Protokoll der Sitzung vom 29.11.2012

(Zuruf von der CSU: Das ist unmöglich!)

Der Städtetag ist übrigens derselben Meinung.

(Renate Dodell (CSU): Was ist das für eine Sprache?)

- Das ist die Sprache, die dieses Gesetz verdient.

(Renate Dodell (CSU): Das ist unverschämt!)

Der Städtetag hat Sie aufgefordert, sich endlich um die Finanzierungsfragen zu kümmern und die Kommunen nicht im Regen stehen zu lassen. Der Städtetag erwägt meines Erachtens völlig zu Recht eine Klage gegen Sie und dieses Gesetz. Aber was machen Sie, wenn Sie sonst schon nichts machen? - Sie betreiben fröhlich Populismus, und zwar mit dem dritten kostenfreien Kindergartenjahr. Herzlichen Glückwunsch, Frau Ministerin! Qualität geht vor Kostenfreiheit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch wir wären dafür, alles kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Wir haben gar nichts dagegen einzuwenden. Die Bildung muss kostenfrei sein, aber nicht, solange die Qualität nicht verwirklicht ist. Dieses Ziel ist in diesem Gesetzentwurf noch lange nicht erreicht. Und solange das nicht erreicht ist, kann das letzte Kindergartenjahr nicht kostenfrei sein.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Im Übrigen ist es ein Treppenwitz der Weltgeschichte, weil die CSU-Fraktion − zumindest die Sozialpolitiker und Sozialpolitikerinnen der CSU, die anderen kennen es eh nicht − immer beteuert hat: Wir wollen das erste Kindergartenjahr kostenfrei stellen, um einen Anreiz dafür zu bieten, dass mehr Kinder früher in den Kindergarten kommen. Da stimmen wir Ihnen zu. Das war sowieso unsere Idee.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Aber was machen Sie jetzt? - Jetzt plädieren Sie plötzlich für die teilweise Kostenfreiheit des letzten Kindergartenjahres, entweder weil Ministerpräsident Seehofer wieder einmal seine Meinung vorschnell hinausposaunt oder die FDP nicht mitgespielt hat. Ich

weiß es nicht. Sie haben Ihre Überzeugungen verraten und sind obendrein populistisch.

(Zuruf der Abgeordneten Reserl Sem (CSU))

Dieser Gesetzentwurf ist eine Schande und belastet die frühkindliche Erziehung. Ziehen Sie ihn zurück und schweigen Sie künftig über diesen Fehltritt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist Frau Dr. Bulfon. Danach folgt die Frau Ministerin. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Bulfon.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat das Wichtigste vorweg: Das Wichtigste bei der Novelle des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes − BayKiBiG − ist der Einstieg in die Kostenfreiheit des letzten Kindergartenjahres.

(Beifall des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Die Gründe, die dafür sprechen, sind klar und liegen auf der Hand: Wir entlasten die Familien in der Mitte unserer Gesellschaft. Wir verteilen die Kosten für Kinder auf mehrere Schultern. Das ist gerade in unserer Zeit mit dem demografischen Wandel und der Überalterung unserer Gesellschaft von enormer Bedeutung.

(Beifall bei der FDP)

Eine Gesellschaft ohne Kinder ist eine Gesellschaft ohne Zukunft, und das wollen wir nicht.

Ich möchte hier einen zweiten wichtigen Grund anführen. Diese Beitragsfreiheit ist ein Signal, um die frühkindliche Bildung aufzuwerten. Das ist sehr wichtig; denn gerade der Nobelpreisträger James Heckman hat zum Beispiel festgestellt, dass sich Investitionen in die frühkindliche Bildung besonders auszahlen. Hierzu werde ich Ihnen noch ein paar Zahlen liefern. Anhand dieser Zahlen werden Sie sehen, wie wir die frühkindliche Bildung fördern und in unseren Fokus stellen. Wir entlasten und verbessern gleichzeitig. Wie handhaben wir das? - Erstens werden ab diesem Jahr die Eltern um monatlich 50 Euro, also pro Jahr um 600 Euro, entlastet. In einem zweiten Schritt der Beitragsfreiheit sind hier ab September 2013 1.200 Euro vorgesehen. Wir senken den Anstellungsschlüssel das ist eine Maßnahme zur Qualitätsverbesserung -, der derzeit 1 : 11,5 beträgt, auf 1 : 11. Damit steigern wir natürlich die Qualität in unseren Kindertageseinrichtungen.

