Protokoll der Sitzung vom 12.02.2009

(Zuruf der Abgeordneten Christa Steiger (SPD))

Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben ist aus meiner Sicht ein eigenständiger Bereich, der mit dem Ausbau der Kinderbetreuung allein nicht befriedigend angesprochen ist. Denn es muss unsere Aufgabe sein, mit einer Selbstverständlichkeit, wie wir zum Beispiel Umweltbewusstsein in unserer Gesellschaft zum Tragen gebracht haben, auch in den Unternehmen das Bewusstsein für einen selbstverständlichen Vorgang zu finden, dass nämlich in Bezug auf Arbeitszeit und Kinderbetreuung familienfreundliche Rahmenbedingungen sogenannte weiche Standortfaktoren sind.

(Christa Naaß (SPD): 42-Stunden-Woche!)

Solche familienfreundlichen Rahmenbedingungen sind auch Voraussetzung für betriebswirtschaftlichen Erfolg und vor allen Dingen für eine familienfreundliche Gesellschaft.

(Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

- Frau Kollegin Werner-Muggendorfer, ich spreche nicht bloß die Themen an, bei denen wir einen Dissens haben; denn wenn wir immer nur auf einen Dissens aus sind, glaube ich, ist das in der Gesellschaft ein Zeichen,

das die Leute in der Politik nicht haben wollen. Es ist nicht nur wichtig, die Gegensätze darzustellen, sondern es ist auch wichtig, da, wo es möglich ist, Gemeinsamkeiten zu finden. Auch dies ist ein politisch-demokratischer Auftrag, den wir haben.

(Beifall bei der CSU - Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Wunderbar, dann sagen Sie das auch!)

Dritte Säule: Was den Ausbau der Kinderbetreuung anbelangt, ist es dringend erforderlich, den Weg, den die Bayerische Staatsregierung gegangen ist, beim qualitativen Ausbau auch mit zu gehen. Das bedeutet, frühkindliche Betreuung ist dann gut und hilfreich, wenn wir einen Anstellungsschlüssel von durchschnittlich mindestens 1:10 haben.

(Zuruf der Abgeordenten Renate Ackermann (GRÜNE))

Denn damit hätten wir auch einen Basiswert und eine Systematik - ich darf kurz die Systematik des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes ansprechen -, die allen Einrichtungen hilft. Diesen entscheidenden Weg müssen wir weitergehen.

Wir müssen den eingeschlagenen Weg auch auf Bundesebene in Bezug auf das Thema "SGB XII - Regelsätze für Kinder", worüber wir uns sicherlich einig sind, weitergehen. Ein willkürlich festgelegter Prozentsatz auch die Gerichte haben festgestellt, dass das so nicht geht - und Abschläge auf Bedürfnisse von Kindern gegenüber denen von Erwachsenen sind auch ein Zeichen einer Gesellschaftspolitik, die die Interessen von Familien mit Kindern eher missachtet. Hier sind Korrekturen dringend erforderlich.

(Beifall bei der CSU)

Wir müssen den Trend zur Zeitarbeit und zu prekären Beschäftigungsverhältnissen im Sinne von Armutsvermeidung aufhalten und hin zu dauerhaften und stabilen Arbeitsverhältnissen kommen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau!)

Darauf gibt es eine Vielfalt von Antworten. Ich persönlich bin der Auffassung, dass der Weg, den die Bundesregierung über das Arbeitnehmerentsendegesetz gegangen ist - darüber gibt es in diesem Haus sicher unterschiedliche Auffassungen -, für bestimmte Branchen der richtige Weg ist. Ich bin aber auch der Meinung, dass es einer Vielzahl von Maßnahmen bedarf, insbesondere der Wirtschafts- und der Arbeitsmarktpolitik, um uns auf diese Bereiche noch stärker zu fokussieren, insbesondere auf das Thema Zeitarbeit.

