Protokoll der Sitzung vom 01.12.2009

Antrag der Abgeordneten Franz Maget, Karin Pranghofer, Hans-Ulrich Pfaffmann u. a. und Fraktion (SPD) Kontext der Zukunft Konsequenzen für die Erwachsenenbildung in Bayern (Drs. 16/1633)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Als Erste hat Frau Kollegin Simone Tolle das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Erwachsenenbildung führt in Bayern ein stiefmütterliches Dasein, und das, obwohl lebenslanges Lernen an Bedeutung gewonnen hat. Die Diskrepanz zwischen Sonntagsreden und Handeln ist nirgends so groß wie auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wirtschaftsminister Zeil hat bei einem Gespräch mit dem Volkshochschulverband gesagt, Erwachsenenbildung sei das Rezept gegen die Krise. Wie sieht in Bayern aber die Realität aus? Es gibt kein Rezept von der Staatsregierung. Wenn es etwas gibt, ist es Geld, aber das nur spärlich. Und mit den Finanzen erlauben Sie mir nun anzufangen.

Sie wissen sicherlich alle, meine Damen und Herren, dass die Träger der Erwachsenenbildung über eine Mischfinanzierung verfügen, dass neben den Kommunen oder Kirchen oder auch den Gewerkschaften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Erwachsenenbildung die Hauptlast zu tragen haben.

In den Volkshochschulen trägt den geringsten Anteil mit fünf Prozent der Freistaat Bayern und bildet damit im Vergleich mit anderen Bundesländern das Schlusslicht. Das gilt auch für die Pro-Kopf-Rechnung. Mit 69 Cent pro Einwohner und Jahr steht Bayern bundesweit vor Brandenburg auf dem vorletzten Platz.

Bayern ist aber nicht nur bei den Finanzen schlecht, sondern auch die Datenlage ist rudimentär. Dabei brauchen wir eine gute Datenlage, um ein strategisch wichtiges Feld steuern zu können. Das wissen wir alle.

Allein der Landessozialbericht gibt in wenigen Zeilen Auskunft. Es heißt da: Im Bereich der beruflichen Fortund Weiterbildung stagnieren die Quoten seit 2003 und die soziale Selektivität, die wir alle aus dem Schulbereich kennen, setzt sich in der Erwachsenenbildung fort. Die soziale Selektivität in Bayern ist - das sagt dieser Bericht - höher als in Westdeutschland. Ausgegrenzt sind sozial Schwache, Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen, ältere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen in Kleinund Mittelbetrieben. Dabei wissen wir nicht zuletzt aus einem Bericht einer Expertenkommission der Bundesregierung aus dem Jahre 2004, dass die Wahrnehmung von Lebenschancen in der Gesellschaft zunehmend nicht nur durch den Grad der Schulbildung, sondern auch durch die spätere Qualifizierung bestimmt ist.

Wir haben - so die Expertenkommission - Handlungsbedarf auf dem Gebiet des lebenslangen Lernens nicht nur bei den Ressourcen, sondern auch bei den Strategien. In Bayern gibt es wenig bis gar nichts. In Bayern gibt es kein Konzept, es gibt keine Strategie und es gibt kein Geld. Dabei trägt der Freistaat Bayern eine besondere Verantwortung. Denn mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft hat sich der Bildungsauftrag für lebenslanges Lernen entscheidend verändert. Die Verantwortung für eine gute und gerechte Bildung hört nicht nach der Schule auf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Folgendes ist mir auch sehr wichtig: Erwachsenenbildung geht über die wirtschaftliche Verwertbarkeit hinaus. Lebenslanges Lernen hat eine Bedeutung für alle in allen Bereichen, und zwar im Arbeitsleben, aber auch bei der Ausgestaltung der Rolle des Staatsbürgers, der Staatsbürgerin und bei der gesellschaftlichen und bei der sozialen Teilhabe. Um dies deutlich zu machen, haben wir unser Gesetz nicht Weiterbildungsgesetz genannt oder sonst wie, sondern um dem ganzheitlichen Anspruch gerecht zu werden, haben wir unser Gesetz Erwachsenenbildungsgesetz genannt.

