Protokoll der Sitzung vom 14.10.2009

(Widerspruch bei der CSU)

Das ist von vorn bis hinten unchristlich.

(Beifall bei der SPD)

Sie erheben den Anspruch, sich am christlichen Menschenbild zu orientieren. Was Sie hier mit den kleinen Kindern machen, ist unchristlich, Kolleginnen und Kollegen, und dabei bleibe ich.

(Anhaltende Zurufe von der CSU)

Ich kann Sie nur auffordern: Hören Sie auf damit. Machen Sie ein Moratorium! Lassen Sie uns alle Reformen stoppen und gemeinsam überlegen, wie wir eine nachhaltige Schulpolitik in gesellschaftlichem Konsens gestalten können. Von mir aus kann das über die Fraktionen hinweg geschehen. Dann brauchen Sie sich nicht innerhalb der CSU-Fraktion über Ihre eigene Schulpolitik zu streiten.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns über die Fraktionen hinweg eine nachhaltige Schulpolitik betreiben, die trägt und nicht solchen Murks produziert. Jeden Tag wird eine andere schulpolitische Reform durch die Landschaft getrieben,

(Zurufe von der SPD und der CSU - Eberhard Sin- ner (CSU): Sehr schlechtes Deutsch!)

aber raus kommt nichts. Ihr verzweifelter Versuch, das auch noch als Erfolg zu verkaufen, kann so nicht funktionieren. Das ist inzwischen jedermann klar. Hören Sie damit auf. Reden wir gemeinsam über die Fraktionen hinweg über eine nachhaltige Schulreform mit BestPractice-Modellen, die wirklich trägt. Da sind wir dabei. Bei solchem Zeug, wie Sie es hier produzieren, sind wir nicht dabei. Das werden wir immer wieder thematisieren.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. Als Nächste hat Frau Kollegin Eva Gottstein das Wort. Frau Gottstein, bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann natürlich positiv vermerken, dass bereits heute wieder eine Aktuelle Stunde zum Thema Bildung stattfindet. Man kann aber natürlich auch sehr ernsthaft überlegen, warum bei diesem so wichtigen Instrument der Aktuellen Stunde schon wieder das Thema Bildung zur Debatte steht. Ich denke, weil hier vieles eben nicht zum Besten steht.

Gestern haben Kollegen meiner Fraktion und ich mit Vertretern der bayerischen Universitäten gesprochen, wobei es unter anderem auch um die Bachelor- und Masterstudiengänge ging. Und im Rahmen der Umstrukturierung der Bachelor Studiengänge ging es um den Prüfungsstress, den die Studenten nun im Rahmen dieses Studiums hätten. Seitens der Hochschuldirektoren bestand die Auffassung, man müsste manchen Studiengang vielleicht noch weiter verkürzen; es gebe vielleicht zu viele Leistungsanforderungen. Da muss ich schon lächeln, denn immerhin war da von Studenten die Rede. Gleichzeitig werden unten bei den Grundschülern 22 Leistungsnachweisen gefordert. Das muss man sich einmal vorstellen: 22 Leistungsnachweise! Ich gehöre bestimmt zu denjenigen, die hier im Hohen Hause immer wieder sagen, dass man absolut etwas von den Schülern fordern müsse.

(Zuruf von der CSU: Wie viel?)

- Wie viel, die Gegenfrage ist gut. Es war keine Vorschrift, und genau darum geht es bei diesem Thema. Es geht um die pädagogische Förderung statt einem Grundschulabitur. Natürlich hat ein Lehrer seinen Mindestanforderungen nachzukommen, aber 22 Leistungsnachweise - zwölf in Deutsch, fünf in Mathematik und fünf in Heimat- und Sachkunde, also insgesamt 22 sind zu viel. Deshalb ist die Überschrift dieser heutigen Aktuellen Stunde durchaus richtig.

Die konkrete Verteilung durch Vorschriften auf Prüfungswochen und prüfungsfreie Wochen hat nichts mehr mit pädagogischer Förderung zu tun, sondern ähnelt sehr wohl einem Grundschulabitur. Nun diejenigen schlecht zu reden, die solche Begriffe prägen, anstatt letztendlich die beim Namen zu nennen, die so etwas zu verantworten haben, ist sehr widersprüchlich.

(Beifall bei den Freien Wählern und der SPD)

