Protokoll der Sitzung vom 14.10.2009

Was sollen wir nun unter "Grundschulabitur" verstehen? Das ist ein merkwürdiges Wort, vor allem dann, wenn man sich solide mit den Gegebenheiten der Grundschule auseinandersetzen möchte. Ich wünsche mir, dass wir auch in dieser Plenarsitzung dazu beitragen, die Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Wir sollten nicht durch markige Sprüche und eine entsprechende Wortgewandtheit für tolle Presseartikel sorgen, sondern überlegen, wo wir wirklich mit den Kindern vorwärtskommen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Entgegen aller Schlechtmacherei genießt die Grundschule in Bayern ein sehr hohes Ansehen. Gerade durch das neue Übertrittsverfahren wurde Druck aus der Grundschule herausgenommen. Wir haben jetzt eine Übertrittsphase von der 3. bis zur 5. Klasse, damit die Kinder und die Eltern innerhalb eines längeren Zeitraums sehen können, welcher Schulweg für sie der richtige ist. Damit wird der Übertritt wesentlich kindgerechter gehandhabt. Bereits in der 3. Klasse gibt es Elternberatung und Elternbegleitung. In den Sprechstunden und an den Elternsprechtagen ist die Individualberatung ebenso vorgesehen. Hier fließen auch die Orientierungsarbeiten ein.

Während der 4. Jahrgangsstufe wird von den Schülern wesentlich der Druck genommen, indem eine Richtzahl von Leistungsnachweisen eingeführt wird. Die Termine für die Leistungsnachweise werden angesagt, und die Lernphasen werden stärker ausgeweitet. Das war im Übrigen der Wunsch vieler, vieler Eltern, die gesagt haben, dass sie das bewusst ausprobieren wollen. Auch hier merken wir, dass oftmals jetzt schon gemeckert wird, statt dass man das probiert und schaut, welche Bedeutung das für die Kinder hat.

Im Januar der 4. Klasse erhalten die Eltern eine schriftliche Zwischeninformation zum Leistungsstand. Im Mai kommt das Übertrittszeugnis mit einer entsprechenden Schullaufbahnempfehlung.

In der 5. Jahrgangsstufe lassen wir unsere Schülerinnen und Schüler ebenfalls nicht allein. Wir geben ihnen und ihren Eltern Beratung, damit sie bewusst für sich entscheiden können, wohin die Reise geht. Hierfür haben wir die Intensivierungskurse an der Haupt- und Realschule ebenso wie die Intensivierungsstunden am Gymnasium.

Die Zielsetzung hierbei ist natürlich, die leistungsstarken Schüler entsprechend zu einem aufsteigenden Übertritt fördern zu können und die leistungsschwächeren entsprechend zu fördern, dass sie ihre maximalen Kompetenzen entwickeln können. Deswegen gilt eben auch die 5. Klasse als Gelenkklasse. Sie gibt die Möglichkeit festzustellen, in welcher Schule das Kind am besten aufgehoben ist.

Bei Note Vier galt der Probeunterricht bisher als nicht bestanden. Jetzt haben wir die Möglichkeit, dass die Eltern entscheiden können, welche Schulart die Kinder wählen. Neben der intensiveren Beratung der Übertrittsempfehlung und des Probeunterrichts sollen bei den Eltern mehr Möglichkeiten der Entscheidung ankommen. Damit die Eltern diesen Entscheidungsraum auch verantwortlich nutzen können, wird die Beratung der Erziehungsberechtigten intensiviert. Zusätzlich zu bisherigen Informationsveranstaltungen in der Jahrgangsstufe 4 findet auch in der Jahrgangsstufe 3 etwas statt. Die Erziehungsberechtigten erhalten hier einen umfassenden Überblick über das differenzierte bayerische Schulwesen mit seiner Bandbreite, mit der Hochwertigkeit und der Möglichkeit, begabungsgerecht entsprechende schulische Bildungswege auszuwählen.

Die Tatsache, dass sich in allen weiterführenden Schularten in Bayern Anschlussmöglichkeiten eröffnen, wird bei den Informationsveranstaltungen stärker ins Bewusstsein gerückt. Nicht jedes Kind ist zu jedem Zeitpunkt geeignet, eine gymnasiale Laufbahn einzuschlagen, und das muss es auch nicht. Jedes Kind muss individuell anhand seiner Fähigkeiten gefördert wer

den, um seine Kompetenzen maximal entwickeln zu können.

Bereits jetzt begleiten Grundschullehrer Kinder je nach Erfordernis ihrer Entwicklung bis zu sechs Jahre. Diese Begleitung startet bereits vor dem Schulbesuch durch eine intensive Kooperation mit dem Kindergarten und erfolgt während der in der Regel vier Schuljahre an der Grundschule sowie in der 5. Jahrgangsstufe durch das Angebot der sogenannten Lotsen an weiterführende Schulen. Dass Kinder entsprechend ihrem Leistungsstand und dem Leistungsvermögen die Grundschulzeit innerhalb einer Zeitspanne von mehr oder weniger vier Jahren absolvieren können, ist geplant. Im Modellprojekt werden das Kultusministerium und die Stiftung Bildungspakt Bayern die optimale Gestaltung der Eingangsstufe der Grundschule erproben. Deswegen ist auch daran gedacht, die Verweildauer in den ersten zwei Jahren so weit zu flexibilisieren, dass man auf den Einzelfall wesentlich mehr achten kann.

