Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Deswegen haben wir von den Freien Wählern mehr Mittel für Kindertageseinrichtungen gefordert. Der entsprechende Änderungsantrag der Freien Wähler vom 25. Februar zum Doppelhaushalt 2009/2010 wurde uns völlig unverständlich - abgelehnt. Es handelt sich um einen ganz elementaren Bereich, den man mit den erforderlichen Mitteln ausstatten muss.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Da kann man sich nicht einfach zurückziehen und sagen: Wir haben kein Geld für ein gebührenfreies Kindergartenjahr. Das gebührenfreie Kindergartenjahr ist übrigens - das nur nebenbei bemerkt - eines der nicht eingelösten Wahlversprechen der CSU.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Aber für die Eltern ist es nicht nur wichtig, überhaupt einen Betreuungsplatz zu haben. Ihre Kinder sollen und müssen dort auch pädagogisch gefördert und individuell betreut werden. Dafür steht in Bayern ein beachtenswerter Bildungs- und Erziehungsplan zur Verfügung. Es wäre eine Freude, wenn man diesen in die Praxis umsetzte. Dafür allerdings brauchen wir in Bayern mehr Lehrer, kleinere Klassen und einen neuen Personalschlüssel in den Kindergärten und Kinderkrippen. Selbst der Wissenschaftlich-Technische Beirat der Bayerischen Staatsregierung fordert einen Einstellungsschlüssel von 1 zu 8 in den Kindergärten.

Wollen wir diesen Schlüssel erreichen, müssen wir dafür sorgen, dass es genügend Fachpersonal gibt. Es muss in die Ausbildung und Fortbildung von pädagogischem Personal investiert werden. Auch eine adäquate Bezahlung für diesen Beruf ist dringend nötig. Nicht umsonst gehen die Erzieherinnen und Erzieher derzeit auf die Straße. Bei einer Vollzeitarbeit als Erzieherin muss man sich selbst und mindestens ein Kind ernähren können.

Gerade, wenn wir die Ganztagsbetreuung immer mehr ausbauen, was dringend notwendig und seit Langem eine Forderung der Freien Wähler ist - neuerdings auch der Staatsregierung -, ist es umso wichtiger, auf Qualität in den Einrichtungen zu setzen. Allerdings stimme ich Ihnen, sehr geehrte Frau Haderthauer, nicht zu,

wenn Sie sagen, dass die Qualitätsoffensive Vorrang vor dem gebührenfreien Kindergartenjahr haben soll. Beides ist notwendig und ich bitte Sie, beides schnellstmöglich in die Tat umzusetzen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Kinder sollen in einer Betreuungsstätte nicht nur aufbewahrt werden, sondern es soll und muss ihnen dort Bildung vermittelt werden, und zwar allen Kindern, unabhängig von ihrem Elternhaus und ihrem sozialen Status.

Wie der Münchner Armutsbericht 2007 belegt, sind Kinder aus sozial schwachen Familien von einem überproportional hohen Armutsrisiko bedroht und in Gefahr, später selbst arm zu sein. Schaffen wir es nicht, allen Kindern gleiche Bildungschancen einzuräumen - dafür ist unter anderem auch die Abschaffung der Studiengebühren notwendig, die 100.000 junge Menschen gestern zu Recht auf den Straßen forderten -, werden wir die Kosten hierfür potenziert im weiteren Lebensverlauf dieser Kinder tragen müssen. Denn auch das hat der Sozialbericht gezeigt: Armut ist vererbbar.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Das Risiko eines Kindes eines Hartz-IV-Empfängers, wiederum auf Sozialleistungen angewiesen zu sein, ist deutlich höher als das der übrigen Bevölkerung. Das sind keine gleichen Bildungschancen; das ist Abhängigkeit vom sozialökonomischen Status der Eltern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kinder- und Jugendprogramm der Staatsregierung stammt aus dem Jahre 1998. Da zeigt sich doch ganz offensichtlich, welchen Stellenwert die Jugendpolitik bei unserer Staatsregierung leider immer noch hat.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Die kulturellen Angebote für junge Menschen müssen ausgebaut werden. Es muss genügend Sportvereine und Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Die politische Bildung muss verbessert werden, und die Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit müssen gefördert werden.

Der Bayerische Jugendring und die vielen anderen Jugendorganisationen müssen in ihrer wertvollen Arbeit unterstützt werden. Die Forderung nach Raum für Familien betrifft aber nicht nur unsere Kinder; auch die Eltern müssen die Chance haben, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können.

In finanzieller Hinsicht bedeutet das für die Frauen, dass sie endlich gleiches Geld für gleiche Arbeit bekommen müssen. Dies ist in Deutschland nach wie vor

nicht der Fall. Frauen verdienen immer noch 23 % weniger als Männer. Damit ist Deutschland eines der Schlusslichter im europäischen Vergleich. Hier muss ein Wandel erfolgen.

