Protokoll der Sitzung vom 12.05.2009

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, nachdem es Ihre Jungfernrede war, sei Ihnen auch eine längere Redezeit erlaubt gewesen.

(Diana Stachowitz (SPD): Danke!)

Als Nächsten darf ich für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Herrn Kollegen Gehring aufrufen. Herr Kollege, Sie müssen sich aber streng an Ihre Redezeit halten.

(Allgemeine Heiterkeit)

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch diejenigen unter Ihnen, die keine Fußballexperten sind, sollte es bekümmern, dass wir in der Nationalmannschaft keine Straßenfußballer mehr haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Das sind Fußballer, die schon als Kind auf der Straße Fußball gespielt haben, für die der Ball ein Freund ist und die instinkthaft gut Fußball spielen. Mir geht es nicht um die Talente, die in die Nationalmannschaft kommen. Mir geht es um die vielen anderen Straßenfußballer, die herumgerannt sind, sich ausgetobt haben und ihrem Bewegungsdrang nachgegangen sind. Wenn man die Wünsche der Kinder nach bestimmten Sportarten sieht, stellt man fest, dass unter den Straßenfußballern heute genauso viele Mädchen wie Jungen sind. Deswegen wäre es gut gewesen, wenn die Freien Wähler als Überschrift für ihren Antrag "Bewegung für Schülerinnen und Schüler" gewählt hätten. Es geht uns darum, die Kinder zu mehr Bewegung zu ermuntern.

Allerdings stellen wir bei den Kindern dramatische Veränderungen fest. Die Bewegungsmöglichkeiten von Kindern sind drastisch eingeschränkt. Wo gibt es noch die Straßen, auf denen man Fußball spielen oder radeln kann? Gerade in den Städten sind die Plätze, auf denen man sich noch austoben kann, eingeschränkt.

Zweitens stellen wir fest, dass die Zeit der Kinder schon verplant ist. Mit dem "Taxi Mama" werden sie zum Ballettunterricht gebracht. Sie dürfen aber nicht mehr draußen rennen und vielleicht einmal mit einer dreckigen Hose nach Hause kommen.

Die dritte Veränderung ist die entscheidende und dramatischste. Das Freizeitverhalten der Kinder hat sich verändert. Kinder und Jugendliche verbringen heute drei bis vier Stunden täglich vor dem Computer oder beim Fernsehen. Sie bewegen sich nicht mehr. Gleichzeitig beginnen aber die Älteren ab vierzig Jahren wieder Sport zu betreiben und zu joggen. Einige von den Kolleginnen und Kollegen trifft man gelegentlich dabei. Zugespitzt könnte man sagen: Die Alten joggen, die Jungen hocken.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Deswegen müssen wir schon sehr früh, im Kindergartenalter, gegen diese Entwicklung steuern. Die GRÜNEN begrüßen daher Modelle wie Waldkindergärten oder Kindergärten, die die Bewegung zum Profil gemacht haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahlen sind dramatisch. In Deutschland haben 20 % der Kinder Übergewicht. 60 % leiden an Haltungsschäden. 40 % haben Koordinationsprobleme. 25 % der Kinder und Jugendlichen leiden an Herz- und Kreislaufschwächen. Bei Haltungsschäden und Haltungsschwächen, wenn Kinder zum Beispiel nicht mehr gerade stehen können, weisen Sportlehrer oft auch darauf hin, dass die äußere Haltung auch die innere Haltung trägt. Die Fähigkeit, dazustehen und selbstbewusst zu sein, geht verloren.

Auch wegen des Einflusses auf das Sozialverhalten ist die Förderung des Sports wichtig. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen besteht ein enger Zusammenhang zwischen den intellektuellen Fähigkeiten und dem Bewegungsdrang. Erst die körperliche Bewegung ermöglicht eine Steigerung der Hirnaktivitäten und eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit und damit auch der schulischen Leistungsfähigkeit. Bezeichnend für ein Wirtschaftsinstitut ist es schon, dass es zur Effizienzgewinnung an den Schulen ausgerechnet die Kürzung des Sportunterrichts vorschlägt. Noch heute leiden wir unter diesen Kürzungen.

