Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Dazu wäre auch eine bessere Fachkraftquote notwendig. In Bayern haben wir nur 52,8 % Fachkräfte; das ist ein Dilemma. Damit sind wir Schlusslicht in der Bundesrepublik. Wir müssen uns noch viel mehr anstrengen, damit gut ausgebildete Leute für unsere Kinder zuständig sind.

An dieser Stelle möchte ich eine Lanze für die Erzieherinnen und Erzieher, für die Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger brechen, die draußen ihre Arbeit tun. Ich weiß, sie gehen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Sie leisten hervorragende Arbeit, aber sie sind jetzt an einem Endpunkt angelangt. Deshalb streiken sie. Ich wünsche von hier aus - ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie auch - viel Erfolg für die Tarifverhandlungen, die heute Nacht unterbrochen wurden, um finanziell wenigstens ein kleines bisschen mehr zu erreichen für diejenigen, die diese wertvolle Arbeit leisten.

(Beifall bei der SPD)

Zur Qualität der frühkindlichen Bildung kann man viele Ansatzpunkte finden. Ich habe ein paar genannt. Es gibt eine marktwirtschaftliche Begründung, auf die vielleicht viele abfahren, weil sie eine solche Begründung für die bessere halten. Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Berechnung veröffentlicht, die sogar für Marktwirtschaftler interessant ist: Frühkindliche Bildung hat eine Rendite von 8 %. Das ist doch was in der heutigen Zeit! Man muss ja nicht direkt der Ackermann sein, aber 8 %, denke ich, ist eine ordentliche Rendite. Auch dieses Argument spricht für Qualität in der frühkindlichen Bildung. Da gäbe es, gerade wenn wir das BayKiBiG anschauen, einige Stellschrauben, an denen man etwas verändern könnte. Sie haben gesagt, Sie seien für Vorschläge dankbar. Ja, was haben wir denn alles für Vorschläge gemacht? Wir haben zum Beispiel vorgeschlagen, den Anstellungsschlüssel zu verändern. Jetzt allmählich reden Sie auch darüber, den Anstellungsschlüssel zu verändern. Aber das nützt nichts, wenn es lediglich als Ziel in Ihrer Regierungserklärung steht. Bitte machen Sie es doch zur Wirklichkeit und geben die entsprechenden Finanzen,

(Beifall bei der SPD)

damit wir den Anstellungsschlüssel tatsächlich verringern können und die Erzieherinnen und Erzieher für die

Kinder da sein können. Es ist ja ein guter Vorschlag, zu sagen, man gibt finanzielle Anreize, wenn der Anstellungsschlüssel verringert wird. Aber es wäre noch günstiger, den Anstellungsschlüssel gleich zu verändern und zu sagen, dass er so eingehalten werden muss.

Sie haben auch etwas zum Fachkräftemangel gesagt und dazu, was uns in den nächsten Jahren bevorsteht. Wir werden da ein Riesenproblem bekommen. Wir werden nicht mehr genügend ausgebildete junge Leute haben. Sie haben gesagt, Sie wollen in einen Dialog eintreten. Dann haben wir wieder Theorie und Praxis, die nicht zueinander passen. Warum machen Sie denn nichts? Warum ergreifen Sie keine Maßnahmen? Warum starten Sie nicht eine Kampagne für den Erzieherberuf?

(Beifall bei der SPD)

Das könnten Sie doch machen. Dazu muss man nicht einen Dialog führen. Es gibt viele Vorschläge von uns, etwa die berufsbegleitende Fortbildung, das Telekolleg. Das ist alles schon mal da gewesen; man kann da wirklich etwas tun.

Das BayKiBiG haben wir schon immer als den falschen Ansatz angesehen. Gewichtungsfaktoren stigmatisieren Kinder, sie sind der falsche Ansatz. Auch die ProKopf-Förderung halten wir für einen falschen Ansatz. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich haben das ja immer wieder gesagt. Ich will nur ein Beispiel nennen, weil Sie das herausgehoben haben, die Sprachförderung. Der Faktor von 1,3 wird gegeben, wenn ein Kind Eltern nicht deutscher Herkunft hat. Schon darum muss man sich streiten, wenn ein Elternteil des Kindes nicht deutscher Herkunft ist. Das ist doch der falsche Ansatz. Der Ansatz muss bei der Sprachkompetenz liegen. Wenn ein Kind nicht gescheit Deutsch kann, muss es sprachlich gefördert werden, egal welche Eltern es hat.

