien und über Fürsorge, über ein persönliches Widmen die Chance haben, doch noch auf den richtigen Weg zu kommen. Gerade deswegen haben wir in all unseren Strafvollzugsanstalten die Sozialtherapie eingeführt.
Ich könnte das jetzt noch einmal herunterdeklinieren: 42 Therapieplätze in Ebrach, bald sechs noch dazu in Neuburg-Herrenwörth, 16 Therapieplätze in Aichach dort für die weiblichen Gefangenen; wir werden in Laufen-Lebenau 16 neue einrichten, wir werden in Niederschönenfeld 16 neue Plätze für junge Erwachsenenstraftäter einrichten. Wir zeigen also, dass wir diesen Menschen mit Therapie eine Chance geben wollen, mitzumachen, doch noch herauszukommen aus diesem schrecklichen Kreislauf der Kriminalität.