Protokoll der Sitzung vom 06.11.2012

Insofern hat sich der Antrag - teilweise zumindest - erledigt.

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag wollten wir erreichen, dass sich die Staatsregierung auf Bundesebene für Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deut

schen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten einsetzen soll.

Die Verfolgung Homosexueller hat in der Zeit des Nationalsozialismus sicherlich ihren Höhepunkt erreicht. Mit Gesetz vom August 1935 wurde der Anwendungsbereich des § 175 des Reichsstrafgesetzbuches ausgeweitet und der Strafrahmen ganz erheblich verschärft. Zur Begründung hieß es damals, dass der "neue Staat, der ein an Zahl und Kraft starkes, sittlich gesundes Volk" erstrebe, "allem widernatürlichen geschlechtlichen Treiben mit Nachdruck begegnen" müsse. Die Ausbreitung der "Seuche" Homosexualität sollte verhindert werden.

Die Folge war, dass zwischen 1935 und 1945 Zigtausend Männer nach den §§ 175 und 175 a Nummer 4 des Reichsstrafgesetzbuches verurteilt worden sind. Tausende sind wegen ihrer Homosexualität in KZs verschleppt worden; die Mehrzahl von ihnen ist ermordet worden. Mit Gesetz vom Juli 2002 hat der Bundestag pauschal all diejenigen Urteile aufgehoben, die unter nationalsozialistischer Herrschaft nach den §§ 175 und 175a ergangen sind.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eigentlich ein anderes Problem, dass nämlich die genannten Vorschriften in der Bundesrepublik bis ins Jahr 1969 weiter gegolten haben. In der BRD galt die verschärfte Gesetzgebung bis zur großen Strafrechtsreform weiter. Bis zur endgültigen Abschaffung des § 175 des Strafgesetzbuches erst im Mai 1994 bestanden unterschiedliche strafrechtliche Schutzaltersgrenzen für homo- und heterosexuelle Handlungen. In der BRD sind bis zur Strafrechtsreform angeblich circa 50.000 Männer wegen ihrer Homosexualität verurteilt worden.

Und nun haben wir das Problem, dass diejenigen, die im Nationalsozialismus nach den damaligen Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuches verurteilt worden sind, rehabilitiert worden sind und unter Umständen ein Recht auf materielle Entschädigung durch die Bundesrepublik als Nachfolgestaat haben und dass diejenigen, die später in der BRD oder in den Anfangsjahren auch in der DDR wegen der identisch gefassten Strafrechtsbestimmungen verurteilt worden sind, bis heute nicht rehabilitiert worden sind und keine Haftentschädigung geltend machen können.

Mit dem vorliegenden Antrag hat die SPD-Landtagsfraktion deshalb die Initiative des Landes Berlin aufgegriffen, um endlich Maßnahmen zur Rehabilitierung des betroffenen Personenkreises zu prüfen.

Der Bundesrat hat, wie bereits eingangs gesagt, nun am 12. Oktober unter der Präsidentschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten ohne Aussprache eine

entsprechende Entschließung gefasst, die wörtlich wie folgt lautet:

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen.

Die Staatsregierung hat, wie ich gehört habe, im Bundesrat dagegen gestimmt, sodass man doch die Frage stellen muss: Warum hat sie denn dagegen gestimmt, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, Maßnahmen vorzuschlagen? Das gibt doch nur dann Sinn, wenn man nicht will, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen werden,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

weil einem das Ergebnis nicht passt, weil man also auch das Problem der unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Personenkreise von 1933 bis 1945 und von 1945 bis 1969 offensichtlich nicht als Problem anerkennen will.

Ich kenne die Argumentation, dass man Urteile, die in der Bundesrepublik Deutschland gefällt worden sind, in einem Rechtsstaat unter der Geltung der Gewaltenteilung, nicht so mir nichts, dir nichts aufheben kann. Das weiß ich wohl.

(Alexander König (CSU): Sehr gut! - Dr. Andreas Fischer (FDP): Sehr gut!)

Das ist auch in dem Antrag des Landes Berlin und in der Begründung der Entschließung des Bundesrates beschrieben worden. Aber darum geht es nicht! Das ist nicht Inhalt und Forderung der Entschließung, sondern es geht nur darum, Maßnahmen vorzuschlagen, und wer dagegen ist, muss das gut begründen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. Als Nächster hat Kollege Dr. Franz Rieger von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Kürzlich berichtete eine große deutsche Tageszeitung unter der Überschrift "Ehe für alle - Frankreichs Präsident will Homosexuellen das Heiraten erlauben", dass es dort große Widerstände gegen ein solches Gesetzesvorhaben gibt. In 75 Städten kam es daraufhin zu Demonstrationen, und viele Bürgermeister kündigten an, unter Berufung auf ihre Gewissensfreiheit eine

Eheschließung zwischen Homosexuellen zu verweigern.

