Protokoll der Sitzung vom 26.11.2009

Interpellation der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Forschungsstandort Bayern (Drs. 16/1482)

Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurden 20 Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart. Als erstem Redner darf ich Herrn Dr. Dürr das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! An den Universitäten protestieren die Studierenden. Sie demonstrieren für die Freiheit von Bildung und Wissenschaft, für den freien Zugang für alle, für Freiräume für Lernprozesse und für die Frei

heit der Wissenschaft selbst. Wir unterstützen diese Proteste.

Die Studierenden protestieren auch gegen einen Trend zur Ökonomisierung. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, muss nur einen kurzen Blick in die Antwort der Staatsregierung auf unsere Interpellation werfen. Sie ist durchdrungen vom Leitbild einer Ökonomisierung der Forschung. Es zählt, was verwertbar ist.

Dieser Trend zur Ökonomisierung gefährdet die Vielfalt und die Unabhängigkeit der Wissenschaften, und er ist unverantwortlich, weil sich mittlerweile der Forschungsprozess selber geändert hat. In vielen Forschungsgebieten wie in den Life Sciences gehen Grundlagenforschung, angewandte Forschung, Technologie und Vermarktung fließend ineinander über. Dort kann man keine Grenzen mehr ziehen.

Die Forschung greift häufig in die Lebenswirklichkeit selbst ein. Deswegen muss sie sich wie jedes andere Handeln auch ethisch verantworten. Ethische Fragen aber gehen uns alle an. Anders als zum Beispiel Prof. Winnacker auf dem Gentechnik-Symposium der Staatsregierung behauptet hat, ist Unwissen eben kein Hinderungsgrund. Niemand ist zu dumm oder zu unwissend, um bei ethischen Fragen mitzusprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und das umso weniger, als ethische Einwände gerade auf dem prinzipiellen Unwissen beruhen, mit dem wir heute unsere Entscheidungen treffen müssen.

Auf der anderen Seite ist es völlig unverantwortlich, wenn Wissenschaftler wie Winnacker oder TU-Präsident Herrmann Autorität für Fachgebiete beanspruchen, von denen sie absolut keine Ahnung haben. Ein Gentechniker, der über den Welthunger schwadroniert, handelt unredlich und bringt die Wissenschaft in Misskredit.

(Beifall der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Nicht nur am Beispiel der Agrogentechnik zeigt sich, dass es einen erheblichen gesellschaftlichen Diskussionsbedarf über Forschung und Technologie gibt. Auf dem Spiel stehen dabei unsere Wahlfreiheit und unsere Selbstbestimmung. Wir Bürgerinnen und Bürger wollen selbst darüber entscheiden, worüber wir uns Sorgen machen, was wir essen und wie wir leben.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, das Bild des Forschungsstandorts Bayern, das die Staatsregierung in ihrer Antwort entwirft, ist so beeindruckend wir erschütternd. Einerseits wird trotz des penetranten Selbstlobs sicht

bar, dass sich Bayern tatsächlich zu einem der führenden Forschungs- und Technologiestandorte in Europa entwickelt hat. Dies ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können.

Andererseits ist erschreckend, wie sehr die ganze Antwort vom Geist der Ökonomisierung durchdrungen ist. Erfolge definiert die Staatsregierung dadurch, "dass wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis umsetzbar sind" sowie durch die Höhe von Drittmitteln, die Zahl von Patenten oder durch Unternehmensausgründungen. Der Wissenstransfer und der Technologietransfer sollen beständig beschleunigt werden, und alle Ministerien, die mit Forschungsfragen befasst sind, ebenso wie die Bayerische Forschungsstiftung, zielen darauf ab, "die schnelle Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Wirtschaft zu fördern". Forschung und Technologie sind für die Staatsregierung Synonyme.

