Protokoll der Sitzung vom 22.10.2009

Herr Kollege Reiß, bitte bleiben Sie noch kurz am Rednerpult. Für eine Zwischenbemerkung hat sich Herr Kollege Hartmann gemeldet. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe eine kurze Frage an Sie. Sie haben richtig geschildert: Die Grundlastkraftwerke müssen heruntergefahren werden, weil der Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig ins Stromnetz kommt. Würden Sie mir deshalb zustimmen, wenn ich feststelle, dass wir eigentlich flexiblere Kraftwerke brauchen, um die erneuerbaren Energien, wenn sie zur Verfügung stehen, verwenden zu können? Wir müssen schlagartig gegensteuern können. Stimmen Sie mir zu, dass ein

Braunkohlekraftwerk oder ein Atomkraftwerk, das 11 Stunden Regelzeit hat, hierfür nicht geeignet sind?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bitte schön, Herr Kollege Reiß.

Ich habe in der Vorbereitung auf diesen Antrag gelesen, dass auch die Atomkraftwerke durchaus regelbar sind und innerhalb von wenigen Minuten auf 45 % ihrer Leistung zurückgefahren werden können. Damit sind die Atomkraftwerke ebenso regelbar wie andere Kraftwerke auch.

Ich rufe als nächsten Redner Herrn Kollegen Ludwig Wörner für die SPD-Fraktion auf. - Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht wieder einmal, sondern es ist immer noch notwendig, die CSU und die FDP daran zu erinnern, welche Aufgaben sie eigentlich hätten, nämlich die, Unheil von diesem Land abzuwenden. Sie sollten deshalb Ihre unselige Atompolitik auf den Prüfstand stellen und Sorge dafür tragen -

(Zuruf von der CSU: Aufhören! - Weitere Zurufe)

- Ich kann verstehen, dass Sie das sagen, denn es ist schmerzhaft für Sie, was ich hier darlege. Ich hoffe, draußen vertreten Sie diese Auffassung genauso, denn vor Ort sind Sie in dieser Frage etwas unehrlich.

Kolleginnen und Kollegen, wir fordern Sie dazu auf, unseren Antrag zu unterstützen, die Nutzung der Atomkraft auf die im Atomkonsens festgelegte Restlaufzeit zu beschränken. Versuchen Sie nicht immer wieder, dieses Thema neu aufzurollen.

(Thomas Kreuzer (CSU): Sie haben bei der Bundestagswahl keine Mehrheit bekommen, Herr Kollege!)

Sie wissen heute schon nicht, wohin der radioaktive Abfall soll, den wir über Jahrzehnte hinweg produziert haben. Wir alle wissen das nicht. Sie aber produzieren so weiter, als sei nichts gewesen und nichts geschehen. Sie versuchen, durch die Verlängerung der Laufzeiten der Kraftwerke den Menschen Sand in die Augen zu streuen, denn Sie sprechen von einer Brückentechnologie. Die Brücke hat am anderen Ende aber keinen Pfeiler, meine Damen und Herren. Sie bauen diese Brücke in den Sand! Hier stellt sich für mich die Frage: Kann man das verantworten? - Gleichzeitig sagen Sie, wir hätten die sichersten Kraftwerke der Welt. So stimmt das aber nicht, wie die Antworten auf die Schriftlichen Anfragen immer wieder belegen. Man bekommt nur

vage Aussagen und seltsame Hinweise. Führen Sie sich doch mal die Antwort auf die Schriftliche Anfrage zu Gemüte, in der es um die Vernebelungsaktion des früheren Ministers Werner Schnappauf geht. Sein Vorhaben wurde bis heute nicht durchgeführt. Wir halten das ohnedies für Unfug, aber den Menschen wird damit eine Scheinsicherheit vorgegaukelt, die es gar nicht gibt.