(Zuruf der Abgeordneten Christa Steiger (SPD))

Viertens: Die Bekämpfung der Altersarmut ist im Freistaat Bayern noch eine größere Herausforderung als in anderen Gebieten. Frau Staatsministerin Haderthauer hat bereits darauf hingewiesen, dass wir nach den neuen OECD-Berechnungen ein überdurchschnittliches Risiko bei der Altersarmut haben. Ich halte dies für eine sehr bedenkliche Entwicklung. Wir müssen auch einmal sehen, was damit gesellschaftspolitisch verursacht wird. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet und sich ihre Existenz aufgebaut haben, aber eine unterdurchschnittliche Alterssicherung haben, werden von der Gesellschaft auch bestraft. Es gibt natürlich Ursachen dafür, dass wir in Bayern in Bezug auf die strukturelle Entwicklung - darauf ist bereits hingewiesen worden - andere Situationen haben. Aber lassen Sie uns auch hier gemeinsam handeln. Hier bedarf es eines großen gesellschaftlichen Konsenses, weil zur Bekämpfung der Altersarmut auch Voraussetzung ist, dass wir zwischen den Generationen einen Konsens über die Lösung der Probleme herstellen, was die Altersarmut, aber auch die Perspektive für die junge Generation anbelangt.

Zur Integration bzw. Inklusion als Antwort auf die Herausforderungen: Wir halten über die Maßnahmen hinaus, die in der Bildungspolitik bereits gestartet worden sind, Maßnahmen vor allem in den Bereichen der frühkindlichen Förderung und der Arbeitsmarktpolitik für erforderlich. Neben der Integration müssen wir Maßnahmen wie zum Beispiel die Jugendsozialarbeit an Schulen weiter entwickeln.

(Georg Schmid (CSU): Richtig, sehr gut.)

Dort ist es konzeptionell notwendig, dass wir auf die Bedürfnisse und die Realität im Schulalltag eingehen. Hier ist es auch notwendig, dass die Distanz und die Differenz, die es zwischen Pädagogik und Sozialpädagogik häufig gibt, aufgelöst werden, dass hier also eine Zusammenfügung erfolgt. Überall dort, wo es diese Projekte gibt, ist eine gute Situation und eine positive Entwicklung vorhanden.

(Beifall bei der CSU)

Zum Thema Pflege: Frau Steiger, ich habe die Sorge, dass wir auf einen Pflegenotstand zusteuern, wenn es uns nicht gelingt, auf diesem Gebiet personell Konsequenzen zu ziehen. Das bedarf guter Rahmenbedingungen. Wir werden uns hier über das Ausführungsgesetz zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz in Zukunft intensiv auseinander setzen.

Die Politik für behinderte Menschen erfordert es, den Paradigmenwechsel zu mehr Selbstbestimmung, den man vornimmt, nicht nur auf eine betreuende Fürsorge

zu beschränken, sondern Selbstbestimmung im Sinne von Stärkung und selbstständigem Leben in der Behindertenpolitik auch abzubilden, und die Bezirke, nachdem sie die Zuständigkeit in der Ambulanteneingliederungshilfe erhalten haben, auch zu stärken, um auf diesen Wegen innovativ tätig zu sein. Gleiches gilt für die Stärkung und Unterstützung der Selbsthilfepotenziale.

Es ist mir auch ein großes Bedürfnis, die Aufwertung und Stärkung der sozialen Berufe anzusprechen. Dies ist natürlich zum einen eine Frage des Images. Ich sage knallhart, es wäre auch gut, es gäbe mehr Männer, die in sozialen Berufen tätig sind, denn dann wäre es vielleicht auch möglich, in den Bezahlungsstrukturen Verbesserungen zu erreichen. Da müssen wir gemeinsam für eine Bewusstseinsbildung sorgen. Ein Banker ist nicht automatisch ein besserer und qualifizierterer Mensch als einer, der in der Pflege tätig ist. Das müssen wir in der Gesellschaft einmal richtig stellen.

(Beifall bei der CSU - Zuruf der Abgeordneten Chri- sta Steiger (SPD))

Die Prävention muss zentraler Schwerpunkt bayerischer Sozialpolitik sein. Nicht das Reparieren von fehlerhaften Entwicklungen oder von sorgenbefrachteten Entwicklungen steht im Vordergrund, sondern es gilt zu verhindern, dass das Kind in den Brunnen fällt. Jeder Euro, den wir hier investieren, erspart uns ein Drei- und Vierfaches an sozialen Folge- und Rehabilitationskosten. Das muss Maßstab einer sozialen und zukunftsorientierten Politik sein.

