Protokoll der Sitzung vom 27.05.2009

Ist das das Kriterium für einen Unrechtsstaat? Das ist eine Verhöhnung der Opfer jeglicher Diktatur!

(Beifall bei den Freien Wählern und der CSU)

Gestatten Sie mir noch eine persönliche Bemerkung: Ich habe im Alter von 17 Jahren eines Abends einen Film gesehen, der mich sehr bewegt hat. Es war der Film "Ein Kapitel für sich", zurückgehend auf das gleichnamige Buch von Walter Kempowski. Der Film beschreibt, wie zwei unschuldige Brüder in den Knast von Bautzen kamen - auch die Mutter wurde inhaftiert -, wie sie gefoltert wurden, wie sie mit dem Leben davonkamen und was sie dort erlebt haben. Ich habe das dann am nächsten Tag in der Schule erzählt und mein Banknachbar sagte mit versteinerter Miene: "Ja, mein Vater saß auch in Bautzen."

Dieser Mann, sein Vater, ist heute 85 Jahre alt. Als ich am 19. September letzten Jahres anlässlich des Besuchs von Oskar Lafontaine in meiner Heimatstadt eine Protestveranstaltung organisiert habe, habe ich diesen Mann gefragt, ob er der Presse als Zeitzeuge zur Verfügung stehen wolle. Der Mann hat geweint. Er hat es nicht übers Herz gebracht, er hat gesagt: "Ich schaffe es nicht." Ein Mithäftling, Wolfgang Hardegen, hat sich überwunden. Es ist heute für diese Menschen noch immer schlimm, an diese Zeit erinnert zu werden. Es ist schlimm, daran erinnert zu werden, wie sie in Bautzen gesessen haben, an offener Tuberkulose litten, keiner hat sich um sie gekümmert. Die Häftlinge sind dort jämmerlich verreckt, und als sie nach dem Roten Kreuz gerufen haben, hat man sie zusammengetrieben, und sie mussten durch ein Spalier laufen und die Folterknechte haben auf sie eingeknüppelt. Viele Menschen sind dabei jämmerlich verreckt. Die Erinnerung an diesen Teil der deutschen Geschichte müssen wir aufrecht erhalten, meine Damen und Herren. Da müssen wir alle, die wir hier sitzen, einer Meinung sein. Da kann und darf es keine Unterschiede geben.

(Franz Maget (SPD): Dann darf man einen solchen Antrag nicht stellen!)

Deswegen müssen wir, meine Damen und Herren, egal von welcher Seite ein solcher Antrag kommt, einem solchen Antrag zustimmen. Es kann nicht sein, dass ein so wichtiges Anliegen im parteipolitischen Gezänk untergeht!

(Beifall bei den Freien Wählern, der CSU und der FDP - Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist Missbrauch der Opfer! - Weitere Zurufe)

Jetzt spreche ich Sie von den GRÜNEN an. Ich war sehr erfreut darüber, dass es eine intensive Diskussion in Ihrer Fraktion gegeben hat zu den Äußerungen von Frau Schwan und dass daraufhin viele gesagt haben: Ich muss mich bei der Bundespräsidentenwahl der Stimme enthalten. Das ist nicht einfach in einer Situation, in der man sich eigentlich festgelegt hatte.

Ich muss auch sagen, großen Respekt vor Frau Birthler, die mit den Worten zu zitieren ist: "Dass ein Ministerpräsident Sellering die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie zu ignorieren scheint, finde ich besorgniserregend." - Davor habe ich Respekt.

Aber Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, verstehe ich dann nicht, wenn Sie auf einen guten Antrag einen eigenen Antrag draufsetzen mit einem völlig beziehungslosen Satz, der zum Inhalt hat, dass Franz Josef Strauß die Leiden der Menschen durch seine Handlungen verlängert habe. Ich kann dazu nur Folgendes sagen: Ob er das getan hat oder nicht, ob die Leiden verlängert wurden oder nicht, ob Strauß Milliardenkredite vermittelt hat oder nicht, hat nichts damit zu tun, dass man sich an das Unrecht in der DDR erinnert.

Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie diese Intention hatten, aber Sie wissen hoffentlich, was Sie mit Ihrem Antrag aussagen. Diese Äußerung, die da in Ihrem Antrag steht, hat schon einmal jemand getan. Dieser Mann hieß Franz Handlos; er ist 1983 aus der CSU ausgetreten und hat mit Schönhuber anschließend die Partei der Republikaner gegründet. Das wollen Sie doch hier nicht ernsthaft zum Antrag machen und in die Debatte werfen!

(Beifall bei den Freien Wählern und der CSU - Zu- rufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen, und dazu stehe ich, so lange ich politische Verantwortung trage: Die wichtigste Aufgabe eines Demokraten ist es, gegen Faschismus und Kommunismus und gegen Extremismus von links wie von rechts zu kämpfen.

(Beifall bei den Freien Wählern und der CSU)

Ich möchte Sie gerne an die Worte von Helmut Schmidt erinnern - und da spreche ich gerade die SPD an -, der

gesagt hat: Die Sozialdemokraten sind unversöhnliche Gegner des Kommunismus und werden es auch bleiben.

(Franz Maget (SPD): So ist das!)

In dieser Gemeinsamkeit gegen die NS-Diktatur und gegen den Kommunismus müssen wir zusammenstehen. Deswegen bitte ich Sie herzlich darum, dem Antrag von CSU und FDP zuzustimmen, nicht weil er von der CSU kommt, das ganz sicher nicht. Den Antrag der GRÜNEN bitte ich zurückzuziehen, ansonsten bitte ich um Ablehnung.

(Beifall bei den Freien Wählern, der CSU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Pohl. Nun steht auf der Rednerliste Herr Staatsminister Dr. Spaenle. Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Sehr geehrter Herr Präsident, Hohes Haus! Erlauben Sie mir zu zitieren:

Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschluss, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung.

(Franz Maget (SPD): Wilhelm Hoegner, SPD!)

Wilhelm Hoegner, Sozialdemokratische Partei Deutschlands.

(Christa Naaß (SPD): Und Ministerpräsident in Bayern!)

Wer angesichts der Gründungslosung der Zweiten Deutschen Republik auf bayerischem und deutschem Boden, dem Nie-Wieder, wer angesichts der Opfer aller demokratischen Parteien in Deutschland und in Bayern, wer angesichts der Gequälten und Getöteten aus allen demokratischen Parteien in Deutschland und in Bayern einen solchen nachgezogenen Dringlichkeitsantrag heute vorlegt, wer mit den Worten Ironie und Realsatire begleitend als Motivation einen solchen Antrag vorlegt, dessen Handlung richtet sich selbst.

(Beifall bei der CSU)

Es waren die Sozialdemokraten unter Otto Wels im Reichstag, die dem Ermächtigungsgesetz nicht zugestimmt haben.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): So ist das!)

Es war dies eine Sternstunde der deutschen demokratischen Tradition und Geschichte.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Darauf sind wir sehr stolz!)

Es waren Männer wie Alois Hundhammer, Josef Müller und viele andere, es waren Männer und Frauen aus dem Bereich der liberalen politischen Kräfte, die in den Folterkammern und Todeszellen der KZs gemeinsam mit Sozialdemokraten und Kommunisten gelitten haben.

Vor diesem Hintergrund ist der Versuch einer sicher emotional bedingten Aufrechnung, glaube ich, das nicht angebrachte geschichtspolitische Mittel, der Versuch, mit einem auf Ironie und Realsatire fußenden Antrag die Rolle des früheren bayerischen Ministerpräsidenten an einer bestimmten Wegmarke der innerdeutschen Entwicklung zu diskreditieren.

Ich bin dem Kollegen Freller sehr dankbar, dass er auch auf die beiden Einladungen anlässlich des Besuchs des damaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, hingewiesen hat und auf die Tischreden. Ich möchte ausdrücklich auch an die Rolle etwa von HansDietrich Genscher bei der Überwindung der Mauer und deren Fall vor 20 Jahren erinnern - pars pro toto - und an die vielen Sozialdemokraten.