Wir fordern auch, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz - EEG - nicht angetastet wird. Gerade für Bayern hat sich dieses Gesetz als Instrument erwiesen, das Bayerns Bürger längst begriffen haben. Wenn Sie durch Bayern fahren, stellen Sie fest, selten gibt es anderswo so viele Photovoltaikanlagen wie bei uns. Die Landwirte nutzen diese Möglichkeit im extremen Maß, und die Landwirte haben recht, denn das ist für sie ein zweites Standbein. Sie verunsichern jetzt aber die ganze Gemeinschaft, die diesen Weg mitgehen will dadurch, dass Sie darüber diskutieren, wo man das Gesetz einschränken könnte. Das EEG hat den Abschmelzungsfaktor bei der Photovoltaik aber bereits. Sie wissen ganz genau, wenn Sie sich mit dem Thema beschäftigen, dass die Förderung der Photovoltaik Schritt für Schritt ausläuft. Das war so gedacht und auch gewollt, doch Sie drehen nun erneut an der Schraube. Mit welcher Berechtigung? - Sie sagen, Sie wollen das Geld, das Sie durch die Laufzeitverlängerung generieren, den Kernkraftwerksbetreibern wegnehmen. Wie das gehen soll, müssen Sie erst einmal zeigen, gerade im Hinblick auf das Eigentumsrecht. Das ist doch im Rahmen Ihrer Philosophie gar nicht möglich. Und wettbewerbsrechtlich ist es fraglich.

Ich kann Ihnen aber einen Weg zeigen, wie das viel einfacher geht. Herr Beckstein ist hier. Als er noch Ministerpräsident war habe ich ihn bei einer Energiedebatte schon einmal darauf angesprochen. Kolleginnen und Kollegen, wir schenken den Energieerzeugern jährlich Millionen von Euro dadurch, dass sie die Einzigen sind, die auf Zinsen keine Abschlagsteuer zahlen müssen. Wir alle zahlen 25 % auf jeden Euro, den wir von der Bank als Zins erhalten. Darauf haben wir uns gesellschaftspolitisch verständigt. Die Einzigen, die diese Steuer für ihre Rückstellungen zugunsten der Atomkraftwerke nicht zu zahlen brauchen, sind die Energieerzeuger. Die haben inzwischen 80 Milliarden Euro angesammelt. Wenn man das Geld mit 4 % Zinsen vernünftig anlegt, dann können Sie sich ausrechnen, wie viel Geld die ersparte Zinsabschlagsteuer von 25 % ausmacht. Dieses Geld könnten wir für regenerative Energien ausgeben, ohne dafür den Bürgern in die Tasche greifen zu müssen. Das Geld dafür wäre also da.

Nur hat man in der neuen Koalition offensichtlich nicht den Mut, an dieses Geld heranzugehen, um damit die regenerativen Energien zu finanzieren. Die Energieer

zeuger sollten die 25 % genauso zahlen wie andere. Das wäre doch gut, um weiterzukommen.

Man macht sich immer Gedanken darüber, dass europaweit Kernkraftwerke gebaut werden. Meine Damen und Herren, lesen Sie doch gelegentlich einmal die Zeitung, und schauen Sie nach Finnland. Was passiert denn da gerade? Bei dem sogenannten Superkraftwerk passiert eine Katastrophe nach der anderen. Wenn es blöd läuft, geht Siemens daran pleite, möglicherweise ein Franzose gleich dazu.

Wer auf so etwas setzt, vergreift sich an Bayern und wird dem Auftrag nicht gerecht, zum Wohle der Bürger zu handeln.

Deswegen bitten wir Sie, unseren Antrag zu unterstützen und damit sicherzustellen, dass Bayerns Zukunft so schnell wie möglich atomfrei wird.