Wissenschaft muss sich in Bayern an der Wirtschaft orientieren - bei der Einwerbung von Drittmitteln aus der Wirtschaft, bei der unerlässlichen Auftragsforschung, in der Ausgründung von Unternehmen, in den Forschungsverbünden, in der bayerischen Patentallianz in Kooperation mit der Industrie, bei der Einwerbung von Mitteln der Bayerischen Forschungsstiftung, bei den Cluster- und Netzwerksstrukturen, in den Hochschulräten, im wissenschaftlich-technischen Beirat der Staatsregierung und durch den Auftrag der Fachhochschulen, mit der Wirtschaft zu kooperieren. Stoibers ökonomisierender Ungeist feiert in der Forschungspolitik der Staatsregierung fröhliche Urständ.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Stoiber hat auch andere Probleme hinterlassen, etwa die Folgen seines Spardiktats. Die Forschungsetats der Universitäten wurden so zusammengestrichen, dass sie sich erst jetzt wieder auf dem Stand der Neunzigerjahre befinden und den von 2004 immer noch nicht erreicht haben. Weil sie der Staat knapp hält, sind sie auf Zusatzfinanzierungen angewiesen, zum Beispiel auf Drittmittel und Spenden. Die Universität Regensburg zum Beispiel hat kürzlich bei der Bürgerschaft der Stadt 60.000 Euro für ein Elektronenmikroskop zusammengebettelt. Das ist doch erbärmlich!

(Ulrike Gote (GRÜNE): Traurig! - Johanna WernerMuggendorfer (SPD): Das ist sehr traurig!)

Dieser Zwang zur Einwerbung von Drittmitteln ist höchst problematisch. Drittmittel haben zwar durchaus dazu beigetragen, die Universitäten zu öffnen, zu vernetzen und ihre Qualität zu fördern, aber problematisch ist dieser Zwang. Viele Forschungseinrichtungen können ihre Grundlast nur noch über Drittmittel finanzieren. Weil sich der Staat immer stärker aus der Grundfinanzierung zurückzieht, ist es heute keine Ausnahme

mehr, dass Wissenschaftszentren wie Weihenstephan oder Martinsried ihre Lehre über Projektmittel bezuschussen. Das pervertiert die Funktion von Drittmitteln. Die chronische Unterfinanzierung der Forschung gefährdet die Freiheit der Wissenschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Ökonomisierung der Hochschulen durch die Politik der Staatsregierung hat auch Folgen für die Hochschulen selbst. Leitbild der Regierung ist offenbar immer noch dasselbe wie unter Stoiber: Das ist das Unternehmen Hochschule. Hochschulen sollen handeln wie Unternehmen. Der Hochschulrat fungiert als eine Art Aufsichtsrat und die Leitungsfunktion als eine Art Vorstand. Studierende gelten nicht länger als Teil der Hochschulen, sondern als Kunden, aber als Kunden, die nicht Könige sind, sondern als Bettler behandelt werden. Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht sein, dass wir als Parlament die Hochschulen ausbauen und die Staatsregierung gleichzeitig die Abhängigkeit der Hochschulen von der Wirtschaft vorantreibt. Das ist in sich ein Widerspruch. Damit wird die Freiheit der Forschung massiv beeinträchtigt, und die Hochschulen entziehen sich der demokratischen Kontrolle durch den Landtag. Das können wir als Parlament nicht verantworten.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Heute bedeutet "Autonomie der Hochschulen" soviel wie "Autarkie des Präsidenten". Das Wirtschaftsunternehmen Universität soll sich auf den Markt ausrichten, einerseits auf den Markt an Drittmitteln, andererseits darauf, was Unternehmen nachfragen. Es soll, wie die Staatsregierung fordert, all das geforscht werden, was für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von erheblicher Bedeutung ist. Schwerpunkte werden danach gesetzt, wofür sich Mittel einwerben lassen. Zu den Aufgaben der Hochschulen, so sagt die Staatsregierung, gehört die Förderung der engen Kooperation zwischen den Wissenschaftlern sowie den Wirtschaftsunternehmen in allen relevanten Fächern. Was sollen denn kleine Fächer machen, die wirtschaftlich nicht relevant sind? Was ist mit denen? Die Biologin Christine von Weizsäcker hat schon vor Jahren vor den Folgen einer solchen Politik für die Wissenschaft gewarnt. Die kritische Rolle und die Unabhängigkeit von Forschung, so sagt sie, seien gefährdet, wenn Forschung hauptsächlich als Standortfaktor im globalen Wettbewerb gilt.