(Zuruf von der SPD: Völlig richtig!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen für die Auswertung und Umsetzung dieses Sozialberichtes Dialogkulturen. Bei der Erstellung hat es eine beispielgebende Zusammenarbeit des Ministeriums mit den Wohlfahrtsverbänden und den Organisationen der Selbsthilfe gegeben. Ich bin der Meinung, dass wir das jetzt gemeinsam fortsetzen müssen. Die CSU-Fraktion wird hierzu sozialpolitische Werkstattgespräche durchführen, in denen sie auch die Auswertung des Sozialberichtes mit den Betroffenen vertieft diskutieren wird. Wir müssen schließlich sozialpolitische Maßnahmen auch im Freistaat Bayern anpassen. Unsere Aufgabe ist, statt abschließend zu sagen, ein einmal gemachtes Gesetz ist immer ein gutes Gesetz, Entwicklungen, bei denen in der Sozialpolitik Korrekturbedarf vorhanden ist, mutig miteinander anzugehen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke der Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)

In Zukunft wird es unsere Aufgabe sein, bei nicht besser werdenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen diese spreche ich so an - Sozialpolitik und sozialen Ausgleich als einen eigenständigen Ansatz, als einen eigenen Wert in unserem Gemeinwesen zu sehen. Wir müssen feststellen, dass eine pure Einsparung nach einer Rasenmähermethode, wie das in der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen ist, nicht die beste Sozialpolitik ist. Wir müssen Effizienz intelligent überprüfen und zu Weiterentwicklungen kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, die Zukunft im Gemeinwesen Freistaat Bayern auch in der Sozialpolitik miteinander zu gestalten.

Lassen Sie mich mit Worten des Erzbischofes von München und Freising, Dr. Reinhard Marx, schließen, der festgestellt hat: Während die alte soziale Frage einen Klassenkonflikt zum Gegenstand hatte, einen Konflikt zwischen denen, die in der Gesellschaft oben und unten standen, geht es in der neuen sozialen Frage um den Unterschied zwischen denen, die im Hinblick auf das gesellschaftliche Leben drinnen und draußen sind; es geht um Inklusion und Exklusion.

Das ist ein an uns gerichteter Anspruch, im Sinne eines sozialen Bayern tätig zu sein.

(Anhaltender Beifall bei der CSU - Beifall des Ab- geordneten Hubert Aiwanger (FW))

Herr Unterländer, vielen Dank. Dem Präsidium wurde von den Freien Wählern Herr Aiwanger als nächster Redner gemeldet. Bitte.

Herr Ministerpräsident, sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es um den Sozialbericht, ein Bericht, der seit zehn Jahren auf sich warten ließ, aber gleichwohl eine veranschlagte Summe von 500.000 Euro verschlingt. Wenn man zumindest die Zusammenfassung grob durchblättert, kann man wohl sagen: Die Zahlenkolonnen sind zwar ganz interessant, aber ein Politiker, der mit offenen Augen und Ohren durch seine Gemeinden geht, der sich in der Öffentlichkeit bewegt, wäre auf viele Dinge auch selbst gekommen.

Vorne in der Zusammenfassung steht vorab ein Satz, der das Ergebnis eigentlich vorwegnimmt und der da lautet: Die Situation der Bürgerinnen und Bürger in Bayern ist grundsätzlich als äußerst positiv zu bezeichnen. Das ist eine so in den Raum hineingestellte Behauptung. Das kann man natürlich so sehen, wenn man will. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass wirklich politisch neutral geforscht worden wäre. Natürlich ist klar, dass der parteipolitische Zungenschlag derer enthalten ist, die das Gutachten in Auftrag gegeben haben. Das ist

zunächst einmal so festzustellen. Beim Durchlesen ist auch ständig festzustellen, dass der Bericht im Prinzip eine Rechtfertigung ist. Wenn Dinge nicht funktionieren, dann ist die Staatsregierung natürlich dabei, das sofort zu ändern, und bei den anderen ist es immer noch sehr viel schlechter.