Selbst Ihr Kollege Göppel hat gestern laut Zeitung gesagt: Alles Käse, alles Unfug, was da betrieben wird! Sie sollten sich mit ihm vielleicht einmal unterhalten. Er hat ganz gute Argumente. Bei Ihnen gibt es ja einige Vernünftige. Vielleicht sollten wir uns zusammenschließen und sagen: Dieses Ding muss beendet werden. Es ist ja ein Konsens gefunden worden. Wir sollten nicht ständig davon reden, dass die Laufzeiten verlängert werden müssten.

Wir bitten um Zustimmung.

Für die Fraktion der Freien Wähler darf ich Herrn Kollegen Dr. Fahn das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Freien Wähler haben ein energiepolitisches Gesamtkonzept. Es lautet:

Erstens. Wir wollen das geltende bzw. noch gültige Atomgesetz mit dem Abschaltungszeitpunkt 2022 möglichst beibehalten. Wir wollen keine Laufzeitverlängerung der bestehenden AKW.

Zweitens. Wir wollen die Nutzung der regenerativen Energien offensiver als bisher ausbauen.

In der Argumentation der Redner ging es bisher vor allem um wirtschaftliche Erwägungen. Aber bei Isar 1 muss es natürlich um Sicherheit und Sicherheitsmängel gehen. Die ältesten Kernkraftwerke wären nach heutigem Standard sicherlich nicht mehr genehmigungsfähig. Bei der zweiten Generation wäre dies nur mit dem hohen Aufwand einer sicherheitstechnischen Aufrüstung möglich. Man schätzt, dass sie etwa 1 Milliarde Euro kosten würde.

Die Brückentechnologie Atomkraft darf nicht künstlich ernährt werden. Aus ökologischer und sicherheitstechnischer Sicht wäre es denkbar, Isar 1 sofort abzuschalten. Dann wäre der Weg für regenerative Energien frei.

Allerdings - man muss es im Gesamtkontext sehen gibt es viele andere, ältere AKW, die ebenfalls mit Sicherheitsrisiken behaftet sind. Auch über diese Sicherheitsrisiken müsste diskutiert werden. Dann ginge es nicht nur um Isar 1, sondern um das Gesamtpaket.

Es ist doch klar: Die älteren AKW haben Sicherheitsmängel. Dazu nenne ich einen Vergleich. Auch wenn man ein vor 30 Jahren gekauftes Auto optimal wartet, bleibt es immer unter dem Sicherheitsstandard eines Neuwagens.

Allerdings fehlt, wenn es um das Thema Sicherheitsmängel geht, die Aufforderung der bisherigen Bundesregierung, ein solches bayerisches Kernkraftwerk abzuschalten. Das kann auch so interpretiert werden, dass die frühere Bundesregierung, also die Große Koalition, an dem bisherigen Ausstiegskonzept festhalten wollte. Wären die Sicherheitsmängel inakzeptabel gewesen, so hätte der bisherige Umweltminister Gabriel längst eingegriffen. Denn Herr Gabriel war und ist für seine klaren Worte bekannt. Jedoch hat er nicht eingegriffen.

Das Folgende wurde noch nicht gesagt. Es ist vorgesehen, Isar 1 im Jahr 2011 abzuschalten. Das Atomgesetz ermöglichte in der bisherigen Form schon einen bestmöglichen beiderseitigen Kompromiss zwischen einem geregelten Ausstieg und garantierten Laufzeiten, gleichzeitig auch einen Start für eine beispiellose Entwicklung der regenerativen Energien; dies ist uns wichtig.

Beide Seiten waren zu diesem Zeitpunkt mit dem Kompromiss zufrieden. Uns ist natürlich auch bewusst, dass es inzwischen eine neue politische Situation gibt. Sie gibt der Hoffnung der Energieversorger Nahrung, dass noch einmal ein Profit winkt, ohne dass dafür Gegenleistungen in Form von Nachrüstungen zu erbringen wären.

Auch die neue Bundesregierung sollte zur Kenntnis nehmen, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen keine Verlängerung der Restlaufzeiten will. Im neuen Koalitionsvertrag sind die Formulierungen, wie man hört, relativ allgemein gehalten. Es steht noch nichts Konkretes darin. Der Vertrag soll ja am Sonntag verabschiedet werden.