Dieses aktuelle Beispiel zeigt zunächst, welche großen Emotionen dieses Thema weckt. Es führt uns aber gleichzeitig und insbesondere vor Augen, welchem gesellschaftlichen Wandel die Beurteilung unserer Lebensformen unterliegt und wie groß heute noch die Unterschiede in deren Beurteilung sind.

Dagegen geht es beim vorliegenden Antrag um die Beurteilung der Vergangenheit, das heißt um die Bewertung ex post aus heutiger Sicht von Strafurteilen, wie es der Kollege Schindler schon ausgeführt hat, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesprochen wurden.

Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 2002 die Urteile in dieser Sache, die unter nationalsozialistischer Herrschaft gefällt wurden, aufgehoben. Dadurch ist die unbefriedigende Situation entstanden, dass nur die nach 1945 ausgesprochenen Urteile Bestand haben. Ohne Zweifel werden damit die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen vor 1945 Verurteilten und die nach 1945 Verurteilten ungleich behandelt.

Aus heutiger gesellschaftlicher und moralischer Sicht sind auch die Verurteilungen nach 1945, also bereits während der Geltung des Grundgesetzes, aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar und entsprechen auch nicht unserem Rechtsverständnis.

Deshalb drängt sich natürlich nun die Frage nach Rehabilitierung dieser nach 1945 Verurteilten auf.

(Margarete Bause (GRÜNE): Genau!)

Wie schwierig solche Fragen schon heute zu beantworten sind, zeigt das eingangs erwähnte Beispiel aus Frankreich.

(Zuruf der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

Noch viel schwieriger, meine Damen und Herren, sind aber Fragen nach der Beurteilung von Sachverhalten, die 40 Jahre und länger zurückliegen, zu beantworten nach Maßstäben, denen unsere heutigen Wertvorstellungen zugrunde liegen. Möglicherweise werden auch wir Fragen zum Beispiel im Zusammenhang mit Sanktionen nach § 218 Strafgesetzbuch in zehn, 20, 30 oder 40 Jahren ganz anders beantworten als heute.

Unabhängig von diesen Schwierigkeiten ist hier aber entscheidend, dass eine weitere Rehabilitierung der nach 1945 Verurteilten aus rechtlichen und tatsächli

chen Gründen nicht möglich ist, da der Gesetzgeber und auch wir - das ihm bzw. uns Mögliche bereits getan hat bzw. haben. Bereits vor über 40 Jahren wurden die entsprechenden Strafgesetze aufgehoben. Im Jahre 2000 hat der Deutsche Bundestag einstimmig, mit den Stimmen aller Fraktionen, klar sein Bedauern über dieses Unrecht zum Ausdruck gebracht und festgestellt, dass diese Verurteilungen gegen die Menschenrechte verstoßen haben. Und nun, vor Kurzem, Mitte Oktober, hat der Bundesrat ebenfalls eine entsprechende Resolution gefasst.

Meine Damen und Herren, auch wenn diese Verurteilungen aus heutiger Sicht - das betone ich - nicht nachvollziehbar sind, sind der Legislative und damit auch uns die Hände gebunden, mehr zu tun als das, was wir bzw. der Bundestag und der Bundesrat bereits getan haben.

(Zuruf der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

Der Gesetzgeber kann insbesondere nicht Urteile aufheben, die auf Gesetzen beruhen, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung im Jahre 1957 als verfassungskonform erachtet hat. Mit der Aufhebung von gerichtlichen Entscheidungen,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

die bereits während der Geltung unseres Grundgesetzes gefällt wurden, würden der Gesetzgeber und damit auch wir gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in einer Entscheidung im Jahre 2006 ausdrücklich festgestellt, dass Urteile, die in einem Unrechtsregime gefällt wurden, also damals im nationalsozialistischen Reich, ausnahmsweise vom Gesetzgeber aufgehoben werden dürfen; gleichzeitig aber betont: "Für den Rechtsstaat seit 1945 ist eine Aufhebung von Urteilen und Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips und damit auch der streitgegenständlichen Urteile nicht möglich."

Meine Damen und Herren, man kann deshalb das Rad der Zeit im vorliegenden Fall nicht zurückdrehen, auch wenn es moralisch wünschenswert wäre. Wir müssen hier, wie so oft, mit unserer Vergangenheit leben und wir werden diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FDP)

Als Nächster hat Herr Kollege Bernhard Pohl von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Rieger, heute geht es nicht um eine gesellschaftliche Bewertung der Homosexualität. Deswegen trifft das Beispiel Frankreich, das Sie gebracht haben, nicht den Kern der Debatte, die wir führen. Wir sind uns alle darüber einig, dass der § 175 des Strafgesetzbuchs nicht mehr in die heutige Zeit passt. Auf der anderen Seite muss ich schon sagen, dass ich es bedenklich finde, wenn man einen Gleichheitssatz auf die Zeit des Nationalsozialismus und auf die Zeit nach 1945 legt und sagt: Im Dritten Reich wurden Menschen wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt; und diese werden rehabilitiert; diejenigen aber, die in der Bundesrepublik deswegen verurteilt wurden, werden nicht rehabilitiert.