Meine Damen und Herren, Anfang der neunziger Jahre gab es an den Schulen zum Teil vier Stunden Sportunterricht. Heute haben wir in der Regel nur mehr zwei Stunden. Gelegentlich gibt es noch eine dritte Sportstunde. Das hängt aber sehr von der Situation an den einzelnen Schulen ab. Wir haben zu wenig differenzierten Sportunterricht. Nachholbedarf gibt es bei den Trendsportarten wie Klettern, Inline-Skating und Artistik. Wir brauchen auch ein anderes Verständnis des Sportunterrichts. Der kleine Dicke, der beim HundertMeter-Lauf immer zu langsam ist, wird sein Leben lang keine Lust auf Bewegung und Veränderung haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht nur den Sportunterricht ansprechen. Wir müssen uns über schulisches Lernen insgesamt Gedanken machen. Wer sagt eigentlich, dass man am besten lernt, wenn man ruhig sitzt und sich den ganzen Tag nicht bewegt?

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Alte Bildungseinrichtungen waren da schon viel weiter. Die alten Klöster hatten einen Kreuzgang, denn dort wusste man, dass man auch beim Gehen reden, denken und reflektieren kann. Wo haben wir in unseren Schulen Räume, in denen ein anderer Unterricht stattfinden kann, als der Unterricht im Sitzen, bei dem die Kinder dauernd still sein müssen? Wir brauchen eine andere Schule. Wir brauchen mehr Bewegungsmöglichkeiten in den Schulen. Wir brauchen einen Wechsel zwischen Unterricht, Spiel und Bewegung. Gerade der Ausbau der Ganztagsschule ermöglicht es, in Kooperation mit den Sportvereinen einen solchen Unterricht durchzuführen. Wir brauchen Schulen, die Lust auf Bewegung machen und Bewegung ermöglichen. Wir brauchen Schulen, in denen sich Kinder bewegen können. Deswegen brauchen wir vor allem mehr Bewegung in der Bildungspolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Sandt für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! "Sport ist eine Tätigkeitsform des Glücks.", hat der Schriftsteller Martin Kessel einmal gesagt. Demnach müssen in der Tat viele Menschen unglücklich sein. Bewegungsmangel greift immer weiter um sich. Jedes fünfte Kind ist zu dick. Es wird über das Zappelphilipp-Syndrom und Konzentrationsschwächen geklagt. All das hängt auch mit dem Sport zusammen.

Wir wollen, dass Schulen und Kindergärten gesundheitsfördernde Einrichtungen werden. Einen entsprechenden Antrag hat unsere Bundestagsfraktion gestellt.

(Diana Stachowitz (SPD): Was hat denn Ihre Bundestagsfraktion nun zu tun?)

- Kommt noch.

Sport fördert die Teamfähigkeit, vermeidet Krankheiten und ist eine willkommene Abwechslung an der Schule. Immer wieder ist heute der direkte Zusammenhang zwischen Sport und den motorischen und kognitiven Fähigkeiten angeklungen, den auch die Sporthochschule Köln mit einer Studie belegt hat. Ich denke, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Dort, wo Sport getrieben wird, sind die Schüler aufmerksamer - es wäre vielleicht auch gut, vor einer Plenarsitzung Sport zu treiben. Mit mehr Schulsport gäbe es weniger "Unterrichtsstörungen" und insgesamt eine bessere Atmosphäre.

(Zurufe von der SPD: Ja, Hammelsprung!)

Die FDP-Fraktion hat sich im Koalitionsvertrag klar dafür eingesetzt, weil uns ganz wichtig ist, den Sportunterricht auszubauen.

Man muss sich aber auch den Status quo ansehen: Es gibt die Landesstelle für Schulsport. Sie wird über den Haushalt mit über sechs Millionen Euro gefördert - Tendenz steigend. Sie leistet Fachberatung für Schulen, leistet Lehrerbildung, organisiert Sportwettkämpfe und Sportfeste, wie die Bundesjugendspiele.

