Protokoll der Sitzung vom 19.05.2010

Der nächste Punkt - und damit der letzte -: die Strukturkrise oder die Systemkrise oder auch - man muss es so nennen - das Systemversagen. 2008 und vor allem 2009 haben wir, glaube ich, dreimal Debatten im Plenum zum Finanzmarktdebakel geführt: Welche Folgen hat das für Bayern? Wie ist es mit Unternehmen in Schieflage? Da haben wir immer wieder gesagt: Leute, es ist falsch zu sagen: Es ist eine Konjunkturkrise; mit irgendwelchen Wachstumsprogrammen und Wachstumsbeschleunigungsgesetzen kommen wir weiter. Wir haben es mit einer ausgewachsenen Systemkrise zu tun, und weil die Politik mit schuld ist, mit einem ausgewachsenen Systemversagen. Wirtschaften heißt eigentlich, haushälterisch mit knappen Ressourcen umzugehen, generell mit knappen Gegenständen. Tatsächlich ist unser Wirtschaften und auch unsere Wirtschaftspolitik genau das Gegenteil. Es beruht auf Ausbeutung, es beruht auf Verschwendung. Wir dürfen uns auch nicht vor der Wachstumsfrage drücken. Wir müssen vorangehen, wobei wir nicht behaupten, Wachstum dürfe es nirgendwo mehr geben. Selbstverständlich fordern wir Wachstum in bestimmten Branchen, in bestimmten Bereichen und in bestimmten Regionen. Ein Punkt, der uns wesentlich beschäftigt, ist die Auseinandersetzung der Politik mit der Frage des Bauens auf stetes Wachstum: Nur dann könne man die soziale Sicherung gewährleisten, nur dann könnten am Ar

beitsmarkt positive Ergebnisse erzielt werden. - Wenn Politik so verfährt, dann ist das ein gewaltiges Eigentor, weil sich die Politik dann in eine große Glaubwürdigkeitsfalle begibt. Sie schützt sich davor, sich Gedanken machen zu müssen: Was ist, wenn es Phasen der Kontraktion gibt, was ist, wenn es zwar Wachstum gibt, es aber nicht ausreicht, um zum Beispiel für einen Nullsaldo am Arbeitsmarkt zu sorgen? Und anderes.

Wir alle sind berufen, mit solchen Situationen umgehen zu können und in solchen Situationen die entsprechenden Rezepte und Instrumente in der Hand zu haben. Das heißt auch, wir müssen beispielsweise die Verteilungsfrage diskutieren, und zwar Umverteilung nicht von unten nach oben, wie wir das die letzten Jahre immer wieder erlebt haben, sondern von oben nach unten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist ein Punkt, bei dem wir die Verknüpfung zur Finanzmarktkrise und zur dringend anstehenden Regulierung der Finanzmärkte ansprechen können.

Fazit: Wir begrüßen im Großen und Ganzen die Positionierung und das Vorgehen der Staatsregierung. Herr Minister Fahrenschon, es wäre schön gewesen, wenn Sie heute etwas weniger laut aufgetreten wären und etwas weniger dick aufgetragen hätten; denn es geht immer wieder auch darum, vor der eigenen Haustüre zu kehren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber das war beispielsweise bei Herrn Schmid Herrn Rinderspacher geschuldet; das ist keine Frage. Für mich ist es ganz wichtig zu betonen: Wir belassen es nicht beim Begrüßen ihrer Positionierung, sondern wir bitten Sie, Ihren Worten auch Taten folgen zu lassen, auch und ganz konkret in der Bundesregierung. Wir werden Sie selbstverständlich auch in Zukunft daran messen.

Herr Kollege Runge, bitte bleiben Sie kurz am Rednerpult. Es gibt eine Zwischenintervention.

Sie haben viele Dinge angesprochen, die mich betreffen, und einige Dinge nicht, wie die Finanztransaktionssteuer. Ich habe Sorge, dass wir diejenigen, die wir haben wollen, nicht bekommen, und dass die kleinen Leute, die Geld anlegen, auch wenn es nur um 0,5 % oder um 0,1 % geht, mitbezahlen müssen.

