Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als GRÜNE begrüßen diesen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion. Wir werden ihm zustimmen.
Man kann die Diskussion über Gemeinschaftsschule unter verschiedenen Aspekten führen. Ich möchte fünf nennen.
Erstens, das ist der wichtige Aspekt: Wie gestalten wir Schulpolitik so, dass individuelle Förderung der Kinder möglich ist - individuelle Förderung, die von der Unterschiedlichkeit der Kinder ausgeht und zu einer Pädagogik führt, die die Unterschiedlichkeit der Kinder als Chance für einen guten Unterricht sieht? - Wir sind nicht dazu da, den Lehrerinnen und Lehrern zu
sagen, wie sie zu unterrichten haben, ob wir ehemalige Lehrer sind oder nicht. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, darüber zu reden, wie die Rahmenbedingungen und Schulstrukturen aussehen müssen, damit dieser gute, moderne Unterricht möglich ist.
Dabei geht es neben den Größen der Klassen auch um die Schulstrukturen. Haben wir eine Schulstruktur wie eben in Bayern, die vor allem Schülerinnen und Schüler zuweist, die Schülerinnen und Schüler sortiert, die vorgibt, wer Realschüler, wer Hauptschüler, wer Gymnasialschüler ist und wer es eben nicht ist, wer Förderschüler ist? Die Botschaft, die dieses Schulsystem an die Schülerinnen und Schüler ausstrahlt, lautet: Du gehörst nicht dazu, du gehörst nicht zu uns! - Wir brauchen aber eine Schule, in der alle mitkommen, in der alle ernst genommen werden in ihrer Unterschiedlichkeit und ihren Stärken.
Wir reden in diesem Haus mit großer Ernsthaftigkeit über das Thema Inklusion. Aber soviel muss schon gesagt sein: Ein Schulsystem, das Schülerinnen und Schüler in der Regel anderen Schularten zuweist, macht den Gedanken der Inklusion sehr schwer.
Zweitens. Wir müssen uns überlegen, welche Folgen unser gegliedertes Schulsystem nach sich zieht. In diesem Zusammenhang ist das, was wir in den Grundschulen, in den Klassen drei und vier erleben, einfach beschämend und katastrophal. Wir erleben ungeheueren Druck auf Schülerinnen und Schüler, auf Eltern, auf Lehrer. Wir erleben, dass die Grundschule mit ihrer guten Pädagogik - und die Grundschule ist die beste Schulart, die wir haben, auch im internationalen Vergleich - aufgrund des Übertrittsdrucks, der durch dieses gegliederte Schulsystem zustande kommt, nicht arbeiten kann.
Der dritte Aspekt - da müssten auch die Nicht-Bildungspolitiker zuhören, vor allem die Kommunalpolitiker - ist der demografische Wandel, den wir in diesem Land mit einem starken Rückgang der Schülerzahlen in einigen Regionen Bayerns haben. Diesbezüglich stellt sich die Frage: Kann ein gegliedertes Schulsystem mit verschiedenen Standorten wohnortnah überhaupt noch aufrechterhalten werden oder müssen wir nicht neue, integrative Lösungen finden, wo wir den Kindern wohnortnah ein gutes, umfangreiches Schulangebot machen können? Schauen Sie sich das in den etwas dünner besiedelten skandinavischen Ländern an. Sie haben es gemacht.
Der vierte Punkt ist - ich habe den Eindruck, dass dieses Thema unseren Kultusminister besonders umtreibt - die Absicht, aus dieser Schulstrukturdebatte eine ideologische Debatte zu machen. Mit dieser Lo
sung "Individuelle Förderung gegen Einheitsschule!" führt er eine ideologische Debatte. Da spricht nicht der Bildungspolitiker Spaenle, sondern da spricht vor allem der CSU-Stratege Spaenle. Denn da wird das gegliederte Schulsystem noch als eine der letzten Residuen der Ideologie der CSU, eine der letzten Kernbotschaften erhalten; damit glaubt er jetzt, sich profilieren zu können.