Um es deutlich zu sagen: Wir betrachten es nicht als problematisch, dass Forschung auch der Wirtschaft dient, sondern dass andere, nicht sofort verwertbare Wissensgebiete vernachlässigt werden. Diese Schieflage kritisiert auch der Staatsrechtler Professor Kutscher. Er sagt:

Die Suche nach Erkenntnis gleicht dem Streben nach Erzielung eines ökonomisch bezifferbaren Mehrwerts. Die Wahl der Gegenstände von Forschung orientiert sich weniger daran, was sie zur Verbesserung der Lebensbedingungen beitragen könnten, sondern an dem, was von der Wirtschaft nachgefragt wird.

Das ist ein Armutszeugnis. Auch in der Forschungslandschaft sind Monokulturen riskant und anfällig. Solche Strukturen verengen den Blick und die Erkenntnis und behindern die Entstehung von besseren und intelligenteren Lösungen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Vielfalt der Forschungslandschaft ist heute ein zentrales Kriterium einer verantwortungsvollen Politik. In unseren Zeiten der Globalisierung und der Weltrisikogesellschaft haben wir schon öfter erleben müssen, dass das scheinbar Abseitige plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen und ökonomischen Interesses stand, etwa die Islamwissenschaft nach dem 11. September, die Prionenforschung nach BSE, heute die Klimaforschung, und morgen ist es vielleicht die Indologie.

Mit unserer Kritik an dieser Einseitigkeit stehen wir GRÜNEN nicht allein. Selbst die IHK kritisiert zum Beispiel die fehlende Forschung bei den erneuerbaren Energien. Um die Kernenergie ersetzen zu können sagt die IHK - müsse deutlich mehr in die Forschung investiert werden. Negative Folgen der Unterversorgung seien nämlich bereits spürbar. So siedelten sich Photovoltaikunternehmen erst gar nicht in Bayern an oder zögen in andere Länder. - Das sagt die IHK.

(Zuruf des Abgeordneten Bernd Sibler (CSU))

Andererseits sind große technologische Potenziale entstanden, Kollege Sibler, gerade gegen massiven Widerstand von Ihnen und der Staatsregierung. Aus der Anti-Atom- und Anti-Wackersdorf-Bewegung heraus wurden nämlich Start-up-Unternehmen gegründet und wurde die Entwicklung von Umwelttechnologien und Solar- und Windkraft vorangetrieben, und zwar nicht nur abseits, sondern als Alternative zur offiziellen Technologiepolitik. Dafür müssen Sie wirklich dankbar sein. Das müsste doch auch denen in der Regierung zu denken geben, die immer noch wie einst Stoiber auf selbstgestrickte Zukunftstechnologien und Megatrends setzen. Was Sie da betreiben, ist nichts anderes als wissenschaftlich verbrämte Kaffeesatzleserei. Wer wie die Staatsregierung darauf seine Forschungsförderung aufbaut, handelt grob fahrlässig.

Ein besonderer Fall von Ökonomisierung der Forschung sind Stiftungslehrstühle. Sie wirken wie von der Wirtschaft bestellte Scheinwerfer, die für Unternehmen

interessante Wissensgebiete ausleuchten. Wohin die Scheinwerfer leuchten, bestimmt die Wirtschaft durch ihre Anfinanzierung. Pharma-, Immobilien-, Bau-, Maschinenbau-, Logistik-, Handels- oder Klinikunternehmen zahlen, aber anders als bei der Auftragsforschung nicht den ganzen Betrag, sondern sie zahlen nur an, und die Rechnung schicken sie anschließend an den Staat. Ein Beispiel für diese Art von Überbelichtung von zweifelhaften Wissensgebieten ist der Eon-Energielehrstuhl für Nukleartechnik an der TU München. Ohne die Förderung dieses Atomkonzerns hätte die TU den Lehrgang mangels Nachfrage und mangels Interesses längst schließen müssen; denn im Bachelor-Studiengang ist heute ein Student eingeschrieben, im MasterStudiengang sind es genau zwei.

(Isabell Zacharias (SPD): Das ist viel! - Lachen bei den GRÜNEN und der SPD)

Ein weiteres Beispiel ist die Degussa-Professur für biomolekulare Lebensmitteltechnologie, ebenfalls an der TU. An diesem Lehrstuhl geht es darum, aus transgenen Pflanzen Aromastoffe, Farbstoffe und Vitamine für die Lebensmittelindustrie zu erzeugen, also alles, was gesund und wichtig ist. Wo ist da bitte der gesellschaftliche Nährwert?