Sie haben das Thema Forderungsverzicht kurz angesprochen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie

damit den Bereich Griechenlandanleihen gemeint haben? Wenn ja, dann pflichte ich Ihnen bei und muss hinzufügen: Es kann nicht sein, dass Banken das können wir auch heute wieder lesen - Staatsanleihen mit 5, 6 oder 7 % anpreisen - das tun auch bayerische Banken - und die Menschen glauben machen wollen, sie würden 5, 6, oder 7 % ohne Risiko bekommen und der Staat würde hinterher, wenn es schief geht, einspringen.

Danke schön, Herr Kollege Kirschner. - Bitte schön, Herr Runge.

Herr Kollege Kirschner, Sie haben mich richtig verstanden. Genau deswegen ist es hilfreich, wenn über eine geordnete Insolvenz nachgedacht wird. In den Vereinigten Staaten von Amerika gab es bereits solche Fälle. Im Falle des Staates New York hat man das sehr gut durchexerziert. Den Punkt, den Sie angesprochen haben, haben wir immer wieder erlebt, zum Beispiel bei dem Niedergang der Kaupthing Bank, als die Sparer auf die Barrikaden gegangen sind. Dann muss man sich schon fragen, ob es hilfreich ist, wenn die Bundesregierung zusichert, zur Not einzusteigen und die Anlagen zu sichern. Die Leute sind dort hingegangen, weil ihnen eine etwas höhere Rendite - so viel war das gar nicht - versprochen worden ist. Also, höhere Gewinnaussichten gleich höheres Risiko, das sollte man berücksichtigen und versuchen, abzufangen. Mit dem Thema Finanztransaktionssteuer werden wir uns noch genügend auseinandersetzen. Ich bin versucht, Sie zu überzeugen, weil wir die Kleinen eben nicht erwischen.

Sie haben eben die Riester-Rentner und Kleinsparer angesprochen. Noch einmal: Wenn Herr Schmid jede Woche sein Depot an der Frankfurter Börse oder am Finanzplatz München umschichtet, dann macht ihm das bei 0,01 % noch gar nichts; denn 0,01 % mal 60 gerechnet - ich weiß nicht, wie groß sein Depot ist -, das würde nicht viel ausmachen. Aber es trifft die Kurzfristhändler. Deswegen muss man da rangehen. Es gibt viele europäische Staaten, die gesagt haben, sie würden das gerne machen, zum Beispiel auch zur Finanzierung von Entwicklungshilfeausgaben. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: zum einen, um etwas Geld abschöpfen zu können, und zum anderen, um mehr Ruhe in die Finanzmärkte zu bekommen und vor allem um diesen ganz gewaltigen Spekulationen einen Riegel vorschieben zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir freuen uns, Herr Kollege Kirschner, dass wir Sie über so weite Strecken auf unserer Seite haben. Das

zeichnet die bayerische FDP gegenüber der restlichen FDP aus.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank. Das kann jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion untermauern. Herr Hacker, Sie haben das Wort.

(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt ein feuriges Plädoyer gegen die Finanztransaktionssteuer!)

- Die Latte ist hoch gelegt, Herr Hacker.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Union ist eine Erfolgsgeschichte, gerade für uns Deutsche. Kriege im Herzen Europas gehören der Vergangenheit an. In ganz Europa eint uns das Ziel, Frieden, Freiheit und Wohlstand zu schaffen. Diese Erfolgsgeschichte dürfen wir nicht vergessen, auch wenn die aktuellen Probleme groß sind. Zur europäischen Integration gibt es keine Alternative.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Die Einigung Europas hat nicht nur eine historische Dimension, die internationale Finanzkrise - wir durchleben sie immer noch - hätten wir ohne das gemeinsame Handeln in Europa nur sehr viel schwerer durchgestanden.

Die brennenden Fragen der Energiesicherheit, der Rohstoffversorgung, des Umwelt- und des Klimaschutzes, des Welthandels, der inneren und äußeren Sicherheit können wir nur in einer starken Europäischen Gemeinschaft lösen. Auch daran, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, erinnere ich: Europa bringt uns Deutschen Wohlstand. Wir leben vor allem von unseren Exporten; zwei Drittel gehen in den europäischen Binnenmarkt. Das schafft hochwertige Arbeitsplätze und erlaubt uns, wichtige Aufgaben zu finanzieren, unseren Sozialstaat und unsere hohen Umweltstandards.

