Verehrter Herr Unterländer, Sie haben bei den Verhandlungen im Sozialausschuss gesagt, das BayKiBiG biete eine bedarfsgerechte und zielgenaue Finanzierung. Darin muss ich Ihnen auch heute und hier ganz klar widersprechen. Es hat sich doch gezeigt, dass durch die schwankende Finanzierung überhaupt keine Planungssicherheit für die Einrichtungen gegeben ist. Die flexiblen Buchungszeiten führen zu instabilen Anstellungsverhältnissen und bescheren Erzieherinnen und Erziehern immer mehr Teilzeit- und befristete Verträge.
Meine Damen und Herren, wir sind uns doch einig, dass Eltern in der heutigen Zeit längst keinen klassischen Aufbewahrungsort für ihre Kleinsten suchen, sondern besonderen Wert auf pädagogische Konzepte legen. Die Eltern fordern Spracherziehung, ein Fremdsprachenangebot, musikalische Früherziehung und Umwelterziehung. Sie wollen Anregungen im MINT-Bereich und in der Suchtprävention und vieles, vieles andere mehr. Die Anforderungen an die Erzieherinnen und Erzieher wachsen, wachsen und wachsen. Mit anderen Worten: Wir entfernen uns immer mehr vom Betreuungsgedanken hin zu einem Bildungsaspekt. Das ist auch gut so. Unterschiedlichste Studien beweisen es immer wieder, dass frühkindliche Bildung auch und gerade für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Element ist, um Chancengleichheit in der Bildung zu schaffen.
Damit das aber auch funktioniert, brauchen wir natürlich die richtigen Rahmenbedingungen. Apropos Bildung: Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung wird in diesem Hause sehr gerne betont, gerade von unseren Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die nicht
müde werden, vor jeder Kamera zu beteuern, wie wichtig die frühkindliche Bildung doch sei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sie ist sogar so wichtig, dass sie der FDP das schlagende Argument liefert, warum man die Studiengebühren auf gar keinen Fall abschaffen kann.
(Tobias Thalhammer (FDP): Sie stehen vor noch mehr Kameras! - Thomas Hacker (FDP): Aber die Studienbeiträge wollen Sie trotzdem abschaffen!)
- Herr Kollege Thalhammer, ich darf einmal aus Ihrer Internetseite zitieren − nicht Ihrer persönlichen, sondern der der FDP: Die frühkindliche Bildung ist entscheidend. Dort ist der Bedarf an Investition viel dringender als bei Abiturienten. Ausbau von Krippenplätzen, beitragsfreies drittes Kindergartenjahr, mehr Qualität für die frühkindliche Bildung. Wir haben in Bayern viel erreicht. Ohne Studienbeiträge würden uns hierfür die Mittel fehlen.
(Thomas Hacker (FDP): Ja, bei den Krippenplätzen ein Anstieg von 8 auf 34 %! Kleinere Gruppen im Kindergarten! Mehr Lehrer in der Grundschule!)
- Hört, hört. Ich frage mich: Warum waren Sie denn bei der Novellierung des BayKibiG so zögerlich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der FDP?
(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN - Thomas Hacker (FDP): Das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr steht an!)
Von dem groß angekündigten Ausbau der frühkindlichen Bildung habe ich bis dato noch nicht sehr viel mitgekriegt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht.
(Thomas Hacker (FDP): Der Krippenausbau von 8 % auf 35 % ist an Ihnen vorbeigegangen, weil Sie sich offensichtlich nicht darum kümmern, wie es draußen in diesem Land ausschaut!)
Wir haben jedenfalls davon nichts mitbekommen. Mir drängt sich im Übrigen eher der Verdacht auf, dass Sie immer dann mit leeren Kassen argumentieren, wenn es Ihnen gerade in den Kram passt.
Zum Schluss möchte ich noch − so kurz und knapp es geht − auf die wichtigsten Forderungen der FREIEN WÄHLER eingehen, damit später keiner sagen kann, er habe davon noch nichts gehört, Herr Kollege Hacker. Statt heute ein lückenhaftes Gesetz zu verabschieden, wünschen wir uns den Beginn eines durch
dachten Diskussionsprozesses, in den Betroffene, Träger und Fachverbände von Anfang an aktiv einbezogen werden.
Wir fordern die Pauschalabrechnung der Elternbeitragserstattung; denn das Abrechnungsverfahren und die Rücküberweisung verursachen einen unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand. Die Differenz soll keinesfalls von den Kommunen zurückerstattet werden, sondern soll von ihnen eigenverantwortlich für die Qualitätsverbesserung der Kitas verwendet werden.
Wir brauchen eine gezielte Kita-Offensive zur Personalgewinnung, damit wir dem heute schon spürbaren Fachkräftemangel schnell und wirkungsvoll entgegenwirken können. Sowohl der Krippenausbau als auch die Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung drohen derzeit an einem Mangel an Erzieherinnen und Erziehern zu scheitern.
