Protokoll der Sitzung vom 14.10.2010

Ich will nur einen kurzen Überblick darüber geben, was derzeit Stand der Flüchtlingspolitik in Bayern ist.

Dann werden Sie sich selber ein Bild davon machen und feststellen können, dass diese Flüchtlingspolitik konzeptionslos ohne Beispiel ist.

Nach vielen Besuchen in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Baierbrunner Straße und bei den Missständen, die wir dort festgestellt haben, ob bei Hygiene, ob bei Überbelegung, ob bei mangelnder Sozialbetreuung, ob bei mangelnden Kinderspielplätzen, dachte ich immer: Es gibt keine Steigerung mehr. Weit gefehlt. Es gibt eine Steigerung. Es gab eine Steigerung, indem ein einstimmiger Landtagsbeschluss missachtet wurde, indem sich die Regierung von Oberbayern eigenmächtig dazu aufgeschwungen hat, eine bereits geschlossene Containerunterkunft zu reaktivieren und 170 Menschen dort unterzubringen. Ich möchte nur kurz sagen, was diese Menschen dort vorgefunden haben: Sie hatten keine Betten, nur Matratzen, nur eine Dusche für 170 Menschen, einen Wachdienst, der Probleme hatte, Deutsch zu verstehen, keinen Sozialdienst, keine Hygieneartikel, eine Kochplatte, einen kleinen Backofen. In diesem kleinen Backofen sollten 170 Menschen Brötchen aufbacken. Weil das nicht möglich war, haben sie die Brötchen teilweise roh gegessen, und die Kinder hatten hinterher entsetzliche Bauchschmerzen.

Am nächsten Tag gab es zwar ein Frühstück, aber ansonsten kein Essen. Abends gab es eine Pizza. Es gab keine extra Babynahrung. Am Sonntag wurden sie in ein Restaurant geschickt. An dieser Stelle möchte ich das Engagement der Frau Kollegin Sandt, die mit Hygieneartikeln in die Unterkunft ging, würdigen. Sie hat versucht, zumindest die schlimmste Not zu lindern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Dennoch entbindet dieses persönliche Engagement einer Kollegin die Koalition nicht davon, jetzt endlich ein Konzept vorzulegen, wie in Zukunft mit Flüchtlingen in diesem Freistaat menschenwürdig umgegangen werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD)

Gleichzeitig mit den Missständen in der Waldmeisterstraße hat uns die Nachricht erreicht, dass die Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg in eine Erstaufnahmeeinrichtung umgewidmet werden soll. Derzeit wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg 400 Flüchtlinge. Ich habe daraufhin die Staatsregierung in einer Anfrage zum heutigen Plenum gefragt, wie mit den Flüchtlingen umgegangen werden soll, die jetzt dort sind, und ob es stimmt, dass diese Unterkunft zur Erstaufnahme umfunktioniert werden soll. Die Antwort war, man wisse es nicht. Die Planungen

seien noch am Laufen. Man plant also noch, obwohl in der Presse schon längst bekanntgegeben wurde, dass es Erstaufnahmeeinrichtung wird und obwohl sich in Unterfranken massiv Proteste über diese vorschnelle und unvorbereitete Umfunktionierung geregt haben. Aber im Moment weiß die Staatsregierung davon jedenfalls nichts, und man weiß auch nicht, ob man die Gemeinschaftsunterkunft dann schließen soll oder nicht. Darüber ist auch noch keine Entscheidung gefallen. - So weit zur Informationspolitik der Staatsregierung.

Aber es wurde noch besser, denn selbst die Staatsministerin wird offensichtlich nicht informiert. Denn sonst hätte es nicht passieren können, dass ein Container, der auf ihre Anweisung am 8. Dezember geschlossen wurde - warum er nicht abgebaut wurde, kann ich Ihnen auch erklären, dort haben nämlich seitdem Sammelverhöre stattgefunden -, wieder aktiviert wurde, ohne dass sie es wusste.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Unglaublich!)