Es gibt einen Unterschied. Ich meine, dass wir diesen Unterschied alle kennen sollten. Das Dritte Reich war ein Unrechtsregime, während die Bundesrepublik ein Rechtsstaat ist. Ich muss schon sagen: Ich kann nicht nachvollziehen, dass man, egal um welche Gesetze es geht, Urteile, die bundesdeutsche Gerichte auf der Basis geltenden Rechts getroffen haben, dadurch infrage stellt, dass man die Verurteilten rehabilitieren will. Wir haben in diesem Haus auch Richter, gerade in Ihrer Fraktion - Kollege Arnold, Kollege Wengert. Was hätten die in einem derartigen Fall tun sollen? Sie hätten nach Recht und Gesetz urteilen müssen oder nach Artikel 100 des Grundgesetzes eine Richtervorlage beim Bundesverfassungsgericht einreichen müssen, um prüfen zu lassen, ob die Vorschrift gegen geltendes Recht, sprich gegen das Grundgesetz verstößt.

Wenn Sie sagen, dass der § 175 des Strafgesetzbuchs in der bis 1994 geltenden Fassung gegen das Grundgesetz verstößt, frage ich mich: Warum haben zig Regierungen, zig Parlamente nicht reagiert und diese Vorschrift vor 1994 aufgehoben? Es gab eine Regierung Adenauer, es gab andere CDU-geführte Regierungen, es gab SPD-Regierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. Keine dieser Regierungen, kein Bundestag hat es für notwendig gehalten, diese Vorschrift aufzuheben. Als Parlament kann man daher nicht sagen: Weil der Bundestag dies für richtig gehalten hat, sollen wir jetzt diejenigen rehabilitieren, die aufgrund des Rechts verurteilt worden sind, das der Bundestag in seiner freien Rechtsetzung so beschlossen bzw. nicht geändert hat.

Wir müssen uns an dieser Stelle schützend vor jemand anderen stellen, nämlich vor unsere Justiz. Wir können mit der Justiz nicht spielen; wir können sie nicht zum Spielball der Politik machen. Wenn, dann müssen Sie Ihren Antrag gegen die Bundestage bis 1994 richten. Klagen Sie diese an, warum sie den

§ 175 des Strafgesetzbuchs nicht aufgehoben haben. Sie wollen aber eine Rehabilitierung. Ich muss dazu sagen: Sie könnten auch auf die Idee kommen zu sagen: Es passt nicht mehr in die heutige Zeit, dass es einmal eine Strafbarkeit der Kuppelei oder des Ehebruchs gegeben hat. Auch das war einmal strafbar. Ich glaube, dass heute kein vernünftiger Mensch mehr auf die Idee kommen würde, dies wieder einzuführen. Weitere gesetzliche Vorschriften haben damals noch gegolten, zum Beispiel der Stichentscheid des Vaters bei der Kindererziehung. Bis 1975 hatte, wenn sich die Ehepartner nicht einigen konnten, der Vater den Stichentscheid und durfte darüber entscheiden, was zum Wohle des Kindes gut ist. Das war übrigens eklatant verfassungswidrig, und das hat das Bundesverfassungsgericht auch aufgehoben.

Ich meine also, abgeschlossene Vorgänge in einem demokratischen Rechtsstaat sind abgeschlossene Vorgänge. Dinge, die in einer Diktatur passiert sind, sind zu reparieren und mit ganz anderen Maßstäben zu messen. Schon aufgrund des Respekts, den wir denjenigen zollen, die in einer Diktatur verurteilt worden sind, schon aus diesem Grund müssen wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Als Nächste hat Frau Kollegin Claudia Stamm vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Sehr geschätzter Kollege Schindler, am Schluss Ihres Redebeitrags haben Sie selbst dargelegt, warum es sinnvoll war, den Antrag hochzuziehen. Das, was im Bundesrat passiert ist, ist nämlich sehr erklärungsbedürftig. Vorschläge zu Maßnahmen wurden abgelehnt. Abgesehen davon gilt: Wenn die SPD gute Anträge stellt, ziehen wir sie auch gerne hoch, weil wir ja ab nächsten Herbst hier zusammen regieren wollen.

(Lachen bei der CSU)