Protokoll der Sitzung vom 27.10.2010

Für die SPDFraktion darf ich Frau Kollegin Angelika Weikert an das Mikrofon bitten.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie einem Antrag nicht zustimmen, führen Sie immer wieder das Argument an, dass alles ohnehin schon geschehe.

(Christa Naaß (SPD): Das ist langweilig!)

Dies sagen Sie über 99 % der Anträge, die von der Opposition gestellt werden. Das ist langweilig. Sie könnten sich einmal etwas anderes einfallen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Sie könnten einem solchen Antrag trotzdem zustimmen, obwohl schon viel geschieht. Sie sollten in sachlicher Form in den Ausschüssen darüber berichten, was systematisch und präventiv an den Schulen zu diesem Thema gemacht wird.

Lassen Sie mich auf den Antrag zurückkommen. Wir haben diesem Antrag im sozialpolitischen Ausschuss zugestimmt, weil nach der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte völlig klar ist - das haben Sie gesagt -, dass die Ehe nur aus freiem Willen geschlossen werden soll. Zwangsheirat gehört nicht in unseren Kulturkreis. Unserer Überzeugung nach gehört diese bestraft. Insofern sind die Gesetze, die im Berliner Kabinett vorgeschlagen worden sind, für uns nicht falsch. Es ist richtig, dass Zwangsheirat einen Strafbestand darstellt.

Wie gehen wir damit um? Wie gehen wir an die Frauen heran, die von diesem Schicksal betroffen sind? Frau Stamm, da gibt es eine ganze Palette von Problemen. Sie sagen, das Problem müsse an der Wurzel angepackt werden. Vor diesem Hintergrund ist Ihr Antrag, dem wir trotzdem zustimmen werden, viel zu kurz gegriffen. Frauen werden aus wirtschaftlichen Gründen aus der hintersten Türkei hierher zwangsverheiratet. Frauen, die hier aufwachsen und einen deutschen Pass haben, werden deswegen zwangsverheiratet, weil ein Ehemann aus irgendeinem Land der

Welt nachkommen soll. Diese vielfältigen Probleme können wir allein gar nicht lösen.

Wir müssen dieses Thema in unserer Gesellschaft problematisieren und niedrigschwellig gestalten, damit Frauen, die davon betroffen sind, zu einer Beratungsstelle gehen und sich Schutz und Hilfe in unserem Rechtstaat suchen. Das ist im Prinzip die richtige Umgangsweise. Die Prävention ist dabei facettenreich. Die Aufklärung in der Schule halte ich nicht für falsch, jedoch ist sie für mich bei Weitem nicht hinreichend. Das sagen auch die Organisationen, die ständig mit diesen Frauen zu tun haben.

(Claudia Stamm (GRÜNE): Das ist lächerlich!)

Wir haben eine Menge zu tun. Wir sollten kreative Strategien finden, um an diese Frauen heranzukommen. Wir müssen bei diesen Frauen Vertrauen aufbauen, damit sie sich an entsprechende Beratungsstellen wenden.

Für heute möchte ich es dabei belassen. Wir werden diesem Antrag zustimmen, aber gelöst ist nach unserer Überzeugung das Problem leider nicht.

(Beifall bei der SPD)

Für die Freien Wähler darf ich Frau Gottstein an das Mikrofon bitten.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in den Ausschüssen der Stimme enthalten. Wir werden bei diesem Votum bleiben. Wir denken, dass Prioritäten gesetzt werden müssten. Gerade haben wir gehört, dass wir uns Ganztagsschulen nicht leisten könnten. Nach wie vor stehen wir auf dem Standpunkt, dass hier mehr investiert werden muss. Den Aufbau zusätzlicher Strukturen oder Organisationen, den Sie mit Ihrem Antrag fordern, halten wir für unnötig.