(Beifall bei der SPD)

Das sollte, glaube ich, der Ausgangspunkt sein. Und da meine ich nicht Bayerisch oder Fränkisch, bloß dass das klar ist.

(Beifall bei der SPD )

In die Sprachförderung wird wirklich sehr viel Geld gesteckt. Aber ich bin der Meinung: Wenn man die Gruppen und die Einrichtungen so ausstatten würde, dass sie die Sprachförderung selbst vornehmen können, müssten wir die ganzen Programme nicht durchführen und müssten wir die Kinder nicht in der Gegend herumfahren. Statten wir die Gruppen doch so aus, dass sie diese Förderung selbst vornehmen können! Dann müsste man natürlich noch darüber reden, dass die Einrichtungen von Bürokratie entlastet werden müssen.

Auch das Folgende haben Sie in Ihrer Regierungserklärung angesprochen und ich will es noch einmal sagen: Frühkindliche Bildung gehört mehr erforscht. Es ist eine Schande und ein Armutszeugnis, dass es in Bayern keinen Lehrstuhl für diesen Themenbereich frühkindliche Bildung gibt. Es ist ein Armutszeugnis, darauf zu warten, dass irgendein Stifter kommt. Da ist der Staat gefordert. Schade, dass Herr Heubisch nicht da ist, dann könnte man es ihm gleich sagen. Das wäre der richtige Ansatz.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß, wir haben das Deutsche Jugendinstitut und auch das Institut für Frühpädagogik. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber es ist wirklich schade, dass es in Deutschland mehr Lehrstühle für Japanologie als für frühkindliche Bildung gibt. Damit, meine ich, kann man sich nicht zufriedengeben.

Was die Finanzierung anbelangt, so haben Sie gesagt, dass Bayern im Vergleich mit den anderen Bundesländern hervorragend dastünde. Das freut einen. Dagegen will ich nichts sagen, wenn wir so gut sind. Aber ich verstehe nicht, wie dann folgende Zahlen zustande kommen. Vom Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung wird vorgerechnet, dass Bayern für ein Kind in der Kinderbetreuung 2.925 Euro pro Jahr ausgibt und Berlin 7.082 Euro. Irgendetwas kann da nicht stimmen. Hinzu kommen die Ungerechtigkeiten in Bezug auf die Elternbeiträge. Es gibt Einrichtungen, in denen die Unterbringung nichts kostet. Gerade im Umland von München gibt es sehr viele Kindergärten, die kostenlos sind, aber es gibt auch welche, die mehrere hundert Euro kosten. Auch das, meine ich, kann uns nicht zufriedenstellen. Deshalb muss die frühkindliche Bildung kostenfrei sein.

(Beifall der Abgeordneten Diana Stachowitz (SPD))

Das ist unser Anspruch. Ein Einstieg wäre das letzte Kindergartenjahr.

(Beifall bei der SPD)

Zu den Finanzen könnte man sagen, dass Sie viele Mitfinanzierer wie zum Beispiel Europa haben. Ich will bloß noch einen Aspekt ansprechen, weil auch das zum Thema Familie und Bildungsgerechtigkeit gehört, dass man sich darauf zurückbesinnt, dass es europäische Mittel zum Beispiel für das Nachholen des Hauptschulabschlusses gibt. Ich finde, es ist wirklich ein Armutszeugnis für Bayern, wenn wir den Schülerinnen und Schülern, die den Hauptschulabschluss nachholen wollen, nicht mit bayerischem Geld zur Seite stehen, sondern darauf verweisen, dass sie sich von Europa etwas

geben lassen sollen. Da lässt man die Familien und Kinder im Stich. Das finde ich falsch.

