Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

Dem Antrag der Freien Wähler werden wir zustimmen. Er geht in die richtige Richtung. Er ist ein Schritt nach vorn. Das ist überhaupt keine Frage. Aber dem Antrag der Koalition können wir nicht zustimmen, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und den Freien Wählern)

Frau Kollegin Steiger, der Herr Kollege Rohde hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte sehr, Herr Kollege Rohde.

Frau Kollegin, Sie hätten sich durchaus an den Antragsteller wenden können. Das war nämlich die FDPFraktion.

Ich bin enttäuscht, dass Sie dem Antrag Ihre Zustimmung verweigern wollen, wo ich doch gehofft habe, dass das ganze Haus dieses Signal nach Berlin sendet.

(Hubert Aiwanger (FW): Das macht ihr doch genauso!)

Sie haben in Ihrer Rede richtig gestellt, dass Sie doch für einen Einstieg in ein Bundesteilhabegesetz sind. Dass wir in unseren Antrag keine Frist hineingeschrieben haben, ist noch keine Begründung dafür, dass Sie unserem Antrag nicht zustimmen können. Je früher umso lieber, kann ich Ihnen aus meiner Sicht dazu nur sagen. Wir wollen gemeinsam den Einstieg in das Bundesteilhabegesetz, und zwar in ein langfristiges Bundesteilhabegesetz.

Ich möchte nur daran erinnern: In der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gab es eine Behindertenbeauftragte der SPD, die dafür zuständig war, diese Reform zu organisieren und Gespräche zu führen. Sie hat im Koalitionsvertrag eine Zeile vorgefunden, derzufolge sie mit den Ländern und den betroffenen Verbänden reden solle. Dieses Gespräch hat sie platzen lassen. Das ist wirklich wie ein großer Luftballon zerplatzt, und dann war das Thema tot. Das war das Einzige, was in den letzten vier Jahren der Großen Koalition geschehen ist.

Nun, da wir das Thema wieder auf die Agenda setzen und es voranbringen wollen, wollen Sie sich auf einmal in die Büsche schlagen und nicht mitmachen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Bitte schließen Sie sich dem Antrag doch an. Im Übrigen ist die UN-Behindertenrechtskonvention so selbstverständlich, dass wir sie nicht in jedes Papier hineinschreiben müssen. Sie ist einfach Stand der Dinge. Auf dieser Basis können wir unsere Programmatik fortentwickeln.

Danke sehr, Herr Kollege. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Pohl, -

(Unruhe und allgemeine Heiterkeit - Glocke des Präsidenten)

- Entschuldigung, Herr Kollege Rohde. Sehen Sie es mir bitte nach.

Kein Grund zur Aufregung, Frau Kollegin Steiger, Sie haben das Wort.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Die Begründung, warum wir einem Antrag zustimmen, ihn ablehnen oder uns der Stimme enthalten, suchen wir uns schon selber. Ich habe Sie sehr wohl angesprochen, und zwar als Koalition. So ist es. Wenn Sie insoweit Empfindlichkeiten haben, werden wir es in Zukunft noch etwas deutlicher machen.

Ich habe klar gesagt, weshalb wir diesen Antrag ablehnen: weil er ganz einfach zu unkonkret ist, und zwar sowohl im Hinblick auf die Finanzierung als auch bezüglich des Hinweises auf ein Bundesteilhabegesetz. Ich muss es jetzt nicht noch einmal wiederholen. Man kann es in der Weihnachtspause gelegentlich im Protokoll nachlesen, Herr Kollege Rohde.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Kollegin Steiger. Als Nächste hat Frau Kollegin Ackermann das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss sagen, ich habe mich über den Antrag sehr gewundert.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich habe mich über diesen Antrag deshalb sehr gewundert, weil in einer interfraktionellen Vereinbarung zwischen CSU, FDP, SPD, Freien Wählern und GRÜNEN gesagt wurde, wir wollten Anträge zur Eingliederungshilfe zurückstellen, bis wir die Anhörung zur UNKonvention ausgewertet haben. Die GRÜNEN hatten einen Antrag. Sie haben ihn auch eingereicht. Herr Unterländer, Sie haben mich gebeten, ihn zurückzustellen. Ich werde so etwas nie mehr tun, weil ich auf diese Tricks in Zukunft nicht mehr hereinfalle.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den Frei- en Wählern)

Wir haben unseren Antrag zurückgestellt - mit dem Erfolg, dass jetzt von der Koalition ein Antrag eingereicht wird, der weitaus schlechter ist als unser Antrag, der weit hinter dem zurückbleibt, was in unserem Antrag gefordert wird, der wesentlich unkonkreter ist und meines Erachtens nur zu einem Zweck gestellt

wurde, nämlich dazu, sich künftig aus der Verantwortung zu stehlen.

Worum geht es? - Es geht um die Eingliederungshilfe, die im Moment explodiert. Nicht nur die Fallzahlen steigen massiv; denn die erste Generation behinderter Menschen kommt ins Rentenalter. Vielmehr steigen auch die Kosten unabhängig von den Fallzahlen.

Die Kommunen bleiben ganz allein im Regen stehen. Die Staatsregierung hat es abgelehnt, die Schlüsselzuweisungen zu erhöhen und den Kommunen zu helfen. Die Bezirke wälzen jetzt ihre erhöhten Kosten auf die Kommunen ab, und die Kommunen wehren sich. Das heißt, auf den beiden untersten Ebenen herrscht Krieg, und wir waschen unsere Hände in Unschuld und stellen vor Weihnachten kurzfristig den Antrag, das könne doch alles der Bund übernehmen. So einfach geht es nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben sich keine Gedanken darüber gemacht, wie die UN-Konvention einfließen soll. Herr Rohde, Sie haben gesagt, das sei ohnehin klar. Nein, das ist nicht ohnehin klar; denn das bedeutet einen Paradigmenwechsel weg von einer einrichtungsbezogenen hin zu einer individuellen personenbezogenen Förderung, und das wird unglaublich viel mehr Geld kosten. Einfach zu sagen, das machen wir jetzt so und du, Bund, übernimm die Kosten, ist einfach viel zu billig.

