Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Schauen wir doch einmal genauer hin: Die von Ihnen geschmähten Menschen aus anderen Kulturkreisen bilden längst ein großes Potenzial. Rund 200.000 Migrantenunternehmen in Deutschland tragen zu unserem Wohlstand bei. Sie generieren einen jährlichen Umsatz von 20 Milliarden Euro und beschäftigen mehr als 350.000 Menschen, die in die Sozialkassen einzahlen. 55 % dieser Unternehmen sind Ausbildungsbetriebe. Das ist wahre Integration! Die Zahlen sind gut. Also tun Sie nicht so, als wenn hier nicht genügend passieren würde.

Eine weitere Behauptung: Integrationsverweigerung ist eine brennende Sozialfrage. Ich möchte Ihnen da ganz ehrlich einmal die Fakten vorstellen. Politiker aus Ihren eigenen Reihen bestätigen immer wieder: Integration findet jeden Tag sehr gut statt, mehr als 85 % sind ausgezeichnete Arbeit. Damit wird deutlich, dass Sie an den Fakten vorbei zugunsten von parteipolitischen Zwecken polarisieren und ausgrenzen wollen.

Integration ist aber keine Einbahnstraße, sondern ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen. Ihr Ministerpräsident und seine Helfershelfer fordern zwar von den Menschen mit ausländischen Wurzeln, das Grundgesetz anzuerkennen, Sie selbst aber stellen sich mit Ihren jüngsten Auslassungen, die heute schon thematisiert wurden, fundamental gegen Menschenrechte und Menschenwürde. Selbstbestimmungsrechte lassen sich eben weder auf die Ablehnung fremder Kulturen reduzieren noch auf einen Einwanderungs-TÜV. Das ist entscheidend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Georg Schmid (CSU): Schwacher Beifall!)

Muss denn Ihr "Türken-Martin" - er wird so bezeichnet und hat das auch von seinen Kollegen schon oft gehört -,

(Zuruf des Abgeordneten Georg Schmid (CSU))

der wirklich hervorragende Arbeit leistet, nun das ausbaden, was sein Parteichef Horst Seehofer und andere Kollegen ihm eingebrockt haben? Mit einem kleinen Etat von 23.000 Euro pro Jahr wird er nicht weit kommen; da helfen auch vollmundige Regierungserklärungen kaum.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich frage Sie: Ist es gelungene Integration, von der Sie hier schwärmen, wenn Sie so vorgehen, wie Sie agieren?

Jetzt kurz zu der Integrationsverweigerung. Erst einmal halte ich das für das Unwort des Jahres 2010.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜ- NEN)

Es gibt keine Integrationsverweigerung.

(Georg Schmid (CSU): Natürlich gibt es so etwas! - Weitere Zurufe von der CSU)

Ich habe nachgefragt. Jetzt hören Sie mir zu, Herr Schmid! Ich weiß, dass Ihnen das schwerfällt.

(Anhaltender Widerspruch bei der CSU)

Ich habe die Zahlen, und wenn Sie mir jetzt lauschen wollen, nenne ich sie Ihnen. 2009 gab es bei der IGInitiative, einer Einrichtung, die in München Sprachund Integrationskurse anbietet, 1.400 Männer und Frauen, die diese Kurse belegt haben. Soll ich Ihnen sagen, wie viele verweigert haben? - Sechs! Nochmals: sechs, Herr Schmid, und davon drei, weil sie einen Job gefunden haben.

Ich komme zum Ende.

(Beifall bei der CSU - Zurufe von der CSU)

Hören Sie endlich mit Ihrer Arroganz auf! Sprechen Sie mit den Menschen und nicht über sie. Seehofers Trennung zwischen "uns" und "denen" hat viel wertvolles Porzellan zerschlagen. Wenn Bayern im internationalen Wettbewerb langfristig mithalten will, brauchen wir eine ehrlich gemeinte Willkommenskultur. Multi-Kulti ist nicht tot. Es lebe die Vielfalt der Kulturen in Bayern!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Danke, Frau Kollegin Zacharias. Wir fahren in der Aussprache fort. Wir haben als nächste Wortmeldungen Herrn Aiwanger von den Freien Wählern und dann Margarete Bause von den GRÜNEN. Ich bitte, fortzufahren und für den Rest der Diskussion doch noch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit aufzubringen.

Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir müssen dieses Thema überschreiben mit dem Satz: Handeln statt Reden. Wir haben von allen Rednern hier eine Vielzahl von statistischen Angaben gehört, aber die Schnittmenge ist im Prinzip bei allen dieselbe gewesen: frühkindliche Integration.