Ein weiterer Meilenstein für eine individualisierte und kindgerechte Einschulung wurde von unserem Staatsminister und von unserem Staatssekretär Dr. Marcel Huber in der Sommerpause gesetzt. Ab 2010/2011 werden wieder alle Kinder mit sechs Jahren eingeschult. Persönlich mag ich dafür ein herzliches Dankeschön sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU und der FDP)

Sie sehen, meine Damen und Herren, die CSU geht weg von standardisierten Schulwegen. Es geht um Flexibilität, um Individualität. Entscheidend ist, dass jedes Kind aufgrund seiner Stärken individuell betrachtet und dementsprechend auch gefördert wird. Deshalb kann aus meiner Sicht Bildungspolitik für die nächsten Jahre nur heißen: Flexibilität, Individualität, durchlässige Schulsysteme und eine positive Herangehensweise an den Schuleintritt.

Derzeit werden aber oft Eltern durch politische Meinungsbildung stark verunsichert, wenn ihnen eingeredet wird, das Leben würde so wahnsinnig schwer, wenn die Kinder in die Schule kommen. Ich bitte Sie alle zusammen, sich der Verantwortung bewusst zu sein, was wir tun, wenn wir Eltern verunsichern, gerade auch durch solche Worte wie "Grundschulabitur". Es wird ihnen Angst eingejagt. Ich bitte Sie herzlich, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass es unseren Kindern in den Grundschulen auch weiterhin gut geht.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU und der FDP)

Danke schön, Frau Kollegin Schreyer-Stäblein. Jetzt hat Herr Kollege Pfaffmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schreyer-Stäblein, das, was Sie eben vorgelesen haben, liest sich wie eine Presseerklärung des Kultusministeriums.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das, was Sie gesagt haben, haben wir alles schon gehört und gelesen. Ich würde mir wünschen, dass Sie einmal Ihre politischen Gründe darlegen, warum Sie sozusagen verzweifelt versuchen, eine Verbesserung mit verwaltungstechnischen Mitteln herbeizuführen.

Zunächst einmal hat das, was Sie vorgelesen haben, mit der Realität an der Schule gar nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wie absurd Ihre Argumentation ist, zeigt sich an der Formulierung - ich habe es mitgeschrieben -: "Die Bildungspolitik der Zukunft ist Flexibilität und Individualität." Bravo!

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Wenn man so etwas in den Mund nimmt und es auch noch ernst meint, dann darf man die 4. Klasse Grundschule aber nicht formalistisch durchorganisieren vom ersten bis zum letzten Tag.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das hat mit Flexibilität und Individualität überhaupt nichts zu tun.

Dann sagen Sie solche Plattitüden wie: "Wir sind stolz auf die fachlich gut ausgebildeten Grundschullehrer." Selbstverständlich, das sind wir auch. Aber was hat das damit zu tun, dass wir die Kinder in der 4. Jahrgangsstufe sozusagen selektieren? Die Grundschullehrer können in der Tat nichts dafür. Nein, das stimmt. Sie sind verantwortlich, nicht die Grundschullehrer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie müssen also nicht ständig betonen, dass die gut sind.

Dann sagen Sie solche Sätze wie: "Die bayerischen Schülerinnen und Schüler fühlen sich wohl an der Schule." Bravo! Wo haben Sie denn das gelesen? Haben Sie denn die Realität völlig vergessen, dass wir einen Leistungsdruck haben, der sogar so weit geht, dass Ärzte in Bayern - nicht irgendwo - sagen: Die Symptome für psychische Probleme gerade bei Kindern im zehnten Lebensjahr, also in der vierten Grundschulklasse, steigen an. Die Ärzte führen das auf den Grundschulleis

tungsdruck zurück. Sie reden also völlig an der Realität vorbei. Das ist die Wahrheit und nichts anderes.

Sie sagen solche tollen Sätze wie: "Wir wollen die Kinder in den Mittelpunkt stellen." Bravo! Da kriegen Sie überall in ganz Bayern bis in den letzten Winkel Zustimmung. Das ist eine Formulierung, die wir alle mittragen. Wir wollen die Kinder auch in den Mittelpunkt stellen. Aber der Unterschied ist, Kolleginnen und Kollegen: Sie reden zwar davon, machen jedoch etwas ganz anderes. Das ist eine bittere Wahrheit. Sie stellen nicht die Kinder in den Mittelpunkt, sondern die Durchsetzung und das dogmatische Festhalten an Ihrer ideologischen Politik der Dreigliedrigkeit und Selektion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das, was Sie hier sagen, hat mit der Schulrealität überhaupt nichts zu tun.