Allerdings lehnen wir den Antrag mit der Begründung der CSU auch nicht ab. Es wird noch nicht genug getan. Herr Kollege Eisenreich, es reicht nicht, wunderbare Broschüren in den Schulen zu verteilen und auf die Beratungslehrer hinzuweisen. Ein Beratungslehrer muss an seiner Schule tausend Schüler betreuen und darf dafür eine Stunde weniger in der Woche unterrichten. Die Qualität der Beratung kann man sich vorstellen. Letztendlich muss der Schulpsychologe für dieses Thema sensibilisiert sein. Die Sensibilisierung beschränkt sich aber nicht nur auf den Schulpsychologen, sondern ist ebenfalls Aufgabe der Lehrer. Bei Klassengrößen von über 25 Schülern können derartige Probleme nicht erkannt werden. Deswegen enthalten wir uns. Für die Aufklärung und Bildung zu diesem Thema, die in der Schule geleistet werden muss,

brauchen wir übersichtlichere Klassengrößen. Dafür setzen wir uns ein.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wenn Sie Ihre Gespräche auch zu dieser Uhrzeit nach draußen verlegen könnten, würde uns dies helfen. Ich würde als nächste Rednerin Renate Will aufrufen, da Frau Sandt als Übernächste auf der Rednerliste steht. Frau Will ist jedoch nicht da. Dann bitte ich Frau Kollegin Sandt von der FDP-Fraktion, mit der Debatte fortzufahren.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Stamm hat gesagt, das Thema sei heute rein zufällig hochgezogen worden. Das ist merkwürdig, da gestern Abend sicherlich klar war, dass dies ein Thema der Klausur des Bundeskabinetts sein wird. Es ist schön, dass Sie das Thema der schwarz-gelben Bundesregierung aufgreifen. Mit der Entscheidung des Bundeskabinetts, aus der Zwangsheirat einen Straftatbestand zu machen, ist ein entscheidender Schritt getan worden. Vorher war dies nur über den Umweg der Nötigung möglich.

Aus diesem Grund verstehe ich nicht, warum Ihre Fraktion damals im Bildungsausschuss keine Aussprache gefordert hat. Damals war es offensichtlich nicht so wichtig. Heute machen Sie daraus ein Riesenspektakel. Dass Sie sich damals zurückgehalten haben, hatte einen guten Grund. Es wird bereits sehr viel getan: Die druckfrische Broschüre der Kultusministerkonferenz informiert sinnvoll und mit Tiefgang über das Thema Zwangsheirat. Geht es Ihnen um die Sache oder wollen Sie nur zeigen, dass die Grünen so wahnsinnig schwer in Ordnung sind?

(Zurufe von den GRÜNEN)

Natürlich spielt die Zwangsheirat nicht nur in muslimischen Kulturkreisen eine große Rolle, sondern ebenfalls in Osteuropa, Pakistan, Indien, Afrika und vielen anderen Ländern. Deswegen ist Zwangsheirat auch an bayerischen Schulen ein Thema in der Menschenrechtsbildung. Das Thema ist dort als fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgabe angesiedelt, und zwar an allen Schularten.

Im Übrigen ist es wichtig, dass an einer Schule ein offenes Klima geschaffen wird. Dies schafft eine Vertrauensbasis, die es ermöglicht, mit den Betroffenen rechtzeitig über ihre Probleme zu sprechen.

(Eva Gottstein (FW): Wie schafft man das Klima? Kommt da der Wetterfrosch?)

Die Lehrer müssen für das Thema sensibilisiert werden.

(Eva Gottstein (FW): Die Lehrer müssen Zeit haben!)

- Dafür haben die Lehrer schon Zeit. Selbstverständlich gibt es Schulen, an denen das ein großes Thema ist. Dies ist vor allem in Ballungsgebieten der Fall. Im Gegensatz dazu gibt es Schulen, an denen dieses Thema kaum eine Rolle spielt. Die Aufklärung muss individuell und vor Ort unterschiedlich gehandhabt werden. Frau Gottstein, nicht alles kann man von oben verordnen. Deswegen haben die meisten Schulen auch gute Netzwerke mit Schulpsychologen und anderen Einrichtungen.

(Anhaltende Zurufe der Abgeordneten Eva Gott- stein (FW))

Auch die Stellen für Jugendsozialarbeiter werden massiv ausgebaut.

