Protokoll der Sitzung vom 11.04.2013

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: In diesem Bereich stehen große Aufgaben vor uns. Wir wissen allerdings auch, dass sich viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger der Bedeutung dieser Aufgaben und der Risiken, denen wir insoweit ausgesetzt sind, noch nicht bewusst sind. Dennoch – oder: gerade deswegen – ist es unsere Aufgabe, eine Aufgabe auch der politischen Führung unseres Landes, diese Themen jetzt anzupacken und nicht liegen zu lassen.

Im Bund und auf EU-Ebene wird über neue rechtliche Regelungen diskutiert, mit denen zum Beispiel Energieversorger und andere Betreiber kritischer Infrastrukturen verpflichtet werden sollen, ihre Netze besser zu schützen und einschlägige Vorfälle zu melden. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht unter das Betriebsgeheimnis eines Energieversorgers fallen darf, wenn die Steuerung eines Kernkraftwerkes von Hackern attackiert wird oder wenn wegen eines CyberAngriffs ein großflächiger Stromausfall droht. So etwas muss der Staat wissen. Die Unternehmen müssen für solche dramatischen Fälle eine Meldepflicht akzeptieren.

Wir stehen vor einer Herausforderung für Staat und Gesellschaft, wie sie in jeder Generation nur einmal vorkommt. Digitalisierung ist der große Megatrend unserer Zeit; sie durchdringt alle Lebensbereiche. Mein Ziel ist es – es muss aber unser aller Ziel sein –, ein starkes Netzwerk, eine Allianz für Cyber-Sicherheit zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, unseres Staates und der Wirtschaft zu schaffen.

Ob Kinderschänder oder Betrüger, ob Wirtschaftsspione oder Terroristen – wir sagen allen Cyber-Kriminellen den Kampf an! Das global vernetzte digitale Bayern muss und wird sichere Heimat bleiben. Dafür setzen wir uns ein. Ich bitte Sie alle um Ihre Mitarbeit und um Ihre Unterstützung.

(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich eröffne die allgemeine Ausspra

che. Pro Fraktion stehen 22 Minuten zur Verfügung. Für die SPD-Fraktion darf ich Herrn Kollegen Schneider das Wort erteilen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Herr Minister, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich gebe zu: Meine Erwartungen an diese Regierungserklärung waren sehr hoch,

(Georg Schmid (CSU): Ja, und? Harald, mache jetzt keinen Blödsinn!)

befasst sich die Bayerische Staatsregierung doch erstmals intensiv mit dem Problem der Internetkriminalität. "Toll", sagte ich mir, "endlich wird das Internet als Problem richtig wahrgenommen." Umso größer ist meine Enttäuschung: Hier wird nicht einmal mit Wasser gekocht. Nicht einmal ein Hauch von Innovation ist zu spüren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Minister, mich würde interessieren:

(Georg Schmid (CSU): Jetzt hast du noch eine Chance, keinen Blödsinn zu sagen!)

Wer hat Ihnen den Floh mit dem Cyber-Allianz-Zentrum ins Ohr gesetzt? Ich hoffe, er sitzt nicht hinter Ihnen. Wie konnten Sie zu der Einschätzung gelangen, dass dieses Zentrum gerade beim Landesamt für Verfassungsschutz gut angesiedelt wäre? Der Verfassungsschutz hat meines Erachtens völlig andere Aufgaben zu erfüllen, und das soll er ordentlich tun.

(Beifall bei der SPD)

Zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität bedarf es Fachkompetenz; diese ist beim LKA angesiedelt. Es geht darum, das Vertrauen der Menschen, die durch Cyber-Kriminelle geschädigt wurden und von der Polizei Hilfe erwarten, wiederherzustellen.