Wir legen einen Gesetzentwurf vor. Wir legen vor, wozu dieses Hohe Haus die Staatsregierung schon im Juni 2007 aufgefordert hat - was man, sehr geehrter Herr Staatssekretär, nach über zwei Jahren immer noch nicht geschafft hat -, nämlich die Erwachsenenbildung in Bayern fortzuentwickeln.

Ziel unseres Gesetzentwurfes ist es, die Erwachsenenbildungsbeteiligung in Bayern zu erhöhen und dabei

allen sozialen Gruppen die Möglichkeit zur Teilhabe zu eröffnen. Wir haben uns bewusst für ein neues Gesetz entschieden, um den Aufbruch in eine neue Zeit deutlich zu machen. Dabei möchte ich betonen, wir haben bewährte Regelungen übernommen. Mir ist wichtig, den von allen Trägern als positiv empfundenen Freiraum als Handlungsspielraum zu erhalten. Deshalb, Frau Kollegin Pranghofer, überlasse ich die Definition der Festlegung einer Grundversorgung auch den Trägern.

Ich komme zu den wesentlichen Elementen. Erstens: Erstmalig wird in Bayern ein Recht auf Erwachsenenbildung festgeschrieben. Zweitens: Wir wollen eine Grundversorgung ins Gesetz aufnehmen, und wir wollen den Trägern der Erwachsenenbildung ein Vorschlagsrecht für den Doppelhaushalt geben. Das ist, um einen Kritikpunkt der SPD aufzugreifen, kein stumpfes Schwert, weil der Landtag nämlich eine Ablehnung des Vorschlags der Träger der Erwachsenenbildung begründen müsste. Er müsste sich also im Gegensatz zur jetzigen Situation, wo man einfach immer nur sagt "Wir haben kein Geld", eine Begründung einfallen lassen.

Dritter Punkt, der in Bayern teilweise schon umgesetzt wird oder zumindest im Rahmen des Regionalmanagements erprobt wird: Regionale Erwachsenenbildungszentren. Die Kommunen erkennen den Standortfaktor Bildung immer stärker. Wir haben uns vorgestellt, dass regionale Erwachsenenbildungszentren die Aufgabe haben, die Erwachsenenbildung in der Region zu stärken, aber auch Kooperation und Vernetzung voranzubringen, Information und Beratung zu leisten, den Aufbau von Informationssystemen zu schaffen - das ist das, was die SPD in ihrem Antrag Datenbank nennt Öffentlichkeitsarbeit zu machen, aber auch jährliche Berichte an die kommunalen Parlamente abzugeben.

Wir hätten den Landesbeirat für Erwachsenenbildung gerne um einen Migrantenvertreter ergänzt. Wir wollen Qualitätssicherung durch Verpflichtung der Anbieter zur externen Evaluation. Wir schlagen einen Innovationspool vor, der in Höhe von 2,5 % der Mittel für Erwachsenenbildung eingerichtet wird, um Qualität und Konzepte der Erwachsenenbildung fortzuentwickeln, aber auch um Bildungsungerechtigkeit abzubauen und die Teilnahme an Programmen des Bundes und der EU zu fördern und zu erleichtern.

Last but not least ist ein Kernpunkt in unserem Gesetz etwas, was 12 von 16 Bundesländern schon haben, nämlich Bildungsfreistellung, also das Recht auf fünf Tage Bildungsfreistellung pro Jahr. Die Freistellung erfolgt für anerkannte Bildungsveranstaltungen der beruflichen, aber auch der gesellschaftspolitischen Erwachsenenbildung. Weil wir die Defizite im

Landessozialbericht gesehen haben, wollen wir einen Ausgleich für Klein- und Mittelbetriebe dergestalt, dass Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten eine Entschädigung in Höhe von 50 % des durchschnittlich anfallenden Arbeitsentgelts erhalten. Das Verfahren ist so zu gestalten, dass zunächst die jeweils benachteiligten Gruppen prioritär eine Mittelzuweisung erhalten.