Ich möchte hier ganz deutlich machen, wie wir derzeit das Geld investieren. Der gesamte Bildungsetat des bayerischen Staatshaushalts beträgt 2012 16,5 Milliarden Euro. Wir haben also seit 2009 gerade im Bildungsetat ein Plus von 14 %. 5,5 Milliarden davon gehen an die Hochschulen; das ist eine Steigerung um 16 %. 10 Milliarden gehen an die Schulen; das ist eine Steigerung von 10 %. 1,2 Milliarden gehen in die frühkindliche Bildung. Das ist noch wenig und ausbaufähig. Hier haben wir aber ein Plus von 38 %. Ich bitte Sie, diese Zahlen und Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Wir tun hier eine ganze Menge, weil wir erkannt haben, wie entscheidend die frühkindliche Bildung für den späteren Lebensverlauf der Kinder ist.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Seit 2006 wurde die Zahl der Betreuungsplätze vervierfacht. Mittlerweile gibt es 93.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren. Die Versorgungsquote liegt damit bei 43 %. Wir werden also aller Voraussicht nach den Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz bis 2013 erfüllen. Das Personal-Kind-Verhältnis - das müssen Sie wissen - beträgt derzeit in Kinderkrippen 1 : 4 und in Kindergärten 1 : 8,7. Wenn Sie einen Blick in die neuen Bundesländer werfen, können Sie feststellen, dass gerade Bayern hier eine hervorragende Qualität aufweist. Die Quantität in den neuen Bundesländern ist zwar höher, aber die Qualität lässt dort zu wünschen übrig. Dort betragen die entsprechenden Verhältniszahlen 1 : 6 bzw. 1 : 12.

(Dr. Paul Wengert (SPD): Wie haben Sie denn das gemessen, Frau Kollegin?)

- Sie können das in der Bertelsmann-Studie nachlesen.

Ich möchte noch auf die Verbesserungen, sechs an der Zahl, eingehen, die mir persönlich auch sehr am Herzen liegen. Zur Gastkinderregelung: Mit den Änderungen haben wir das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern gestärkt und in diesem Zusammenhang auch den ländlichen Raum. Es ist ganz klar, dass der ländliche Raum Kinder und Arbeit braucht. Deswegen liegt uns hier gerade die Großtagespflege am Herzen, die wir ausgebaut haben. Auch die Landkindergärten können durch dieses Gesetz Verbesserungen erfahren. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird gesteigert, indem die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe gerade in den Randzeiten der Kinderbetreuung gefördert wird, also in der Schulzeit und auch in den Zeiten vor der Schule.

Die Kindertagespflege ist für uns ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt. Wir wollen die Kindertagespflege ausbauen. Hierbei handelt es sich um eine familienähnliche Betreuungsform gerade für die Kin

der unter drei Jahren. Damit ist die Möglichkeit gegeben, auf die Bedürfnisse berufstätiger Frauen flexibel zu reagieren. Das ist in den Kinderkrippen zum Teil nicht so der Fall.

Wir nehmen den Inklusionsauftrag ernst. Mit diesem Gesetz kam noch einmal eine Verbesserung zustande. Sie dürfen nicht vergessen: Ein Gewichtungsfaktor von 4,5 bedeutet für die gesamte Gruppe einen Vorteil; dadurch wird Inklusion wirklich gelebt. Man kann dadurch auf die verschiedenen Bedürfnisse genau eingehen.

Auch ein Vorkurs Deutsch ist in diesem Gesetz etabliert. Auch dafür werden Gelder zur Verfügung gestellt. Kinder mit Migrationshintergrund sollen von Beginn an Erleichterungen erhalten und in der Grundschule von Anfang an gleiche Startbedingungen haben. Es ist ein ganz wichtiger Grundsatz, bei der Bildung am Anfang zu investieren, anstatt am Schluss zu reparieren.