Wenn wir uns die Situation im Freistaat ansehen, kann man, zugegeben, vielleicht wieder argumentativ irgendwie beweisen, dass es hier besser ist als in Neukölln. Aber das reicht eben nicht. Frau Ministerin wohin ist sie jetzt entfleucht? Sie sitzt im toten Winkel; Entschuldigung! -, es reicht eben nicht, wenn wir hier

in Bayern nur 1,8 Millionen Euro für den Vorkurs Deutsch ausgeben und uns dann rühmen, dass 90 % derjenigen, die diesen Vorkurs Deutsch besucht haben, am Ende in die Regelschule gehen können. Erstens ist nicht jeder in dem Vorkurs Deutsch, und zweitens heißt das im Umkehrschluss, dass immer noch deutlich über zehn Prozent der Kinder nach dem Vorkurs Deutsch nicht in eine Regelschule gehen können.

Meine Damen und Herren, das ist dann natürlich eine Situation, zu der wir sagen: Hier ist sehr viel Nachholbedarf, und hier müssen wir deutlich eine Schippe drauflegen. Mit 1,8 Millionen Euro hier zu arbeiten, meine Damen und Herren, das ist jenseits von Gut und Böse.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Das zweite Praxisbeispiel, das wir Freien Wähler als Pragmatiker in die Diskussion einbringen, ist diese ominöse Schülerzahl von 25 Kindern in einer Klasse bei einem Migrantenanteil von über 50 %, der die Obergrenze definiert. Ich habe es, meine Damen und Herren, letztes Mal gesagt und wiederhole es heute gerne wieder: Diese 25 Kinder pro Klasse als Obergrenze bräuchten wir schon bei deutschen Kindern.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wenn 50 % der Kinder einen Migrationshintergrund haben, dann muss man mit der Klassenstärke auf 20 Kinder heruntergehen. Sonst muss man die Lehrkraft, die die Klasse betreuen soll, nach kurzer Zeit auswechseln, weil sie mit der Aufgabe nicht zurande kommt und psychisch zusammenbricht.

Aber was macht die Staatsregierung in der Bildungspolitik? Es gibt eine Nullrunde bei der Lehrerversorgung. Die tausend zusätzlichen Lehrer, die Sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben und vor einigen Monaten noch einmal versprochen haben, gibt es noch nicht. Das heißt, die festgestellten Defizite werden manifestiert. Man ist nicht in der Lage, dort anzusetzen, wo die Probleme liegen, sondern redet darüber hinweg. Das ist die klare Botschaft.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Ich sage noch einmal: Wir brauchen die frühkindliche Integration. Außerdem müssen wir in der Schule noch mehr Geld in die Hand nehmen. So knapp es auch immer sein mag, müssen wir doch daran denken, dass die Folgekosten noch höher wären. Die jetzt erzielten Erfolge reichen nicht aus. Noch einmal 1,8 Millionen Euro für die Vorkurse in Deutsch sind eine geradezu lächerliche Zahl vor dem Hintergrund der Aufgaben, denen wir uns hier stellen müssen.

Man muss auch offen sagen dürfen, dass Integration erwartet werden muss. Damit sind wir bei dem Thema Wahlrecht und Kommunalwahlrecht für Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland. Dazu vertreten wir Freien Wähler eindeutig die Position, dass sich Menschen, die sich hier gesellschaftlich einbringen und integrieren wollen und sollen, zur Staatsbürgerschaft bekennen sollen, wenn sie politisch mitmachen wollen. Dazu müssen sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Man soll nur gewählt werden können, wenn man sich hier zum Grundgesetz bekennt und sagt: Okay, ich will Deutscher werden. Das erwarten wir.

Wir befinden uns hier mittlerweile in einem Prozess der Heimlichtuerei und des Versteckspiels. Es ist schon bezeichnend, wie hier mit der Wortwahl herumexperimentiert wird. Man kann hier gar nicht mehr offen das Wort "Ausländer" in den Mund nehmen. Es wird schon von "Menschen mit Migrationshintergrund" gesprochen. An dieser Umschreibung des Sachverhalts sieht man, mit welchen Befindlichkeiten wir leben.

Dann gibt es die Debatte darüber: Ist Deutschland ein Einwanderungsland oder nicht? Es ist geradezu bezeichnend, wenn die CSU auf ihrem Parteitag am Ende des Wortgefechts von der bisherigen Linie abweicht und sagt: Wir sind kein "klassisches Zuwanderungsland". Dass wir ein Zuwanderungsland sind, haben Sie damit indirekt eingeräumt. Aber das hat wohl keine Mehrheit gefunden. Dann wurde der Vorschlag eines Delegierten aufgegriffen, der gesagt hat: Deutschland ist kein "klassisches Zuwanderungsland". Meine Damen und Herren, genauso hätten Sie über die Tatsache abstimmen und schreiben können: Bayern war bis 1918 ein Königreich. Auch dies ist unstrittig.

