Protokoll der Sitzung vom 01.12.2009

"It’s the economy, stupid." - Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf. Das ist ein Zitat von Bill Clinton. Weil es um die Wirtschaft geht, ist unser Wachstumsbeschleunigungsgesetz von so zentraler Bedeutung.

(Markus Rinderspacher (SPD): Es geht um den bayerischen Haushalt, den Sie verantworten müssen! - Weitere Zurufe von der SPD)

Vor diesem Hintergrund sind die mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz angestrebte Erhöhung des Kindergelds um 20 Euro sowie die Erhöhung der Kinderfreibeträge nicht nur wichtige Familienpolitik und auch gesellschaftspolitische Maßnahmen. Vor dem Hintergrund, dass wir jetzt die Wirtschaft stabilisieren müssen und dass wir mit deutscher Politik zwar nicht die Weltwirtschaft, aber die Binnenkonjunktur beeinflussen können, frage ich Sie: Wollen Sie gegen diese Maßnahmen stimmen? Sie sind familienpolitisch und gesellschaftspolitisch richtig und wirtschaftspolitisch angebracht. Das ist der einzig richtige Weg. Machen Sie mit, bleiben Sie nicht am Wegesrand stehen!

(Beifall bei der CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: Grundgesetz!)

Die Familien werden in der Bundesrepublik um 4,6 Milliarden entlastet. Diese Entlastung können sie in den privaten Konsum stecken.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Welche Familien? Reiche Familien!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen Sie gegen diese Entlastung stimmen? Das ist die Frage, die in der Aktuellen Stunde zu beantworten war, und auf Ihrer Seite war Fehlanzeige: keine Antwort auf diese Frage!

(Beifall bei der CSU und der FDP - Zurufe von der SPD)

Der zweite zentrale Punkt ist das Unternehmensteuerrecht. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz enthält Korrekturen der krisenverschärfenden Elemente der Unternehmensteuerreform. Dabei muss einfach festgehalten werden: Die Zinsschranke in ihrer jetzigen Form kostet die Unternehmen Liquidität. Das ist das Teuerste, worum es in der Finanzmarktkrise momentan geht. Wir werden den Unternehmen diese Liquidität belassen, weil sie sie jetzt brauchen, um zu investieren. Wollen Sie gegen Investitionen stimmen? - Das ist die Frage in dieser Aktuellen Stunde, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Die Ausgestaltung der Verlustverrechnung und der Verlustabzugsbeschränkungen bei den Körperschaften vernichtet Vermögen. Abgeordneter von und zu Lerchenfeld ist zu Recht darauf eingegangen. Wir können nicht umstrukturieren, wir können nicht sanieren, wenn die Regeln so bleiben. Sind Sie gegen Sanierungsbemühungen in der deutschen Wirtschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren? Das ist die Frage in dieser Aktuellen Stunde. Fehlanzeige auf Ihrer Seite!

(Markus Rinderspacher (SPD): Die Frage ist, ob Sie den Haushalt sanieren wollen! - Zuruf des Abgeordneten Eike Hallitzky (GRÜNE))

Wir können auch festhalten, dass sich durch die neue Bundesregierung das Zusammenspiel zwischen den Ländern und dem Bund Gott sei Dank ändert.

(Markus Rinderspacher (SPD): Sagt man!)

Auch der bayerische Finanzminister kann mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz zufrieden sein; denn erstmals hat der Bund von sich aus die Kosten der Kindergelderhöhung bereits im Gesetzentwurf in dem für ihn geltenden Verhältnis von 74 : 26 übernommen. Unter dem SPD-Finanzminister war am Ende des letzten Jahres in der Krise wegen dieser Frage ein Vermittlungsausschussverfahren notwendig. Ich freue mich darüber, dass wir mit dem neuen Bundesfinanzminister jetzt ein Zusammenspiel entwickeln können, bei dem wir uns gegenseitig vertrauen. Wir können an dieser Stelle jetzt über Normalität berichten.

(Markus Rinderspacher (SPD): Von welchem Vertrauen reden Sie?)

Deshalb gilt insgesamt zusammenfassend:

(Lebhafte Zurufe von der SPD)

Wer in Zukunft wieder sprudelnde Steuereinnahmen haben will, muss jetzt die richtigen konjunkturellen Anreize setzen. Er muss sich deshalb mit den Konzepten von CDU, CSU und FDP auseinandersetzen; denn bei den Sozialdemokraten herrscht in allen Fragen Fehlanzeige,

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Thomas Beyer (SPD))

herrscht in allen Fragen die falsche Tonalität und gibt es allenthalben eine steuerpolitische Geisterfahrt.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb haben Sie natürlich recht: Wir müssen die Haushaltsrisiken für Bayern minimieren.