Ich möchte noch kurz auf die Sockelbeträge eingehen. Eine Realisierung aller Anträge der GRÜNEN und der FREIEN WÄHLER würde die gesamte Systematik des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes durcheinanderbringen. Hierbei handelt es sich um eine kindbezogene Förderung, nicht um eine einrichtungsbezogene Förderung, wie das in anderen Bundesländern der Fall ist. Wir sehen gruppenspezifische Gewichtungsfaktoren und einen Investitionskostenzuschuss vor. Wer die Systematik des BayKiBiG verstanden hat, weiß, dass wir besser keine Sockelbeträge einführen. Ihre Gewichtungsfaktoren, zum Beispiel im Falle von ADHS, sind sicher ganz interessant, aber ich muss feststellen, dass das im Endeffekt zu sehr viel mehr Bürokratie führen würde.

An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, unseren Erzieherinnen und Erziehern und auch den Müttern und Vätern in Bayern zu danken; denn in der heutigen Zeit ist es gewiss keine Selbstverständlichkeit mehr, Kinder zu bekommen. Das ist kein reines Privatvergnügen, und das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen.

Wir von der FDP-Fraktion haben mit dieser Novelle des BayKiBiG die Zukunft der Gesellschaft und der frühkindlichen Bildung ganz fest im Blick. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich bitte Sie, noch dazubleiben. Es gibt

eine Zwischenbemerkung des Herrn Kollegen Pfaffmann. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Kollegin, da ist sie wieder: die immer wieder beschworene Wichtigkeit der Kinder. Ohne Kinder ist alles nichts, Kinder sind unsere Zukunft − das haben Sie soeben wieder erklärt. Deswegen würde mich jetzt interessieren: Sind Sie als Teil der Regierungskoalition bereit, dieser Forderung auch endlich etwas Geld nachzuschieben, um diese Aussage zu untermauern?

Die Verbände haben folgende Rechnung aufgemacht: Sie stellen 33 Millionen zur Realisierung des Anstellungsschlüssels von 1 : 11,0 bereit, einen Betrag, der von vornherein nicht ausreicht. Die Verbände sagen, es seien 80 Millionen erforderlich, um das zu realisieren. Der Anstellungsschlüssel − das bedeutet, mehr Personal für die Kindertageseinrichtungen − ist mit 50 Millionen Euro unterfinanziert. Das wird letztendlich dazu führen, dass die Elternbeiträge steigen und den Kommunen und den Trägern ungeniert in die Kasse gegriffen wird. Sind Sie denn bereit, diesen Qualitätsverbesserungsanspruch ausreichend zu finanzieren,

(Reserl Sem (CSU): Was machen wir denn?)

um mehr zu tun, als hier schöne Worte zu sagen?

(Alexander König (CSU): Furchtbar, immer diese Jammerei!)

Was sagen Sie eigentlich zum Vorwurf des Städtetages, dass dieses Gesetz rechtswidrig ist, weil die Finanzierung nicht gesichert ist? Sind Sie bereit, aufgrund des Vorwurfs der fehlenden Rechtssicherheit den Gesetzentwurf zurückzuziehen?

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Pfaffmann. Bitte schön, Frau Bulfon.

Herr Pfaffmann, ich stelle nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern in den Mittelpunkt der Betrachtung; denn die Eltern sind diejenigen, welche die Kinder aufziehen. Ich möchte für die Eltern gute Bedingungen haben. Ich möchte, dass sie unterstützt werden und nicht ständiger Kritik ausgesetzt sind. Deswegen war es mir so wichtig, gerade in einer Gesellschaft, in der es nicht mehr selbstverständlich ist, Kinder zu bekommen, mit der Beitragsfreiheit ein Zeichen zu setzen. Ich würde an dieser Stelle auch gern noch weitergehen. Auch die Qualität liegt mir am Herzen; das ist ganz klar. Ich habe Ihnen hier schon die Zahlen genannt und aufgezeigt, dass wir in der frühkindlichen Bildung viel höhere Zuwachs

raten haben als in vielen anderen Bereichen. Daran sehen Sie ganz deutlich, wie wir innerhalb der Koalition die Prioritäten setzen.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann − Unruhe − Glocke des Präsidenten)

- Herr Pfaffmann, mir gefällt diese Verzögerungstaktik überhaupt nicht. Mir kommt es gerade so vor, als würden wir hier ein Happening "BayKiBiG" machen.