Es war sehr schön, in der Rede meiner Vorrednerin aus der CSU die Worte von Flexibilität und Individualität zu hören. Aber wie soll hier einer noch flexibel sein können, wenn bereits am Anfang des Jahres gesagt werden muss: Ich halte die erste Probe da, die zweite da und die dritte da und ich darf nicht um eine einzige Woche verschieben, weil zum Beispiel drei Schüler krank sind oder sogar der Lehrer selbst krank ist. Wo gibt es da noch Flexibilität? Wo hat das noch etwas mit

pädagogischer Förderung zu tun? Jeder, der von der Praxis eine Ahnung hat, weiß, dass der Stoff zur Prüfung passen muss. Welche Alternativen habe ich da als Lehrer? Entweder pauke ich den Stoff ganz schnell durch, wenn ich als Lehrkraft selber krank war, oder ich frage Sachen ab, die letztendlich nicht gründlich durchgenommen werden konnten. Wo bleibt da die pädagogische Förderung, wenn ich weiß, dass sich gerade im Grundschulbereich ein Schüler etwas länger bei einem bestimmten Stoff aufhalten will, weil er hier entsprechend motiviert ist und damit auch ein nachhaltigerer Lernerfolg garantiert sein würde? Dann muss ich sagen - wie es leider in den Klassen der weiterführenden Schulen auch der Fall ist -: Geht nicht. Ich merke zwar, dich interessiert der Stoff, und ich weiß, du machst etwas aus dem Stoff und dieser Stoff würde dich auch fördern, aber es geht nicht, denn nächste Woche muss der vierte Leistungsnachweis in Deutsch stattfinden und dann passt das nicht zusammen. Wenn mir hier jemand erklären kann, wieso das flexibel sein soll, wieso das eine individuelle Förderung bedeutet, dann setze ich mich mit demjenigen gerne stundenlang zusammen, um das nachzuvollziehen. Aber ich glaube, auch in noch so vielen Stunden wird man mich davon nicht überzeugen können, selbst wenn wir das in der Praxis testen.

(Beifall bei den Freien Wählern und der SPD)

Im Übrigen ist viel zu wenig von den Rahmenbedingungen die Rede, die wir in diesem Zusammenhang brauchen. Wir brauchen mehr Personal. Ich habe bei dieser Thematik noch nie gehört, dass die Beratungslehrer mehr Anrechnungsstunden bekämen, um mehr Förderunterricht, der wirklich wesentlich ist, anbieten zu können. Die ein oder zwei Stunden sind lächerlich; denn die muss ich bereits dann aufwenden, wenn bei dieser langfristigen Planung irgendjemand krank wird.

Von besseren Rahmenbedingungen, die hier ausdrücklich erforderlich sind, hört man leider nach wie vor nichts. Das ist im Prinzip nach wie vor die Krux an der ganzen Sache. Wenn es heißt, die fühlen sich wohl warten wir doch erst einmal ab. Diese Erfahrungswerte haben wir nicht. Ich höre ja schon, und man kann es im Internet nachlesen, dass Eltern überlegen, was passiert, wenn das Kind krank ist. Wie stimmt dann der Notenstand usw.? Es wird also absolut sinnlos, was sich hier abspielt. Es ist nicht zielführend. Wir lehnen deshalb diese Vorschriften strikt ab. Das habe ich bereits am 12. März hier gesagt und habe es am 27. Mai gesagt. Sie können es nachlesen. Wird die Schule menschlicher, weil ich einem Kind die Probe ankündige? Jeder, der Kinder oder Enkelkinder hat - einige sind ja auch in diesem Altersbereich in diesem Hohen Hause -, der weiß: Das stimmt nicht. Bei einem Abiturienten

oder Studenten ist das etwas anderes. Aber einen Grundschüler so zu fordern ist nicht mehr menschlich.

Deswegen - wir können uns dem voll anschließen -,

(Zuruf des Abgeordneten Eduard Nöth (CSU))

sollten wir noch einmal überlegen, wie wir das gesamte Übertrittsverfahren so gestalten können, dass es in etwa passt.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Danke schön, Frau Kollegin. Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Renate Will. Bitte schön, Frau Will.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das sind schon große Worte. "Grundschulabitur" für Neun- bis Zehnjährige. Es sind große Worte, dass man alles beim Übertritt falsch gemacht habe.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Alles falsch!)

Ich bin froh, dass wir wieder darüber reden, denn darüber zu reden, ist wesentlich besser, als Hunderte identischer E-Mails zu bekommen, in denen wir beschimpft und beschuldigt werden, etwas falsch gemacht zu haben, etwas mit verursacht zu haben.

Dass das Übertrittsverfahren in der vierten Klasse nach Auffassung der FDP nicht zum idealen Zeitpunkt stattfindet, das brauche ich hier nicht zu betonen. Uns wäre ein späterer Zeitpunkt lieber gewesen. Spätestens jetzt mit der Gelenkklasse ist die Chance noch da, darüber zu reden, die fünfte Klasse - die Gelenkklasse - an die Grundschule zu geben.

Warum ist das alles überhaupt geschehen? Es ist deshalb geschehen, weil sich sehr viele Eltern beschwert haben, dass unterschiedliche Grundschulen unterschiedliche Proben schreiben, unterschiedlich viele Proben schreiben und ein Kind niemals vorbereitet sein kann, weil es nicht weiß, an welchem Tag eine Probe kommt. Da haben wir sehr, sehr viele Beschwerden bekommen, eben auch in Form von E-Mails, in Form von Briefen, in Form von Gesprächen.

Die Reaktion darauf war, dass man gesagt hat, es muss berechenbar sein. Die Kinder müssen wissen, wann sie Proben schreiben und Sie müssen aber auch eine probenfreie Zeit haben. Das war der Grund, und ich glaube, es ist nach wie vor ganz gut, dass man das kalkulieren kann.

