Protokoll der Sitzung vom 14.07.2010

Sie haben sich also auch aufgrund des Drucks gewisser Regierungen für diese Regelung entschieden. Ich weiß, dass Sie auch die Regierung von der Oberpfalz darauf aufmerksam gemacht hat, dass es da gewisse Schwachstellen gibt, zum Beispiel wenn Grundschulen Hauptschulen draufsetzen wollen. Das ist also nicht Ihrem eigenen Denken entwachsen. Wir stellen fest, es sind kleine Veränderungen, aber es ist kein grundsätzlich großer Wurf; als Tiger gestartet, als Mäuschen gelandet. Wir lehnen deshalb den Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der SPD)

Herr Muthmann, darf ich Sie für die Freien Wähler ans Pult bitten?

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch aus unserer Sicht darf ich noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen über die inhaltliche Diskussion hinaus machen: Es ist nicht ganz grundlos, warum wir heute zusammensitzen und beraten; denn die Einführung der Mittelschule

erfordert halt ein Gesetz. Die Mitwirkung des Landtags ist nicht nur notwendig, sondern Voraussetzung, um einen solchen Schultypus zu etablieren, und das war bis dato nicht der Fall. Gleichwohl waren Heerscharen von Beamten auf allen Ebenen, von den Schulämtern, den Regierungen, den Schulen und den Gemeinden, aufgerufen, diese Einführung der Mittelschule vorzubereiten, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die gesetzliche Grundlage völlig fehlte.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Ich nehme an, es gab eine Weisung des Ministers an die nachgeordneten Behörden, die Vorbereitungsmaßnahmen durchzuführen. Aber eine solche Weisung ersetzt kein Gesetz. Das sollte auch in Bayern so sein und so bleiben. Wir erwarten schon, dass wir, wenn zur exekutiven Umsetzung irgendwelcher Maßnahmen, auch bildungspolitischer Maßnahmen, ein Gesetz notwendig ist, hier zuerst das Gesetz diskutieren und dann Mehrheiten suchen, und dass wir erst dann, wenn Mehrheiten gefunden sind, auch an die Umsetzungsarbeit gehen.

Ich möchte die theoretische Variante nur einmal ansprechen: Was ist, wenn dieses Gesetz heute keine Zustimmung, keine Mehrheit findet? Dann hat die Verwaltung, dann haben die exekutiven Behörden ein Jahr lang die Dinge völlig umsonst bearbeitet und vorbereitet. Insofern ängstigt mich diese Verfahrensweise durchaus und ich halte sie auch nicht für in Ordnung. Ich halte sie auch rechtsstaatlich für bedenklich und für eine Missachtung des Parlaments und der Gewaltenteilung.

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordne- ten der SPD)

Im Übrigen, sehr geehrter Herr Minister, ist es auch für die Beamten ein, wie ich glaube, schwieriger Loyalitätskonflikt zwischen der Gesetzesbindung einerseits und den Erwartungen ihres Ministeriums andererseits. Auch an dieser Stelle hätten wir uns gewünscht, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben und Prinzipien Beachtung gefunden hätten.

Heute ist im Übrigen das letzte Dialogforum.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Heute Abend!)

Die Verfahrensfragen sind dann weitgehend zum Abschluss gebracht, obwohl heute erst legislativ - ich wiederhole es - die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden sollen. - Erster Punkt.

Das Dialogforum - das ist ein zweiter Punkt, auf den ich aus grundsätzlichen Erwägungen noch einmal hinweisen will - ist immer auch als die Gestaltungsmög

lichkeit vor Ort präsentiert worden. Tatsächlich ist es ein Feigenblatt gewesen. Die Gestaltungsmöglichkeiten an dieser Stelle sind gar wenige. Andererseits gab es für alle Beteiligten eine Vielzahl von Fakten und vor allem von starren und zwingenden Vorgaben.