Sollten Sie es aber gewusst haben, Frau Staatsministerin, wäre es noch schlimmer. Denn dann hätten Sie erst den Landtagsbeschluss und dann Ihren eigenen Beschluss als Ministerin unterlaufen. Ich kann es nicht glauben. Ich bin sicher, dass es ohne Ihr Wissen geschehen ist. Aber auch das ist ein Skandal.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Richtig!)

Man muss sich überlegen: Wer bestimmt eigentlich im Sozialministerium? Wer bestimmt in der Regierung von Oberbayern?

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Oder Unterfranken!)

- Oder Unterfranken. Wackelt da der Schwanz mit dem Hund oder wer hat das Sagen?

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der Freien Wähler)

Dieses heillose Planungs- und Informationschaos, das wir in den letzten Wochen vorgeführt bekamen, ist alles andere als ein Konzept, Frau Ministerin.

Dass Sie uns heute berichtet haben, was Sie getan haben, was Sie versuchen, was Sie weiter durchsetzen möchten, das ist die eine Sache. Das war ein Bericht über hilflose Aktionen, aber es war kein Konzept.

Deshalb fordere ich Sie jetzt auf: Legen Sie endlich und unverzüglich ein Konzept vor, wie Sie künftig in Bayern mit Flüchtlingen umgehen wollen. Beenden Sie diese Chaospolitik. Hören Sie mit dem Verwirr

spiel auf und bringen Sie Flüchtlinge in Bayern endlich menschenwürdig unter, sodass sie nicht zum zweiten Mal in ihrem Leben zu Flüchtlingen werden, weil sie von einer Unterkunft zur anderen flüchten müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der Freien Wähler)

Vielen Dank, Frau Kollegin.

Ich darf das Hohe Haus davon unterrichten - Sie haben es schon auf Ihren Bildschirmen gesehen -, dass sich die Redezeiten für die Fraktionen verändert haben. Einige waren ganz überrascht davon. Aber das hängt mit unserer Geschäftsordnung zusammen. Wenn die Staatsregierung 15 Minuten mehr Redezeit hat, steht das auch den Fraktionen zu. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass Sie diese dann auch in Anspruch nehmen müssen. Wir wollten Ihnen nur anzeigen, wie es aussieht.

(Beifall bei Abgeordneten der Freien Wähler)

Jetzt darf ich Herrn Kollegen Dr. Fahn das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Was Sie von Frau Ministerin Haderthauer gehört haben, war ein Bericht über das, was sie gemacht, aber auch was sie nicht gemacht hat. Auch wir vermissen ein Gesamtkonzept, das von der Ministerin in keiner Weise vorgelegt wurde.

Wir haben in den vergangen Wochen vieles in der Zeitung gelesen. Als Beispiel erwähne ich die Sache in München. Es ist unverantwortlich, wie die Regierung von Oberbayern vorgegangen ist. Es kann einfach nicht sein, dass sich eine Behörde über einen Beschluss des Landtags, der damals einstimmig gefasst worden ist, hinwegsetzt.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Hier wird der Bayerische Landtag insgesamt ad absurdum geführt. Diesen Politikstil werden wir nicht akzeptieren, sagte Frau Präsidentin Barbara Stamm letzte Woche. Darüber wurde auch so in allen Medien berichtet. Dem stimmen wir voll zu.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Es ist nicht nur München betroffen, das Gleiche passiert in Würzburg. Auch dort konnte man in der Zeitung lesen, dass der Regierungspräsident tätig geworden ist. Das ist nicht seine Aufgabe. Der

Regierungspräsident ist ein ausführendes Organ und hat das zu tun, was der Landtag ihm vorgibt. Interessant ist auch, dass nun alle zurückzurudern versuchen. Nachdem wir gestern eine Pressemitteilung herausgegeben haben, hat heute die Regierung von Unterfranken das zurückgewiesen, was wir moniert haben. Mich würde einmal interessieren, ob die Regierung von Unterfranken in der letzten Woche einen solchen Brief geschrieben hat und eine Presseerklärung abgegeben hat, als die Stellungnahme von Oliver Jörg und Barbara Stamm herausgekommen ist. Das nur am Rande.