Unter den Unternehmen ist dieses Vertrauen nicht sehr ausgeprägt; Sie selbst haben es angesprochen. Wenn von 1.000 Angriffen nur ein einziger angezeigt wird, spricht das doch Bände. Die Unternehmen helfen sich selbst. Sie geben nicht einmal zu, dass ihre Rechner gehackt wurden. Aus ganz Deutschland ist mir kein einziger Fall bekannt, dass eine Bank Anzeige bei der Polizei erstattet hätte, weil ihr Rechner gehackt wurde. Um es deutlich zu sagen: Die Bank geht auch nicht zum Verfassungsschutz, weil – hier liegt das Problem – sowohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichen als auch die ermittelnden Behörden nicht entsprechend ausgestattet sind. Was macht der Verfassungsschutz denn, wenn von Staats wegen, zum Beispiel aus Korea oder China,

Cyber-Angriffe gestartet werden? Nichts macht er, weil er nichts machen kann!

Herr Minister, Sie haben soeben ein Bild gezeichnet, das fast dem Idealbild einer professionellen und bestens ausgestatteten Polizei entspricht. Vielleicht nähern wir uns diesem Zustand ja an, wenn wir ab September regieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die reale Situation stellt sich aber noch vollkommen anders dar.

Nur in einem Punkt muss ich Ihnen uneingeschränkt recht geben: Die Motivation der Kolleginnen und Kollegen, die gegen Kriminalität im Netz kämpfen, ist sehr hoch. Aber momentan ist es ein Kampf gegen Windmühlen, ein Fass ohne Boden.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Wer ständig das Gefühl hat, dass er systembedingt immer einen Schritt hinter dem Gegner herlaufen muss und dass das Problem der Cyber-Kriminalität verniedlicht und verharmlost wird, der verliert mit der Zeit die Motivation.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Aber es ist in der inneren Sicherheit immer so, dass Kriminalitätsphänomene an der Basis – sprich: bei den Dienststellen – auftauchen, dort als solche erkannt und über die Präsidien den Ministerien mitgeteilt werden. Erst dann macht sich die Ministerialbürokratie auf, denkt lang und länger nach und fängt mit dem Handeln an.

Den Bürger interessieren die 36.000 Angriffsversuche – täglich! – aus dem Internet auf das bayerische Behördennetz herzlich wenig. Ihm geht es um sein Geld, um das Geld, das er verliert. Ich will mit einem Beispiel beginnen: Ein Bürger, der im Internet von einem vermeintlichen Online-Händler bei einem Kauf abgezockt wird und dabei 1.000 Euro verliert, wendet sich vertrauensvoll an die nächste Polizeidienststelle. Dort hört er: "Kommen Sie doch morgen wieder. Der Kollege, der sich damit auskennt, hat heute frei." So passiert es laufend in vielen Dienststellen in Bayern. Vielleicht hat er sogar Glück und der Beamte, der sich auskennt, ist gerade in der Dienststelle anwesend. Dann hat er aber möglicherweise keinen Zugriff auf die zwei Internetrechner, die es auf der PI gibt, kann also Recherchearbeiten nicht durchführen. Das ist die Realität in Bayern, Herr Minister.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir brauchen schlicht und ergreifend mehr Rechner, die eine Internetberechtigung haben. Die Fahnder im K 3 oder in den RBAs wünschen sich auch Rechner, die nicht über die Firewall des LKA laufen, um bei der Fahnung auf gesperrte Seiten zugreifen zu können. Diese Stand-alone-Rechner sind offensichtlich Mangelware. Nur rund 25 % der Rechner auf einer Polizeiinspektion haben eine Internetberechtigung und laufen über die Firewall des Landeskriminalamtes – 25 % der Rechner. Herr Hampel, das sollte auch Sie interessieren; offensichtlich wissen Sie nämlich auch nicht, dass diese Rechner nicht vorhanden sind. Pro mittlerer Inspektion stehen im Schnitt zwei Stand-aloneRechner ohne Zugangsbeschränkung zur Verfügung.

Ich gebe aber zu: Die Probleme mit der Beschaffung von Software bei den entsprechenden Kommissariaten und bei regionalen Beweisauswertungen aus den vergangenen Jahren haben sich weitgehend gelöst. Auf die aktuellste Software kann zurückgegriffen werden. Eines fehlt aber wirklich: Ich appelliere an Sie, Herr Minister, sorgen Sie für genügend Internetzugänge auf den Dienststellen, damit ordentlich ermittelt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Sie brauchen nicht vom bekannten Computerwurm Stuxnet zu sprechen, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, mit den für den Bürger spürbaren Problemen im Internet zurechtzukommen.