(Beifall der Abgeordneten Tanja Schweiger (FW))

Daraus ist auch zu folgern, dass sich der Gesetzgeber hier mit Konnexitätsfragen befassen muss. Die Staatsregierung hat es versäumt, die Frage zu stellen: Ist das ein Konnexitätsfall? Welche Kosten werden dadurch für die Kommunen zusätzlich verursacht? Das alles fehlt an dieser Stelle bis heute.

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordne- ten der SPD)

Ich will nur darauf hinweisen, dass wir unter diesem Gesichtpunkt die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde durchaus prüfen und uns vorbehalten.

(Beifall bei Abgeordneten der Freien Wähler)

Der letzte Punkt ist aus der distanzierten Sichtweise von jemandem, der sich nicht täglich mit bildungspolitischen Fragen befasst, eine Anmerkung, dass auch diese Diskussion und auch das Konzept wieder, wie schon die bildungspolitischen Diskussionen der vergangenen Jahre, sehr stark von Organisations- und Strukturfragen geprägt sind. Wir befassen uns immer mit systemischen Problemstellungen, mit Zwei- oder Dreigliedrigkeit, mit der Frage: Wie viele Klassen da und dort? Auch geht es dann im Detail um sehr viele Fragen im Zusammenhang fachlicher Lehrpläne und überbordender fachlicher Anforderungen, während die zentrale Fragestellung wiederum zu kurz kommt: Wie können wir die Schüler in ihren unterschiedlichen Begabungen bestmöglich unterstützen? Wie viele Lehrer stehen den Kindern an den Schulen zur Verfügung? Das ist die zentrale bildungspolitische Frage. Wie viel Zeit haben die Lehrer für die einzelnen Kinder, um sie in ihren unterschiedlichsten Begabungen optimal zu begleiten und zu fördern? Wir müssen uns mit Auffächerungen und Details befassen, während an dieser zentralen Weichenstellung wiederum wie schon am Gymnasium und auch bei der R 6 die große Herausforderung, die Dinge eben noch spürbar besser zu machen und die Kinder in allen Schattierungen und in all ihrer Individualität auch in Zukunft besser zu unterstützen, nicht ausreichend geklärt ist.

Letzter Hinweis. Es wird nicht lange dauern, bis wir uns wiederum mit der Zukunft der Haupt- bzw. Mittelschulen befassen müssen. Wenn wir nämlich die Dreigliedrigkeit erhalten und der Mittelschule eine Chance geben wollen, kommt es wesentlich darauf an, auch die Erwartungen der ausbildenden Wirt

schaft entsprechend zu berücksichtigen und uns auch daran zu orientieren. Bitte konzipieren Sie solche Entwicklungen nicht immer nur im Ministerium und da ausschließlich aus Münchener Sicht. Das, was in München klappen mag, muss im Rest Bayerns in vielerlei Hinsicht noch lange nicht funktionieren. Das ist auch bei der Bildungspolitik der Fall. Wir wünschen uns da eine frühzeitigere Beteiligung und vor allem die Chance, dass regionale Besonderheiten, Perspektiven, Chancen, Schwerpunkte vor Ort auch stärker in die Waagschale geworfen werden und zur Geltung kommen. Lassen Sie bitte auch den in den Regionen dort Verantwortlichen mehr Gestaltungsspielraum. Das nicht alles so zentralistisch zu steuern, würde Bayern bildungspolitisch wie in vielen anderen Bereichen gut tun. Das war auch in der Vergangenheit nicht immer ein Erfolgsrezept und wird es auch beim Mittelschulkonzept nicht sein.

Deswegen werden wir - das hat der Kollege Felbinger schon angekündigt - diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Bevor ich die Kollegin Bause nach vorne bitte, möchte ich nur kurz mitteilen, dass nach § 127 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Schlussabstimmung in einfacher Form, wie wir sie vorgeschlagen hätten, widersprochen wurde. Das heißt: Die Schlussabstimmung findet in namentlicher Form statt.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu diesem Tagesordnungspunkt zu Wort gemeldet, weil das Vorgehen und Verhalten der Koalition in Sachen Schulen in freier Trägerschaft schon noch einmal eines besonderen Augenmerks bedarf.

