Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Am Ende des Vortrags fragte Herr Glück: Sagen Sie einmal, wieso sprechen Sie so gut Deutsch? Darauf sagte sie: Ich komme aus dem Kosovo; ich bin Bürgerkriegsflüchtling gewesen; ich habe sechs Jahre lang in München gelebt und als Altenpflegerin gearbeitet; deswegen spreche ich so gut Deutsch. Daraufhin fragte Herr Glück: Warum haben Sie denn unser Land verlassen? Die Frau antwortete: Weil Sie mich ausgewiesen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das bringt das Problem auf den Punkt. Heute beklagen Sie die Versäumnisse Ihrer eigenen Politik, die Sie lange Zeit nicht wahrhaben wollten und zum Teil auch heute noch nicht wahrhaben wollen.

In Ihrer Fraktion gibt es offenbar nur wenige, die auf dem aktuellen Stand der Debatte angekommen sind. Herzlichen Glückwunsch, Martin Neumeyer, zu deiner Rede. Selbst wenn es dir vielleicht eher schadet als nützt, dass du ein Lob von mir kriegst - du hast für deine Rede ja auch mehr Beifall von uns bekommen als von den Kollegen deiner eigenen Fraktion -, muss ich sagen: Da sieht man, was es mit Parallelgesellschaften auf sich hat.

Die CSU sollte sich überlegen, ob es möglicherweise auch in den eigenen Reihen Parallelgesellschaften gibt.

Der Bericht des Sozialministeriums ist wirklich gut. Er ist eine wichtige Grundlage für die Debatte. Ich bin froh, dass der Bericht endlich vorgelegt wurde. Auf der Grundlage seiner Zahlen kann man wirklich arbeiten.

Die Frau Ministerin hat ihre Rede gut angefangen. Sie hat aber in Phasen der Versuchung nicht widerstehen können, hier populistische Sprüche anzubringen. Wenn ich mir die Rede von Frau Haderthauer, die Rede von Martin Neumeyer oder das Gerede des ba

yerischen Ministerpräsidenten vergegenwärtige, dann muss ich sagen: In der CSU herrschen Parallelgesellschaften. Damit sollten Sie sich einmal befassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was sind überhaupt Parallelgesellschaften? Ich glaube, Sie schultern hier eine weitere Chimäre. Wir haben in unserer Gesellschaft eine große Vielfalt. Wir haben viele Milieus, die nebeneinander leben. Aber es handelt sich da nicht auf der einen Seite um bestimmte Migranten und auf der anderen Seite um "die" Deutschen oder "die" Bayern, sondern es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Milieus in unserer Gesellschaft. Was hat denn das Milieu eines Freiherrn zu Guttenberg mit der Lebenssituation einer alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin zu tun? Dazwischen liegen Welten, und es gibt kaum Gemeinsamkeiten. Was hat denn das Milieu einer lesbischen Frau im Glockenbachviertel mit dem Männerverein von Tuntenhausen gemein? Auch das sind Parallelgesellschaften, und niemand fordert, diese irgendwie zusammenzuführen. Konsens ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die durch Vielfalt gekennzeichnet ist. Das ist die zentrale Aufgabe, Herr Schmid, einer modernen Politik und einer modernen Gesellschaft. Wir müssen Vielfalt aushalten und dürfen nicht meinen, wir müssten aus den vielfältigen Milieus, die wir vorfinden, eine gemeinsame Kultur machen. Monokultur ist out; das gilt nicht nur für die Landwirtschaft, das gilt für die gesamte Gesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN - Georg Schmid (CSU): Multi-Kulti ist auch out!)

Wir erleben in der CSU immer das gleiche Spiel: Erst wird jahrelang ein bestimmtes Problem geleugnet, das Thema wird verpennt, die Lösung wird jahrelang bekämpft und, wenn man es nicht mehr leugnen kann, tut die CSU so, als hätte sie das Thema selbst erfunden und die Lösung selbst erfunden. Heute tun Sie so, als wären sie die Besten, was Integration angeht, als hätten Sie Integration erfunden. Wir haben das bei den erneuerbaren Energien in der gleichen Art und Weise erlebt. Jahrzehntelang haben Sie das Thema belächelt, haben Sie es ignoriert, dann haben Sie die gesetzliche Verankerung bekämpft, und heute tun Sie so, als hätten Sie selbst die Solarenergie erfunden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist dreist und heuchlerisch, es ist unglaubhaft und vor allen Dingen nimmt Ihnen das niemand ab.