Leider haben Sie allerdings bis heute nicht verstanden, dass eine Politik der ruhigen Hand, die Deutschland schon einmal ins Verderben geführt hat, jetzt in der größten Wirtschaftskrise, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben, der falsche Ansatz ist.

(Zuruf der Abgeordneten Maria Noichl (SPD))

Wir brauchen jetzt nicht eine Politik der ruhigen Hand, die uns schon einmal nicht geholfen hat, sondern eine aktive Politik. Wir müssen gestalten. Wir müssen die Rahmenbedingungen so ändern, dass Wachstum und Beschäftigung in Deutschland schnellstmöglich wieder Platz greifen.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Zurufe von der SPD)

Das gilt im Übrigen auch für die ermäßigte Umsatzsteuer für Beherbergungsleistungen. Sie kommen doch nicht an der Tatsache vorbei, dass Bayern als Tourismusland Nummer eins von vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen abhängig ist. Unsere Betriebe in Bayern sind benachteiligt, und mit dieser Benachteiligung wollen wir aufräumen. Dieser Benachteiligung muss ein Ende gesetzt werden, damit wir auch Punkte im Tourismus in Bayern machen können. Das ist der Antrieb des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes.

(Markus Rinderspacher (SPD): Diese Steuergeschenke bezahlen jetzt die bayerischen Beamten und die Kommunen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb wird Bayern dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz als Gesamtpaket zustimmen. Da gibt es kein Wackeln. Jedes einzelne Element des Gesetzes ist wichtig, es muss und es wird zum 1. Januar in Kraft treten. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 a auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der Einwohnerinnen und Einwohner und der Demokratie in den Kommunen (Drs. 16/2621)

- Erste Lesung

Der Gesetzentwurf wird von den Antragstellern begründet. Frau Kollegin Kamm, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf erweitert die Anträge zur Stärkung der Mitwirkungsrechte und der Demokratie in Bayerns Kommunen, die bereits im Geschäftsgang sind. Der Gesetzentwurf bezieht sich auf die Kommunen. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Zielsetzungen, nämlich die Verbreitung von Demokratie und Mitwirkungsrechten, nur auf die Kommunen beschränken sollten. Vielmehr werden wir weitere Anträge auch zur Landesebene einbringen.

Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf die Mitwirkungsmöglichkeiten jüngerer Bürgerinnen und Bürger stärken. Wir schlagen Ihnen daher ein aktives Wahlalter von 16 Jahren vor.

Wir wollen die extreme Ungerechtigkeit endlich beenden, dass sich EU-Bürgerinnen und -Bürger beispielsweise in den Gemeinderat wählen lassen können, aber anschließend nicht zum stellvertretenden Bürgermeister oder stellvertretenden Landrat oder zum Landrat gewählt werden können. Das macht keinen Sinn, und das wollen wir ändern.

Wir wollen auch, dass das passive Wahlrecht auf 18 Jahre gesenkt wird, vor allem im Hinblick darauf, dass Kommunalwahlen nur alle sechs Jahre stattfinden.

Bayerns Bürgerinnen und Bürger - da können Sie ohne Sorge sein - wissen, wen sie für welches Amt wählen, und deswegen brauchen wir keine gesetzlichen Hürden für jüngere Bürger und Bürgerinnen und für EU-Bürger und -Bürgerinnen.

Gleichzeitig wollen wir, dass nicht nur dem Bürgermeister oder dem Landrat die Entscheidung überlassen bleibt, ob in einer Bürgerversammlung einer Stadt, eines Stadtteils oder einer Gemeinde ein Einwohner, der nicht das deutsche Wahlrecht besitzt, das Wort ergreifen darf. Wir wollen, dass das nicht nur gute Praxis in bayerischen Gemeinden ist, wie es derzeit bei circa 95 % der Fall ist, sondern wir wollen, dass jeder ausländische Mitbürger, jeder Jugendliche und jede Jugendliche, vielleicht auch jeder Schüler und jede Schülerin weiß, dass sie, wenn sie möchten, das Wort ergreifen und auch einen Antrag stellen können.

Last but not least wollen wir, dass in allen Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern - das sind große Gemeinden, Mittelstädte und Großstädte - Integrationsräte eingerichtet werden. Viele Städte haben jetzt schon

Integrationsräte eingerichtet. Wir wissen, dass es in allen Kommunen Bayerns mit mehr als 20 000 Einwohnern eine erhebliche Anzahl an ausländischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen ohne deutschen Pass und ohne deutsches Wahlrecht gibt. Da gibt es einen erheblichen Integrationsbedarf. Man kann nicht erwarten, dass sich diese Mitbürger und Mitbürgerinnen in den Elternbeiräten oder in den Kindergärten im großen Umfang engagieren, ohne dass eine Institution vorhanden ist, die sich tatsächlich um die Integrationsbelange in der Gemeinde kümmert.