Die Art und Weise, wie hier Vertreter der CSU und der FDP, Frau Will, auf der einen Seite das Hohelied der privaten Schulen, der Montessori-Pädagogik, der Reformpädagogik singen und sich auf der anderen Seite die Arbeitsbedingungen in den privaten Schulen, in den Montessorischulen massiv verschlechtern, das muss noch einmal ganz deutlich auf die Tagesordnung gesetzt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Das, was Sie in diesem Gesetzentwurf beschließen wollen, bedeutet unter dem Strich eine Benachteiligung und eine Schlechterstellung der privaten Schulen, bedeutet, dass die Arbeitsmöglichkeiten nicht mehr so sind, wie es bisher der Fall war, und bedeutet eine Benachteiligung gegenüber den staatlichen

Schulen. Das muss noch einmal deutlich gesagt werden.

Allein Ihr Vorgehen in dieser Sache zeigt in gewisser Weise, wie schlecht ihre Argumente sind, zeigt vielleicht auch, wenn man davon ausgehen mag, Ihr schlechtes Gewissen in dieser Angelegenheit. Gerade die FDP hat immer gesagt, wie wichtig die Privatschulen sind und wie sehr sie sich dafür einsetzen wolle. Sie haben die Änderungen für die privaten Schulen in gewisser Weise in einem Gesetzentwurf versteckt, der unter der Überschrift "Mittelschulen" läuft. In keiner Einbringung, in keiner Debatte, in keiner Informationsveranstaltung ging es um die Auswirkungen dieses Gesetzentwurfs auf die Montessorischulen. Erst durch die Aufmerksamkeit und die Aktivität des Montessoriverbandes ist den Parlamentariern überhaupt klar geworden, welche Konsequenzen in diesem Gesetzentwurf stecken, die so überhaupt nicht kommuniziert werden. Und dann wird von "Dialogforen" und offener Diskussion geredet. Das ist doch ein Hohn, was Sie hier veranstalten.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den Frei- en Wählern)

Dann kriegen vor einem Monat die Montessorischulen von den Bezirksregierungen schon die Bescheide, dass sich die Finanzierungsmodalitäten ändern, noch bevor das Parlament diesen Gesetzentwurf beschlossen hat. Was ist denn das für eine Schweinerei?

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den Frei- en Wählern)

Hier wird nicht mit offenen Karten gespielt, geschweige denn in einer ehrlichen und klaren Auseinandersetzung mit den Schulen und den Verbänden umgegangen. Jetzt loben Sie sich selbst dafür, dass Sie reagiert haben. Vielleicht sind doch einige darüber erschrocken, was die Konsequenzen sind, und haben sich gefragt, ob man es tatsächlich so haben will, dass Montessorischulen, die sich im Aufbau befinden, keine Perspektiven haben. Andere Privatschulen sind anders organisiert. In erster Linie trifft es die Montessorischulen, weil sie hauptsächlich Grund- und Hauptschulen haben. Als diese gesagt haben, dann können wir unsere Schulen im Aufbau zumachen, wir können diese Zeiten nicht überwinden, weil wir das Geld mit privaten Mitteln nicht aufbringen können, da haben Sie erklärt, Sie wollten das vielleicht auch nicht in dieser Härte und dieser Konsequenz. Sie haben dann nachgebessert, das ist schon einmal gut. Ich finde es gut, dass es hier zumindest eine Reaktion, ein Zuhören und ein Nachbessern gibt.

Faktisch ist es aber immer noch so, dass eine Schlechterstellung gegenüber der bisherigen Situation

erfolgt. Ich frage mich: Warum braucht man das, wenn man eigentlich meint, Montessorischulen seien Pioniere, was die Reformpädagogik angeht? Wir brauchen sie auch, um unser staatliches Schulsystem zu verbessern. Was machen diese Schulen denn? Seit Jahrzehnten haben sie Erfahrungen, wie man Inklusion erfolgreich betreibt - das große Thema, über das wir alle diskutieren. Wir diskutieren über Integration und Inklusion gerade im Jahr der Behindertenrechtskonvention. Montessori praktiziert das seit Jahrzehnten.

