Protokoll der Sitzung vom 25.10.2012

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜ- NE))

- Okay, Sepp Dürr, dich nehmen wir großzügig mit dazu.

Meine Damen und Herren, der Bayerische Rundfunk ist eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, die mit bayerischen Steuergeldern finanziert wird.

(Julika Sandt (FDP): Steuergelder? GEZ, hallo? Staatsferne des Rundfunks!)

- Das ist so schön, wenn meine Kollegin mir mal so richtig inhaltsvoll dazwischenruft.

(Julika Sandt (FDP): Wir haben das Thema gleich noch mal!)

Der Bayerische Rundfunk kann hier Vorbildfunktion leisten, indem er ordentliche Arbeitsverträge anbietet, den Haustarif anerkennt und nicht Firmen als Subunternehmer nimmt, die unsoziale Arbeitsverträge haben.

(Volkmar Halbleib (SPD): Da kann die CSU einmal beim Rundfunk anrufen! - Julika Sandt (FDP): Die SPD ruft da an!)

- Alles wird gut, Frau Sandt, auch für Sie.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sozialdemokratische Kulturverständnis ist Folgendes: Zu einem Kulturstaat gehört es, dass er sich um die Bedingungen von Kunstproduktion und Kreativität kümmert. Für den einzelnen Künstler und Kunstschaffenden ist es von existenzieller Bedeutung, wie er seine Arbeitsverhältnisse gestalten kann, wie es um seine soziale Absicherung steht und wie die Bedingungen für seinen künstlerischen Erfolg sind. Der Zugang zu Kulturinstitutionen und Kunstmärkten ist eine Job-Perspektive für Künstlerinnen und Künstler und somit ganz, ganz wichtig. Das Bild des armen Poeten zeigt den Inbegriff des prekär beschäftigten Kreativen, der am Rande der Selbstausbeutung arbeitet. Das widerspricht fundamental der Vorstellung von sozialer Demokratie und den Grundwerten von Gerechtigkeit und Solidarität.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜ- NEN)

Vielen Dank. Ehe ich in der Aussprache fortfahre, darf ich noch das Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung zum Gesetzentwurf 16/12191 der Staatsregierung zur Änderung des Unschädlichkeitszeugnisgesetzes bekannt geben: Mit Ja haben 134 gestimmt, Nein-Stimmen gab es keine, Stimmenthaltungen auch keine.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Damit ist das Gesetz angenommen. Es hat den Titel: "Gesetz zur Änderung des Unschädlichkeitszeugnisgesetzes".

Mit der Annahme des Gesetzentwurfs in der soeben beschlossenen Fassung hat der Änderungsantrag auf Drucksache 16/13959 seine Erledigung gefunden.

Ich fahre in der Aussprache fort. Für die Fraktion der FREIEN WÄHLER hat Herr Kollege Professor Dr. Piazolo das Wort. - Bitte schön, Herr Kollege.

Danke schön. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Vorlesung beim Jesuitenkolleg hier in der Kaulbachstraße. Die Vorlesung war immer samstagvormittags. Das Thema war "Nietzsche". Der eigens aus Frankfurt anreisende Jesuit, Herr Professor Splett, sagte immer: "Nur aus großem Leid entsteht große Kunst". Er meinte das auf Nietzsche bezogen physisch und psychisch.

Ich habe diesen Satz schon damals infrage gestellt, weil man weiß, dass Nietzsche häufiger in Sils Maria, im Oberengadin weilte. Die Frage stellt sich, wie groß das Leid ist, wenn man an diesem Ort ist. Professor Splett fügte in der Vorlesung noch hinzu: "Wie können wir als Konsumenten dankbar sein, dass für uns gelitten wurde und diese große Kunst entstanden ist."

Ich glaube, Kunst kann auch aus großer Freude und großem Engagement entstehen. Daher ist das gewiss auch ein Ziel. Die "brotlose Kunst" ist sicherlich nicht das, was wir als Staatsziel wollen. Meines Erachtens ist es aber beinahe ein Archetypus, dass Kunst häufig mit Armut verbunden wird. Vielleicht tun wir uns manchmal deshalb leicht damit, das zu ertragen - leider.

Ich will nur drei Beispiele nennen. Mit das bekannteste ist Mozart, wenn man an die grandiose Inszenierung des Mozart-Films von Milos Forman denkt. Der Sarg des von Gott geliebten Amadeus rattert am Schluss in einer Kutsche zur Melodie des Requiems Lacrimosa, die er selbst komponiert hat, in Richtung Armengrab. Dort wird er hineingeschüttet. Dann kommt noch Kalk darauf, und das ist es. - Das ist einer der Archetypen Kunst.

Das zweite Beispiel stammt aus einem Jahrhundert später: das berühmte Bild von Spitzweg, "Der arme Poet". Sepp Dürr weiß es wahrscheinlich, Spitzweg wurde in der Gegend von Germering geboren.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Unterpfaffenhofen!)