Wir sind der Meinung, dass dies unter Umständen auch ein ganz übler Trick sein könnte. Wir wissen, dass der Herr Ministerpräsident die Bezirke aufgefordert hat, Sparvorschläge zu machen. Die Sparvorschläge, die gemacht wurden, gehen einzig und allein zulasten der behinderten Menschen. Ich will nur ein paar nennen, damit Sie wissen, worum es geht: Die Bezirke wollen bei den Schulbegleitern für behinderte Schüler sparen, medizinische Rehabilitationsleistungen einschränken, das kostenfreie Mittagessen in den Behindertenwerkstätten abschaffen, die Standards in den Behindertenwohnheimen senken, das Arbeitsförderungsgeld für Werkstattbeschäftigte abschaffen. Die Liste der Grausamkeiten, die da angedacht sind, könnte ich fortsetzen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich habe den Verdacht, dass Ihr Antrag eingereicht wurde, damit Sie in Zukunft sagen können: Der Bund beteiligt sich nicht, also müssen wir die Liste der Grausamkeiten umsetzen. Wenn das der Hintergrund war, dann ist es noch perfider.

Das, was Sie hier gemacht haben, finde ich insgesamt wirklich nicht okay. Sie sind mit einem Antrag

vorgeprescht, der die Kosten lapidar auf den Bund verschiebt, der keine Lösungsansätze bietet und der entgegen den Absprachen jetzt schnell eingereicht wurde.

Wenn Sie einen so großen Druck haben zu handeln, dass Sie das jetzt vor Weihnachten noch durchpeitschen müssen, dann frage ich mich schon: Wir haben Schwarz-Gelb in Bayern und Schwarz-Gelb im Bund. Warum machen Sie es denn nicht, warum brauchen Sie einen solchen lächerlichen Antrag, um sich in Berlin durchzusetzen? Sie tun mir wirklich leid.

Wir werden Ihren Antrag ablehnen und dem Antrag der Freien Wähler zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den Freien Wäh- lern)

Frau Kollegin Ackermann, bleiben Sie bitte noch am Mikrofon. Der Kollege Rohde hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte sehr, Herr Kollege.

Liebe Frau Kollegin Ackermann, die Diskussion in Berlin um die finanzielle Entlastung der Kommunen ist erst seit wenigen Wochen im Gange. Deswegen ist das Thema dringlich und aktuell.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich habe das Thema als kommunalpolitischer Sprecher vorangebracht. Dass es eine Absprache gegeben haben könnte und dass man zum Thema Eingliederungshilfe einen Antrag vorbereitete, war mir nicht bekannt. Insofern bitte ich das zu entschuldigen. Unser Antrag ist der Aktualität geschuldet. Wenn ich einen entsprechenden Hinweis bekommen hätte, hätte man sicherlich darüber reden können, und vielleicht hätte auch die Möglichkeit bestanden, Ihren vorbereiteten Antrag als Nachzieher zu diesem Antrag einzubringen.

Ich gebe zu, auch ich hätte mir im Hinblick darauf, dass ich schon lange an dem Thema dran bin, konkretere Vorstellungen gewünscht. Wichtig ist jetzt, den Einstieg zu schaffen, und wenn wir die Finanzierung sichergestellt haben, können wir über die konkreten Leistungen reden.

Im Moment haben wir die Situation: Der Bund bestellt, die Kommunen zahlen. Das ist für mich als zuständiger kommunalpolitischer Sprecher nicht sehr befriedigend.

Unser Antrag ist ein Einstieg, ein Signal, das wir nach Berlin senden. Wir wissen, wie dick das Brett ist, das

gebohrt werden muss. Generationen von Bundespolitikern haben bereits versucht, dieses Bundesteilhabegesetz voranzubringen. Daran waren die behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen beteiligt. Da habe ich auch sehr gut mit den GRÜNEN in Berlin zusammengearbeitet. Es ist ein klares Bekenntnis, dass wir das wollen. Deswegen trete ich auch für dieses Signal aus den Ländern ein.

Ich bitte also, das nicht als persönlichen Angriff zu werten, sondern als Interesse am Thema; denn es geht darum, ein gemeinsames, wenn auch kleines Signal nach Berlin zu senden, aufgebaut auf der aktuellen Debatte, um das Geld zu sichern, das den Kommunen zufließen soll.

Danke schön. Frau Kollegin Ackermann, Sie haben das Wort.

Herr Rohde, es ehrt Sie, dass das Ihr persönliches Anliegen ist. Dass innerhalb der Koalition offensichtlich keine Kommunikation stattfindet, dafür kann ich jedoch nichts. Ich habe unseren Antrag als Dringlichkeitsantrag deshalb nicht nachgezogen, weil er so detailliert ist, dass er wirklich diskutiert werden muss. Das wäre heute in dieser Sitzung nicht in dem Maße möglich gewesen, wie wir uns das wünschen. Deshalb wird unser Antrag - wie besprochen im Sozialausschuss bei der Auswertung der UN-Konvention diskutiert werden. Ich hoffe, dass unsere guten und zielführenden Vorschläge dann, nachdem Sie so großes Interesse an diesem Thema haben, gehört werden.

Der Antrag, der uns heute vorliegt, wird uns mit Sicherheit in Berlin nicht weiterhelfen, wenn Sie, die Sie beide in der Regierung sitzen, uns schon in Berlin nicht weiterhelfen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)