Dass Frauen und Männer die gleiche Bezahlung erhalten ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist traurig und beschämend zugleich, dass dies in unserem Lande überhaupt noch thematisiert werden muss. Es ist Sache der Politik, die richtigen Anreize zu setzen und eine familienbewusste und frauenfreundliche Unternehmenspolitik zu fördern. Dies wäre zum Beispiel durch die Förderung des Programms Beruf und Familie möglich, wie es in anderen Bundesländern wie zum Beispiel in Baden-Württemberg bereits gemacht wird.

Zum Schluss möchte ich noch auf ein grundlegendes Problem hinweisen, das zu einer gesellschaftlichen Schieflage führt, die wir so nicht hinnehmen dürfen. Familien und Kindern kommt in unserer Gesellschaft kein besonders hoher Stellenwert zu. Da werden Klagen eingereicht, weil Kinderstimmen vom Spielplatz oder das Betreiben von Kinderkrippen in Wohngebieten als Lärmbelästigung empfunden werden. Und da werben doch Hotels und Gaststätten tatsächlich noch mit Sprüchen wie "No Kids", und sie sind auch noch stolz darauf, damit eine Marktlücke entdeckt zu haben. Solche kinderfreien Zonen sind keine Marktlücke, sondern schlichtweg ein Skandal.

(Beifall bei den Freien Wählern und der FDP)

Hierzu abschließend noch eine Zahl, die die Familienund Kinderfeindlichkeit in unserem Land nicht deutlicher belegen könnte. Im Durchschnitt kommen auf einen deutschen Haushalt zwar 1,7 Autos, aber nur 1,4 Kinder. Das müssen wir uns vor Augen führen und uns fragen: Wollen wir das? Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, die Kinder als Belästigung empfindet, die Kinder als Mittel zum Zweck für die Altersversorgung betrachtet, oder sehen wir Kinder als unsere Zukunft, sehen wir Kinder als eine Bereicherung unseres Daseins und als eine Erweiterung des Horizonts? Ich tue das. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ansetzen und die Prioritäten richtig setzen: qualifizierte Kinderbetreuung, flexible Lehrpläne, die sich dem schnellen Wandel der Zeit anpassen lassen, spannende Herausforderungen für Jugendliche, die zur Annahme reizen, Unterstützung für junge Familien, und zwar nicht nur finanziell, sondern auch gesellschaftlich. Darin sollten wir unsere Aufgaben sehen und dafür sollten wir uns, unabhängig von unserer Parteizugehörigkeit, einsetzen.

(Beifall bei den Freien Wählern, der SPD und Ab- geordneten der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Kollegin Ackermann das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bedauere es außerordentlich, dass die Ministerin nicht die Zeit gefunden hat, während dieser Debatte in diesem Raum zu bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN, der FDP, der SPD und den Freien Wählern)

Handelt es sich doch um ein Thema, das sie nur mit Mühe heute auf die Tagesordnung setzen konnte.

(Zuruf von der CSU: Da ist sie doch!)

- Ja, jetzt ist sie gekommen, aber sie war während der Rede der Kollegin von den Freien Wählern und auch streckenweise bei der vorhergehenden Rednerin nicht anwesend. Das ist sehr schade.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Kolleginnen haben sich doch Gedanken darüber gemacht, wie es um die Familien in Bayern bestellt ist, und da sollte man zumindest zuhören.

Frau Ministerin, jetzt sind Sie da und da kann ich es Ihnen gleich sagen: Ich halte Ihre Rede für enttäuschend. Sie ist ein Stehenbleiben bei der alten Familienpolitik der CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN - Widerspruch des Ab- geordneten Dr. Manfred Weiß (CSU))

Vielleicht hat das auch einen guten Grund. Vielleicht war es für Sie wichtig - Sie haben schon etliche Vorstöße gemacht -, jetzt dazu etwas zu sagen. Mir tut das Ganze leid, weil die Kinder und Familien es verdient hätten, dass an dieser Stelle ein Aufbruch stattgefunden hätte, ein Paradigmenwechsel hin zu einer modernen Familienpolitik, hin zu einer modernen Politik für Kinder und hin zu einer modernen Politik für frühkindliche Betreuung.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wie Sie den Stellenwert des Staates im Zusammenhang mit der Familie sehen, haben Sie in dem Satz deutlich gemacht: Was Familie nicht leistet, wirkt sich auf das Gemeinwesen aus. Das heißt doch, die Familien versagen und der Staat muss zahlen. Ich sage Ihnen: Es ist genau umgekehrt. Das, was das Gemeinwesen nicht leistet, wirkt sich auf die Familien aus. Das ist das Problem, das wir heute diskutieren müssten. Die Familien sind die Leidtragenden einer verfehlten Politik für die Familien.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese verfehlte Familienpolitik hat sich in den letzten Jahrzehnten in der CSU hartnäckig gehalten. Wir haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass sich die gesellschaftlichen Möglichkeiten in Bayern verändert haben. Es gibt nicht mehr nur noch die sogenannte heile Familie. Es gibt sehr viele Menschen, die auch Familien sind, auch wenn sie alleinerziehend sind, auch wenn sie Patchwork-Familien sind oder auch wenn sie Familien sind, die ohne Trauschein leben. All das sind auch Familien, die sich um alle einschlägigen Belange kümmern müssen. Das alles ist in der Vergangenheit von Ihrer Partei völlig ignoriert worden. Und genau deswegen haben wir jetzt diesen Rückstand und genau deswegen haben wir jetzt viel zu wenige Kinderkrippen und andere Betreuungsmöglichkeiten. Da sollten Sie jetzt eigentlich mit Siebenmeilenstiefeln vorangehen und müssten das bisher gepflegte Schneckentempo verlassen. Dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben gesagt, wir müssten Rahmenbedingungen für Familien schaffen. Sie sagen: Familienpolitik muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich Menschen für Familien und Kinder, auch für mehrere Kinder, entscheiden können und nicht ins soziale Abseits geraten. Sehen wir uns einmal die Realität an. Was passiert mit Familien mit Kindern? Familien ohne Kinder haben ein Armutsrisiko von 8 %. Das durchschnittliche Armutsrisiko für Haushalte liegt bei 12 %. Alleinerziehende haben bereits ein Armutsrisiko von 25 bis 35 %, und Kinderreiche haben ein Armutsrisiko von 14 bis 20 %. Das bedeutet: Wer sich in diesem Staat Kinder leistet, hat ein sehr hohes Armutsrisiko.

