Protokoll der Sitzung vom 01.04.2009

(Beifall bei den Freien Wählern)

Die 800 Millionen Euro waren ein wichtiger Punkt. Sie haben uns vorgeworfen, Herr Schmid, wir wären verrückt, weil wir eine Steigerung von 800 Millionen Euro fordern. Haben Sie den Hintergrund denn nicht erkannt? - 800 Millionen Euro sind diese Zocker-Millionen, die Sie in der Landesbank verzockt haben, und wofür Sie die Zinsen zahlen müssen.

(Georg Schmid (CSU): Das ist ein weltweites Problem, das wissen Sie doch!)

Exakt diese 800 Millionen Euro haben wir eingestellt, weil sie uns im Sozialbereich fehlen.

(Georg Schmid (CSU): In allen Bereichen, nicht nur im Sozialbereich!)

Deswegen haben wir sie im Haushalt eingestellt. Das ist ein ganz spezielles Zeichen von uns. Wenn man das nicht versteht, biete ich Aufklärung.

(Georg Schmid (CSU): Wir verstehen das schon, keine Sorge!)

Der Haushaltsetat spiegelt die Sozialpolitik der letzten Jahre wider. Man erkennt das zunächst an der Verzögerung des Sozialberichts, der nach elf Jahren endlich veröffentlicht worden ist. Ich bin dankbar, dass er vorliegt. Man muss aber erkennen, dass die Stammdaten, die zentralen Daten dieses Berichtes aus den Jahren 2003 und 2005 stammen. Geben Sie mir Recht, dass zwischen 2005 und 2009 eine Verbesserung der Sozi

alsituation eingetreten ist? Oder ist das nicht der Fall? Ich bin über den Erkenntnisgewinn schon sehr glücklich. Vor der Wahl haben Sie nämlich gesagt, Bayern sei überall spitze. Sommer - Sonne - Bayern - Spitze. Jetzt sagen Sie: In Bayern stehen wir schon ganz gut da. Für diesen Erkenntnisfortschritt bin ich Ihnen dankbar. Ich gehe diesen Weg gerne mit Ihnen weiter.

Der Doppelhaushalt bietet keine Zukunft, denn er zeigt nicht auf, dass aus Sozialarmut Bildungsarmut folgt. Aus Bildungsarmut folgt Gesundheitsarmut, und aus Gesundheitsarmut folgt - ich muss Ärztepräsident Professor Dr. Hoppe zitieren - letztendlich auch ein soziales Frühversterben. Diese kausale Kette müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Das ist für unser Politikverständnis entscheidend. Man kann nicht trennen. Man kann nicht die Grundaussagen diskutieren und zum Haushaltsplan 10 keinen Ton sagen. Das ist erst heute geschehen. Gestern haben Sie gut über innere Sicherheit und viele wichtige Dinge gesprochen. Aber zum Sozialhaushalt, für den ich zuständig bin, wurde weder vom Ministerpräsidenten noch von Ihnen oder Herrn Hacker irgendein Satz gesagt.

(Georg Schmid (CSU): Wir haben doch heute genügend Zeit!)

Warum haben Sie denn gestern über innere Sicherheit und Polizei und alles Mögliche gesprochen?

(Georg Schmid (CSU): Sie haben gestern nicht aufgepasst!)

- Natürlich ist das besprochen worden, wie "versprochen und gehalten", und ich war sehr lange da, Herr Schmid.

(Georg Schmid (CSU): Wir haben gestern nicht über die innere Sicherheit geredet!)

- Ich war sehr lange da, Sie können das auch im Protokoll nachlesen.

Der Sozialbericht enthält wichtige Daten. Kinder von Alleinerziehenden haben ein erhöhtes Armutsrisiko. Das durchschnittliche Wohlstandsniveau von Alleinerziehenden mit einem Kind beträgt 72 %. So steht es im Sozialbericht. Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern sind es sogar 62 %. Diese Zahlen müssen uns erschüttern. Das dürfen wir nicht so lassen. Daran müssen wir etwas ändern. Alleinerziehende sind auf Kinderbetreuungsplätze angewiesen. Es gibt schon einige. Hierzu möchte ich ausdrücklich die ehemalige Sozialministerin Stewens loben für das Kinderbildungsgesetz. - Sie ist

leider nicht da. Hier wurden Zeichen gesetzt, wie man in der Sozialpolitik einen richtigen Ansatz setzt. Herr Schmid, ich mache nicht alles kaputt, sondern ich nehme zur Kenntnis, was gut gelaufen ist. Ich fordere Sie auf, das auch bei uns zu tun. Auf dieser Seite sitzen auch keine Idioten.