Ich will ein paar Punkte zu dem neuen Übertrittsverfahren aufgreifen. Sie legen die Lern- und Probephasen jetzt fest. Das heißt, Sie sagen den Lehrerinnen und Lehrern vom ersten bis zum letzten Tag in der 4. Klasse der Grundschule, wann sie was machen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist Formalismus pur. Schule lebt aber von Demokratie und von Freiheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Schule lebt davon, dass Eltern, Lehrer und Schüler individuell nach dem jeweiligen Stand der Kinder Freiheiten haben. Man darf sie nicht knebeln. Aber genau das machen sie jetzt in der 4. Grundschulklasse und wollen es als große Innovation verkaufen. Nein, das ist Formalismus pur und verhindert die pädagogische Freiheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gleichzeitig sagen Sie: "Wir haben gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer." Ja, die haben wir. Aber was nützt uns das denn, wenn wir die gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer an die verwaltungstechnische Leine legen? - Gar nichts. Sie können nämlich ihre pädagogische Qualifikation gar nicht zur Anwendung bringen. Insofern sind Anspruch und Wirklichkeit, wie Sie sie darstellen, meilenweit voneinander entfernt.

Sie nehmen auch die gesamtdeutsche Schuldebatte überhaupt nicht zur Kenntnis. Wahrscheinlich sind Sie ideologisch blind. Alle Schulen, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet werden, haben ein demokratisches Mitbestimmungsrecht. Da gibt es kein Hineinregieren seitens der Politik und der Mehrheit dieser Fraktion. Sie sind frei und können ihre Kinder fördern. Das nehmen Sie gar nicht zur Kenntnis und reden schön daher, wie toll das alles wäre, ganz abgesehen von der Tatsache, dass Sie nicht zur Kenntnis nehmen

wollen, dass die Kinder mittlerweile die Problematik des Leistungsdrucks mit nach Hause nehmen. Wissen Sie überhaupt, was sich in den Elternhäusern abspielt, wenn das Übertrittszeugnis ansteht? Wissen Sie, was gebüffelt anstatt individuell gefördert wird, damit man eine Schulaufgabe besteht, um sozusagen eine Übertrittsnote zu erhalten? Was Sie machen, ist Murks, nichts anderes. Das hat mit einer vernünftigen, nachhaltigen Schulpolitik nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abge- ordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Sie betrügen die Schulen auch noch. Ich darf Sie daran erinnern, dass Ihr Kultusminister im März dieses Jahres zur Beruhigung der Gemüter an den Schulen versprochen hat, zusätzliche Förderstunden einzurichten. Er hat es versprochen! Anschließend haben Sie eine Presseerklärung gemacht: Jetzt geht es los mit der individuellen Förderung. Es gibt zusätzliche Stunden.

Und was kam heraus? Nichts. Fehlanzeige. Wo sind die individuellen Förderstunden?

Wir haben nachgefragt und ich sage Ihnen gerne, was rausgekommen ist: Dieser Kabinettsbeschluss wurde nicht umgesetzt. Und da frage ich Sie: Was wollen Sie überhaupt mit Ihrem Anspruch auf individuelle Förderung, wenn Sie nicht einmal Ihre eigene Regierung kontrollieren, damit diese die versprochenen Stunden auch auf den Tisch des Hauses legt, sodass die Schulen den Anspruch der individuellen Förderung umsetzen können? Also ist auch hier ein himmelweiter Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Sie versuchen mit dem Drehen am kleinen Rädchen den Eindruck zu erwecken, als gingen Sie in der Schulpolitik nach vorne. Ich will nur ein paar dieser kleinen Schräubchen nennen: neues Übertrittsverfahren, Gelenkklassen, Dialogforen, Hauptschulreform II nach Ingolstadt, Mittelschule, Schulverbünde und so weiter und so fort. Der Eindruck, Sie gingen nach vorne, den Sie erwecken wollen, ist falsch; das Gegenteil ist der Fall. Mit dieser "Reform" machen Sie die Schulen, die insgesamt eine Strukturreform bräuchten, ganz kaputt. Sie demotivieren nicht nur die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Landräte, sondern auch die Eltern und Lehrer. Sie sehen doch alle, wenn Sie deren Post lesen, was da los ist. Sie sollten vielleicht einmal die Beschwerdebriefe der Grundschullehrer gerade in dieser Sache nicht ungelesen in den Papierkorb werfen. Sie sollten vielmehr einmal studieren, was da geschrieben steht. Ich darf Sie an die Hunderte von EMails erinnern, die in den letzten Tagen aufgelaufen sind und die Sie alle bekommen haben.

(Zurufe von der CSU)

Darin ist zu lesen, dass die Grundschullehrer fassungslos über diese Reform sind. Auch wir sind fassungslos, wie brutal Sie letzten Endes über die Realitäten an den Schulen hinweggehen.

Und zum Schluss noch etwas. Wissen Sie, was der Leistungsdruck auf die Kinder, die Selektion im zehnten Lebensjahr, die grundschulabiturzentrierte vierte Klasse bedeuten? Das ist unchristlich.

(Widerspruch bei der CSU)