Seit Jahren wissen wir - das wurde auch von der Ministerin gesagt -, dass die Flüchtlingszahlen ansteigen. Diese Situation ist doch nicht einfach vom Himmel gefallen. Wir kennen die Tendenz und wir müssen reagieren. Die politisch Verantwortlichen müssen konkret handeln. In fast jeder Sitzung des Sozialausschusses wird gesagt: Wir suchen nach neuen Immobilien, haben aber noch nichts gefunden. Man kann doch nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Spätestens seit der Schließung der Gemeinschaftsunterkunft in der Waldmeisterstraße hätte man sich Gedanken machen müssen. Es ist viel zu wenig geschehen. Warum hat man sich nicht um Alternativen gekümmert? Es kann nicht sein, dass Abgeordnete Wohnungen für Asylbewerber suchen müssen. Dazu haben wir doch gut bezahlte Beamte im Sozialministerium. Diese sollten das viel besser machen als sie es bisher getan haben.

Das aktuelle Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, das besagt, dass die Erstaufnahmeeinrichtung in der Baierbrunner Straße geschlossen wird, wird die Situation in München noch verschärfen. Deswegen ist es höchste Zeit, ein Gesamtkonzept zu erstellen, wie und vor allem wo die Flüchtlinge in Bayern in Zukunft untergebracht werden, und zwar unter Beachtung der Leitlinien zu Größe und Ausstattung der Gemeinschaftsunterkünfte. Diese wurden noch am 01.04.2010 erlassen. Wir sind davon überzeugt, dass sie noch nicht umgesetzt wurden und dies noch gemacht werden muss. Das betrifft zum Beispiel einen Duschplatz für zehn Personen und für jeden Bewohner einen abschließbaren Schrank sowie Gemeinschaftsräume für alle. Das ist noch lange nicht umgesetzt. Danach müssen wir darüber reden, was in den einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch zusätzlich geschehen soll.

Das Ausweichen auf andere Gemeinschaftsunterkünfte in Würzburg und Aschaffenburg, wie es anscheinend geplant ist, kann auch keine vernünftige Lösung sein. Dies gilt vor allem, wenn dies ohne Abstimmung mit den Betroffenen vor Ort geschieht. Es kann nicht sein, dass eine ausführende Behörde - ich habe es

vorhin schon gesagt - und der Regierungspräsident Beinhofer ihre Kompetenzen überschreiten. Deswegen möchte ich Sie daran erinnern, dass derzeit auf Antrag der Fraktion der Freien Wähler ein Antrag läuft, der ein Gesamtkonzept für Aschaffenburg und eventuell die Schließung der Gemeinschaftsunterkunft in Aschaffenburg zum Inhalt hat. Es kann doch nicht sein, dass, obgleich ein solcher Antrag noch geprüft wird und er noch nicht einmal im Sozialausschuss besprochen wurde, schon konkrete Überlegungen angestellt werden, wie Flüchtlinge von Würzburg nach Aschaffenburg kommen. Das geht nicht. Wir brauchen erst einen Bericht entsprechend dem Antrag der Freien Wähler, der im Sozialausschuss einstimmig verabschiedet wurde.

Liebe Frau Haderthauer, wir begrüßen es, dass Sie schnell eingegriffen haben. Wir merken aber an dem Beispiel von München und dem Vorgehen der Regierung von Oberbayern sowie in Würzburg am Vorgehen der Regierung von Unterfranken, dass Sie Ihr Haus nicht richtig im Griff haben. Wir begrüßen die schnelle Unterbringung der Flüchtlinge, z. B. im Hotel International. Ich habe einmal auf der Homepage nachgesehen. Es handelt sich um eine Jugendherberge in München mit 573 Betten und maximal Acht-BettZimmern. Dennoch scheinen Sie als Verantwortliche die Realität nicht wahrzunehmen. Es handelt sich um keine Lösung auf Dauer. Wie hier mit Menschen umgegangen wird - darin gebe ich Frau Ackermann recht - ist verantwortungslos. Wir fordern - auch das steht in unserem Antrag, obgleich wir wissen, dass zumindest momentan noch Gesetze dagegensprechen - eine Prüfung einer kurzfristigen Abweichung vom Sachleistungsprinzip, um die Versorgung von Menschen kurzfristig sicherzustellen. Diese haben im Moment keine Möglichkeit, die ihnen zur Verfügung stehenden Lebensmittel zuzubereiten. So fehlte es tagelang an Kochgeschirr und Kochgelegenheiten. Was nützt die Versorgung mit Lebensmittelpaketen, wenn die Betroffenen keine Möglichkeit haben, diese Lebensmittel weiterzuverarbeiten? Was nützt es, wenn die Asylbewerber Milchpulver und Wasser für ihre Babys haben, aber keine Möglichkeit, das Wasser zu kochen? Hier sind noch eindeutig Defizite. Wenn wir solche bemerken, dann müssen wir versuchen, dem abzuhelfen.