(Beifall bei den Freien Wählen)

Die jungen Familien müssen gestärkt werden. Die Qualität der Betreuung in den Kindereinrichtungen muss gestärkt werden. Jetzt besteht ein Personalschlüssel von einer Erzieherin und einer Kinderpflegerin pro Gruppe von meist 23 Kindern. Wir fordern einen Anstellungsschlüssel von 1 zu 7. Selbst der Wissenschaftlich-Technische Beirat der Bayerischen Staatsregierung, nicht wir, hat gefordert, den Anstellungsschlüssel auf 1 zu 8 zu verbessern. Auch ich würde Sie bitten, das umzusetzen und unseren Anträgen zu folgen, um den Sozialhaushalt entsprechend zu erhöhen. Ganztagsbetreuung und Schaffung der gleichen Bildungschancen sind nötig.

Die älteren Menschen - so haben wir vorhin gehört sind eine wichtige Bevölkerungsgruppe, die immer weiter wächst. Ihr Armutsrisiko - das steht im Sozialbericht, den ich ganz gelesen habe - ist mit 18 % überdurchschnittlich hoch. Auch das sollte uns zu denken geben. Deswegen müssen Sozialpolitiker heute handeln.

Der bauliche Zustand der Heime: Im Jahr 2004 sind die Mittel für die Sanierung dieser Heime massiv gestrichen worden. Ich glaube, Sie erinnern sich daran. Es waren harte Einschnitte, und es war ein falsches Zeichen.

(Erwin Huber (CSU): Wir sind für Subjektivförderung!)

Dieses falsche Zeichen muss ich aufgreifen. Die Lebens- und Wohnqualität und die Lebens- und Wohnstrukturen der älteren Generation müssen verbessert werden.

Zum ehrenamtlichen Engagement: Ich darf mich auch hier an dieser Stelle an alle medizinischen Bereiche, Krankenschwestern, Ärzte, an alle ambulanten Dienste und alle, die Sozialdienst leisten, wenden. Das ist ein Beruf mit menschlicher Zuwendung. Das hat etwas mit Empathie, mit Begeisterung, mit Hingabe und Liebe zu tun. Das ist nicht nur ein monetäres Problem, sondern das ist ein zwischenmenschliches Problem. Deshalb will ich an dieser Stelle den tausend Kräften meinen herzlichen Dank aussprechen und sie ermuntern, mit uns diesen Weg weiter zu gehen. Wir werden Sie dabei unterstützen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Als Arzt liegt mir ein Punkt sehr am Herzen, Frau Haderthauer. Dazu steht im Sozialbericht leider kein einziges Wort. Es geht um die Gesundheitsarmut. Die Gesundheitsarmut in Nordostbayern wurde vom Robert-Koch-Institut wissenschaftlich exakt untersucht. Es wird klar aufgezeigt, dass Menschen in dieser Lebenssituation ein doppelt so hohes Risiko haben zu erkranken, einen Unfall zu erleiden oder von Gewalt betroffen zu sein. Das heißt, diese armen Menschen haben häufig eine höhere Belastung am Arbeitsplatz, ungünstige Ernährungsmöglichkeiten, ungesunde Ernährung und deshalb auch eine schlechtere Gesundheit. Hierauf geht der Sozialbericht mit keinem einzigen Wort ein. Auch in der Diskussion zum Einzelplan 10 habe ich darüber noch nichts gehört. Diese Gesundheitsarmut dürfen wir nicht - das ist unser Ziel - aus den Augen verlieren. Ich fordere ein umfassendes präventives Konzept.

(Beifall bei den Freien Wählen)

Nachdem wir die Sachdiskussion geführt haben, erlauben Sie mir, auf einen ganz wichtigen Begriff, der in letzter Zeit in der Presse herumgeistert, aufmerksam zu machen, nämlich den "systemrelevanten Betrieb". Herr Huber, ich habe Ihnen zugestimmt im Zusammenhang mit der BayernLB; denn ich sehe die Notwendigkeit. Das andere darf man aber auch nicht lassen. Mit dem Begriff "systemrelevante Betriebe" erklären Sie, dass die Zuschüsse des Staates in Milliardenhöhe notwendig sind. Wo bleibt der öffentliche Dienst? Wo bleibt der Selbständige, wo der Mittelstand? Welches Menschenbild steckt denn hinter diesem Begriff? Das ist eine Diskriminierung ohnegleichen. Es ist ein Ungleichgewicht eingetreten, das nicht auf die sozialpolitische Zukunft ausgerichtet ist und die Probleme nicht lösen kann. Ich muss die Frage stellen, welche Bedeutung dieser Begriff in der Gesellschaft hat.