- In Unterpfaffenhofen, genau. Also insofern war er ein Germeringer. Er hat nicht nur den armen Poeten gemalt, sondern auch das Bild "Der Bettelmusikant". Das ist ein Bild, das uns bei Kunst häufig vor Augen schwebt. Später hing es in vielen Wohnstuben, ganz besonders schlimm: gestickt im Rahmen - der arme Poet. Dieses Bild begleitet uns häufig.

Drittes Beispiel. Denken Sie an die Oper "La Traviata", Violetta, Blut spuckend. Ob sie Künstlerin, Kurtisane, Tänzerin war, weiß man nicht. In der Pause oder am Ende sitzt man dann im Operncafé bei Vanilleeis mit heißen Himbeeren und sagt: traurig, aber schön gestorben.

Ich glaube nicht, dass das die Quintessenz der Lage der Künstlerinnen und Künstler in Deutschland und Bayern sein sollte.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der SPD)

Vielen Dank an die GRÜNEN, an Sepp Dürr, für die Interpellation. In dem Land der Dichter und Denker sollten wir uns Gedanken über Kunst und Künstler machen.

Ehe ich Kritik an der Staatsregierung übe - natürlich nur in ganz bescheidenem Maße, das war Ironie, es ist immer schwierig, das im Protokoll auszudrücken -, will ich darauf hinweisen, es ist auch von Kollegen Goppel erwähnt worden: Es ist nicht so, dass der Kunst- und Kulturstandort Bayern schlecht ist. Das will ich ganz deutlich sagen. Sehr Vieles funktioniert sehr gut, aber nicht alles auch wegen der Staatsregierung.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Das liegt in erster Linie an den Künstlerinnen und Künstlern und dem, was über Jahrhunderte erarbeitet worden ist. Insofern können wir uns in Bayern sicherlich glücklich schätzen für das, was an Kunst und Kultur vorhanden ist.

Doch nun zum Bericht der Staatsregierung. Der Erkenntniswert hält sich in Grenzen. Es ist sicherlich artig und akkurat abgearbeitet; aber die Chance wurde verspielt, ein Konzept vorzulegen. Ich möchte aus dem Bericht zitieren. Bei der Definition von Kunst schreibt die Staatsregierung: "Kunst ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck". Ich hatte den Eindruck, die Beantwortung der Interpellation war auch primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und des Ab- geordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Der Inhalt ist sehr bescheiden gewesen. Die statistischen Daten - ich will gar nicht darauf eingehen, Herr Kollege Dürr hat es getan - sind wenig aussagekräftig. Es ist wie bei mancher Anfrage: so viel wie unbedingt nötig, aber auch nicht so viel wie möglich. Ich glaube, manchmal herrscht die Auffassung - das merkt man -, je mehr wir bieten, desto mehr bieten wir Ansatzpunkte für Kritik; die wollen wir der Opposition nach Möglichkeit nicht geben.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass Künstler und Künstlerinnen bei uns etwas vernischt, verräumt werden, dass Kunst nicht das große Thema ist, wie wir vielleicht auch an der Debatte merken. Im besten Fall ist es gehypt. Vielleicht ist das etwas zugespitzt, aber wenn man heute in Bayern fragt, wer sich für die Förderung junger Künstler einsetzt, dann fällt leider der Name "Dieter Bohlen" häufiger als der des Kunstministers.

(Zuruf des Staatsministers Dr. Wolfgang Heu- bisch - Tobias Thalhammer (FDP): Und gar nicht fällt der Name "FREIE WÄHLER"! - Heiterkeit bei Abgeordneten der FREIEN WÄHLER)

- Ich sage das zugespitzt, Herr Minister. Ich möchte Sie auch nicht vergleichen. Ich wollte nur auf das Problem hinweisen, dass viele junge Künstler ihre Chance eher in zweifelhaften Fernsehsendungen suchen als in der Beratung durch die Staatsregierung. Das sollte man sich schon einmal durch den Kopf gehen lassen.

Ich will ein paar allgemeine Forderungen und Überlegungen der FREIEN WÄHLER vorstellen:

Die Erste. Es ist uns ganz wichtig, dass nicht nur Leuchttürme gefördert werden. Ich glaube, darin sind wir uns einig. Bayern ist mit Kulturdenkmälern und mit Kunst gesegnet. Aber nicht nur das, was da ist und leuchtet, sollte gefördert werden; denn es besteht die Gefahr, dass über zu hell strahlenden Leuchttürmen die wertvollen Glühwürmchen übersehen werden. Glühwürmchen haben ebenso ihre Berechtigung und sollten gefördert werden, um zu einem großen Glühwürmchen - jetzt wird das Bild etwas problematisch, denn Glühwürmchen haben eine begrenzte Strahlkraft - zu werden. Wir sollten uns diejenigen sorgfältig anschauen, die erst noch zu einem großen Künstler werden können, und sie fördern.

