Protokoll der Sitzung vom 16.07.2013

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 131. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Sie bitten, eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 4. Juli verstarb Herr Staatssekretär a. D. Erich Kiesl im Alter von 83 Jahren. Er war von 1966 bis 1978 und dann wieder von 1986 bis 1994 Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat für die CSU den Wahlkreis Oberbayern bzw. die Stimmkreise München-Bogenhausen und München-Giesing. Von 1970 bis 1978 war er Staatssekretär im Staatsministerium des Innern, von 1978 bis 1984 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München. Während seiner Abgeordnetentätigkeit war Erich Kiesl Mitglied in mehreren Ausschüssen, unter anderem zwölf Jahre lang im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen.

Erich Kiesl war ein dynamischer, tatkräftiger Politiker, der sich große Verdienste um die Stadtentwicklung Münchens, um den sozialen Wohnungsbau, um die Umwelt-, die Verkehrs- und die Kulturpolitik erworben hat. Er war bürgernah und zugleich streitbar, hat viele Projekte und Debatten angestoßen, ist Konflikten nicht ausgewichen und hat auch manche Debatte auf sich gezogen. Er hat Höhen und Tiefen erlebt. In den vergangenen Jahren lebte er, schwer erkrankt, zurückgezogen in seinem Haus in München.

Für sein Wirken wurde Erich Kiesl mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und dem Bayerischen Verdienstorden.

Der Bayerische Landtag trauert mit den Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Ich darf auch noch einen Glückwunsch aussprechen. Heute feiert Herr Kollege Dietrich Freiherr von Gumppenberg Geburtstag. Im Namen des gesamten Hauses und persönlich wünsche ich Ihnen, Herr Kollege, alles Gute sowie weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion FREIE WÄHLER "Nach dem NSA-Skandal: Recht auf Privatsphäre erhalten - Bürger, Wirtschaft und Politik im Freistaat vor geheimdienstlicher Überwachung schützen!"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet.

Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.

Erster Redner ist Herr Kollege Bernhard Pohl. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 2000 hat das Europäische Parlament einen Sonderausschuss zu der Frage eingesetzt, ob es ein federführend vom amerikanischen Geheimdienst betriebenes System zum Abhören von Kommunikation gibt, mit dem global jedes Telefonat abgehört wird und jedes Telefax und jede E-Mail überwacht werden. Der Ausschussvorsitzende Gerhard Schmid bemerkte zu diesem Untersuchungsausschuss "Echelon": " … es gibt keine … Sonderphysik für Geheimdienste!"

Es ist also klar, dass abgehört werden kann. Die Frage ist: Darf abgehört werden? Hier stellen sich drei Fragen angesichts dieses NSA-Skandals.

Erstens. Er betrifft Bürger, Wirtschaft und Politik. In diesem Zusammenhang verlangen wir, dass endlich Transparenz hergestellt wird. Wer weiß was: die Bundesregierung, die Staatsregierung, die Parlamente, die Bürger?

Vor wenigen Tagen erreichte uns die Meldung, dass in Bad Aibling irgendwelche großen "Golfbälle" für Aufsehen sorgen, ein Fernmeldeverkehrszentrum der Bundeswehr, möglicherweise eine Tarnorganisation, die tatsächlich vom Bundesnachrichtendienst und von amerikanischen Geheimdienstleuten betrieben wird. Ich habe mich daraufhin mit Schreiben an die Bundesminister Dr. Friedrich und Frau LeutheusserSchnarrenberger sowie an die Staatsminister Herrmann und Frau Dr. Merk gewandt und einen

umfangreichen Fragenkatalog mitgeschickt. Leider warte ich bis heute auf Antwort.

Es wäre schön gewesen, Herr Staatsminister Herrmann, wenn Sie, wie es löblicherweise in den letzten fünf Jahren durchaus der Fall war, auch hier mit dem Innenausschuss zusammengearbeitet und uns umgehend nach Bekanntwerden des Skandals informiert hätten, meinetwegen auch vertraulich oder geheim. Schade, dass wir als Parlamentarier genauso in der Luft hängen, wie dies die Bürger tun.

Die zweite Frage, die sich stellt, ist die Frage nach den Rechtsgrundlagen. Wir diskutieren hier im Parlament und im Deutschen Bundestag über die Vorratsdatenspeicherung. Wir haben uns immer für sie ausgesprochen und tun dies auch heute noch; aber das, was hier im Raume steht, geht weit über das hinaus, was irgendeine politische Kraft zum Thema der Vorratsdatenspeicherung fordert und was auch vom Bundesverfassungsgericht erlaubt ist. Geheime Absichtserklärungen als Rechtsgrundlage – da stellen sich einem die Haare auf.

Des Weiteren verlangen wir selbstverständlich, dass diese illegale Tätigkeit unterbunden wird. Ich frage mich schon, warum ein Bundesinnenminister in die USA reist. Eine selbstbewusste Bundesregierung hätte den Botschafter einbestellt und gesagt: Freunde, das, was ihr hier macht, geht nicht.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Dies gilt sowohl, wenn man im Bilde ist – dann ist es umso schlimmer -, als auch dann, wenn man nicht darüber Bescheid weiß: Transparenz zunächst in der Regierung, dann im Parlament und dann auch gegenüber dem Bürger.

