Protokoll der Sitzung vom 19.06.2012

Ich möchte einen weiteren Punkt vorwegschicken: Ich gehe davon aus, dass das komplette Parlament jede

Art von Gewalt, jede Art von Rassismus und jede Art von Rechtsextremismus ablehnt und sich davon distanziert. Unser Ziel in den nächsten Monaten muss es sein, dagegen vorzugehen, und zwar mit allen wirkungsvollen und sinnvollen Mitteln. Kolleginnen und Kollegen, ich gehe auch davon aus, dass wir beim Thema Pyrotechnik einen gemeinsamen Nenner haben. Ich bin der Meinung, dass Pyrotechnik, ob es sich um Bengalos oder um Rauchbomben handelt, in Stadien und in Menschenansammlungen nichts zu suchen hat. Das sind wir den zigtausend Besuchern, die jedes Wochenende im Stadion sind, schuldig. Das muss in den Stadien, aber auch um die Stadien herum gelten.

Ich hoffe, dass wir in diesem Hause heute ein gemeinsames Zeichen hinbekommen. Wir müssen sagen: Die Stadionordnung muss durchgesetzt werden. Hausverbote und Betretungsverbote müssen durchgesetzt werden. Ich glaube, hier gibt es eine große Gemeinsamkeit. Zu den Polizeieinsätzen und der polizeilichen Präsenz wird nachher mein Kollege Harald Schneider für unsere Fraktion das Notwendige sagen.

Wie wichtig eine solche gemeinsame Position ist, zeigt im Moment die Fußball-Europameisterschaft. Das riesige Zuschauerinteresse nicht nur am Fernseher wird in Zukunft dazu führen, dass noch mehr Menschen ins Stadion gehen. Die Deutsche Fußball-Liga DFL - meldet nicht umsonst jedes Jahr neue Zuschauerrekorde.

Wie geht man gegen Gewalt vor? Herr Bundesinnenminister Friedrich geht einen falschen Weg. Es wäre schön, wenn die Bayerische Staatsregierung heute erklären würde, dass das nicht ihr Weg ist. Herr Friedrich suggeriert, dass die Stehplätze das Problem seien. Er glaubt, Gewalt und Pyrotechnik könnten mit einem Stehplatzverbot bekämpft werden. Ich sage ganz klar: Nicht die Stehplätze sind das Problem, sondern ein ganz kleiner Teil der Fanszene und ein ganz kleiner Teil der Ultras. Hier müssen wir Lösungen finden. Wir dürfen nicht alle Stehplatzkartenbesitzer bestrafen.

(Dr. Otto Bertermann (FDP): Das ist richtig!)

Klar ist, dass es im und um das Stadion ein zu hohes Gewaltniveau gibt. Wir müssen das Problem aber einordnen: Nach der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze gab es in der letzten Saison bei 17,4 Millionen Zuschauern in allen Stadien insgesamt 6.061 freiheitsentziehende Maßnahmen und 5.018 Strafverfahren in ganz Deutschland. Das ist natürlich zu viel. Wenn man diese Zahlen jedoch in Relation zu anderen Großveranstaltungen wie Volksfesten setzt, müs

sen wir feststellen, dass wir zwar dagegen vorgehen müssen, aber dass hier nicht das Hauptproblem in unserer Gesellschaft liegt, wie das in manchen Medien behauptet wurde.

Ich möchte ein paar Zahlen nennen: In der ersten Liga gibt es 820.000 Plätze in den Stadien, davon etwa 185.000 Stehplätze, also fast ein Viertel. In der zweiten Liga gibt es 580.000 Plätze, davon 195.000 Stehplätze. Bei den sieben Vereinen aus Bayern in der ersten und zweiten Liga gibt es etwa 60.000 Stehplätze. Damit wären von einem Stehplatzverbot Wochenende für Wochenende etwa 30.000 Menschen betroffen, wenn ein solches auf nationaler Ebene eingeführt würde.

Wen trifft man damit? Man trifft finanzschwächere Kreise, man trifft junge Menschen, man trifft Menschen, die sich ansonsten vielleicht den Besuch des Fußballplatzes nicht leisten könnten. Deswegen sagen wir eindeutig: Wir müssen andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen.

Ich zitiere Rainer Koch, den Präsidenten des Bayerischen Fußballverbandes und Vizepräsident des DFB. Er sagt:

Oft wird nur über die Reaktion auf ein Ereignis nachgedacht, über Strafen, Sperren und Ausschlüsse. Aber wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir dem Ganzen prinzipiell begegnen.