Was brauchen Familien, was brauchen Kinder? Ich habe es gesagt: Platz, also bezahlbaren Wohnraum, und Plätze, wo Kinder auch willkommen sind, Spielplätze, die nicht von den Anwohnern bekämpft werden. Kinder brauchen Rechte. Ich würde mir wünschen, dass wir uns darin einigen zu fordern, dass Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden. Das wäre sehr schön.

(Beifall bei der SPD)

Die CSU hat es immerhin in ihrem Programm, aber zwischen Theorie und Praxis herrscht mal wieder eine Diskrepanz. Ich könnte mir vorstellen, dass wir, wenn wir diese Kinderrechte schon eingeführt hätten, diese unsägliche Fernsehsendung, bei der Kinder verliehen werden, vielleicht hätten verhindern können, weil den Kindern Rechte zustünden.

(Beifall bei der SPD)

Kinder brauchen Wertschätzung. Darin sind wir uns wieder einig. Wir müssen sie ernst nehmen. Das gilt ganz besonders für junge Erwachsene, für Jugendliche. Das bedeutet auch, dass man sie nicht als Objekte betrachtet, sondern dass man sie mitwirken lässt, dass man sie an Entscheidungen beteiligt und Demokratie ausübt. Zum Thema Jugendsozialarbeit will ich nur sagen: Das ist, finde ich, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Mehr ist das nicht.

Es gäbe noch Vieles aufzuzählen, was Familien brauchen, wie der Rahmen um das Bild, das sich ständig verändert, und dazu ist Geld notwendig. Das haben Sie gesagt. Ich sage Ihnen auch, weil immer wieder das Thema Verschuldung angesprochen wird: Mir ist es lieber, wir haben gut ausgebildete, starke Kinder, die mit den Schulden intelligent umgehen können, die wir ihnen jetzt hinterlassen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Auch heute gilt wieder: Erwachsene sind auf die Nachsicht der Kinder angewiesen. Deswegen ist es auch notwendig, dass wir sie entsprechend wertschätzen und ihnen eine kinderfreundliche Gesellschaft bereiten, nicht eine kinderentwöhnte, sondern eine, in der sich junge Leute wieder trauen, Kinder zu bekommen, dass sie sich wieder trauen, den Kinderwunsch zu verwirklichen. Das kann man ihnen nicht verordnen, das kann man in kein Gesetz schreiben. Das müssen wir alle miteinander tun. Da, liebe Frau Ministerin, sind wir an Ihrer Seite, da sind wir auf jeden Fall dabei, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu entwickeln. Wir sollten dabei eigentlich Vorbild sein.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Für die CSU-Fraktion darf ich jetzt Herrn Kollegen Unterländer das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind froh, dass Frau Staatsministerin Haderthauer heute eine Regierungserklärung zu den grundsätzlichen und fundamentalen familienpolitischen Schwerpunkten der Bayerischen Staatsregierung gehalten hat.

(Zuruf von der SPD: Da habt ihr doch Probleme gehabt! - Weitere Zurufe von der SPD)

Wir müssen in diesem Haus einmal die Möglichkeit haben, unter anderem über das Instrument der Regierungserklärung, Politik über die Tagesaktualität hinaus zu bewerten und fortzuentwickeln. Dazu dient das. Für die CSU-Fraktion - das darf ich an dieser Stelle sagen - und für die Bayerische Staatsregierung ist die Familienpolitik, die Förderung von Kindern, ein vorrangiges politisches Anliegen. Dies drückt sich in der Koalitionsvereinbarung und in den Regierungserklärungen sowie in den Programmen aus. Wir werden diese Politik zur Förderung von Kindern und Familien in der Priorität immer ganz oben ansetzen.