Ich bin heute auch nicht hier, um die Dinge in Bayern grundsätzlich schlechtzureden. Wir haben noch keine offene

(Zurufe von der CSU)

- das kommt schon noch, meine Damen und Herren Bettelkultur. Im Gegensatz zu anderen Ländern, vielleicht auch zu anderen Bundesländern sitzen noch nicht an jedem Bahnhof Leute auf einem Sack Papier und betteln um Geld. Das ist nicht der Fall. Gleichwohl müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sich rund 10 % der Bevölkerung - bezeichnen wir keine Stellen hinter dem Komma - an der Armutsgrenze bewegen bzw. von einem Armutsrisiko betroffen sind. Das ist jeder Zehnte, meine Damen und Herren. Das ist eine ernst zunehmende Zahl, die wir nicht wegdiskutieren müssen. Wir müssen genauer hinsehen, was sich hinter diesen Zahlen verbirgt und was mit diesen Zahlen gemeint ist.

Ich habe vorher gesagt: Wenn man mit offenen Augen durch die Öffentlichkeit geht, bekommt man gewisse Dinge mit. Meine Damen und Herren, wenn es in einem Bayern des Jahres 2009 immer mehr Gemeinden für nötig erachten, Suppenküchen und Tafeln für Bedürftige einzurichten, dann ist das ein gewisser Fingerzeig. Führen wir uns in den Kommunalparlamenten die explodierenden Sozial- und Jugendhilfeausgaben vor Augen. Das ist auch ein Fingerzeig, dass sich in der Vergangenheit etwas entwickelt hat, was heute voll durchschlägt. Wir müssen nach dem Motto "Vorbeugen ist besser als Heilen" zurückblicken und uns fragen, was in den letzten Jahren falsch gelaufen ist und für die Zukunft eine Handlungsanweisung aufstellen, was wir in den nächsten Jahren besser machen, um in diesem Bereich weitere Fehlentwicklungen zu vermeiden.

Ich glaube, dass wir uns in erster Linie auf vier große Säulen konzentrieren müssen: das ist Arbeit, das ist Bildung, das ist Pflege und das ist Gesundheit. Mit diesen vier Säulen können wir arbeiten und haben damit dann die meisten Bereiche in etwa abgedeckt.

Zur Arbeit. Schauen wir in den Bericht: Da stellen wir eine ständige Zunahme des Niedriglohn- und Teilzeitbereichs fest. Natürlich kann man das schönreden und sagen: Wenn sie keinen Niedriglohnjob bekommen würden, hätten sie gar nichts. Man kann aber auch feststellen, dass immer mehr Vollzeitbeschäftigte, die eine vernünftige Arbeitsstelle haben, in mehrere Teilzeitbeschäftigte aufgeteilt werden, und dass dann auch in den

Niedriglohnbereich hineingedrängt wird. Ein wichtiges Beispiel ist der Münchner Flughafen, meine Damen und Herren, wo auch der Freistaat Bayern seine Verpflichtung hat, wo sich auch der Freistaat Bayern einbringen kann, wohin der Zug Arbeitsmarkt politisch gehen soll. Immer mehr Bereiche werden aus der vernünftigen Bezahlung in den Bereich des Niedriglohns und in den Bereich der Teilzeitarbeit ausgegliedert, um dann eventuell mit osteuropäischen Billigarbeitern die Arbeit abzuwickeln und die Kommunen vor Ort noch obendrauf Geld legen zu lassen, damit diese Leute überhaupt leben können. Dann hat man eine schöngerechnete Bilanz und kann sagen, wir können für 19 Euro nach Mallorca fliegen, brauchen auf der anderen Seite eine dritte Startbahn, um das Geschäft noch anzukurbeln.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Das sind Zusammenhänge, über die man nachdenken sollte, meine Damen und Herren. Die Dritte-StartbahnPolitik ist in meinen Augen eine Fortsetzung der Transrapid-Politik. Auf der einen Seite hat man für den Transrapid gespart, auf der anderen Seite hat man die Ernährungsberatung zusammengestrichen. Darauf kommen wir nachher zu sprechen.

(Beifall bei den Freien Wählern - Zuruf des Abge- ordneten Erwin Huber (CSU))

- Wenn Sie diese Zusammenhänge noch nicht gehört haben, dann ist es höchste Zeit geworden, dass man sie Ihnen einmal sagt, meine Damen und Herren.