Herr Seehofer, heute sind Sie bei der Debatte anwesend. Herzlichen Glückwunsch dazu, dass Sie da sind! Ich halte es aber für bemerkenswert, dass Sie

nicht im Rahmen der Debatte das Wort ergreifen, sondern dass Sie nach Ende der parlamentarischen Debatte um das Wort zu einer zusammenfassenden Stellungnahme gebeten haben. Das heißt, dass wir nicht mehr auf Sie erwidern können, zumindest parlamentarisch zu Ihren Äußerungen nichts mehr sagen können. Fürchten Sie das, Herr Seehofer? Fürchten Sie, dass wir nachher nochmals ans Redepult gehen und etwas zu Ihren Äußerungen sagen? Wenn Sie sich der parlamentarischen Debatte nicht stellen wollen, dann sollten Sie insgesamt ruhig sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Radio habe ich gehört, Sie wollten heute deutlich machen, dass Sie wieder mit Ihren Äußerungen missverstanden worden seien. Ich finde es bemerkenswert: Es ist ziemlich häufig, dass Sie sich missverstanden fühlen. Da frage ich mich: Woran liegt denn das, Herr Seehofer? Liegt es an all den Übelmeinenden, die Sie dauernd missverstehen wollen? Oder liegt es vielleicht an der Art und Weise, wie Sie sich ausdrücken? Ich sage Ihnen schon: Wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, unmissverständliche, klare Worte zu finden, wie wollen Sie dann eigentlich den Migranten und Nicht-Migranten Orientierung geben, von der Sie so viel reden? Wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind, Verantwortung für Ihre Worte zu übernehmen, wie wollen Sie dann eigentlich Verantwortung für dieses Land übernehmen, Herr Ministerpräsident?

(Beifall bei den GRÜNEN - - Herr Innenminister, könnten Sie Ihre Unterhaltung vielleicht auf einen späteren Zeitpunkt vertagen? - Das wäre sehr nett. - Wenn Sie sich über die Resonanz empö- ren, die Ihre Äußerungen hervorgerufen haben, dann sage ich Ihnen, Herr Seehofer: Sie zündeln zielgenau an den Stellen, die leicht entflammbar sind. - Beifall bei den GRÜNEN)

Und dann regen Sie sich über den Lärm auf, den die Feuerwehr macht, wenn sie ausrücken muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will einige Dinge klarstellen, weil hier in der Debatte vieles mit Absicht falsch dargestellt worden ist: Es war die rot-grüne Regierung, die gegen den erbitterten Widerstand auch der CSU den überfälligen Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik durchgesetzt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir von Rot-Grün haben den Rechtsanspruch auf Integrations- und Sprachkurse durchgesetzt, und zwar den verpflichtenden Rechtsanspruch, das heißt das

Teilnahmerecht und die Teilnahmepflicht an Integrationskursen. Ich danke Martin Neumeyer gleich noch einmal. Er hat gesagt, wir bräuchten keine weiteren Sanktionen, von denen immer geredet wird. Wir müssen nur das anwenden, was ohnehin schon im Gesetz steht. Das ist richtig. Es gibt bereits Sanktionspflichten, wenn jemand aus eigenem Verschulden der Pflicht zur Teilnahme an den Integrationskursen nicht nachkommt. Dann kann er oder sie mit Sanktionen belegt werden. Hören Sie doch damit auf, dauernd diesen Popanz aufzubauen.

Wir brauchen natürlich einen Grundbestand an gemeinsamen Überzeugungen und Grundwerten in unserer Gesellschaft, damit wir zusammenleben können und Integration gelingen kann. Natürlich ist die Kenntnis der deutschen Sprache von ganz zentraler und grundlegender Bedeutung, weil sich Migranten ansonsten am öffentlichen Leben, an der öffentlichen Diskussion und der demokratischen Bearbeitung von Problemen und Konflikten nicht beteiligen können; vor allem nicht auf gleicher Augenhöhe.

Wir müssen diese Beteiligung aber auf der Grundlage der Grundrechte, des Grundgesetzes und der universell geltenden Menschenrechte ermöglichen und dürfen sie nicht von einer irgendwie definierten Leitkultur abhängig machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist für uns auch nichts spezifisch Deutsches. Auch die gilt für uns universell.

Was ist zu tun? Was brauchen wir? Wir brauchen einen Integrationsplan und eine durchgängige und langfristige sowie nachhaltig angelegte Integrationspolitik. Nur dann können wir Erfolge haben.