Der Bayerische Städtetag hat erfreulicherweise seine letzte Mitgliederversammlung im Juli 2009 zu dem Thema "Städte schaffen Integration" abgehalten. Herr Schaidinger sagte, dass Städte zwar schon viel für die Integration tun, aber noch mehr tun müssen. Es geht um die wichtigen Arbeitsfelder Migration, Armut und Bildung. Die Integration umfasst auch die Aufgabe, die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu überwinden sowie die Zugänge zur Bildung für alle Bürgerinnen und Bürger und auch für alle ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger einer Gemeinde zu sichern. Schaidinger sagt, dass so soziale Brennpunkte und Gettobildungen wie zum Beispiel in Frankreich verhindert werden könnten und dass diesen Tendenzen entgegengewirkt werden müsse. Städte und Gemeinden wollen zur Verbesserung der Integration zwischen Ausländern und Inländern und zwischen Arm und Reich handeln.

In der Debatte vorhin haben Frau Kollegin Görlitz, Herr Fahrenschon und Herr Huber darauf abgezielt, dass den Gemeinden die Möglichkeiten, das zu tun, was in unserer Gesellschaft dringend notwendig sei, versagt werden solle. Ich möchte an der Stelle daran erinnern, dass es kein Pappenstiel ist, nach den steuerlichen Änderungen in den Konjunkturpaketen I und II sowie nach den steuerlichen Änderungen im Bürgerentlastungsgesetz, die die bayerischen Gemeinden auch in einer Größenordnung von 400.000 Euro pro Jahr belastet haben, jetzt auch noch das so genannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz verabschieden zu wollen, welches die Kommunen in Deutschland 1,57 Milliarden Euro kosten soll. Es ist wichtig, den Kommunen ihre Handlungsmöglichkeiten zu erhalten. Es kann nicht angehen, dass die Kommunen überproportional unter den Steuersenkungsvorschlägen der Bundesregierung leiden müssen. Die Kommunen haben sehr wichtige Aufgaben. Dafür brauchen sie sowohl in finanzieller als auch in rechtlicher Hinsicht einen ordentlichen Handlungsrahmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Lorenz.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Am 27. Oktober, also vor noch nicht einmal fünf Wochen, haben wir hier im Plenum einen ziemlich ähnlichen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion beraten. Das, was wir damals schon gesagt haben, gilt mehr denn je auch heute. In einer Woche, am Mittwoch, dem 9. Dezember, stellt der bayerische Innenminister im Innenausschuss einen Erfahrungsbericht zum Kommunalwahlrecht und zur Kommunalwahl vor. Genau da ist der richtige Ort, über Ihre einzelnen Vorschläge ausführlich und breit zu diskutieren. Sie bringen diesen Gesetzentwurf aber jetzt ein. Nachdem wir vor vier oder fünf Wochen schon darüber diskutiert haben, können wir auch jetzt noch einmal darüber diskutieren. Selbstverständlich gehen wir auch auf Ihre inhaltlichen Forderungen ein.

Sie fordern die Absenkung des Kommunalwahlalters auf 16 Jahre. Das Wahlrecht ist ein wirklich grundlegendes demokratisches Recht, das jedem Staatsbürger zusteht. Im Gegenzug kann man natürlich für die Ausübung dieses Rechts ein gewisses Maß an Lebenserfahrung und politischer Urteilsfähigkeit verlangen. Es erscheint deshalb sachgerecht, dass das Wahlrecht an die Volljährigkeit angeknüpft wird. Nicht zu Unrecht gibt es viele Bereiche in unserer Rechtsordnung, in denen bewusst zwischen Volljährigen und Minderjährigen differenziert wird. Ich nenne als Beispiel das Strafrecht oder das Zivilrecht. Im Zivilrecht haben Minderjährige gewisse Rechte, die Volljährige haben, nicht. Sie möchten mit Ihrem Vorschlag eine weitere Trennung zwischen Rechten und Pflichten. Wir glauben, dass die Gewährung von Rechten und das Tragen von Pflichten in einem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen müssen. Deshalb glauben wir auch, dass die Beibehaltung des Mindestwahlalters von 18 Jahren sinnvoll ist.

(Harald Güller (SPD): Da stellt sich aber auch die Frage nach Strafrecht und Religionsmündigkeit!)