Ich bin kein Berater der CSU. Deswegen brauche ich Ihnen nicht zu sagen, dass diese Strategie nicht aufgehen wird. Aber sie schadet natürlich der pädagogischen Debatte massiv. Das machen Sie in einer Situation, in der wir immer mehr über eine Gesellschaft reden, die sich aufspaltet, in der Parallelgesellschaften entstehen, in der das, was diese Gesellschaft zusammenhält, immer schwieriger zusammenzuhalten sein wird, und in der unterschiedliche Milieus entstehen. Wir haben eine geteilte Schullandschaft, wir haben eine geteilte Gesellschaft, und wir haben eine geteilte Bildungswelt. Lesen Sie einmal den Artikel der Schriftstellerin Mirijam Günter, der kürzlich in der "Süddeutschen Zeitung" erschienen ist.
Wir begrüßen, dass die SPD diesen Antrag gestellt hat, und wir begrüßen, dass die SPD jetzt eine Linie gefunden hat, nach diesem Hin und Her mit sechsjähriger Grundschule und geteiltem System jetzt zur Gemeinschaftsschule zu finden. Das finden wir gut. Wir begrüßen, dass es hierbei vor allem um die dezentralen Lösungen geht. Das hat auch Frau Gottstein angesprochen. Wenn es in Bayern so toll ist, wenn das Schulsystem und die Schulen die Konkurrenz nicht fürchten müssen und wenn wir die kommunale Ebene ernst nehmen, dann müssen wir auch andere Schulmodelle vor Ort zulassen und können damit auch leben, wenn das alles so gut ist.
Wir GRÜNE können damit leben und werden dies im Jahr 2013 umsetzen, wenn wir mit der SPD regieren. Ich habe gehört, der Fraktionsvorsitzende könne sich das vorstellen,
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann haben Sie sicher auch das nötige Geld dazu, können die gesamte Schulstruktur total ändern und die entsprechende Anzahl von Lehrern einstellen.
Ich möchte Ihnen herzlich für die Einbringung dieses Gesetzentwurfs danken, denn diese Debatte gibt mir Gelegenheit, Ihre doch sehr realitätsfernen Vorstellungen ein wenig gerade zu rücken.
Die Eltern wollen keine ideologisch geprägte Strukturdebatte. Sie kostet Zeit, Kraft und Nerven aller Beteiligten.
Ich sage Ihnen, was die Eltern und Schüler aus vollstem Herzen wünschen: Sie wünschen sich einen verlässlichen Rahmen, damit die Kinder in Ruhe lernen können.
Ehrlich gesagt, ich war enttäuscht von Ihrem Gesetzentwurf. Was Sie als Modell der Gemeinschaftsschule propagieren, ist in Wahrheit eine Neuauflage der integrierten Gesamtschule. Leistung wird bei Ihnen beliebig. Sie wollen die Schule zu einem Schonraum machen,
bei dem die Kinder erst am Ende ihrer Schulzeit wissen, was sie wirklich können. Diese Form von Pädagogik, sehr geehrter Herr Pfaffmann, hat längst ausgedient.
(Beifall bei der FDP und der CSU - Alexander König (CSU): Sehr richtig! - Zurufe des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) - Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Bei der heutigen Ersten Lesung kann ich nur auf einige handwerkliche Fehler hinweisen: Erstens. Sie planen ein pädagogisches Konzept ohne die Pädagogen. Zweitens. Sie fordern von der 1. bis zur 10. Klasse jahrgangsgemischte Gruppen. Drittens. Sie machen das gymnasiale Lernangebot - und das stimmt, Frau
Gottstein - zum Standard für alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig von deren Begabung und Leistungsfähigkeit.
Und das, meine Damen und Herren, ist der schwerwiegendste handwerkliche Fehler aus pädagogischer Sicht.
Sie haben sich aus allen möglichen pädagogischen Konzepten herausgepickt, was am besten zu Ihrer Bildungsidylle passt. Das ist ein bunter Flickenteppich.
Hübsch anzusehen ist dieser Flickenteppich, aber von schlechter Qualität. Ich nehme es deshalb vorweg: Wir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen,
denn er ist Flickschusterei. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich will nicht alles schlechtreden.
Wir haben ein verändertes Übertrittsverhalten und es gibt den demografischen Wandel. Diese Faktoren wirken sich in jeder Region anders aus, in den Städten anders als auf dem flachen Land. Darauf müssen wir reagieren. Zweifelsfrei brauchen wir eine regionale Schulentwicklung. Wir brauchen pragmatische Lösungen,