Wir fordern einen erhöhten Gewichtungsfaktor für Kinder mit einer nicht deutschen Muttersprache, auch wenn nur ein Elternteil eine andere Muttersprache als Deutsch hat.
Wir fordern neben der kindbezogenen Förderung eine staatliche Sockelfinanzierung zur Absicherung der Einrichtungen. Außerdem soll die Finanzierung den Verwaltungsaufwand, die Randzeitenbetreuung und die individuelle Familienbetreuung angemessen berücksichtigen. Sie sorgt zugleich bei Trägern und Personal für die dringend notwendige Planungssicherheit und trägt maßgeblich zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und damit auch zur Steigerung der Attraktivität des Erzieherberufes bei.
Wünschenswert wäre auch die staatliche Förderung der Vergütung von Erzieherpraktikanten und −praktikantinnen. Damit könnte eine gerechte Entlohnung für die Praktikanten und ein verbesserter Zugang zu den Praxisstellen erreicht werden.
Wir plädieren auch für die Einführung eines Gewichtungsfaktors für sogenannte Risikokinder. Der höhere Betreuungsaufwand bei Kindern, bei denen beispielsweise ADS oder ADHS diagnostiziert ist, muss endlich durch die Einführung eines eigenen Gewichtungsfaktors berücksichtigt werden.
Wir setzen uns auch nach wie vor vehement für die Erhöhung des Gewichtungsfaktors für Kinder unter drei Jahren ein; denn die Anhebung des Gewichtungsfaktors ist eine entscheidende Maßnahme auf dem Weg zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung.
Eine unserer wichtigsten Forderungen ist es aber, den vom Ministerium und von allen Fachkräften empfohle
nen Betreuungsschlüssel von 1 : 10 so schnell wie möglich zu verwirklichen. Obwohl das Ministerium einen Anstellungsschlüssel von 1 : 10 befürwortet und dieser auch im Bildungs- und Erziehungsplan festgeschrieben ist, ist in der Ausführungsverordnung zum BayKiBiG lediglich die Rede von einem Mindestanstellungsschlüssel von 1 : 11,5.
Okay. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann appelliere ich an dieser Stelle nur kurz an unsere Frau Sozialministerin, weil sie es sich zur Aufgabe gemacht hat − so hat sie es zumindest im November 2008 verkündet -: Nur wenn Qualität und Erziehungsarbeit stimmten, profitierten Familien wirklich. Sie werde einen Schwerpunkt ihrer Arbeit darauf legen, den Anstellungsschlüssel schrittweise auf 1 : 10 zu verbessern und die Fachkraftquote anzuheben. Ich weiß nicht, was sie sich für ein Schritttempo vorstellt. Ich hatte mir von einer starken, selbstbewussten Ministerin etwas anderes erhofft. Was wir in den vergangenen Monaten und Jahren erleben durften, gleicht eher dem Tempo einer verschüchterten kleinen Schnecke, die Angst vor dem nächsten Gewitterregen hat, der sie wegspülen wird.
Frau Kollegin Jung, Ihre Redezeit ist jetzt wirklich um. Vielen Dank, Frau Kollegin Jung. Die nächste Rednerin ist Frau Ackermann. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Geschichte des BayKiBiG ist die Geschichte eines Trauerspiels. Bevor der erste Entwurf vor sieben Jahren eingereicht wurde, gab es massive Kritik von Verbänden, die dazu hätte führen können, dass der Gesetzentwurf verbessert und gleich beim ersten Mal ein besserer eingereicht wird. Diese Chance hat die damalige, rein CSU-geführte Regierung verpasst. Danach gab es sechs Jahre lang
ein Sturmlaufen der Verbände und der Kirchenvertreter, die gesagt haben: Dieser Gesetzentwurf bringt Härten mit sich, die eine Bildung in der frühkindlichen Zeit nicht möglich machen bzw. ganz schwer behindern.
Das bedeutet: Sie hätten sechs Jahre lang Zeit gehabt, zu lernen und zu sagen: Hier liegen wir falsch, dort liegen wir falsch, und das machen wir jetzt besser. Dies wurde auch immer angekündigt. Sie haben gesagt, wir schauen uns das alles an. Wie die Herren und Damen Abgeordneten von der CSU immer zu sagen belieben: Wir nehmen es mit nach München. Das sagen Sie immer in Ihren Wahlkreisen, nicht wahr? Anscheinend ist aber in München nichts angekommen; denn der Gesetzentwurf ist immer noch genau derselbe wie vor sieben Jahren.
Ich frage mich: Was haben Sie aus all diesen Kritikpunkten gelernt? Was soll dieser zweite Gesetzentwurf, der deckungsgleich mit dem ersten ist? Sie haben Zeit vertan. Sie haben die Betroffenen hingehalten, und Sie haben nichts, aber auch gar nichts verändert. Soviel zum Verfahren.