Das ist nicht gerade ein Anreiz für Familien. Das ist Ausfluss der Politik, die bisher in Bayern betrieben wurde. Nachtragen möchte ich noch, dass Migranten, die oft viele Kinder haben, ein noch höheres Armutsrisiko haben, nämlich ein Armutsrisiko von 25,4 %. Dieses Risiko ist zweieinhalbmal so hoch wie der Durchschnitt. Das ist kein Anreiz, in diesem Land Kinder zu bekommen.

Trotzdem fordere ich Sie auf: Schaffen wir familienfreundliche Rahmenbedingungen. Das lohnt sich nicht nur in ideeller Hinsicht. Es lohnt sich auch in finanzieller Hinsicht, eine familienfreundliche Politik zu machen; denn die Folgekosten, die wir tragen müssten, wenn wir Familien und Kindern nicht entgegenkämen, lägen um ein Vielfaches höher als die Investitionen, die nötig sind, um Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen. Das zeigt auch der internationale Vergleich: Diejenigen Länder, die eine moderne Familienpolitik betreiben, haben

Familien, die sich für mehr Kinder entscheiden, weil sie den Mut dazu haben und weil sie nicht dafür bestraft werden.

Wichtig ist aber auch, dass wir in diesem Land die Frauen stärken. Wir müssen die Chancen von Frauen vermehren.

(Franz Maget (SPD): Frauen sind schon Schafkopf-Weltmeister geworden!)

Immer noch sind es zumeist Frauen, die einen Großteil der Erziehungsleistungen und einen Großteil der Pflegeleistungen erbringen und dafür den Ausstieg aus ihrem Beruf in Kauf nehmen müssen. Diese eklatante Infrastruktur-Schwäche geht zulasten der Frauen. Die Pflege und die Armut sind weiblich. Hier besteht ein Zusammenhang. Das darf nicht sein. Nur weil sich Frauen verstärkt für Pflege verantwortlich fühlen, dürfen sie nicht in die Armutsfalle stolpern.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der Abge- ordneten Eva Gottstein (FW))

Wir setzen dem eine grüne Familienpolitik entgegen, die die Vielfalt der Familienformen anerkennt und auf einer familienfreundlichen Infrastruktur aufbaut. Unsere Familienpolitik bietet den Familien eine zielgenaue und bedarfsgerechte finanzielle Unterstützung an. Wir engagieren uns für eine neue Lebensphasenpolitik, um den Eltern die Möglichkeit zu bieten, ihre Kinder mit Verantwortung und Muße zu erziehen. Wir setzen auf eine Arbeitswelt, die Zeit für die Familien schafft.

Schon immer sind die öffentliche und die private Verantwortung für Kinder und Familien als Gegensatz begriffen worden. Frau Ministerin, das war auch in Ihrer Rede der Fall. Diese Sichtweise ist völlig falsch. Richtig ist, dass dies zwei sich gegenseitig unterstützende Systeme sein müssen. Es darf kein Gegeneinander von Familie und Staat geben. Weil die Familie jedoch als zentraler Ort für Bildung und soziale Zuwendung nicht alles leisten kann, ist es wichtig, dass der Staat durch die Veränderung seiner Strukturen die Familie unterstützt.

Damit komme ich zur Bildung. Wir brauchen ein anderes Bildungssystem, um die Familien zu unterstützen. Wir brauchen ein Bildungssystem ohne Selektionszwang, ein Bildungssystem, in dem gemeinsam gelernt werden kann und das eine Chancengleichheit bietet. Wir brauchen kein dreigliedriges Schulsystem; denn dieses System sondert aus, es behindert und es hilft den Familien nicht. Durch dieses System werden die Familien vielmehr unter einen enormen Druck gesetzt. Der Leistungsdruck beginnt bereits in der Grundschule und belastet die Familien massiv durch Hausaufgaben,