Zweite Forderung, vielleicht auch zugespitzt formuliert: Mensch vor Beton. Nehmen wir den einzelnen Menschen, den Künstler in den Fokus. Das ist unser Anliegen. Nicht der Bau darf im Vordergrund stehen. In den Debatten der vergangenen Jahre haben wir sehr viel über Bauten geredet. Ich sage selbst, dass ich Vieles davon begrüßt habe. Ich bin kein Gegner

eines neuen Konzertsaals in München; das ist ein wichtiges Thema. Ich bin auch kein Gegner neuer Museen. Ich möchte aber, dass zunächst die vorhandenen erhalten bleiben und gefördert werden. Natürlich ist es hübscher, wenn man ein Band durchschneiden kann und wenn neu gebaut wird. Das ist auch auffälliger, als wenn es vielleicht um die Förderung des einzelnen Künstlers geht. Ich möchte aber ganz deutlich sagen: Die schönste Hülle nützt nichts ohne den Inhalt. Daher sollte der Fokus aus meiner Sicht darauf gerichtet werden.

Dritte Forderung: Bildung, Beratung, Broterwerb. Hierzu ist schon viel gesagt worden; ich möchte aber noch ein paar Akzente setzen.

Bildung. Es ist durchaus wichtig, junge Talente frühzeitig zu fördern, sich aber auch in der Schule und später in der Hochschule die Zeit für Kunst und Kultur zu nehmen. Angesichts von G 8 und Bologna-Reform wird diese Zeit kürzer. Deshalb muss man sich darum besonders bemühen.

Ich erinnere mich persönlich an ein Erlebnis im Gymnasium. Dorthin wurde Claus Peymann, ein Regisseur, den meisten hier sicherlich bekannt, zu einer Zwei-Stunden-Diskussion eingeladen. Daran erinnert man sich noch nach dreißig Jahren - leider sind es wahrscheinlich schon mehr als dreißig Jahre -, das bleibt im Gedächtnis. Zeitzeugen, aber auch Künstler, die ich jetzt nicht als Zeitzeugen sehen möchte, können jungen Menschen deutlich machen, wohin es bei der Beschäftigung mit Kunst gehen kann.

Zur Beratung nur einige wenige Stichworte. Erstens geht es um Transparenz. Ich denke, vielen Künstlern ist eben nicht bekannt, was es schon gibt. Es ist ja einiges vorhanden, nur, der Künstler an sich ist vielleicht im Gegensatz zum mittelständischen Unternehmer nicht immer sehr geschickt darin, jede Beratungsmöglichkeit auszunützen. Zweitens geht es - das fordern wir auch schon seit Längerem - um mehr unabhängige Experten, die nachvollziehbar entscheiden, was in der Kultur gefördert wird und was nicht.

Zum Broterwerb will ich gar nicht viel erläutern. Dazu ist von meinen Vorrednern schon sehr viel gesagt worden. Dies gilt auch für die Künstlersozialversicherung. Man muss darüber nachdenken, wie man die Geringverdiener besser schützen, wie man sie einbinden kann. Es gibt sehr viele prekäre Existenzen. Insoweit wäre wichtig, mehr Datenmaterial zu haben, mehr zu erfassen, mehr Einzelberatung zu ermöglichen.

Viertens wird ein Konzept gefordert. Herr Minister, wir haben im Hochschulausschuss schon häufiger darü

ber geredet. Es wäre schön, eine kulturelle Leitlinie zu haben. Das bedeutet nicht Planwirtschaft, das bedeutet keine Ideologie. Aber an die FDP gerichtet sage ich: Freiheit bedeutet auch nicht Konzeptlosigkeit. Ein Konzept sollte schon vorhanden sein.

(Julika Sandt (FDP): Das haben wir!)

Hierzu erlaube ich mir eine kleine Randbemerkung, vielleicht auch als Hilfestellung im Wahlkampf, zum neuen Wahlplakat der FDP, das in München zum Thema "Studierende" aushängt. Früher hieß es: Gelb ist der größte Kontrast zu Schwarz. Heute haben wir das Zusammenspiel. Aber schauen Sie sich das Plakat einmal genau an und fragen Sie Ihre Agentur. Die Bildsprache ist ein wenig problematisch. Oben in der Ecke sind drei Räder abgebildet, zwei schwarze Räder und in der Mitte ein gelbes Rädchen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das zermalmt wird!)

- Nein, es wird nicht zermalmt. Das Problem ist: Die schwarzen Räder befinden sich am Rand; bei ihnen kann man sich noch vorstellen, dass es einen Antrieb gibt; beim gelben Rad ist kein Antrieb.