Der zweite Gesetzentwurf wurde ewig lange angekündigt. Er wurde so lange angekündigt, dass die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN in der Zeit einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet, mit den Verbänden abgestimmt und hier in den Landtag eingebracht hat. Er wurde selbstverständlich im Landtag abgelehnt, wie das bei Oppositionsentwürfen so üblich ist. Der Gesetzentwurf der Regierung lag jedoch immer noch nicht vor. Wann lag er vor? − Im Juni. Im Juli sollte er dann schnell verabschiedet werden, damit das leidige Thema vom Tisch ist und man vor der Sommerpause vor diesen permanenten Kritikern Ruhe hätte. Das ist Ihnen Gott sei Dank nicht gelungen; denn aufgrund einer Initiative der GRÜNEN, die im Sozialausschuss einstimmig angenommen wurde, wurde im Oktober eine Anhörung durchgeführt. Diese Anhörung war natürlich eine erneute Chance, die Kritikpunkte aufzunehmen. In der Anhörung − das habe ich in Anhörungen selten erlebt − wurde dieses Gesetz von allen Verbänden einhellig abgelehnt; denn dieses Gesetz ist untauglich, und die Kritikpunkte der Verbände, Kirchen und Kommunen wurden nicht eingearbeitet.
Allein die Staatsregierung war davon völlig unbeeindruckt. Sie hat an ihrem unverändert schlechten Gesetzentwurf festgehalten. Viele Hundert Petenten haben en bloc 60.000 Unterschriften gegen dieses Gesetz überreicht. Ein Verbesserungsvorschlag der
Verbände und auch von Einzelpersonen war die Erhöhung des Basiswertes, weil der Basiswert keine Verfügungszeiten, Schwangerschaftsvertretungen und Elternarbeit zulässt. Was ist passiert? - Nichts. Sie haben den Basiswert erhöht, aber diese Erhöhung ist lächerlich. Herr Kollege Pfaffmann hat es vorhin vorgerechnet.
Angeregt wurde ferner eine Verbesserung des Anstellungsschlüssels auf 1 : 10. Was ist passiert? - Nichts. Sie haben den Anstellungsschlüssel auf 1 : 11 abgesenkt, und dafür lassen Sie sich feiern. Aber das ist deutlich zu hoch, um in den Gruppen eine pädagogisch wertvolle Arbeit leisten zu können.
Eine weitere Anregung ist die Erhöhung des Gewichtungsfaktors U 3, um in den Krippen eine bessere Qualität zu gewährleisten. Was ist passiert? - Nichts. Der Gewichtungsfaktor U 3 ist gleich geblieben. Sie sind gegenüber den Versuchen taub, in den Kinderkrippen die Qualität zu verbessern.
Des Weiteren ist es ungünstig, wenn der Förderfaktor 4,5 mit der Bewilligung der Eingliederungshilfe verquickt wird, weil bürokratische Hürden aufgebaut werden, da Kinder mit Behinderung beim Bezirk erst die Bescheinigung ihrer Behinderung beantragen müssen, bevor sie in der Kinderkrippe den höheren Gewichtungsfaktor bekommen. Jetzt haben Sie mit einem Änderungsantrag darauf reagiert, indem eine Schonfrist von sechs Monaten eingeräumt wird. Aber das reicht nicht aus; denn wir alle wissen, wie schnell die Mühlen unserer Bürokratie mahlen. Ich sage Ihnen jetzt schon: Sehr viele behinderte Kinder werden durch die Maschen fallen. Sie werden keinen erhöhten Gewichtungsfaktor bekommen, weil diese Koppelung stattfindet. Sie reagieren darauf nicht.
Eine weitere Anregung betrifft die Inklusion. Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention zur Inklusion unterzeichnet. Was passiert hierzu in diesem BayKiBiG? - Nichts. Sie haben anscheinend überhaupt nicht bemerkt, dass dies schon geltendes Recht ist. Sie beharren immer noch auf der Formulierung "Integrative Kindergärten", die natürlich "Inklusive Kindergärten" heißen müssten. Diese Kindergärten definieren sich dadurch, dass sie mindestens drei Kinder, höchstens aber ein Drittel Kinder mit Behinderung aufnehmen. Was ist das für ein Verständnis von Inklusion? Seit wann werden in der Inklusion behinderte Kinder gegen nicht behinderte Kinder aufgewogen? Hinter welchem Mond leben Sie denn? Merken Sie nicht, dass Sie auf dem völlig falschen Dampfer sind?
Ich könnte die Reihe der Beispiele für nicht aufgenommene Verbesserungsvorschläge beliebig fortsetzen, will es aber erst einmal dabei belassen. Ich sage Ihnen aber: Dieses Gesetz ist ein Rohrkrepierer und nicht zukunftsfähig. Ziehen Sie es am besten schnellstmöglich zurück und schädigen Sie Kinder, Eltern und Erzieher nicht länger mit diesem unausgegorenen Mist.