Bayern ist weltweit als Wirtschaftsstandort attraktiv – Sie haben das betont, Herr Minister. Die Unternehmen, die sich hier ansiedeln, schätzen nicht nur die Sicherheit für ihre Mitarbeiter, sondern auch die Sicherheit der Standorte. Gerade für diese Unternehmen in Bayern ist es enorm wichtig, dass auch sie im Falle von Cyber-Attacken mit qualifizierter Hilfe von den Ermittlungsbehörden rechnen können.

Die Internetkriminalität wird sich zum Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts entwickeln, stellte Internetexperte Joachim Schaprian bei einem Fachforum in Nordrhein-Westfalen im Herbst letzten Jahres fest. Einige der sogenannten Cyber-Cops auch hier in Bayern meinen, dass diese Schlacht schon längst läuft und schon gar nicht mehr zu gewinnen ist, weil die Gefahr einfach nicht rechtzeitig erkannt wurde. Dabei war diese Entwicklung doch schon seit Jahren absehbar. Wurden 2007 noch 5.858 Computerstraftaten registriert, waren es nach der letzten Polizeilichen Kriminalstatistik – PKS - von 2012 schon 11.055. In manchen Jahren waren Zuwachsraten von 26 % und mehr zu verzeichnen. Es hätte doch schon längst gehandelt werden müssen, Herr Innenminister. Dabei sprechen wir nur von angezeigten Fällen, in denen der Tatort

zweifelsfrei im Inland liegt. Es ist an der Zeit, auf die hohe Fehlerquote der Polizeilichen Kriminalstatistik hinzuweisen. Darauf hat auch schon Peter Dathe, der Chef des LKA, in mehreren Vorträgen aufmerksam gemacht. Viele Unternehmen scheuen vor einer Anzeige bei der Polizei zurück. Sie möchten den Ermittlungsbehörden keinen Einblick in ihre Firmenunterlagen gewähren und befürchten einen riesigen ImageVerlust. Stattdessen setzen diese Firmen auf private Ermittler.

Ein weiterer und viel gravierenderer Fehler in der PKS ist die Tatsache, dass viele Straftaten erst gar nicht erfasst werden, obwohl sie zur Anzeige gebracht wurden. Ein Beispiel dafür, um dies begreifbar zu machen: Bei einem mittleren Unternehmen in Bayern wird dessen komplettes firmeninternes Computernetz mit 25 Rechnern lahmgelegt. Die Firma kann nicht mehr arbeiten, auf keinerlei Daten zurückgreifen, keine Briefe, keine Rechnungen mehr schreiben; die Produktion ist lahmgelegt. Dann erhält der Firmeninhaber eine freundliche Mail von einem netten Menschen, dass er dieses Problem kenne und für 5.000 Euro bereit sei, das Problem zu lösen. Die Firma erstattet vielleicht Anzeige. Der Server steht aber in Lettland. Die Straftat, die Erpressung wird bei uns in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst, obwohl ein Deutscher in Deutschland geschädigt wurde und der Täter im Ausland zu finden ist. Meines Erachtens ist das doch völliger Quatsch und verzieht das Bild der Internetkriminalität total.

(Beifall bei der SPD)

Auf diese Weise ist auch zu verstehen, dass in der PKS für Deutschland der unmittelbare Vermögensschaden auch nur auf rund 75 Millionen Euro beziffert wird. Sachverständige schätzen, dass es tatsächlich 24,3 Milliarden Euro sind. Diese Zahlen machen deutlich, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt. Sie können nicht länger zuwarten und nur ankündigen. Es müssen sinnvolle Taten folgen, und bitte schön nicht beim Verfassungsschutz ein neues Amt ansiedeln.