Wegen der Stundenzahl sind wir der Meinung, dass nicht zu viel Sportunterricht ausfallen darf. Wir haben uns deswegen sehr um mehr Lehrerstellen bemüht. Ich meine, dass an der Grund- und Hauptschule drei Sportstunden wöchentlich stattfinden müssen. An der Realschule muss das Modell "zwei plus zwei", also zwei Stunden Pflichtunterricht plus zwei Stunden differenzierter Sportunterricht bzw. erweiterter Basissportunterricht stattfinden. Das Modell muss an den Schulen umgesetzt und durchgesetzt werden. Das ist oft noch nicht der Fall.

(Eva Gottstein (FW): Das stimmt nicht!)

Wir sind dafür, das zu fördern.

(Eva Gottstein (FW): Konkrete Vorschläge!)

Ein Modell sind die Ganztagsschulen. Sie bieten Chancen mit einer stärkeren Vernetzung zwischen Schulen und Vereinen.

(Zurufe von der SPD und den Freien Wählern)

Das ist ein konkreter Vorschlag. Wir halten ihn für richtig, für sinnvoll und umsetzbar.

Wir sind für ein breites und qualitativ hochwertiges Sportangebot. Für bewegungsgehemmte Schüler muss es angepasste Angebote geben. Das Modell "Sport nach 1" lässt sich sehr positiv an. Es wird von jeder vierten Schule in Anspruch genommen. Es gibt 70 verschiedene Sportarten in Bayern. Ich habe mit Vertretern von Vereinen gesprochen. Das Projekt bahnt für viele Schüler - auch wenn Sie es ablehnen - den Weg in die Vereine, wo sie Spaß am Sport haben und ihn ein Leben lang machen.

(Diana Stachowitz (SPD): Wir lehnen "Sport nach 1" nicht ab, wollen aber, dass mehr gemacht wird!)

- Der Freistaat Bayern bezuschusst die Vereine mit 18 Millionen Euro, liebe Frau Stachowitz.

(Diana Stachowitz (SPD): 600 Euro gibt es für den Verein im Jahr!)

Insbesondere Vereine mit vielen Jugendlichen werden bei dieser Sportförderung begünstigt.

Wir möchten, dass alle Schüler unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern die Möglichkeit haben, den Sport zu treiben, den sie gerne machen möchten. Wir machen dabei auch Ihnen Beine, der Sportpolitik Beine, nicht nur unseren Schülerinnen und Schülern.

(Beifall bei der FDP)

Ich mache darauf aufmerksam: Zwischenrufe sollen solche auch sein. Das bedeutet aber nicht, dauernd dazwischenzureden.

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Wägemann. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten vergangene Woche die konstituierenden Sitzungen der Ausschüsse des Bayerischen Landessportbeirats, unter anderem auch des dortigen Schul- und Wissenschaftsausschusses. Dabei wurde von der neuen Vorsitzenden angeregt, in der ersten Arbeitssitzung vor der Sommerpause das Thema "Schulsport" ausführlich zu behandeln. Deswegen, lieber Kollege Felbinger, finde ich es einen etwas merkwürdigen Stil, dass Sie die Woche danach versuchen, das als Aktuelle Stunde im Landtag unterzubringen, bevor Sie mit Ihren Kollegen im Ausschuss das Thema diskutieren können. Sie, Frau Kollegin Stachowitz, sind Stellvertreterin und finden das auch noch gut. In Ordnung. Wir können dort die Arbeit einstellen und alles hierher verlegen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das Thema kennt man doch schon länger!)

Herr Felbinger, auch wenn Sie glauben sagen zu müssen, der Schulsport sei bei der CSU kein beliebtes Thema, teile ich Ihnen mit: Für mich und auch für meine Kolleginnen und Kollegen ist das ein wichtiges Thema. Wir kümmern uns sehr intensiv um den Schulsport.

(Beifall bei der CSU)

Der Aussage, dass Schülerinnen und Schüler wie alle Kinder und Jugendlichen, aber auch die Erwachsenen mehr Bewegung bräuchten, stimme ich zu. Sport und Bewegung muss man aber auch im gesellschaftlichen Kontext sehen und in eine Gesamtbetrachtung einbeziehen und darf nicht ausschließlich auf den Schulsport reduziert werden.