Kein anderes Land Europas hat so sehr von der Einführung des Euro profitiert wie Deutschland. Dieses Land müssen wir jetzt verteidigen. Es geht um die Stabilität, um die Zukunft unserer gemeinsamen Währung, letztendlich geht es aber darum, den Bestand und die Zukunft der Europäischen Union zu sichern. Wer Europa sprengen will, macht Deutschland ärmer. Wenn sich überall in der Welt Länder zu Wirtschaftsräumen zusammenschließen - wir kennen solche Beispiele -, darf Europa nicht auseinanderfallen.

Meine Damen und Herren, ohne ein Handeln des Internationalen Währungsfonds und der 15 Euroländer

käme es zur Zahlungsunfähigkeit Griechenlands. Auch andere europäische Länder wären in ihrer finanziellen Existenz bedroht und das würde die Finanzstabilität in der gesamten Europäischen Währungsunion gefährden, mit allen Konsequenzen. Deshalb gibt es keine Alternative, wir müssen den Spekulationen gegen Euroländer den Boden entziehen, wir müssen die Stabilität des Euro sichern und wir müssen den Verfall der Währungsunion verhindern.

Ich sage es ganz klar: Wir tun das nicht für Banker und Spekulanten, sondern wir tun das für die Bürgerinnen und Bürger. Denn nur dann, wenn wir den Druck vom Euro nehmen, haben wir in Deutschland weiterhin die Chance auf stabile Preise und sichere Sparguthaben. Genau das ist die Voraussetzung für das Vertrauen in den Euro, das wir wieder gewinnen müssen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Niemand in meiner Partei macht sich die Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm leicht, weder unsere Kollegen in der Bundestagsfraktion noch unsere Mitglieder in den Staatsregierungen, die im Bundesrat abstimmen. Wir handeln aus Verantwortung, aber wir handeln mit Wut. Wieder einmal müssen die Steuerzahler in Deutschland für die Verfehlungen anderer geradestehen. Griechenland hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt und anderes vorgetäuscht. Die kumulierte Staatsverschuldung beträgt aktuell fast 125 % des Bruttoinlandsprodukts. Um das Land vor dem Schuldenkollaps zu retten, haben sich die Finanzminister der Euro-Zone auf ein milliardenschweres Finanzpaket geeinigt. Am 2. Mai 2010 wurde vereinbart, dass das Land von den europäischen Staaten Notkredite in Höhe von 110 Milliarden Euro innerhalb von drei Jahren bekommt; 22,4 Milliarden wäre der Anteil der Bundesrepublik an der Rettung Griechenlands. Diese Entscheidung war schon schwer genug, doch nur kurze Zeit später müssen wir feststellen, dass 110 Milliarden Euro zu wenig waren - zu wenig gegen die Angst, dass auch Spanien, Portugal, vielleicht auch Italien und andere europäische Länder ihre Schulden nicht mehr bedienen können. Auch hier gilt die gleiche Diagnose: Die Maastricht-Kriterien wurden ignoriert, die Staatsverschuldung wurde in schwindelnde Höhen getrieben, bei der Wettbewerbsfähigkeit fielen die Volkswirtschaften dieser Länder immer weiter zurück.

Genau das rächt sich auf Dauer. Das Vertrauen in die Finanz- und Wirtschaftspolitik eines Landes geht verloren, und seine Kreditwürdigkeit sinkt. Spätestens jetzt ist der Spekulation Tür und Tor geöffnet.

In dieser Situation haben die Europäische Union, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds die unvorstellbare Summe von 750 Milliarden Euro als Bürgschaft ausgelobt. Das ist eine Summe, die schwindlig macht. Damit erkaufen wir uns aber nur Zeit; die Probleme der Eurozone lösen wir damit nicht. Das gelingt uns nur, wenn wir die strukturellen Schwächen der Währungsunion beseitigen und das internationale Finanzsystem wirksam regulieren. Nur wenn diese beiden großen Aufgaben auch wirklich angepackt werden, werden wir als FDP dem Euro-Rettungsschirm zustimmen. Wir stellen keinen Blankoscheck aus. Wir wollen Klarheit über den Weg aus der Krise, und wir wollen eine Perspektive jenseits der gemeinschaftlichen Schuldenübernahme eröffnen. Nur im Verbund mit echten Reformen wirkt der Euro-Rettungsschirm und kann das verlorene Vertrauen zurückgewonnen werden.