Der Antrag der GRÜNEN zur Sofortabschaltung von Isar 1 kann nach Ansicht der Freien Wähler nur im Gesamtkontext aller AKW gesehen werden. Er baut als Einzelantrag unnötigen Druck auf. Nach Auffassung

der Freien Wähler ist aber der geregelte Ausstieg bis 2022 ein geeigneter Kompromiss, der auch in Zukunft gelten sollte. Diese Lösung liegt im Bereich des Möglichen. Die Freien Wähler legen Wert darauf, dass, obwohl der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung darüber nur Allgemeines enthält, Isar 1 bis 2011 am Netz bleibt.

Die Freien Wähler werden daher nicht für den Antrag der GRÜNEN stimmen.

(Beifall bei den Freien Wählern )

Bevor ich die nächste Wortmeldung aufrufe: Die CSUFraktion hat gerade in der Person des Kollegen Kreuzer namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte, das mitzuteilen.

(Unruhe bei den Oppositionsfraktionen - Zuruf: Warum, Herr Kreuzer? - Thomas Kreuzer (CSU): Es ist ein wichtiges Thema!)

- Ich kann hier jetzt so frei sein, zu sagen: Von hier oben sieht es so aus, als ob im Augenblick rechts die Minderheit sitzt, Herr Kreuzer.

(Heiterkeit)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Thalhammer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Hartmann, der erste Fehler in dem vielfältigen Fehlerreigen Ihrer Rede war gleich zu Beginn, als Sie sagten, dass das Thema Kernenergie erst seit der Bundestagswahl wieder auf der Agenda stehe. Das ist nicht so. Gerade Sie und Ihre Partei haben erheblich dazu beigetragen, dass das Thema Kernenergie bereits im Wahlkampf ganz groß auf der Agenda stand. Es gab auch eine Abstimmung durch alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die sich, obwohl das ein mitentscheidendes Wahlkampfthema war, ganz klar nicht für Rot-Grün, sondern für Schwarz-Gelb entschieden haben.

Herr Hartmann, Sie haben gesagt, Sie wollen das Thema Isar 1 energiepolitisch betrachten. Beim letzten Mal haben Sie Isar 1 unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit betrachtet. Ich bin gespannt, unter welchem Gesichtspunkt Sie die Frage beim nächsten Mal betrachten wollen.

Ihnen geht es ganz klar um eines - deshalb spreche ich das so deutlich an -: Sie wollen nicht nur Isar 1 vom Netz nehmen, sondern auch Isar 2, und Sie wollen alle Kernkraftwerke vom Netz nehmen. Sie wenden eine Salamitaktik an. Das durchschauen wir. Da ziehen wir nicht mit, lieber Kollege Hartmann.

Ich erkläre es Ihnen gern noch einmal. Die Kernenergie ist für uns eine Brückentechnologie, Herr Wörner. Wir sehen hier in keiner Weise ein Konkurrenzverhältnis zu den erneuerbaren Energien. Es ist klar unser Ziel: Wenn die Laufzeiten verlängert werden, werden die zusätzlichen Erträge in die Forschung und Entwicklung der erneuerbaren Energien gesteckt. Dadurch werden die erneuerbaren Energien gestärkt.

Herr Kollege Hartmann, Sie haben in Ihrer Rede selber gesagt, dass die erneuerbaren Energien für die Grundlastversorgung erst zunehmend konkurrenzfähig werden. Derzeit sind die erneuerbaren Energien nicht grundlastfähig. Es wäre eine verantwortungslose Politik, wenn wir dieses Land in eine Grundlaststromlücke führten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist eine Lüge!)

Da würden wir gewiss nicht mitmachen. - Das ist keine Lüge. Das ist leider Gottes Realität, wenn diese hier für manch einen auch schwer zu verstehen ist.