Um diesem Problem prinzipiell zu begegnen, gibt es viele kleine, aber wichtige Mosaiksteinchen. Von großer Bedeutung sind dabei Fanprojekte. Fanprojekte haben das Ziel, junge Menschen stabil zu machen, damit sie ihren Weg alleine und eigenverantwortlich gehen können. Damit wird anerkannt, dass das Problem der Gewalt nicht nur im Stadion entsteht. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Wenn diese Jugendlichen aus dem Stadion verdrängt werden, dann verschwindet damit nicht die Gewalt, sondern sie findet in anderen Formen statt. Deswegen muss und soll die Gesellschaft reagieren.

(Beifall bei der SPD)

In Bayern haben wir jetzt erfreulicherweise sieben Erst- und Zweitligamannschaften. Vier Mannschaften sind in der ersten Liga, nämlich Bayern München, der 1. FC Nürnberg, der FC Augsburg und die Spielvereinigung Greuther Fürth. In der zweiten Liga spielen 1860 München, der Ingolstädter FC und Jahn Regensburg. In der dritten Liga spielen Unterhaching und Wacker Burghausen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die dritte Liga wird bei diesem Thema oft unterbewertet. Gerade in der dritten Liga haben wir es häufig mit Gewalt und mit rechtsextremen Aus

wüchsen zu tun. Deshalb müssen wir unser Augenmerk auch auf die dritte Liga richten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die DFL und der DFB geben pro Fanprojekt maximal 60.000 Euro. Das würde bei den neun Vereinen in Bayern bis zu 540.000 Euro bedeuten. Die Realität ist, dass wir nur in München, in Nürnberg und in Augsburg Fanprojekte haben. Die Realität ist, dass die Bayerische Staatsregierung dafür lediglich 156.000 Euro zur Verfügung stellt. Möglich wären Ausgaben bis zu 540.000 Euro. Ich verkenne nicht, dass es auch ein Problem der Kommunen ist, Geld aufzubringen. Die Stadt Augsburg beteiligt sich lediglich mit fast 34.000 Euro an dem Fanprojekt. Wenn die Drittel-Finanzierung nicht zustande kommt, dann gibt die DFL auch nicht mehr Geld. Deswegen hoffe ich, dass wir uns darauf einigen können, dass die Mittel des Freistaates Bayern, die 156.000 Euro, sukzessive nach oben gefahren werden. Wir können sie nicht in einem Jahr auf das Maximum erhöhen - auch das ist klar. 300.000 Euro in diesem Jahr wären aber eine Hausnummer, insbesondere, weil wir in den obersten Ligen zwei neue Vereine haben. Dann bestünde auch die Möglichkeit, zum Beispiel in Burghausen endlich ein Fanprojekt zu finanzieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen außerdem die Möglichkeit, dass zwischen Freistaat und Kommunen Vereinbarungen getroffen werden. Freistaat und Kommunen müssen die zwei Drittel gemeinsam bringen können. Das bedeutet für finanzschwache Kommunen die Möglichkeit, vom Freistaat zusätzlich unterstützt zu werden. Das würde auch Kommunen, die heute keine Fanprojekte haben, ein gutes Stück nach vorne bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

An dieser Stelle will ich mit einem Missverständnis aufräumen. Ich habe vorher betont, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt. Natürlich müssen die Vereine und die DFL ihren Anteil leisten. Die Forderung aber, die Fanbeauftragten vollständig von den Vereinen finanzieren zu lassen, quasi als Angestellte des Vereines, ist falsch. Ihre Arbeit gewinnt dadurch, dass sie nicht vom Verein bezahlt sind. Es gilt nämlich auch, das eine oder andere Problem zwischen Verein und Fanszene zu moderieren und zu lösen.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Tobi- as Thalhammer (FDP))

Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss. Herr Innenminister Herrmann ist momentan nicht da; meine Bitte

wird ihm sicher ausgerichtet. Ich würde bitten, die Fanszene, die Fanbeauftragten mit einzuladen, wenn in Zukunft wieder Gespräche mit Vereinen und Verbänden stattfinden.

(Beifall bei der SPD)

Binden Sie die Fans konsequent in den Dialog ein.

Ich hoffe, die Politik kann heute ein starkes Signal senden, dass wir nicht wieder, wenn es zu Ausschreitungen kommt, wenn es zu Gewalt kommt - das ist, wie gesagt, bei 17,4 Millionen Besuchern, bei 750 Spielen pro Saison in der ersten und zweiten Liga, bei der DFL und bei den nationalen und europäischen Wettbewerben nicht immer auszuschließen -, in Reflexe verfallen und nur repressiv tätig werden. Lassen Sie uns das Thema jetzt vorher, vorbeugend angehen. Stellen Sie etwas mehr Geld zur Verfügung. Versuchen Sie bitte, die Fanszene in Gespräche einzubeziehen. Ich hoffe, wir haben darüber in diesem Hause am heutigen Tage einen großen Konsens.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Als Nächster hat Herr Kollege Dr. Florian Herrmann von der Christlich Sozialen Union das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute wie meistens mit Sachverhalten, bei denen es Schwierigkeiten gibt, bei denen von Staat und Gesellschaft und auch vom Parlament Reaktionen verlangt werden. Deshalb ist es sicherlich wichtig, dass wir im Hohen Hause ein weiteres Mal die Problematik der gewaltbereiten Fußballfans und den Umgang mit ihnen behandeln.

Ich möchte aber am Anfang zunächst ganz deutlich hervorheben, dass es dabei um Probleme geht, die von einer kleinen Minderheit von Personen verursacht werden, die durch ihr Verhalten Sportveranstaltungen pervertieren. Die vielen völlig problemlosen und friedlichen Sportveranstaltungen machen uns nämlich jedes Wochenende deutlich - Sie haben die Vielzahl der Sportveranstaltungen genannt -, dass man, auch wenn man ein engagierter und emotionaler Anhänger eines Fußballvereins ist, trotz aller Rivalität und aller Begeisterung ein friedliches Sport- und Fußballfest feiern kann. Nicht zuletzt das Champions-League-Finale am 19. Mai hat uns das eindrücklich vor Augen geführt.

Fairplay darf nicht eine bloße Worthülse sein, sondern muss im Sport sowie überall immer der Leitgedanke

sein. Wir haben - das muss man auch einmal deutlich herausstellen - in Bayern in den letzten Jahren durchaus große Anstrengungen unternommen, damit jeder, der Interesse daran hat, ohne Angst vor Krawallen mit seiner Familie ins Stadion gehen kann. Ich erinnere an die gemeinsame Vereinbarung mit dem Bayerischen Fußballverband aus dem Jahre 2007. Außerdem wurden die Einsatzkonzeptionen aufgrund der Spielklassenreform - Einführung der dritten Liga - mit Beginn der Saison 2008/2009 der neuen Ligastruktur angepasst. Ich nenne nur einige Stichworte: Bundesweit standardisierter Informationsaustausch bis zur Regionalliga Süd, verstärkte Überwachung der Reisewege, Intensivierung der Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden und Vereinen. Ganz wichtig ist dabei die Ausweitung des Einsatzes szenekundiger Beamter. Eine ganze Reihe zusätzlicher Polizistinnen und Polizisten wurde ausgebildet, sodass nunmehr 63 szenekundige Beamte in Bayern tätig sind.

Darüber hinaus sehen die polizeilichen Einsatzkonzepte folgende Punkte beispielhaft vor: Präventivpolizeiliche Maßnahmen, wie zum Beispiel Gefährderansprachen und andere Maßnahmen wie Abfahrtsüberwachungen oder Abfahrtsverhinderungen. Die Zufahrt und die Anreise zu den Stadien sind eben auch kritisch, nicht nur der Aufenthalt im Stadion selbst. Ich nenne weiter: Begleitung anreisender Fans, Übernahme von gewaltgeneigten Fußballfans und erkannten Hooligans durch die örtliche Polizei, enge Begleitung von den Bahnhöfen in der Innenstadt zu den Stadien, konsequente Speicherung in der Datei Gewalttäter Sport und konsequente Umsetzung von Stadienverboten bis in die Regionalliga. Im polizeilichen Bereich wurde also schon eine ganze Menge getan. Ich glaube, dass man an dieser Stelle ein großes Lob und einen herzlichen Dank an die Polizei für deren Arbeit aussprechen darf.

(Beifall bei der CSU - Thomas Mütze (GRÜNE): Das war jetzt nur Repression! Können Sie auch noch etwas anderes?)

- Ja, zum Beispiel den gesamten Bereich der Präventivarbeit. Wir sollten aber beides zusammen sehen. Diejenigen, die sich als Gewaltgeneigte durch nichts beeinflussen lassen, werden wir allein durch Prävention nicht in den Griff bekommen; hierfür benötigen wir Repression.

(Harald Güller (SPD): Das hat keiner von uns behauptet!)

- Es wurde aber gerade dort hinten angesprochen.

Wir wollen keine Zwiesprache halten: Sie können sich wunderbar

melden, und dann können wir das offiziell abwickeln. Herr Kollege Dr. Herrmann, Sie haben das Wort.

Fanprojekte werden seit 15 Jahren unterstützt. Sicherlich kann man immer darüber sprechen, die Mittel zu erhöhen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass Sportveranstaltungen nicht in erster Linie staatliche Veranstaltungen sind, sondern viele wirtschaftlich davon profitieren, die man einbinden könnte. Ich meine, gerade die DFL ist gefragt, ihren Anteil an der Kofinanzierung der Fanprojekte deutlich zu erhöhen. Das kann auch ein Signal sein, das heute von diesem Hohen Haus ausgeht.

(Harald Güller (SPD): Wenn wir uns einig sind, dass es "auch" ist, dann ja!)

Ich glaube, diese Maßnahmen sind Erfolgsrezepte, die es dazu haben kommen lassen, dass derartige Ausschreitungen, wie wir sie aus den Medien kennen, in Bayern bisher auf ein Mindestmaß beschränkt geblieben sind bzw. ganz unterbunden werden konnten. Die jüngsten Ausschreitungen bei den Relegationsspielen in Düsseldorf und Karlsruhe, eben nicht in Bayern, haben gezeigt, dass die Anstrengungen weiter verstärkt werden müssen.

Vor allem die Gewalt am Rande von Fußballspielen, auch in den Stadien, nimmt zu. Die Polizeikräfte werden sehr stark gefordert. Auch die Aggressivität gegenüber Polizeibeamten nimmt zu. Wir haben in Deutschland etwa 12.000 Personen, die man der Problemfanszene zurechnen kann; davon befinden sich ca. 1.100 in Bayern. Der harte Kern davon, nämlich die Hooligans, auch Kategorie C genannt, umfasst in Deutschland 3.000 Personen, davon 150 in Bayern.

Wir stellen außerdem fest, dass die sogenannten Ultragruppierungen zunehmend aggressiv und gewalttätig gegenüber den Ordnungsdiensten und der Polizei reagieren. Leider müssen wir auch feststellen, dass es weder den Vereinen noch der Polizei gelingt, mit diesen Gruppen in einen vernünftigen Dialog einzutreten. Deshalb müssen wir den Kreis der gewaltbereiten Täter mit besonderem Augenmerk betrachten, denn darunter leidet das Image des Sports und der Vereine insgesamt.

Mit Verboten allein werden wir aber nicht alle Probleme lösen können. Wir müssen in erster Linie zusammen mit den Fangruppen, den Vereinen, dem Deutschen Fußballbund und dem Ligaverband Präventionsarbeit leisten. Zum Schluss möchte ich aber deutlich machen, dass wir dort, wo die Prävention nicht weiterhilft, weitergehende Maßnahmen ergreifen müssen und dass auch der Staat konsequent durchgreifen muss. Wir müssen Haus- und Stadion

verbote, die von den Vereinen ausgesprochen werden, konsequent gegenüber denjenigen durchsetzen, die diese Stadionverbote ignorieren oder gegen Strafgesetze verstoßen. Deshalb sollte der Sanktionskatalog überprüft werden. Auch lebenslange Stadionverbote sollen kein Tabu sein.

(Tobias Thalhammer (FDP): Dann gibt es aber ordentlich Prozesse!)

Nachdenken könnte man auch darüber, bei Risikospielen in allen Ligen einen Sicherheitszuschlag auf die Tickets zu erheben, um diese Mittel dann zielgerichtet für Fanprojekte oder für den Einsatz von Ordnern zu verwenden. Ebenso sollten - das hat sich bei der WM bewährt - für bestimmte Spiele personalisierte Tickets ausgegeben werden. Derzeit gibt es pro Saison 15 bis 20 Risikospiele, bei denen es so gehandhabt werden könnte. Mit der damit verbundenen Identitätskontrolle könnten Gewalttäter und Randalierer von den Stadien ferngehalten werden.

Einig sind wir uns auch darüber, dass Bengalos in Stadien genauso wie in anderen Menschenmengen nichts verloren haben. Meines Erachtens sollte der Gesetzgeber dagegen noch deutlicher vorgehen und das Abbrennen von Bengalos als Gefährdungsdelikte unter Strafe stellen und nicht nur als Ordnungswidrigkeit behandeln.