Wir verlangen die Wahrung des Datenschutzes von Bürgern und Unternehmern. Es kann nicht sein, dass wir uns hier Gedanken darüber machen müssen, dass Bürger ausgespäht werden, dass Unternehmen ausgespäht werden, dass Industriespionage auf deutschem Boden betrieben wird.

Ein Letztes. Es kann doch nicht richtig sein, dass ausländische Geheimdienste in Deutschland -

(Zurufe von der CSU: Lauter!)

- Seien Sie still und hören Sie zu! – Es kann doch nicht richtig sein, dass ausländische Geheimdienste in Deutschland mehr Rechte und Kompetenzen haben als deutsche Sicherheitsbehörden. Spätestens da muss einem doch ein Licht aufgehen, und man muss sehen, dass etwas schiefläuft.

Wir verlangen jetzt von der Bayerischen Staatsregierung, dass sie umgehend – wenigstens hier im Parlament und dann auch gegenüber der Bevölkerung – für Transparenz sorgt.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege Pohl. Als Nächster hat Herr Kollege Dr. Manfred Weiß von der CSU das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Herr Präsident, Hohes Haus! Ich möchte mich zunächst bei den FREIEN WÄHLERN bedanken, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): So sind wir!)

Denn das gibt mir die Möglichkeit, nach 35 Jahren Abgeordnetentätigkeit im Bayerischen Landtag meine letzte Rede bewusst zu halten.

(Allgemeiner Beifall - Prof. Dr. Michael Piazolo (FREIE WÄHLER): Nur deshalb!)

Ich habe zwar während der vergangenen Plenarsitzungen auch einige Male gesprochen, aber nie gewusst, ob es noch eine Rede von mir geben wird. Jetzt weiß ich genau: Es ist die letzte.

Ich bin auch dankbar, dass Sie gerade das Thema Verfassungsschutz angesprochen haben, einen Bereich, der für uns wirklich ein großes Thema ist und mit dem auch ich in den letzten Jahren intensiv befasst war.

Ich bin allerdings der Meinung, Herr Kollege Pohl, dass Sie etwas zu einseitig gesprochen haben. Sie hätten vielleicht Ihren Fachmann, den Kollegen Pointner, reden lassen sollen, der Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist und auch weiß, wie Verfassungsschutzbehörden arbeiten und welche rechtlichen Grundlagen es gibt.

Es ist sicherlich immer eine schwierige Abwägung, einerseits die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren, andererseits die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Dazu gibt es politische Entscheidungen, dazu gibt es Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die wir natürlich zu beachten haben. Aber es ist auf keinen Fall möglich, nur das eine Recht zu sehen, sondern man muss die Rechtslage insgesamt sehen.

Ich denke, bei uns in Deutschland ist es gut geregelt, in Bayern auch. Es besteht eine gute Abwägung zwischen der Wahrung der individuellen Rechte der Bür

ger und dem Anspruch der Allgemeinheit auf Schutz und Sicherheit. Dazu haben wir auch die parlamentarischen Gremien. Ich denke an das Parlamentarische Kontrollgremium, die G-10-Kommission, die als Gremium des Parlaments massiv hieran mitwirkt.

Sie sprechen nun die letzten Vorfälle an. Dazu muss ich sagen: Wer ein bisschen mit der Materie zu tun hat, dem ist bekannt, was technisch möglich ist. Das war schon immer bekannt seit dem Ministerium für Staatssicherheit von Erich Mielke, der auf diesem Weg vorangegangen ist. – Das sage ich natürlich in Anführungszeichen. – Uns ist allerdings auch bekannt, dass es in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Regelungen gibt. In Deutschland gibt es einen sehr weitgehenden Schutz, in den USA gibt es einen Schutz, der sich nur auf die dortigen Bürger bezieht; auch in Großbritannien gibt es andere rechtliche Voraussetzungen. Aber nach dem, was wir bisher wissen, gehen diese Eingriffe nach unserem Rechtsverständnis auf jeden Fall zu weit. Sie mögen von den dortigen Gesetzen gedeckt sein, aber für unsere Verhältnisse gehen sie zu weit. Ob sie rechtswidrig sind, wissen wir nicht. Wahrscheinlich sind sie es nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER))

Dazu wissen wir zu wenig davon. Aber sie gehen nach unserer Vorstellung zu weit.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Ja!)

Das können Sie wahrscheinlich rechtlich nicht lösen. Sie können es nur politisch lösen. Dazu gibt es an sich klare Aussagen von der Bundesregierung, vom Innenminister, auch von der Bayerischen Staatsregierung, dass man derartige Maßnahmen in unserem Bereich nicht haben möchte. Man kann dann praktisch nur versuchen, es auf politischem Wege zu klären. Eine Frage an den Innenminister von Bayern bringt Sie nicht weiter.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Weiß er nichts?)

- Was sollte er wissen?

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Ach so! Er weiß nichts!)

Wenn das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse von auswärts bekommt, dann bekommt es sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz, wobei vielleicht noch erwähnt wird, dass sie von den Amerikanern kommen, aber mehr nicht. Im Verfassungsschutz ist es eine Selbstverständlichkeit, dass

nie der Informant, nie die Quelle genannt wird, schon allein deswegen, um diese nicht bloßzustellen.