Diejenigen, die in München und sonst wo die Arbeit machen, sind Vertreter der Inneren Mission, die mit logistischen Problemen zu kämpfen haben, die für sie - wir haben mit Vertretern gesprochen - kaum tragbar sind. Wir möchten uns ausdrücklich bei den Vertretern der Inneren Mission für ihre unermüdliche Arbeit bedanken.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Die aktuelle Situation war unseres Erachtens vorhersehbar, und zwar auch deshalb, weil die Landtagsfraktionen, entsprechende Initiativen sowie die Öffentlichkeit - über die Situation wird auch ständig in der Zeitung berichtet - immer wieder auf dieses Problem hingewiesen haben. Deshalb sagen wir immer: Man muss zuerst denken, dann handeln. Wir brauchen mittel- und langfristig ein Gesamtkonzept für Bayern. Kurzfristig brauchen wir - auch das steht in unserem Antrag - flexible Lösungen, die leichter handhabbar sind. Wir werden auch dem Antrag der GRÜNEN zustimmen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Jetzt darf ich Frau Kollegin Weikert das Wort erteilen. - Darf ich erst Herrn Kollegen Seidenath nehmen?

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Wenn Herr Seidenath vor mir will, gerne.

Jetzt stehen Sie schon am Redepult, Frau Kollegin.

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Ich hätte vielleicht gerne auf ihn geantwortet.

Vielleicht er auch gerne auf Sie.

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Dann können wir uns ja abwechseln. Wir haben jetzt noch so viel Redezeit dazubekommen, dass wir keine Nöte mehr haben.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Frau Haderthauer, muss ich insofern meiner Vorrednerin und meinem Vorredner recht geben: Sie haben heute kein Konzept präsentiert, sondern Sie haben einen Bericht über die kurzfristig entstandenen Situationen bzw. über das Geschehen Ende letzter Woche gegeben. Das hat hohe Wellen geschlagen, zu Recht, so meine ich. Auch die öffentliche Meinung hat funktioniert. Man muss anerkennen, dass Demokratie in unserem Staat funktioniert. Es haben sowohl, Frau Präsidentin, die Abgeordneten reagiert, als auch besorgte Bürger und in München, Menschen, die sich dauerhaft um Flüchtlinge kümmern. Sie haben heute dazu einen kurzen Bericht gegeben, aber ein Konzept für die weitere Zukunft haben Sie heute noch nicht vorgelegt. Deshalb haben die Anträge ihre Berechtigung und wir werden ihnen auch zustimmen.

Die Ereignisse im Laufe der letzten Woche, Frau Haderthauer, haben auch bei Ihnen im Referat zu personellen Konsequenzen geführt. Ich darf es vielleicht sagen, ohne dass ich gleich in die Nähe des Sozialmi

nisteriums gerückt werde: Ich wünsche dem Nachfolger des zuständigen Sachbearbeiters bei diesem Aufgabengebiet wirklich von Herzen alles Gute für die neue Aufgabe. Es ist nicht einfach und es wird viel Koordinations- und Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Notwendig ist auch eine Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden. Es wird nicht einfach und ich wünsche dem Nachfolger für diese Aufgabe eine glückliche Hand. Ich hoffe für uns und die Flüchtlinge in Bayern, dass sich die Situation durch die personelle Umbesetzung dauerhaft verbessert.