Man könnte jetzt auch philosophieren über die Ende der Achtzigerjahre zwischen den Parteien, zwischen der in der DDR herrschenden Partei und der Sozialdemokratie auf Parteienebene verhandelten gemeinsamen Papiere und Positionen. Ich möchte, ich will es nicht tun.

Wir, die wir alle hier in der Tradition derer stehen, die nach 1946, fußend auf dem Prolog der Bayerischen Verfassung des Bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, in 60 Jahren diesen Weg gemeinsam gegangen sind, sollten diesen geschichtspolitischen Bogen nicht verlassen, und ich bitte die Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ganz im Sinne dessen, was der Kollege Pohl ausgeführt hat, diesen Antrag zurückzuziehen. Er ist unter der Würde, die Sie als große politische Kraft auch in unserem Land in einer langjährigen Tradition in diesem Land und in diesem Parlament auf den Weg gebracht haben. Lassen Sie uns mit dem gemeinsamen Gründungsmythos der Zweiten Republik auf deutschem und bayerischem Boden, dem Nie-Wieder, sowohl dessen, was nach

1933 passiert ist, als auch dessen, was nach 1946 passiert ist, auch an der bayerischen Demarkationslinie mit Mödlareuth als dem Ort, der das auf bayerischem Boden bis heute deutlich macht, lassen Sie uns mit diesem gemeinsamen Gründungsmythos nach vorne gehen und Ironie und Realsatire aus geschichtspolitischen Betrachtungen verbannen, und wir haben heute gesehen, wie dünn die Haut darüber ist.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Jetzt bin ich ein bisschen verwirrt. Es folgt ein Redebeitrag von Frau Bause, und Sie, Herr Schindler, wollen eine Zwischenbemerkung zum Beitrag von Herrn Dr. Spaenle machen. - Dann, Herr Minister Spaenle, würde ich Sie bitten, noch einmal ans Mikrofon zu treten für eine Zwischenbemerkung des Kollegen Schindler. Anschließend - die Rednerliste war noch nicht geschlossen - kommt der Redebeitrag der Kollegin Bause.

Herr Minister, zunächst vielen Dank für die salbungsvollen Worte. Sie finden in unseren Reihen große Aufgeschlossenheit für die Gemeinsamkeit der Demokraten, wenn es um die Bekämpfung extremistischer Erscheinungen, egal, auf welcher Seite, geht. Weil das so ist, Herr Staatsminister, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir nicht zustimmen können, dass das schwierige Thema, das wir in den letzten Stunden diskutiert haben, nicht durch einen Antrag dieser Art befördert werden kann, weil nämlich ein Antrag dieser Art, wie er vorgelegt worden ist, zu Missverständnissen nachgerade einlädt und nicht so ernsthaft ist, dass man die von Ihnen geforderte Diskussion führen könnte.

Ich will Sie also fragen, ob Sie mir nicht zustimmen möchten, dass es das Vernünftigste wäre, wenn CSU und FDP diesen Antrag zurückziehen würden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das hätte zur Konsequenz, dass die GRÜNEN auch keinen Anlass mehr hätten für ihren Antrag. Das, meine ich, wäre eine vernünftige Vorgehensweise.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es steht mir als Mitglied der Staatsregierung nicht zu, über die Frage der Antragstellung von Fraktionen in diesem Hause zu befinden.

Wenn Sie mich als Abgeordneter fragen, dann glaube ich, ist die emotionale Tiefe der Debatte, die Ernsthaftigkeit des Bemühens - ich glaube, es gibt den Spruch: Die Geister die man rief, die wird man nicht mehr los

(Franz Maget (SPD): Genau!)

das geht in Richtung der Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -

(Lebhafter Widerspruch bei den GRÜNEN - Zuruf von den GRÜNEN: Nein, das geht in Ihre! - Große Unruhe)

Ich kann als Abgeordneter dieses Hohen Hauses an der Aufforderung an die Bayerische Staatsregierung, für eine nachhaltige und differenzierte Auseinandersetzung mit den Fragen des Unrechtsstaates in der vormaligen DDR zu sorgen, nichts erkennen, was den demokratischen Konsens in diesem Hause verletzen könnte.

(Franz Maget (SPD): Armutszeugnis!)