Herr Kollege Rüth, ich komme zu einem Ihrer Kritikpunkte, der lautet, wir hätten keine Kostenabschätzung vorgelegt. Ich möchte Sie auf den Gesetzentwurf verweisen. Die Höhe des Ausgleichs wird vom Landtag festgelegt. Insofern könnten wir einen Topf zur Verfügung stellen, den man dann nach Erfahrungswerten sukzessive bestücken könnte. Ich kann Ihnen versichern, dass die Kosten in anderen Bundesländern, wo es alles dies, was ich genannt habe, schon überwiegend gibt, niemanden aus den Latschen gekippt haben, zumindest nicht so stark wie das, was Sie jetzt an Steuererleichterungen versprochen haben. Wie gesagt, man könnte das langsam aufbauen. Bildung ist ein Tanker. Zumindest die Kollegen aus dem Bildungsausschuss wissen, dass ich nichts davon halte, wenn man einen Tanker durch zu viel Geld auf einmal zu schnell aus dem Kurs bringt.

Herr Kollege Rüth hat zudem gemeint, ein Bildungsfreistellungsgesetz würde die Tarifautonomie beschneiden. Das ist mitnichten so, weil die Tarifpartner immer noch frei sind. Und mit derselben Begründung könnte man das Bundesurlaubsgesetz auch abschaffen.

Ein Argument, das ich sehr ernst nehme, lautet: Die vom ORH angemahnte Trennung zwischen beruflicher Bildung und Erwachsenenbildung wird aufgehoben. Das haben wir ganz bewusst so gemacht. Bildung ist nämlich - das habe ich versucht, in meinen Eingangsworten deutlich zu machen - ganzheitlich. Das wird in dem Gesetzentwurf dokumentiert. Aus meiner Sicht wir haben ja auch Juristen, die da drübergeschaut haben - ist das juristisch sauber gelöst. Einem modernen Bildungsbegriff, einer ganzheitlichen Anschauung, also weg von der wirtschaftlichen Verwertbarkeit und hin zu dem Begriff, dass zur Bildung mehr gehört als nur das, was ich in der Arbeit brauche, diesem Begriff trägt dieses Gesetz Rechnung.

Wer dieses Gesetz ablehnt, muss eigene Vorstellungen vortragen. Die SPD hat das getan. Wir haben einen Dissens bei der Grundversorgung. Wir würden aber trotzdem zustimmen, weil wir überwiegend einer Meinung sind.

Jetzt kommt aber mein Wort an die Koalition. Wer unseren Gesetzentwurf ablehnt, der muss einen neuen vorlegen. Herr Kollege Rüth, wer als Souverän vor zwei

Jahren die Staatsregierung aufgefordert hat, zu Potte zu kommen, der darf es sich als selbstbewusster Abgeordneter nicht gefallen lassen, dass immer noch nichts auf den Tischen der Parlamentarier liegt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt könnten wir, Herr Staatssekretär, den Spruch benutzen, den Sie allerorten gern und manchmal auch gut verwenden: Qualität geht vor Geschwindigkeit. Wenn Sie schon länger als zwei Jahre brauchen, um einen Gesetzesvorschlag für die Erwachsenenbildung zu machen,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das spricht für Qualität!)

bin ich gespannt, was da kommt. Wahrscheinlich wird uns die Qualität einfach von den Stühlen werfen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Ich bin gespannt, was da rauskommt!)

Also spannen Sie uns nicht mehr so lange auf die Folter.