Forschungsgebiete, an denen Unternehmen unmittelbar wirtschaftlich interessiert sind, bekommen ein Gewicht, das ihnen weder wissenschaftlich noch gesellschaftlich zusteht. Welche bayerischen Lehrstühle befassen sich denn in vergleichbarer Exklusivität mit erneuerbaren Energien? Welche und wie viele bayerischen Lehrstühle forschen genauso intensiv zum Beispiel zur ökologischen Landwirtschaft oder zu gesunden, naturbelassenen Lebensmitteln? Sie merken doch auch, dass da eine Schieflage besteht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Während überall sonst die Finanz- und Wirtschaftskrise heilsame Ernüchterung gebracht hat, sieht die Regierung in der Forschungspolitik den Staat immer noch als Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft. Die Forschungspolitik in Bayern ist die letzte Bastion des Neoliberalismus. Aber eine Politik, die heute noch darauf vertraut, dass die Wirtschaft weiß, was für uns alle gut ist, ist absolut unverantwortlich. Eine verantwortliche Forschungspolitik muss sich an vier Leitlinien halten:

Erstens müssen Forschung und Politik heute die Folgen ihres Handelns offenlegen und der Gesellschaft gegenüber verantworten. Wir leben, wie Ulrich Beck es nennt, in einer "Weltrisikogesellschaft". Deswegen hat Beck bereits in der BSE-Krise eine neue Politik gefordert. Diese müsse davon ausgehen und auch darauf hinweisen, dass Entscheidungen, welche das Leben vieler Millionen Menschen berühren, auf der Grundlage

"gewussten Nicht-Wissens" getroffen werden. Es ist verantwortungslos, heute noch immer falsche Sicherheiten vorzugaukeln.

Zweitens muss das Prinzip "erst denken, dann handeln" auch in der Forschung gelten. Freiheit heißt nicht "frei von Verantwortung". Anders als die Staatsregierung in Stoibers Kielwasser noch immer meint, sind Umsetzbarkeit und Umsetzungsgeschwindigkeit von Forschung in Technik kein Qualitätskriterium. Es darf keine Erforschung neuer Technologien geben ohne begleitende Sicherheitsforschung und ohne ethische Diskussion in den Wissenschaften selbst.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Drittens müssen wir in Bayern endlich alle Chancen nutzen. Bayern ist ein profilierter Wissenschafts-, Technologie- und Wirtschaftsstandort mit großen Stärken, die der Minister sicher gleich noch auswalzen wird. Wer es nicht hören will, darf es in der Interpellation nachlesen. Das ist alles richtig, aber die einseitige, nur auf Ökonomisierung ausgerichtete Politik der Staatsregierung verschenkt einen großen Teil dieser Stärken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine zeitgemäße Forschungspolitik muss bei den Bedürfnissen der Menschen ansetzen und technologische, ökologische und soziale Neuerungen zusammenbringen. Dementsprechend darf sich Förder- und Clusterpolitik nicht länger an Technologien orientieren, sondern sie muss sich an Problemlösungen ausrichten.

Schließlich fordern wir viertens eine dialogbereite Technologie- und Forschungspolitik. Christine von Weizsäcker sagt: "Wir brauchen soziale Innovationen, um die Verantwortungslöcher in der Gesellschaft zu stopfen." - Die gibt es nämlich. "Das Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip, die Rechte der Bürger auf Informationszugang, Mitentscheidung und Zugang zur Gerichtsbarkeit sind dabei ganz wichtig", sagt sie. Wissenschaft kann eben keine Werte vermitteln, das kann nur die gesellschaftliche Debatte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie, Herr Minister, haben gestern selbst erklärt, die Wissenschaft hat hier eine Bringschuld, sie muss die Öffentlichkeit über ihre Arbeit informieren. Diese Bringschuld, Kolleginnen und Kollegen, gibt es natürlich erst recht in diesem Hohen Hause. Wir müssen die Freiheit der Forschung gewährleisten; wir müssen den Trend zur Ökonomisierung stoppen.