Dass Deutschland kein klassisches Zuwanderungsland wie Amerika ist, wissen wir alle. Aber das hilft uns an diesem Punkt nicht weiter. Wenn wir in Bayern de facto zweieinhalb Millionen Ausländer zählen - jetzt nehme ich das Wort "Ausländer" einfach in den Mund, ohne mir etwas dabei zu denken -, dann fällt mir dazu ein: Man kann hier Wortklauberei betreiben, wie man will, und die neueste Wortschöpfung "Integrationsland" aufgreifen, und dann treiben die Stilblüten ihre Exzesse. Anders kann man das nicht formulieren. Man verliert sich in Wortklauberei und weicht den praktischen Alltagsproblemen aus.

Deshalb sage ich: Man muss konkret dort ansetzen, wo Integrationsdefizite festzustellen sind. Es muss mehr Potenzial in die Kindergärten und Kinderkrippen gebracht werden. Auch hier hat die CSU jahrelang Realitätsverweigerung betrieben, indem sie bis heute lieber sagt: Gebt den Leuten das Geld, und lasst die

Kinder in der Familie zu Hause. Das kann allerdings nur dort gelten, wo die Familie in Ordnung ist, wo sie funktioniert. In der Realität, in der wir angekommen sind - in den Städten kommen über 60 % der Kinder in Kindergärten und Kinderkrippen aus Ausländerfamilien -, ist dieses Rezept aber verkehrt; denn nachträglich muss man feststellen, dass die Menschen nicht integriert sind. Dann werden Holzhammermethoden nach dem Motto gefordert: Wer nach einem Jahr nicht Deutsch sprechen kann, muss irgendwelche Sanktionen befürchten. Aber dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.

Man muss also vorher ansetzen. Dazu sind die Mittel da. Wenn wir die Mittel dafür nicht aufwenden, ist alles Lug und Trug.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ja, sofort.

Nachher kommt noch das Schlusswort des Herrn Ministerpräsidenten. Herr Seehofer, Sie haben jetzt die letzte Chance, das Thema noch einmal so aufzuheizen, dass Sie darüber auch ein Buch schreiben könnten. Als Sie damals Ihren Focus-Beitrag abgegeben haben und auf dieser Welle einige Zeit geritten sind, werden Sie wahrscheinlich von dem Medienecho selber überrascht gewesen sein. Ich hatte kurze Zeit geglaubt: Er nutzt diese Popularität, um jetzt endlich ein Buch zu schreiben. Sie haben jetzt also die Chance, zu diesem Thema ein Buch zu schreiben mit dem Inhalt: Wie steht Horst Seehofer zu Bayern, und wie steht er zu Multi-Kulti.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Ich bitte Frau Bause ans Redepult.

(Unruhe)

Ich bitte eindringlich um etwas mehr Ruhe. Wie ich sehe, hören sehr viele konzentriert zu, aber eine ganze Reihe von Kollegen treibt etwas anderes. Da keine Abstimmung bevorsteht, rate ich, Ihre Gespräche außerhalb des Saales zu führen.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einer Episode, die das Problem, über das wir heute reden, sehr gut auf den Punkt bringt.

Vor zweieinhalb Jahren hatte ich das Vergnügen, an einer Delegationsreise des Bayerischen Landtags teilnehmen zu dürfen. Sie führte nach Kanada, nach Quebec. Das Thema war Integrationspolitik. Teilneh

mer waren der damalige Landtagspräsident Herr Glück, der CSU-Fraktionsvorsitzende Georg Schmid Sie erinnern sich doch wohl, Herr Schmid, an unsere Reise nach Quebec -, zwei Kollegen der SPD und ich.

In Quebec besuchten wir unter anderem ein Zentrum für Integration. Dort begrüßte uns eine sehr engagierte Frau. Sie sagte in schönstem Bayerisch "Grüß Gott!". Die Dame hielt uns einen bemerkenswerten Vortrag in einwandfreiem Deutsch über die kanadische Integrationspolitik. - Herr Förster erinnert sich auch noch sehr gut. - Alle waren voll des Lobes und des großen Erstaunens zum einen über die Erfolge der kanadischen Politik und zum anderen über den hervorragenden Vortrag dieser Dame.

Am Ende des Vortrags fragte Herr Glück: Sagen Sie einmal, wieso sprechen Sie so gut Deutsch? Darauf sagte sie: Ich komme aus dem Kosovo; ich bin Bürgerkriegsflüchtling gewesen; ich habe sechs Jahre lang in München gelebt und als Altenpflegerin gearbeitet; deswegen spreche ich so gut Deutsch. Daraufhin fragte Herr Glück: Warum haben Sie denn unser Land verlassen? Die Frau antwortete: Weil Sie mich ausgewiesen haben.