(Beifall bei der FDP)

Der einzige nachhaltige Weg aus der Krise - das wurde heute schon mehrfach angeführt - führt über eine konsequente Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, und das nicht nur in Griechenland. Entsprechende Ankündigungen und Forderungen der Europäischen Union und der Nationalstaaten dürfen keine Lippenbekenntnisse bleiben. In Deutschland und insbesondere in Bayern müssen wir eine Konsolidierung der Haushalte auch in den schwierigen Jahren, die uns bevorstehen, vormachen. Wir werden in der Regierungs-Koalition in den nächsten Wochen und Monaten einen Fahrplan für eine Route für den Doppelhaushalt 2011/2012 erstellen. Die Ausgaben der Staatskasse, meine Damen und Herren, müssen auf den Prüfstand gestellt werden, und es muss auch konkret über eine Aufgabenreduktion des Staates diskutiert werden. Wir müssen die Rolle des Staates schrittweise immer wieder auf den Prüfstand stellen.

(Beifall bei der FDP)

Uns ist bewusst, dass wir die Zukunftsbereiche Innovation, Forschung und Bildung außen vor lassen müssen. Wir müssen unsere Verantwortung in diesen wichtigen Kernaufgaben und diesen Zukunftsaufgaben wahrnehmen und investieren.

(Isabell Zacharias (SPD): Sehen das alle im Kabinett so? - Gegenruf von Ministerpräsident Horst Seehofer: Ja!)

- Die Abstimmung zwischen uns funktioniert immer ganz schnell, Herr Ministerpräsident.

Meine Damen und Herren, Steuererhöhungen zur Haushaltskonsolidierung - das wurde in den letzten Tagen gelegentlich schon diskutiert - sind der falsche

Weg. Die dauerhafte Sanierung der öffentlichen Haushalte muss über die Ausgabenseite erfolgen. Wer, wie manche Stimmen der Union - nicht aus Bayern - das fordern, die Konsolidierung über Steuererhöhungen angehen möchte, versucht, sich um eine überfällige Debatte über notwendige und nicht notwendige Ausgaben des Staates herumzudrücken. In Deutschland muss die Debatte darüber geführt werden.

(Beifall bei der FDP)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, allen Unkenrufen zum Trotz steht unverändert ein neues, faires und einfaches Steuersystem auf unserer Agenda. Vor allem für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen muss es in Zukunft gerechter zugehen als in unserem bestehenden Steuersystem.

(Beifall bei der FDP)

An diesem Ziel werden wir festhalten, gerade in schwierigen Zeiten.

(Isabell Zacharias (SPD): Ob das klappt? NRW!)

- Sicher. Nächstes Jahr ist Rheinland-Pfalz dran. Dann schwappt die Entwicklung wieder zurück. Wir werden dieses Land gemeinsam auf Landes- und Bundesebene voranbringen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Währungsunion darf nicht zu einer Transferunion mit unkalkulierbaren Risiken werden. Als Antwort auf die momentane Krise des Euro muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt verschärft werden. Daher ist ein effektiver Frühwarn-, Kontroll- und Sanktionsmechanismus zur Begrenzung der Staatsverschuldung in Europa dringend notwendig. Wer sich den Zugang zu unserer gemeinsamen Währung mit gefälschten Zahlen erschleicht und das weiterhin vorsätzlich tut, muss davon ausgeschlossen werden können; denn ein solches Verhalten betrifft den gesamten Euroraum. Wir brauchen glaubhafte Sanktionsinstrumente der Europäischen Union. Reine Absichtserklärungen der Mitgliedstaaten, wie es sie in der Vergangenheit leider immer wieder gab, reichen bei Weitem nicht aus. Deswegen benötigen wir umfangreiche politische und strukturelle Reformen.

Die Rechte der europäischen Statistikbehörden müssen gestärkt werden. Wir brauchen ein Frühwarnsystem und eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die alleinige Verschärfung der Sanktionen im Pakt verspricht allerdings nur wenig Erfolg. Auch Sanktionen, die bisher schon möglich gewesen