Ich denke auch noch an andere Themen: autonome Schulen, selbstständige Schulen, Verlagerung von Verantwortlichkeiten nach unten, Einbeziehung der Eltern in die Schularbeit, Erziehung von Kindern zu selbstständig Lernenden, das Lernen lernen. All das, was als Schlagwort in der Debatte um moderne Pädagogik genannt wird, wird seit Jahrzehnten von Montessori erfolgreich praktiziert. Auch die Leistungen sind nicht schlechter; sie sind besser, weil das eine Schule ist, in der es Spaß macht zu lernen. Da könnten Sie sich eine dicke Scheibe abschneiden, anstatt diese Schulen in ihrem Ausbau zu beschneiden.

Unter dem Strich bleibt: Sie haben zwar für die Schulen im Aufbau eine Regelung geschaffen, die zumindest für zwei Jahre verträglich ist - diejenigen, die jetzt schon anmelden, dass sie sich zur Hauptschule fortentwickeln wollen, haben den Vertrauensschutz -, aber Neugründungen von Montessorischulen machen Sie dadurch unmöglich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Problem ist die vorgesehene Karenzzeit. Frau Will, die privaten Mittel, die hier eingebracht werden müssen, kann doch keine Privatschulinitiative erbringen. Man muss einfach zu lange warten, bis man die staatliche Unterstützung erhält. Das heißt im Kern: Sie werden keinen weiteren Ausbau und keine Neugründungen von Montessorischulen mehr haben. Ganz offensichtlich wollen Sie das so, weil Sie den Wettbewerb mit den besseren Schulen und Konzepten nicht wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sonst müssten Sie die Konkurrenz doch nicht fürchten; sonst müssten Sie doch diese Karenzzeit nicht einführen. Sie reden zwar immer davon, wie wichtig das Wachstum in verschiedensten Bereichen ist, aber das Wachstum der Montessorischulen in Bayern wird mit diesem Gesetzentwurf unmöglich gemacht. Das müssen Sie sich vor Augen führen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann wird immer noch behauptet, in den Gesprächen sei der Montessori-Verband erfreut gewesen und habe zugestimmt und gesagt, jetzt passt alles. Es passt überhaupt nicht alles. Zu diesem einzelnen Punkt hat er gesagt, es ist besser als vorher, aber unter dem Strich gibt es überhaupt keine Zustimmung des Montessori-Verbandes zu diesem Gesetzentwurf. Das möchte ich klipp und klar feststellen, damit hier nicht mit falschen Behauptungen hantiert wird.

Viele Innovationen gehen von den Montessorischulen aus. Das staatliche Schulsystem braucht Innovationen, aber die Bereiche, wo diese Innovationen umgesetzt werden, wollen Sie schlechter stellen und im Wettbewerb benachteiligen. Diese Politik werden wir natürlich nicht mittragen. Dem Gesetzentwurf werden wir nicht zustimmen. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Die Diskussion über die Schulentwicklung, die bessere Pädagogik und die Bedeutung der Montessorischulen in Bayern wird mit diesem Gesetzentwurf nicht zu Ende sein. Wir werden dafür sorgen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke, Frau Kollegin Bause. Für die Staatsregierung hat sich Herr Staatsminister Dr. Spaenle zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, Hohes Haus, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über einen Eckstein der Bildungspolitik in dieser Legislaturperiode. Wir sprechen im Kern über die Weiterentwicklung des differenzierten Schulwesens mit einem Drittel der Schülerinnen und Schüler in diesem Land, die im Moment die Hauptschule besuchen. Was an diesem Vormittag an verbalen Entgleisungen über ein Drittel der Schülerinnen und Schüler und über Zehntausende von engagierten Lehrkräften ausgegossen wurde, das spottet jeder Beschreibung.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Ulrike Gote (GRÜNE): Was für eine Unverschämtheit!)