Es wurde heute schon einiges gesagt, und ich will es kurz zusammenfassen: Bildung ist der zentrale Schlüssel; das Gleiche gilt für die Beteiligung am Erwerbsleben sowie für die Ausbildung. Wir müssen Einbürgerung erleichtern; auch auf diesem Feld baut Bayern Hürden auf, anstatt Einbürgerung zu erleichtern. Wir müssen Integrationskurse ausbauen, wir müssen Kettenduldungen beenden, und wir müssen uns endlich ganz normal und unaufgeregt mit dem Thema Islam auseinandersetzen. Der Islam ist auf der Grundlage unseres Grundgesetzes anzuerkennen und zu integrieren. Hören Sie endlich auf, dieses Schreckgespenst an die Wand zu malen, denn damit schaden Sie der Integration.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es liegen uns keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann können wir das Wort zu einer zusammenfassenden Stellungnahme Herrn Ministerpräsidenten Seehofer erteilen.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke für die Diskussion. Es war aus meiner Sicht eine ruhige Diskussion. Staatsministerin Christine Haderthauer hat in ihrer Regierungserklärung unsere Position zu dem wichtigen Thema der Integration in der Sprache eindeutig und in der Analyse sowie Zielsetzung sehr differenziert dargestellt. Sie war insgesamt sehr überzeugend. Dies ist die Haltung der Bayerischen Staatsregierung und auch meine persönliche Überzeugung und bedarf von mir keiner Ergänzung oder gar Interpretation. Ich möchte das schlicht und einfach in einem Satz zusammenfassen: Die Bayerische Staatsregierung möchte durch ihre Integrationspolitik Teilhabe und Chancen für alle Menschen in unserem Freistaat Bayern. Ich denke, wir sind in Bayern auf diesem Wege sehr erfolgreich.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Es war die erste Regierungserklärung in diesem Hohen Haus zu diesem Thema. Ich danke Ihnen, Frau Ackermann, dass Sie das erwähnt haben. Wir sind die erste Regierung, die mit Ihrer Unterstützung einen Integrationsbeauftragten bestellt hat. Ich denke, auch die Rede heute hat gezeigt, dass wir mit Martin Neumeyer eine gute Wahl getroffen haben.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich habe dafür zu danken - das hat die Ministerin in ihrer Regierungserklärung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht -, dass wir in Bayern eine gelungene Integration haben, und zwar trotz aller Integrationsdefizite, die wir in den nächsten Monaten und Jahren noch abzuarbeiten haben. Dies müssen wir für die Menschen machen, die sich um die Integration gekümmert haben. Ich danke deshalb den Kommunen, den Kirchen, den Vereinen, der bayerischen Wirtschaft und insbesondere den vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in unserem Lande für diese großartige Leistung.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Neben den üblichen und notwendigen Erläuterungen vonseiten der Opposition ist mir eine Bemerkung besonders wichtig, weil ich sie nicht so stehen lassen möchte.

Herr Felbinger, Sie sagten, Sie hätten Kontakt zu der Bundesagentur für Arbeit aufgenommen. Seit Verabschiedung der Verlängerung der Lebensarbeitszeit sei

die Gesamtzahl der Arbeitslosen, die über 50 Jahre alt seien, gestiegen. Dieses Problem in unserem Land wird oft nicht so richtig gesehen. In diesem Zusammenhang wird viel mit Statistik jongliert. Das sind 900.000 Menschen, von denen Sie sprachen. Sie haben gesagt, nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit seien nur 100.000 von den genannten 900.000 Arbeitslosen qualifiziert. Herr Felbinger, bitte überdenken Sie noch einmal diese Argumentation. Was bedeutet dies für die anderen 800.000 Menschen bei uns? Mit Ihren Ausführungen wird bei diesen Menschen der Eindruck erweckt, dass es keine Hoffnung und keine Chance für sie gibt.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Das war nur eine Gruppe, die ich angesprochen habe. Viele junge Menschen klagen zudem in einem nahezu vollbeschäftigten Land wie Bayern über die Art und Weise der Arbeitsverhältnisse und der Praktika. Ich bitte Sie, bei Ihren Argumentationen auf die Wirkung auf die von Ihnen beschriebenen 800.000 Menschen zu achten. Bei uns in Bayern bleibt niemand am Wegesrand stehen. Wir kümmern uns um jeden.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine ursprünglich vorgesehene Rede muss ich an dieser Stelle nicht halten. Frau Haderthauer und die Sprecher der Koalitionsfraktionen haben bereits alles dargelegt. Dies entspricht der Position der bayerischen Regierung und meiner persönlichen Überzeugung. Wir haben keine substanziellen Vorschläge zur Änderung unseres bisherigen Kurses gehört.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Aus diesem Grund wird diese christlich-liberale Regierung, die Bayerische Staatsregierung, ihren Kurs stringent und konsequent weiterführen, im Dienste aller Menschen, der Mitbürgerinnen und Mitbürger, die hier geboren worden sind, und derjenigen, die zu uns gekommen sind und die wir gerne in unserer Mitte haben.

(Anhaltender Beifall bei der CSU und der FDP)

Mit dieser abschließenden Stellungnahme des Herrn Ministerpräsidenten ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: