zentrieren haben, und zwar auf die Fragen, was die bayerischen Sicherheitsbehörden und im Speziellen unser Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz bereits vor dem ersten Mord im Jahr 2000 in Nürnberg über die mutmaßlichen Täter und ihre Unterstützer gewusst haben und was sie angesichts der langen Geschichte rechtsextremistisch motivierter Anschläge in Deutschland und auch in Bayern - vom Oktoberfestanschlag über Brandanschläge, zum Beispiel in Schwandorf, bis hin zu dem geplanten Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in München - hätten wissen können und müssen.
Meine Damen und Herren, die Frage ist, warum der Bayerische Verfassungsschutz trotz mehrerer Hinweise aus Thüringen und von anderen Stellen entweder passiv beobachtend geblieben ist oder eventuelle Erkenntnisse nicht an die zuständigen Behörden übermittelt hat. Die Frage ist, wie es trotz der Tatsache, dass bei allen Mordanschlägen in Bayern immer dieselbe Waffe benutzt worden ist, zu der folgenschweren Fehleinschätzung kommen konnte, dass die Täter im Bereich der organisierten Kriminalität zu suchen sind. Es ist zu fragen, warum diese Möglichkeit trotz der Hinweise auf einen möglichen politischen, nämlich rechtsextremistischen Hintergrund, zunächst verdrängt und ihr dann offensichtlich nur halbherzig nachgegangen worden ist. Es muss gefragt werden, meine Damen und Herren, warum nach weiteren Anschlägen außerhalb Bayerns die Zusammenarbeit mit dem BKA nach heutiger Kenntnislage nicht einmal suboptimal, sondern eher schlecht war und die Übernahme der Ermittlungen durch das Bundeskriminalamt angeblich sogar als "Kriegserklärung gegenüber der bayerischen Polizei" gewertet worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht also um die jeweiligen Rollen des Verfassungsschutzes, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und natürlich auch der politisch verantwortlichen Spitzen dieser Behörden. Von besonderem Interesse sind die Fragen, wie die verschiedenen Polizeibehörden miteinander und untereinander zusammengearbeitet haben, wie Polizei und Verfassungsschutz bei Beachtung des Trennungsgebotes zusammenarbeiteten und welche Rolle die Staatsanwaltschaften und ihre vorgesetzten Behörden gespielt haben.
Natürlich müssen und wollen wir auch versuchen, Klarheit über den Einsatz und die Wirkung des Einsatzes sogenannter V-Leute zu gewinnen, sowohl durch die Polizei als auch durch den Verfassungsschutz. VLeute, meine Damen und Herren, sind keine verlässlichen Ehrenmänner. Der Einsatz von V-Leuten wird als zwingend bezeichnet, um die Strukturen und Vorhaben rechtsextremistischer Aktivisten zu erkennen und gegebenenfalls Straftaten verhindern zu können.
Es ist aber einer näheren Betrachtung wert - auch aufgrund der Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Verfahren zum Verbot der NPD -, zu untersuchen, wo V-Leute eingesetzt waren, welche Informationen sie geliefert haben und welche Schlussfolgerungen aus diesen Informationen gezogen worden sind.
Ich kann heute nur hoffen, dass wir nicht feststellen müssen, dass von bayerischen Behörden geführte VLeute in der Nähe der mutmaßlichen NSU-Leute im Einsatz waren.
Ich kann auch nur hoffen, dass alle relevanten Akten, zum Beispiel auch Akten über die Beteiligung des Landesamtes für Verfassungsschutz an der Operation "Rennsteig", noch vorhanden sind, nachdem ein Zeuge aus Bayern vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin hierzu keine oder angeblich unvollständige Angaben gemacht haben soll.
Meine Damen und Herren, mir ist wichtig - und ich gehe davon aus, auch Ihnen allen -, mit dem Einsatz eines Untersuchungsausschusses auch ein Zeichen gegenüber den Angehörigen der Opfer zu setzen. Mit ist das wichtig, weil jahrelang gemutmaßt wurde, dass die Opfer Beziehungen zum kriminellen Milieu gehabt haben könnten, und weil angeblich jahrelang auch in Richtung der Angehörigen ermittelt worden ist. Hierbei sind angeblich auch Methoden angewandt worden, die nicht nur aus heutiger Sicht als fragwürdig zu bezeichnen sind, wenn sich, wie behauptet wird, verdeckt ermittelnde Polizeibeamte den Angehörigen als angebliche Journalisten genähert haben sollen. Die Angehörigen mussten nicht nur mit den Morden fertig werden, sondern auch mit Verdächtigungen und Unterstellungen seitens der Ermittlungsbehörden. Es ist deshalb wichtig, deutlich zu machen, dass es bei den Ermittlungen keinen Unterschied machen darf, ob die Opfer Deutsche oder Ausländer sind.
Es darf nicht sein, dass bei Mordanschlägen auf ausländische Mitbürger die Mörder in erster Linie und lange Zeit in der jeweiligen Community gesucht werden. Ich hoffe, es war nur eine gedankenlose Geschmacklosigkeit und nicht Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung, der Sonderkommission den Namen "Bosporus" zu geben.
Meine Damen und Herren, Ziel ist es nicht, irgendjemanden in die Pfanne zu hauen und Rücktritte zu fordern. Falls sich aber beispielsweise ergeben sollte, dass nicht nur in Berlin, sondern auch bei uns in Bay
ern Akten vernichtet worden sind, dass bislang nur die halbe Wahrheit gesagt und Zusammenhänge vertuscht worden sein sollten - ich weiß es nicht -, werden auch in Bayern personelle Konsequenzen unvermeidlich sein.
Dann ginge es aber nicht mehr nur um die Frage der persönlichen und politischen Verantwortlichkeiten, sondern dann müssten auch andere Fragen gestellt werden, insbesondere die, ob, wie viele meinen und behaupten, der Verfassungsschutz über Jahrzehnte hinweg sowieso auf dem rechten Auge immer blind war und wenn ja, warum.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einen Einschub. Bei der Verabschiedung des Gesetzes über die Errichtung eines Landesamtes für Verfassungsschutz am 8. November 1950 im Bayerischen Landtag hat der damalige CSU-Abgeordnete - CSU-Abgeordnete! - Kübler Folgendes ausgeführt. Das Zitat kann man im Protokoll nachlesen:
Wir sehen zu sehr nach links und übersehen die Gefahren von rechts. Das ist im alten Staat, im Weimarer Staat auch der Fall gewesen. Dort hat man immer nach links gesehen und die riesige Gefahr, die von rechts aufstieg und den Staat zum Zusammenbruch und uns in das namenlose Elend geführt hat, übersehen.
Soweit der Abgeordnete Kübler von der CSU im Jahr 1950. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe nicht, dass die Beschreibung des Kollegen Kübler aus dem Jahr 1950 auch heute noch richtig ist. Wenn es die Ermittlungen aber ergeben sollten, werden sich auch Grundsatzfragen stellen, ob dieser Verfassungsschutz mehr schadet als nützt, ob er in dieser Form verzichtbar ist und welche anderen Formen gegebenenfalls vorstellbar sind. Die Frage, ob es noch eine Berechtigung für insgesamt 19 Geheimdienste mit 19 Präsidenten, 19 Stäben und insgesamt mehreren Tausend Mitarbeitern beim Verfassungsschutz geben muss, ist aber jetzt schon erlaubt.
Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss hat viel Arbeit vor sich und nur ein Jahr Zeit. Natürlich sind wir jetzt alle schlauer als noch vor einem Jahr. Es geht deshalb nicht an, die Vorgänge nur aus der heutigen Perspektive und den im Nachhinein gewonnenen Erkenntnissen zu kommentieren und vorschnelle Urteile über die damals handelnden Personen zu fällen. Mit einer solchen Herangehensweise würde der Untersuchungsausschuss weder seiner Aufgabe noch den handelnden Personen gerecht. Gerade deswegen ist es wichtig, zu versuchen - das sage ich ausdrücklich -, mitzuhelfen und aufzuklären,
welche Erkenntnisse damals vorgelegen haben und welche nicht und aus welchen Gründen und ob daraus die richtigen Schlüsse gezogen worden sind.
Es geht um Staatsversagen, meine Damen und Herren, es geht nicht um eine Kleinigkeit. Es geht nicht um das Versagen des einen oder anderen Beamten oder der einen oder der anderen politischen Partei. Weil es um Staatsversagen geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es auch Aufgabe des Untersuchungsausschusses mitzuhelfen, dass wir nicht auch noch bei der Aufklärung des Staatsversagens versagen.
Meine Damen und Herren, angesichts des Themas habe ich mir erlaubt, nicht so strikt auf das Ende der Redezeit zu achten. Ich stelle deshalb anheim, die eine Minute und zwanzig Sekunden, die Herr Kollege Schindler überzogen hat, auch den anderen Fraktionen zuzugestehen, wenn sie denn benötigt werden. Ich glaube, das ist dem Thema angemessen.
Wir sind nun beim nächsten Redner, das ist Herr Kollege Professor Dr. Piazolo, dem ich hiermit das Wort erteile. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Habil Kilic, Ismail Yasar und Theodorus Boulgarides fünf Namen, fünf Opfer, alle in Bayern ermordet, in Nürnberg und München zwischen dem 9. September 2000 und dem 15. Juni 2005. Sie wurden ermordet, weil sie Ausländer waren. Diese schreckliche Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, inzwischen allen als NSU bekannt, hat uns alle schockiert, hat auch die Bevölkerung in Bayern beschäftigt wie wenige Ereignisse der letzten Jahre. Es ist großes Leid über Menschen gebracht worden, die friedlich bei uns leben wollten, die mitten unter uns, in unseren beiden größten Städten in Bayern, gewohnt haben. Für ihre Familien besonders schmerzlich: Vor den Ermittlungen im Zusammenhang mit Fremdenhass galten die ermordeten Männer häufig als Opfer der Mafia oder privater Konflikte. Der Begriff "Dönermorde" mit einer wenig versteckten, subkutanen Botschaft hinsichtlich des Bezugs im türkischen Umfeld machte die Runde. Später wurde dieser Begriff zum Unwort des Jahres 2011 erklärt.
und ihren Familien verpflichtet fühlen; denn es ist die Pflicht jedes Staatswesens, die Sicherheit seiner Bürger, und zwar aller Bürger, zu garantieren, die Sicherheit Deutscher oder Ausländer gleichermaßen. Wer hier lebt, sollte auch Sicherheit haben. Dies ist ein Grundrecht jedes Einzelnen gegenüber dem Staat, das vor vielen Jahrhunderten streitbar erkämpft wurde. Insoweit müssen wir gegenüber unseren ausländischen Mitbürgern eingestehen, dass auch das bayerische Staatswesen ein Stück weit versagt hat. Der Bayerische Landtag schuldet den Opfern und allen Angehörigen eine lückenlose Aufklärung der Verbrechen.
Ziel des Untersuchungsausschusses wird es unter anderem sein, Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen. Deshalb steht auch die Fraktion der FREIEN WÄHLER zu 100 % zur Einsetzung dieses Ausschusses. Er ist aus unserer Sicht - das haben schon die anderen Untersuchungsausschüsse im Bund, in Thüringen und in Sachsen gezeigt - das geeignete Instrument, um Aufklärung zu leisten, die besonders von der Öffentlichkeit und wohl auch von den Medien beachtet wird. Es ist - das habe ich schon heute Morgen deutlich gemacht - ein ermutigendes Zeichen, dass sich alle fünf Fraktionen des Bayerischen Landtags in der Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses einig waren und sich zügig auf einen gemeinsamen Fragenkatalog verständigt haben. Dies ist ein gutes, ein starkes Zeichen, das sichtbar nach außen wirkt und deutlich macht, wie abwehrbereit der bayerische Parlamentarismus gegenüber Angriffen auf sein demokratisches Selbstverständnis ist.
Ich hege die Hoffnung, dass dies in nächster Zeit trotz des anstehenden Wahlkampfes auch so bleibt, dass das gemeinsame Anliegen und nicht Trennendes im Vordergrund steht, dass Kooperation und nicht Konfrontation unser Handeln prägen wird.
Vieles - das sage ich ganz offen - wird dabei von der Mitarbeitsfreudigkeit der zuständigen Sicherheitsbehörden abhängen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns zusammen demokratische Kultur vorleben; denn uns allen ist bewusst, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, damit sich eine solche Verbrechensserie in Bayern nicht wiederholen kann. Dazu gehört auch, genau hinzuschauen, was im Verantwortungsbereich der bayerischen Behörden und unserer Regierung liegt. Dies hat eine gemeinsame Aufgabe zu sein, unabhängig von Regie
Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe - drei Namen, drei Täter, mitten in unserer Gesellschaft aufgewachsen, in Thüringen, teilweise in bürgerlichem Milieu. Doch schnell drifteten die drei ab, zuerst in sogenannte Kameradschaften, dann immer mehr ins kriminelle Umfeld, sie machten Banküberfälle, Bombenanschläge und begingen schließlich Morde. All das war getragen von einer nationalistischen, fremdenfeindlichen Ideologie des NSU, der sie folgten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen heute hier im traurigen Bewusstsein, dass sich fünf bzw. sechs Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Herrschaft in Deutschland nationalistischer Terror in Deutschland und Bayern scheinbar unbemerkt über zehn Jahre hinweg ausbreiten konnte, unerkannt und unbehelligt. Kann es sein, dass Rechtsextremismus auch in Bayern systematisch unterschätzt worden ist? Könnte es sein, dass die neuen Strukturen und Formen des Rechtsextremismus’, unter anderem auch die Verjüngung der Akteure einschließlich veränderter Täterprofile und Tatmuster, nicht rechtzeitig erkannt worden sind bzw. dass nicht die richtigen Schlüsse bei der Strafverfolgung gezogen worden sind? Wir werden es untersuchen.
Der Kampf gegen Rechts ist und bleibt eine zentrale Daueraufgabe der gesamten Gesellschaft. Hier stehen wir als demokratisch gewählte Politiker an vorderster Front.
Hier können und wollen wir uns nicht aus der Verantwortung nehmen, sondern wollen die Verantwortung bewusst und gemeinsam wahrnehmen. Wir nehmen es nicht hin, dass von einigen wenigen versucht wird, an den Grundfesten unseres Staatswesens, an Freiheit, Gleichheit und Solidarität, zu rütteln. Meine Damen und Herren, dagegen stehen wir auf, und das tun wir mit diesem Untersuchungsausschuss. Ziel des Untersuchungsausschusses wird es unter anderem sein, zu prüfen, wie die rechtsextremen Netzwerke funktioniert haben und gegebenenfalls noch funktionieren, inwieweit sie die Möglichkeit hatten, nach Bayern hineinzuagieren und zu wirken, inwiefern sie sogar Unterstützung durch extreme Parteien, insbesondere die NPD, erhalten haben. Ich verhehle nicht, dass ich weiterhin die Hoffnung habe, Beweise zu finden, die Stoff für ein dieses Mal erfolgreiches Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht hergeben; auch das könnte vielleicht ein Ergebnis sein.
Heinz Fromm, ein Aufklärer, der ehemalige Verfassungsschutzpräsident, ist vorgestern zurückgetreten und hat für die Pannenserie Verantwortung übernommen. Schlussendlich ist er über eine Aktenvernichtungsaktion gestolpert, über einen Vorgang, der in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang seinesgleichen sucht. Ich sage: Es ist beschämend, was da passiert ist.
(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, der SPD und den GRÜNEN - Zurufe des Abgeordneten Bernhard Roos (SPD))
Das wirft ein weiteres ungutes Schlaglicht auf die Arbeit des Verfassungsschutzes. Ich kann nur hoffen, dass uns die notwendigen und noch vorhandenen Akten von den Behörden schnell und unversehrt zur Verfügung gestellt werden. Heinz Fromm folgte gestern der Präsident des Thüringischen Verfassungsschutzes. Wer weiß, ob er der Letzte gewesen ist, der persönliche Konsequenzen aus den großen Versäumnissen zieht.
Der für uns alle niederschmetternde Befund ist, dass es eine ganze Kette von Fehlern und Nachlässigkeiten gegeben hat, die dazu geführt haben, dass die Täter so lange unbemerkt geblieben sind. Vieles ist in der Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden gewiss schiefgelaufen. Das ist und war wahrlich kein Ruhmesblatt für unser föderalistisches System, zumindest in diesem Bereich, sondern es deckt vielmehr empfindliche Schwächen auf. Haben die Länder mehr nebeneinander her als miteinander ermittelt und gearbeitet? Inwieweit haben Polizei und Verfassungsschutz ihre jeweils eigenen Ermittlungsergebnisse für sich behalten? Hat jeder nur seine eigenen Quellen verfolgt und voreinander geschützt? Welche Rolle haben Informanten, Profiler und V-Leute gespielt? Wie geeignet sind diese Instrumente, die schon mehrfach hinterfragt wurden und immerhin dazu geführt haben, dass ein Verfassungsprozess gegen die NPD gescheitert ist?
Diese Fragen gilt es in den nächsten Wochen und Monaten zu beantworten. Arbeitsabläufe der involvierten bayerischen Sicherheitsbehörden müssen auf den Prüfstand. Wenn es um die Sicherheit unserer Bürger geht, bestehen eine unbedingte Kooperationspflicht für unsere Behörden und ein uneingeschränktes Koordinationsgebot für die Bundesländer. Das Vertrauen der Bevölkerung, insbesondere das der Migranten, und das Zusammenspiel unserer Sicherheitsbehörden scheinen nachhaltig beeinträchtigt zu sein, wie mehrere Studien zum Vorschein gebracht haben. Hier gilt es, durch tatkräftige Aufklärung und gegebenenfalls durch Nachsteuern Vertrauen zurückzugewinnen.
Wir stehen heute hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Wir wollen damit einen Überblick bekommen, was in Bayern konkret im Rahmen seines Verantwortungsbereichs passiert ist. Wir müssen dabei Sachverhaltsaufklärung betreiben. Die Fehler, die gemacht worden sind, sind nach meiner Einschätzung kein Zufall, sondern zumindest teilweise systemisch bedingt. Wie kann es passieren, dass der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein - hier sitzt er - scheinbar ein instinktsichereres Bauchgefühl entwickelt und sogar formuliert hat als seine für die Aufklärung zuständigen und erfahrenen Beamten? Wie kann es sein, dass er ein besseres Gespür entwickelt hat als die größte Sonderkommission, die Bayern jemals gesehen hat? Warum wurde die Spur in die rechtsextremistische Szene nicht weiterverfolgt? Warum waren die Profiler beim Täterprofil so nahe dran und von der Aufklärung doch so weit weg? Warum haben die Sicherheitsbehörden das alle Taten verbindende Motiv des Rechtsextremismus’ übersehen?
Die Aufgabe des Untersuchungsausschusses wird es sein, die Schwachstellen zu finden und sie konkret zu benennen. Wenn es notwendig sein sollte, werden wir Vorschläge dafür erarbeiten, wie die Sicherheitsarchitektur in Bayern verändert werden muss, damit sich solche Vorgänge niemals wiederholen können bzw. nach bestem Wissen und Gewissen ausgeschlossen werden können. Diese Anstrengungen sind wir unserer Bevölkerung schuldig.
Der Rechtsextremismus hat sich scheinbar in einige Nischen unserer Gesellschaft eingeschlichen. Er ist eine Ideologie, die unsere demokratische, freiheitliche und pluralistische Gesellschaft unterwandern möchte. Wir alle müssen - dazu kann dieser Ausschuss auch beitragen - dieser Ideologie klar und entschlossen entgegentreten, jeder Einzelne und der Ausschuss zusammen. Demokratie, so stark und selbstverständlich sie uns und gerade auch den Jüngeren unserer Gesellschaft scheinen mag, ist verletzlich. Sie ist schleichenden Veränderungen gewollt oder ungewollt unterworfen. Sie muss von jeder Generation aktiv gehegt, neu gesichert und beschützt werden. Ich wünsche mir, dass der Untersuchungsausschuss, den wir heute gemeinsam einsetzen, ein wenig dazu beitragen wird, das gesellschaftliche Bewusstsein für die immer noch lauernden Gefahren radikaler Umtriebe zu schärfen. Wenn wir hierbei nur ein klein wenig weiterkommen, ist viel erreicht.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schreckliche Mordserie, bei der zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen regelrecht hingerichtet wurden, hat unser Land in mehrfacher Hinsicht erschüttert. Die Täter der Neonazizelle konnten über viele Jahre unbehelligt agieren. Sie konnten unentdeckt neun Migranten und eine Polizistin ermorden, davon fünf Menschen allein in Bayern. Die Ermittlungsbehörden verfolgten bis zum Tod der beiden Haupttäter Mundlos und Böhnhardt falsche Spuren. Für sie lagen die organisierte Kriminalität, die Ausländerkriminalität oder auch Beziehungstaten nahe. Die türkisch- bzw. griechischstämmigen Opfer wurden dem kriminellen Milieu zugeordnet. Gegen Angehörige wurden zum Teil Ermittlungsverfahren durchgeführt. Ein als Journalist getarnter verdeckter Ermittler wurde auf Angehörige angesetzt, um die sogenannte Mauer des Schweigens zu brechen. Bei der offiziellen Trauerfeier und verschiedenen Gesprächen und Interviews haben einzelne Angehörige eindrucksvoll geschildert, wie hart die Zeit für sie gewesen sein muss. Nicht nur den Ehemann, Vater oder Bruder haben sie auf grausame Weise verloren, sie wurden auch selbst kriminalisiert und stigmatisiert.