Meine Damen und Herren, wir wollen aber darüber hinaus in Fragen der Sozialpolitik im Parlament Akzente setzen, damit diese Vorhaben weiter entwickelt werden können. Lassen Sie mich zwei grundsätzliche Bemerkungen in diesem Zusammenhang machen, zum einen, dass wir uns bewusst sein müssen, dass Investitionen in die Familien, unabhängig davon, wie sie definiert werden, immer Investitionen in die Zukunft sind. In der Politik müssen wir den Investitionsbegriff weiter entwickeln. Förderung von Kindern und Familien ist immer eine Investition in die Zukunft. Das ist auch wichtig bei haushaltpolitischen Entscheidungen.

(Beifall bei der CSU)

Wir müssen darüber hinaus sehen, dass Investition in Familien Prävention ist und sich auch wirtschaftlich rechnet; denn jeder Euro, der in Kinder und Familien investiert wird, hilft uns, das Doppelte und Dreifache

(Zuruf von der SPD: Das Vierfache!)

an Folgekosten im sozialen Bereich, im Rehabilitationsbereich zu sparen. Dies sollten wir uns bei Entscheidungen in diesem Hohen Haus immer wieder deutlich machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gilt auch zu berücksichtigen, dass es in der Bildungspolitik zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, die sogenannte demografische Dividende zu berücksichtigen. Das heißt also, bei zurückgehender Kinderzahl die vorhandenen Mittel trotzdem zur Verfügung zu stellen. Ich fordere an dieser Stelle, dass diese demografische Dividende bei zurückgehender Kinderzahl vor allem in den Kinderbetreuungseinrichtungen, aber auch darüber hinaus in der gesamten Familienpolitik auch in Zukunft uneingeschränkt zur Verfügung steht. Wir wollen diese Investitionen in Familien und Kinder richtig anlegen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im Zusammenhang mit den durchaus auch nachdenklich stimmenden Ausführungen von Frau Kollegin WernerMuggendorfer zwei kurze Bemerkungen machen. Es ist, wie Frau Ministerin Haderthauer völlig zu Recht festgestellt hat, einfach so: Mittel für den Ausbau der Kinderbetreuung hängen von den kommunalen Entscheidungen ab. Wir werden auf Landesebene jeden Platz, in den von kommunaler Seite investiert wird, unterstützen und fördern. Daran wird sich auch in Zukunft kein Jota ändern.

(Beifall bei der CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine zweite Bemerkung. Wenn die Kinderbetreuungszahlen für Kinder unter drei Jahren immer wieder heruntergerechnet werden und behauptet wird, dass es angeblich zu wenig Plätze gebe, dann sage ich: Sie rechnen falsch, weil Sie nicht ausschließlich ein einziges Angebot für Kinder unter drei Jahren hernehmen dürfen, was die Krippenplatzangebote anbelangt. Wir sind gerade stolz darauf, dass es Tagespflegeangebote gibt, und darauf, dass es Altersöffnungsangebote in Kindertagesstätten gibt. Dieser Mix, diese Vielfalt von Angeboten ist auch ein Konzept zur Förderung und Unterstützung von Kindern unter drei Jahren. Daran werden wir auch festhalten. Das ist keine qualitative Verschlechterung gegenüber anderen Bundesländern, ganz im Gegenteil, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten diese Regierungserklärung und die Aussprache darüber auch dazu nutzen, um eine grundsätzliche Bestandsaufnahme und Weiterentwicklung der Familienpolitik und Kinderförderung anzugehen und Bewertungen vorzunehmen. Familien werden nicht vom Staat geschaffen, sie sind letztlich das, was Verfassungsrichter Böckenförde als "vorkonstitutiv" festgestellt hat. Das heißt also, sie haben einen Anspruch darauf, gefördert zu werden,

und der Staat darf sich nicht einmischen, welche Lebensmodelle gelebt werden.

(Renate Ackermann (GRÜNE): Genau!)

Es muss - das ist unsere politische Konsequenz - Wahlfreiheit für die Gestaltung des Lebens der Familien unabhängig von einer staatlichen Vorgabe hergestellt werden. Das müssen wir in unserer Politik in beiden Bereichen, sowohl was den Ausbau der Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben anbelangt als auch was die finanziellen Entlastungen anbelangt, angehen. Der Staat schreibt nicht vor, der Staat hat die Familien zu unterstützen.