Ich frage trotzdem: Wieso sprechen Sie von Stress und von kranken Kindern? Warum müssen Eltern wirklich in der vierten Klasse ihre Kinder dahin trimmen und

sagen, ihr müsst unbedingt nach der vierten Klasse auf das Gymnasium? Es gibt doch eine längere Phase, in der man sich entscheiden kann. Das betone ich, denn die Rahmenbedingungen wurden so gestaltet. Was passiert denn, wenn ein Kind nicht nach der vierten Klasse auf das Gymnasium kommt, sondern möglicherweise später, möglicherweise in den Klassen 5 und 6 an der Mittelschule ist oder vielleicht dann auf die Realschule geht? Was ist daran so schlimm? Dieser Stress wird teilweise von den Eltern gemacht, weil sie meinen: Jetzt muss das Kind auf das Gymnasium. Sie überlegen nicht - das finde ich viel schlimmer -, dass diese Kinder dann zurückgestuft werden, zurückgestuft werden bis zur siebten Klasse; die einen schon in der fünften, die anderen in der sechsten und wieder andere in der siebten Klasse. Das halte ich für viel schlimmer, als vorher zu sagen: Jetzt musst du dich ein bisschen anstrengen, du brauchst natürlich auch Zeit, du brauchst individuelle Förderung, aber du musst trotzdem irgendwann eine Probe schreiben, die auch bewertet wird.

Die Schwächen daran sind tatsächlich so, wie es Frau Gottstein gerade ausgeführt hat. Wir haben insgesamt 26 Wochen regulären Unterricht im Schuljahr. Ich wusste auch nichts davon, dass jetzt so eine Verordnung rausgeht. Eine Woche davon ist Zeugnisvorbereitung, zwei Wochen sind Projektwochen und vier Wochen sind prüfungsfrei. Sie können natürlich individuell gestaltet werden. Das sind Wochen zum Rhythmisieren: Eine Woche prüfungsfrei, dann wieder Prüfung. Das ist nicht vorgeschrieben. Es sind vier prüfungsfreie Wochen. Das heißt, die Krux an der Geschichte ist tatsächlich, dass höchstens 19 Wochen für 22 Prüfungen - das ist die Höchstgrenze, das kann man vielleicht noch reduzieren - zur Verfügung stehen. Da muss sich sicherlich etwas ändern. Das kann so nicht sein. Es sind 12 Proben vorgesehen für Deutsch und jeweils fünf für Mathe und Heimat- und Sachkunde. Da kann sicherlich nachgebessert und nachjustiert werden.

Was wir auch wollen - darüber ist schon gesprochen worden -, ist, dass HSU ein bisschen aufgeweicht wird, dass es nicht so stringent ist, dass andere Kompetenzen mit rein fließen können.

Kurzum, Sie haben recht: Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Wir wollen die selbstständige Schule. Wir wollen mehr pädagogische Freiheit.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

- Diese Verordnung ist noch nicht raus, da sind wir noch dran. Das muss kommen. Es muss mehr Eigenverantwortung und damit eben auch mehr pädagogische Freiheit für die Schulen geben und vor allem letztendlich die

Möglichkeit zur individuellen Förderung und dazu die Rahmenbedingungen für kleinere Klassen entsprechend zu gestalten.

Ich will zu den ganzen Mails, die gekommen sind, und zu der Kritik, die geäußert worden ist, auch vom BLLV, sagen: Es gab einen Leserbrief im "Münchner Merkur" zur längeren Grundschulzeit, der mir sehr gut gefallen hat. Da schreibt ein Grundschullehrer zum Übertrittsverfahren:

Ich bin als Grundschullehrer von den Veränderungen der vierten Klasse positiv angetan. Die Ankündigung von Proben sorgt für wesentlich mehr soziale Gerechtigkeit. Die ersten Gewinner dieser Änderungen sind unsere Bildungsverlierer, die Buben. Sie besitzen keinerlei Gespür, wann Proben geschrieben werden, und ihre Leistungen werden sich durch die Bekanntgabe der Prüfungstermine deutlich verbessern.

(Zuruf von der CSU)

- Das ist ein Leserbrief von einem Grundschullehrer. Er hat mir sehr gut gefallen.

Dies ändert nichts daran, dass der Ausleseprozess in der Schule weiterhin zu einem entwicklungspsychologisch äußert ungeeigneten Moment geschieht, bei dem die Mädchen eindeutig im Vorteil sind. Ebenfalls profitieren Familien von den neuen Regeln, die es sich nicht leisten können, dass die Mutter zu Hause ein privates Nachhilfeinstitut für ihren Nachwuchs auf die Beine stellt. Pädagogisch sinnvoller wäre eine Verlängerung der Grundschulzeit um ein bis zwei Jahre.

Das ist auch unsere Meinung.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin Will, danke schön. Sie haben über zwei Minuten überzogen, aber Sie waren sichtlich so begeistert von dem Leserbrief, dass Sie das nicht gemerkt haben.