Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Die Politik provoziert nachgerade den Protest, und genauso ist es auch gekommen.

Herr Dr. Fischer, Sie haben es zwar angesprochen, dass der Protest überwiegend friedlich war. In Ihrem Dringlichkeitsantrag steht davon aber kein Wort. Darin wird es so dargestellt, als seien Hunderttausende von Chaoten auf der Straße gewesen.

Dieser Protest ist von einem breiten Bündnis getragen worden. Er war außerordentlich bunt und vielfältig, und er war überwiegend friedlich. Deswegen danken wir den Demonstranten, den Zigtausenden, die dort besonnen demonstriert haben. Wir danken auch den Polizeibeamten - selbstverständlich! -, die auf diesen Protest besonnen reagiert haben, wenngleich es für sie immer schwieriger wird, weil ihnen die Politik nicht die entsprechende Ausstattung, nicht die entsprechende Zeit gibt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist nicht zulässig und politisch unanständig, den friedlichen Protest von Zehntausenden von Menschen durch Exzesse Einzelner - dazu sage ich noch etwas insgesamt zu desavouieren. Der Protest hatte viele Formen, und er war überwiegend friedlich.

Im Übrigen sind Sitzblockaden, sofern sie nur darin bestehen, sich hinzusetzen, nicht automatisch eine Straftat. Das ist mittlerweile wohl geklärt, auch wenn Sie noch einmal das Gegenteil behaupten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es besteht kein Zweifel, dass gewaltsame Übergriffe auf Polizeibeamte nicht zu rechtfertigen sind, zu keinem politischen Zweck, auch nicht zu dem Zweck, CastorTransporte aufzuhalten, zu keinem politischen Zweck. Gewaltsame Übergriffe auf Polizeibeamte oder auch auf andere haben nichts mit zivilem Ungehorsam zu tun und müssen verfolgt und bestraft werden. Daran besteht überhaupt kein Zweifel, auch wenn es dieser Landtag nicht beschließt. Er muss es gar nicht beschließen, damit diese Folge eintritt.

Schwarz-Gelb hat mit der unnötigen Verlängerung der Laufzeiten einen gesellschaftlichen Konflikt heraufbeschworen und ist bereit oder zumindest geneigt, ihn auf dem Rücken der Polizeibeamten auszutragen. Darüber ist eben schon ausführlich diskutiert worden.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Plan wird nicht aufgehen. Die Laufzeitverlängerung wird nicht kommen - dessen bin ich mir ganz sicher -, weil vorher die Laufzeit dieser Regierung beendet sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schindler, bleiben Sie bitte noch am Mikrofon. Wir haben zunächst eine Zwischenbemerkung des Herrn Kollegen Fischer.

Herr Kollege Schindler, bei Ihren Ausführungen, die sich auf unseren Antrag beziehen, habe ich den Eindruck, dass Sie das Thema verfehlt haben. Unser Antrag beschäftigt sich mit den Folgen gewaltsamen Widerstands. Sie sprechen über die Ursachen des Widerstands. Ich hätte mir die klare Aussage, dass Sie den gewaltsamen Widerstand klar und deutlich verurteilen, die erfreulicherweise noch gekommen ist, etwas früher gewünscht. Diese Aussage wäre früher angebracht gewesen.

(Beifall bei der FDP)

Sie müssen ein bisschen geduldiger sein, Herr Dr. Fischer.

Herr Kollege Schindler, wir haben noch eine Zwischenbemerkung. Herr Kollege Huber.

Herr Kollege, Sie haben hier behauptet, die Entscheidung des Bundestags über die Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke hänge mit einer Spendentätigkeit zusammen, das werde man dann schon sehen.

(Widerspruch bei der SPD)

- Doch! Es ist gesagt worden, das werde man schon sehen, wenn die Spender geoutet werden. Ich weise den Vorwurf der Käuflichkeit der Republik entschieden zurück.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Das ist eine ganz schlimme Entgleisung und Verunglimpfung einer parlamentarischen Mehrheit.

(Widerspruch bei der SPD)

Die zweite falsche Behauptung ist der angebliche Konsens. Es gab diesen Konsens nicht. Wir haben dem Ausstieg aus der Kernenergie durch Rot-Grün nie zugestimmt. Rot-Grün ist 2005 abgewählt worden.

(Margarete Bause (GRÜNE): Aber die Konzerne haben zugestimmt!)

FDP, CDU und CSU haben vor der Bundestagswahl 2009 in die Wahlprogramme genau hineingeschrieben, dass wir die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern werden. Auch aufgrund dessen ist eine Mehrheit im Deutschen Bundestag gewählt worden, und die ist demokratisch legitimiert.

(Beifall bei der CSU)

Die Leute, die auf die Straße gehen - ob gewalttätig oder friedlich, die gewalttätigen schon gar nicht -, können kein höheres moralisches Recht für sich in Anspruch nehmen als die demokratisch gewählten Organe dieses Staates.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sie nehmen ihr Grund- recht in Anspruch!)

- Es geht doch gar nicht um das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit. Das ist völlig unstrittig. Ich sage, wer Gewalt in dieser Form zur Sternstunde der Demokratie hochjubelt, hat den Trennungsstrich zwischen gewaltfrei und gewalttätig nicht gezogen. Darauf kommt es an.

(Beifall bei der CSU)

Die dritte Bemerkung. Sie haben im Jahr 2000 den Ausstieg vollzogen. Sie haben seinerzeit nichts zur Sicherheit der Kernkraftwerke beschlossen.

(Christine Kamm (GRÜNE): Sie verschlechtern die Standards!)

Sie haben seinerzeit die Konzerne in keiner Weise herangezogen. Die jetzige Verlängerung führt dazu, dass die Konzerne 30 Milliarden an den Staat bzw. zur Förderung regenerativer Energien abführen müssen und dass die Sicherheit von Kernkraftwerken erhöht wird. Alles das, was Sie unter anderem auch bei der Endlagerung versäumt haben, ist Teil unserer Energiepolitik. Sie sollten sich schämen für das, was Sie hier gesagt haben.

(Beifall bei der CSU)

Wie Sie sehen, schäme ich mich nicht. Ich will kurz Folgendes erwidern.

Erstens werden Sie doch wohl nicht ernsthaft behaupten wollen, dass die Sicherheit der Atomkraftwerke ausschließlich davon abhängt, ob die Laufzeit verlängert wird oder nicht. Das werden Sie wohl nicht behaupten wollen.

(Erwin Huber (CSU): Die Vorschriften werden verschärft! Das wissen Sie nicht!)

- Ich weiß sehr wohl, was Sie meinen. So plump, wie Sie es dargestellt haben, ist es aber nicht. Es ist deutlich komplizierter.

Zweitens ist es richtig, dass CSU, FDP und CDU im Jahr 2000 nicht für den Konsens über den geregelten Ausstieg aus der Atomenergie waren. Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass der Konsens mit der Atomwirtschaft und der übergroßen Mehrzahl der Bevölkerung gefunden worden ist. Daran, dass die CSU, die CDU und die FDP nicht dabei waren, kann ich nichts ändern.

Drittens habe ich nicht behauptet, dass CSU, CDU und FDP käuflich sind. Ich habe gesagt, ich bin gespannt darauf, was man feststellen wird, welche Organisationen und welche Konzerne für welche Parteien gespendet haben, wenn man in einigen Jahren die Rechenschaftsberichte der Parteien durchliest. Die werden dann auch gewusst haben, warum sie es tun. Nichts anderes habe ich gesagt. Das ist keine Unterstellung.

(Erwin Huber (CSU): Aber eine Verdächtigung!)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tausendfreund. Kollege Pohl kommt auch noch dran.

Der Kollege Pohl kann dann noch wegweisende Schlussworte sagen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zu Herrn Huber: In Ihrem Beitrag haben Sie gewaltfreie Demonstrationen und Gewaltausübung völlig durcheinander gebracht. Sie haben es völlig vermischt.

(Erwin Huber (CSU): Ich habe nichts durcheinander gebracht!)

Sie müssen sich schon ein bisschen genauer damit auseinandersetzen. So geht es nicht. Ihr Antrag lenkt vom eigentlichen Thema ab. Einerseits wollen Sie den Widerstand und Unmut in der Bevölkerung in eine gewalttätige Ecke stellen. Das ist das eine Ziel. Sie diskutieren und reden undifferenziert über die Proteste. Zum anderen lenken Sie von den eigentlichen Problemen ab. Das eigentliche Problem ist tatsächlich die Abkehr vom breiten gesellschaftlichen Konsens über den Ausstieg aus der Atomenergie, der gemeinsam mit der Atomwirtschaft erzielt worden ist. Darauf konnten sich damals alle einstellen. Dazu hat Jürgen Trittin als Umweltminister gesagt, er habe zwar kein für ihn besonders gutes Ergebnis erzielt, aber zumindest einen Kompromiss gefunden, sodass es für ihn keinen Anlass mehr gebe, gegen die Castor-Transporte

auf die Straße zu gehen. Das möchte ich noch einmal klarstellen.

Jetzt haben sich natürlich alle Fakten geändert. Sie haben den Konsens aufs Gröbste verletzt. Sie haben in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise den Bundesrat übergangen. Das Parlament hatte sich auf den Atomkompromiss verständigt. Jetzt wird alles wieder über den Haufen geworfen. Damit haben Sie diesen erheblichen Unmut in der Bevölkerung ausgelöst. Deshalb gehen die Menschen bei den vielen Großdemonstrationen, die wir jetzt erleben, und bei den ganz überwiegend friedlichen Protesten im Wendland und entlang der Strecke des Castor-Transports zu Recht auf die Straße. Das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Selbst die Polizei sagt, dass diese Proteste zu 99 % friedlich abgelaufen seien und dass Gewalttätigkeiten ein Randaspekt gewesen seien. Sie haben von brennenden Fahrzeugen geredet. Ein einziges Fahrzeug hat gebrannt, das natürlich immer wieder im Fernsehen gezeigt worden ist.

(Erwin Huber (CSU): Eines ist schon zu viel!)

- Natürlich ist eines zu viel. Dagegen muss entsprechend vorgegangen werden. Sie können dieses eine brennende Fahrzeug aber nicht zum Anlass nehmen, den gesamten Widerstand in die gewalttätige Ecke zu stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)