An die schwarz-gelbe Koalition geht mein Appell: Lassen Sie es sich nicht gefallen, dass man Beschlüsse des Landtags einfach nicht ausführt. Ich bin wirklich gespannt!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CSU, ersparen Sie dem Kultusminister doch die Arbeit. Unser Gesetzentwurf ist sehr gut; er bringt die Erwachsenenbildung in Bayern voran. Wir haben ein Anliegen gemeinsam: Bayern soll in der Bundesrepublik vorne sein. Damit wir das wieder werden, bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Tolle. Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum interfraktionellen Entschließungsantrag der Fraktionen der CSU und der FDP, Drucksache 16/2341, bekannt. Mit Ja haben 119 gestimmt, mit Nein 44. Es gab zwei Stimmenthaltungen. Damit ist der Antrag angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Wir kommen jetzt zur nächsten Rednerin. Ich darf Frau Kollegin Pranghofer bitten, ans Rednerpult zu kommen. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die GRÜNEN haben recht: Es ist notwendig, dass wir das Erwachsenenbildungsgesetz verändern und anpassen. Nicht deswegen, weil das Gesetz so alt ist, sondern weil es im Hinblick auf das Ziel des lebenslangen Lernens gewisser neuer Strukturen bedarf und die bestehenden Strukturen verändert werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Am Donnerstag letzter Woche wurde ein Antrag von uns beraten, in dem es um die Bildungsfreistellung ging. Ich darf den GRÜNEN signalisieren, dass wir das, was in ihrem Gesetz zur Bildungsfreistellung steht, natürlich auch unterstützen und befürworten. Weil wir das Thema Bildungsfreistellung heute wohl nicht mehr ausführlich behandeln müssen, sage ich gleich dazu: Zu diesem Antrag war ein Argument in der letzten Sitzung, dass die Beschäftigten das doch in ihrem Urlaub tun können. Urlaub ist aber eigentlich für etwas anderes gedacht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Man kann sicher einen gewissen Teil des Urlaubs als Bildungsurlaub in Anspruch nehmen, aber Urlaub dient immer noch der Erholung bzw. der Reproduktion der Arbeitskraft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte erklären, warum wir dem Gesetzentwurf der GRÜNEN leider nicht zustimmen können. Mit diesem Gesetzentwurf werden vier wesentliche Veränderungen nicht erreicht werden. So wird erstens kein individueller Rechtsanspruch auf lebenslanges Lernen erreicht. Das wird zwar postuliert, aber wohl nicht erreicht. Ich komme später noch darauf zurück, was wir damit meinen.

Zweitens bleibt das Gesetz bei der Trennung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung. Drittens ist die Finanzierung weiter nicht gesichert. Das Vorschlagsrecht des Landesbeirats für Erwachsenenbildung für den jeweiligen Doppelhaushalt, wie das im Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, ist zwar mehr, als wir jetzt haben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Mehrheitsfraktion einem solchen Vorschlag beugen würde. Wenn die Mehrheitsfraktion Einsparungen machen will, dann wird sie das auch tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich nenne einen vierten Grund, warum wir Probleme mit der Zustimmung haben. Sie sehen eine isolierte Erwachsenenbildungsberatung vor. Beratung ist zwar wichtig, aber sie bleibt isoliert. Unsere Vorstellungen

gehen eher in Richtung einer trägerübergreifenden Beratung. Wir denken also an eine öffentliche Bildungsberatung von der Kita bis zur Bahre, so möchte ich das jetzt einmal sagen.

Bei der Ersten Lesung habe ich schon gesagt, dass wir diesen Gesetzentwurf zwar als gut gemeint verstehen, ihn aber für nicht ganz so richtig finden. Wir haben deshalb einen Antrag vorgelegt - Frau Kollegin Tolle, ich bin froh, dass auch die GRÜNEN das so sehen -, in dem wir unsere Grundlinien für die Erwachsenenbildung verdeutlichen. Vielleicht ist das ein Ansatzpunkt, wo wir später weiterdiskutieren können.

Wir können in der Erwachsenenbildung wirklich keinen Stillstand brauchen. Frau Tolle, Sie haben schon darauf hingewiesen: Am 26.06.2007 haben die CSU-Bildungspolitiker einen Antrag vorgelegt, der darauf abzielte, dass die Staatsregierung das Erwachsenenbildungsgesetz anpassen und insbesondere Qualitätsverbesserungen, Qualitätssteigerungen und Qualitätssicherungen bringen sollte. Immerhin, so sage ich, ist so etwas im Jahr 2007 vorgesehen worden. Dann wurde die Beratung des Antrags im Ausschuss zweimal vertagt. Im Februar 2008 hatten wir endlich einmal einen Beschluss. Im Mai 2008 legte das Ministerium einen Zwischenbericht vor und darin war zu lesen: Alles ist gut, wir reden weiter mit den Trägern. - Jetzt sind wir am Ende des Jahres 2009, und was ist passiert? - Gar nichts! Das ist Stillstand.