(Unruhe)

Aus all diesen Gründen stimmen wir diesem Antrag nicht zu. Wir halten ihn für ziemlich unsinnig. Dagegen ging das Signal der Bundesregierung, das heute gesetzt wurde, in die richtige Richtung, dass nämlich Zwangsverheiratung endlich ein Straftatbestand ist.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich darf das Plenum noch einmal darum bitten, die Gespräche nach draußen zu verlegen und die Zurufe auf den Nebenmann zu beschränken und nicht zur anderen Seite des Hauses zu machen.

(Unruhe)

Wir haben noch eine Wortmeldung von Frau Kollegin Stamm, die noch eine Minute und dreißig Sekunden zur Verfügung hat. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich mache es ganz kurz. Ich will nur zwei Dinge klarstellen. Liebe Kollegin Sandt, wir haben den Antrag nicht gestern Abend hochgezogen, sondern am Montagvormittag. Das will ich nur als Randbemerkung zu Protokoll sagen.

Frau Kollegin Weikert, ich hatte es eigentlich erwähnt: Es gab vier Anträge im sozialpolitischen Ausschuss, die auch alle abgelehnt wurden. Neben dem Antrag "Selbstbestimmungsrecht stärken - Zwangsheirat bekämpfen - Stigmatisierung verhindern!", wurden die Themen eines Ausbaus des Angebots von speziali

sierten Fachberatungsstellen und Schutzeinrichtungen, von der Einrichtung mehrsprachiger niedrigschwelliger Angebote, der Sensibilisierung und Qualifizierung von Fachpersonal und der Bündelung und Nutzung vorhandener Ressourcen behandelt. Es wurde dreimal von Ihnen gesagt, dass dieser eine Antrag nicht reichen würde, um ein Problem anzupacken. Ich weiß, dass auch wir keine Patentlösung haben. Ich habe nur gesagt, dass man tiefer gehen muss, als nur einen Straftatbestand einzurichten. Die Einführung eines Straftatbestandes mag schön und recht sein, aber diese Möglichkeiten gibt es schon. Wir hatten auch ein längeres Fachgespräch mit Prof. Bielefeldt, der jetzt einen Lehrstuhl für Menschenrechte bekommen hat. Er sagt, das sei nichts anderes als ein Alibi. Wenn Sie glauben, das hat eine Leuchtturmfunktion, dann machen Sie das bitte. Es ist aber nicht sinnvoll, weil es den Blick vom Opfer hin zum Täter lenkt. Das ist aber nicht Sinn der Sache.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin, bitte bleiben Sie noch einige Minuten am Redepult, weil sich Kollege Bausback zu einer Zwischenbemerkung zu Wort gemeldet hat, zu der ich ihm jetzt das Wort erteile.

Frau Kollegin Stamm, ich weiß nicht, ob Sie die Begründung Ihres Antrags gelesen haben. Mich wundert schon, dass Sie in der Begründung den Eindruck erwecken, dass das Ansprechen der Problematik der Zwangsheirat als Problematik von Migranten eine "Stigmatisierung" dieser Bevölkerungsgruppe bedeuten könnte. Ich wundere mich weiterhin, dass Sie in diesem Antrag die Problematik der Zwangsheirat mit gänzlich anderen Problemen verbinden, nämlich mit der Behandlung von homosexuellen Lebensbeziehungen allgemein. Meines Erachtens verharmlosen Sie damit letztlich diese Probleme. Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass Sie das Ansprechen einer Problematik, die in der Gruppe der Migranten auftritt, als Stigmatisierung empfinden. Damit stecken Sie den Kopf in den Sand. Das ist eine Vogel-Strauß-Politik, aber keine verantwortungsvolle Politik.

(Beifall bei der CSU)

Zur Erwiderung hat Frau Kollegin Stamm das Wort.

Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe. Ich habe in viele fragende Gesichter geschaut. Offenbar war das nicht ganz klar.

Erstens. Ich habe gesagt, dass es eine Stigmatisierung ist, wenn man Zwangsheirat immer mit Migran

ten in Verbindung bringt. Wir wissen natürlich sehr wohl, dass es dieses Problem gibt. Im Gegensatz zu einigen Mitgliedern Ihrer Partei versuchen wir aber, dieses Problem differenziert zu sehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens. Zur Frage der Homosexuellen: Unterhalten Sie sich doch bitte mit den Menschen, die vor Ort beraten.

(Unruhe)