Wir müssen überhaupt grundsätzlich erkennen, dass die PKS lediglich dazu dient, die Bürger zu besänftigen. Es rührt den Bürger an, wenn er alljährlich vom Innenminister zu hören bekommt: Bayern ist sicher; die Aufklärungsquote ist die höchste im Bundesdurchschnitt. Der Bürger kann ruhig schlafen, und Sie, Herr Innenminister, haben alles richtig gemacht. Ende gut, alles gut. – Weit gefehlt! Unter dem Aspekt der boomenden Internetkriminalität müssen Straftaten, die im Ausland begangen werden und in der Bundesrepublik Opfer nach sich ziehen, in die PKS aufgenommen werden.

(Beifall bei der SPD)

Das Bayerische Landeskriminalamt – Sie haben es angesprochen – hat zwar bereits 1995 die erste Dienststelle für Fahndungen im Internet eingerichtet. Die unabhängige Netzwerkfahndung ist gut, es fehlte aber lange an einem schlüssigen Konzept zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität. Viel zu lange wurde im Experimentierstadium verharrt. Die Strukturen müssen schneller den sich rasant entwickelnden neuen Formen der Internetkriminalität angepasst werden.

Das Polizeipräsidium München will einen anderen Weg gehen, einen Weg, den personalbedingt aber nur Ballungsraumpräsidien gehen können. Dort soll ein Fachdezernat mit drei Fachkommissariaten geschaffen werden. Ich meine, damit ist zumindest ein Versuch erkennbar, das Ganze auf neue und sinnvolle Beine zu stellen.

Ein riesiges Problem bereitet die Personalfindung, also die Einstellung von Spezialisten, die bereit sind, für schmales Geld nach Tätern im Internet zu fahnden. Sie, Herr Innenminister, haben in einer Pressekonferenz im Sommer letzten Jahres verkündet: Wir machen Spezialisten zu Polizisten. 25 Leute wurden eingestellt, fünf davon sind im LKA und unter anderem in der Netzwerkfahndung tätig. Der Rest ist bei den Polizeipräsidien in den Fachkommissariaten tätig. Dies ist zumindest ein bescheidener Anfang. Allerdings gehen Ihnen die Leute wieder von der Stange, weil eine Besoldung zwischen A 9 und der Aussicht, einmal nach A 11 zu kommen, für viele Spezialisten eben keine Perspektive ist. Aus diesem Grunde ist es auch nicht verwunderlich, dass angeblich schon fünf der Leute in Mittelfranken und Oberbayern-Süd wieder gekündigt haben. Nur so ist es zu erklären, dass vermehrt Gutachten an Privatfirmen vergeben werden, die in Verfahren wegen Kinderpornografie Auswertungen für die Staatsanwaltschaft vornehmen. Bisher wurden die Gutachten von den regionalen polizeilichen Stellen zur Beweissicherung und Auswertung – RBAs - selbst beweiskräftig erstellt.

Sicher spielt hier eine große Rolle, dass gerade die Täter im Bereich der Kinderpornografie meist zahlungsfähig sind und das Verfahren schnell abschließen möchten. Sie sind somit auch gerne bereit, Gutachterkosten in Höhe zwischen 800 und 4.000 Euro selbst zu begleichen. Gutachten bei der Auswertung von Festplatten zum Beispiel in Fällen betrügerischen Bankrotts bleiben bei der RBA, bei der Polizei, weil vom Täter kein Cent mehr zu holen ist.

In einer Ausgabe der "Welt online" war im Herbst letzten Jahres eine für mich bezeichnende, aber letztend

lich nicht ganz ernst gemeinte Stellenanzeige zu finden:

Sie sind ein Computer-Nerd mit besonderem Faible für das Knacken von Betriebssystemen. Sie haben es satt, von wenig Geld zu leben und sich mit Leidenschaft immer am Rand der Illegalität oder auch darüber hinaus zu bewegen. Dann wenden Sie sich vertrauensvoll an das Bundeskriminalamt.

Ich hoffe, solche Stellenanzeigen nicht irgendwann bei uns in Bayern zu finden, damit wir Leute finden, die wirkungsvoll Internetkriminalität bekämpfen können. Bezahlen Sie die Leute anständig, Herr Staatsminister!

(Zuruf: Jawohl!)

Wir von der SPD sind sicher, dass sich hier jeder eingesetzte Euro mehr als lohnt.

(Beifall bei der SPD)