Herr Kollege, bitte werfen Sie einen Blick auf die Uhr.

(Harald Güller (SPD): Das heißt, dass diese Frage nicht mehr beantwortet wird!)

Ich komme zum Schluss. Der Vorschlag lautet deshalb: Der Begriff "systemrelevante Betriebe" sollte zum Unwort des Jahres vorgeschlagen werden; denn er ist zutiefst diskriminierend und diskriminiert jeden Sozialpolitiker.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Ackermann für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in Krisenzeiten gewinnt die Sozialpolitik an Bedeutung. Wenn wir aber Sozialpolitik in Bayern ernst nehmen wollen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel der Sozialpolitik. Wir dürfen nicht mehr von kurzfristigen Einsparungen und kurzfristigen Gewinnen aus denken, sondern wir müssen wieder beginnen, vom Menschen aus zu denken,

(Beifall bei den GRÜNEN)

vom Menschen und seinen Fähigkeiten, von seinen Bedürfnissen, aber auch von seinen Potenzialen. Nur dann finden wir den richtigen Ansatz, mit dem Sozialpolitik funktioniert.

Dabei können wir uns auch an einer Rede des noch amtierenden Bundespräsidenten Köhler orientieren, der gesagt hat, die Glaubwürdigkeit der Freiheit ist messbar in unserer Fähigkeit, Chancen zu teilen und in unserer Bereitschaft zur Verantwortung für den Nächsten und für das Wohl des Ganzen.

(Joachim Unterländer (CSU): Und was hätte Frau Schwan gesagt?)

- Frau Schwan hätte es sicherlich noch besser ausgedrückt, aber wir nehmen jetzt einmal erst mit diesem Wort vorlieb, und wenn sich die Sozialpolitik in Bayern daran orientieren würde, wären wir sicherlich ein Stück weiter, Herr Unterländer.

In Bayern jedoch ändert sich trotz gegenteiliger Erkenntnisse und Beteuerungen an der sozialen Politik kaum etwas. Das Schiff der Sozialpolitik hält weiterhin unbeirrt seinen Kurs bei, obwohl bereits seit vielen Seemeilen feststeht, dass es die falsche Richtung ist.

Seit dem Jahre 2004 leidet die Sozialpolitik in Bayern unter Kürzungen, die von der Regierung Stoiber im Sparwahn eingeführt wurden, die Strukturen zerstört hat und die bis jetzt noch ihre Folgen zeitigt.

Gestern hat Ministerpräsident Seehofer gesagt, die Bildung von Anfang an sei von großer Bedeutung. Schauen wir uns das einmal näher an. Wie sieht es mit der frühkindlichen Bildung in Bayern aus? Gerade in puncto Krippenplätze ist Bayern weit abgeschlagen im Ranking der Bundesländer. In Bayern sind Krippenplätze rar und unerschwinglich. Das kommt erschwerend hinzu.

(Georg Schmid (CSU): Die Mieten sind zu teuer!)

Damit wird die von der Staatsregierung und der CSUFraktion immer wieder geforderte Wahlfreiheit für die Familien konterkariert. Wofür soll sich denn eine Fami

lie, in der die Eltern nach der Geburt eines Kindes wieder in den Beruf zurückkehren wollen, entscheiden, wenn die Betreuungsplätze fehlen, wenn es keine Möglichkeit gibt, einen Krippenplatz zu bekommen oder wenn dieser Krippenplatz einfach zu teuer ist? Mit einem durchschnittlichen Einkommen kann sich eine Familie kaum einen Krippenplatz leisten. Das müssen wir ändern. Ansonsten gibt es keine Wahlfreiheit und auch keine frühkindliche Bildung für alle Familien.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Staatsregierung hat 2004 zum Thema frühkindliche Bildung ein Kinderbildungsspargesetz beschlossen, Herr Ministerpräsident, und bleibt trotz aller Widerstände bis jetzt bei diesem Gesetz, was massive Beeinträchtigungen und Benachteiligungen für die Erzieherinnen, für die Eltern und vor allem auch für die Kinder mit sich bringt.

Ich sage nur: keine adäquate Gegenfinanzierung des Anstellungsschlüssels! Gastkinderregelung, starre Buchungszeiten, zu niedriger Basiswert, ungerechte Gewichtungsfaktoren, ein Bildungs- und Erziehungsplan, der nicht umgesetzt werden kann. Tausende von Petentinnen und Petenten laufen Sturm gegen dieses Gesetz - bislang ohne Erfolg.