Protokoll der Sitzung vom 22.02.2011

Genauso halten wir am Vorhalteprinzip bei Einrichtungen der Daseinsvorsorge fest. Auch das ist für uns unumstößlich. Dabei geht es um die flächendeckende Aufrechterhaltung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge und die Entwicklung von Kriterien für eine flächendeckende Vorhaltung wichtiger öffentlicher Dienstleistungen. Wir, die CSU, sind nicht bereit, die Sicherung der wohnortnahen Versorgung hinter der Frage der Auslastung von Einrichtungen hintanzustellen. Das sei hier noch einmal ganz klar gesagt.

(Zuruf des Abgeordneten Alexander Muthmann (FW))

Natürlich müssen alle Möglichkeiten einer effizienten Organisation auch über Gemeindegrenzen hinweg geprüft und ausgeschöpft werden. Aber im Ergebnis müssen alle notwendigen Einrichtungen der Daseinsvorsorge in angemessener Entfernung für die Bürger

innen und Bürger aufrechterhalten werden. Das Vorhalteprinzip hat für uns Priorität.

(Beifall bei der CSU)

Neben diesem Grundsatz der Schaffung und Erhaltung gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen, worüber wir uns völlig einig sind, dem genannten Vorrangprinzip für die strukturschwachen Räume und dem Vorhalteprinzip für alle Teilräume Bayerns, müssen natürlich die Zielvorgaben zur Bewältigung des demografischen Wandels ebenso wie die Zielvorgaben des Klimawandels und des Naturschutzes auch Gegenstand der Landesplanung sein. Ebenso gehört dazu die Rohstoffsicherung; auch sie ist ein Thema der Landesplanung.

Weitere Fragen, die namentlich die Ausgestaltung der Regionalplanung und des Zentralorte-Systems angehen, bedürfen bei uns noch der Diskussion. Es ist sicherlich keine Schande, dass wir uns viele Gedanken machen, dass wir abwägen und dass wir uns über diese Punkte noch intensiv unterhalten müssen.

Bei der Regionalplanung geht es sowohl um die geeigneten Zuständigkeiten als auch um die geeignete, weil zukunftsfähige Organisation. Wir wollen ja gerade das System, das sich dem Grunde nach über die Jahrzehnte bewährt hat, zukunftsfähig machen.

Beim Zentralorte-System ist es die Frage, ob die Vielzahl der bisherigen Hierarchiestufen zielführend ist und welche Alternativen in Betracht kommen. Diese Diskussion - das gebe ich frank und frei zu - haben wir noch nicht abgeschlossen. Aber wir sind natürlich immer interessiert, Ihre Meinung zu hören, falls Sie diese Diskussion schon abgeschlossen haben sollten.

Im Ergebnis wollen und werden wir auch künftig - das kann man bei allem, was zurzeit erzählt wird, nicht oft genug betonen - alle Landesteile gleichberechtigt weiterentwickeln mit dem über alles gehenden Ziel der Schaffung und Erhaltung gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen. Dabei richten wir unser Augenmerk auf die Verdichtungsräume ebenso wie auf die ländlichen Räume Bayerns. Auch das sei hier deutlich gesagt. Beide haben eine ganz unterschiedliche Ausgangssituation. Sie stellen an uns, an die Politik unterschiedliche Anforderungen und verdienen demgemäß auch eine an den Herausforderungen orientierte angepasste zielorientierte Politik. Wir alle wissen aus den ländlichen Teilräumen Bayerns, dass es selbst dort ganz große Unterschiede gibt. Ich denke, es wird erforderlich sein - aber auch dieser Diskussionsprozess ist noch nicht abgeschlossen -, zwischen den ländlichen Teilräumen als solchen und den besonders strukturschwachen Räumen im ländlichen Raum zu differenzieren.

Insgesamt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die Erfolgsgeschichte Bayerns, auf die wir alle miteinander gewiss stolz sind - ich gehe davon aus, Sie auch -, auch die Geschichte der bayerischen Landesentwicklung.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Sie werden nicht umhinkommen, zuzugeben, dass es letztlich auch die Geschichte der CSU ist, weil wir seit vielen Jahren, ja seit Jahrzehnten, die entscheidenden Weichen für diese erfolgreiche Entwicklung in Bayern gestellt haben. Das werden und wollen wir auch weiterhin tun.

(Beifall bei der CSU - Zuruf der Abgeordneten Christine Kamm (GRÜNE))

Diese Erfolgsgeschichte der bayerischen Landesentwicklung werden wir fortsetzen. Alle Teilräume Bayerns, die Ballungszentren ebenso wie die ländlichen Teilräume mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen, werden wir auch weiterhin dorthin bringen, wo wir insgesamt als Bayern sind, nämlich ganz nach vorn.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wir werden weiterhin für eine bessere Infrastruktur in den Ballungszentren ebenso kämpfen wie in den ländlichen Teilräumen. Wir werden weiterhin dafür Sorge tragen - besser als jedes andere Flächenbundesland; vergleichen Sie doch einmal die Dinge ehrlich miteinander! -, dass der Zugang zu Bildung namentlich in allen Teilräumen Bayerns bestmöglich gewährleistet wird und in allen Teilen hochwertige, zukunftsorientierte Forschung und Entwicklung stattfindet. Bestmögliche Rahmenbedingungen, gezielte Einzelförderung werden auch weiter dazu beitragen, dass überall neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden.

Wir gehören auch nicht zu jenen Kräften - das muss an dieser Stelle gesagt werden, Herr Kollege Muthmann, ich beobachte das ganz genau -, die gerne durchs Land ziehen und die sogenannte demografische Entwicklung so darstellen, als sei das eine Art neue Pest, von der wir alle verfolgt würden. Das ist mitnichten der Fall, Kolleginnen und Kollegen. Die demografische Entwicklung heißt nichts anderes, als dass wir insgesamt nicht mehr in unserem Land werden, sondern tendenziell eher weniger und dass glücklicherweise - ich hoffe, wir alle freuen uns darüber - die Menschen in unserem Land eine steigende Lebenserwartung haben. Daraus resultiert, dass die Gesellschaft, dass die Bevölkerung insgesamt im Durchschnitt älter wird. Das ist nichts Schlechtes, das ist eine neue Herausforderung, die es anzunehmen

gilt. Da gilt es, im Rahmen der Landesplanung und der Regionalplanung die entsprechenden Weichenstellungen zu finden. Aber das ist nichts, was wir nur als Problem sehen sollten, sondern das ist eine Umstellung der Verhältnisse, die wir positiv gestalten müssen und wir als CSU positiv gestalten wollen.

(Beifall bei der CSU)

Wir stellen uns dieser Herausforderung und werden auch in Zukunft gestaltend tätig sein.

Wir als CSU hatten bisher nicht nur den Anspruch des Erfolgs, sondern wir haben ihn auch über Jahre und Jahrzehnte für dieses bayerische Land erreicht. Andere schauen mit Neid nach Bayern und beobachten, wie wir unser Land in seiner Gesamtheit entwickeln. Das ist selbstverständlich auch für die Zukunft unser Zielansatz.

Wenn Sie uns dabei konstruktiv unterstützen, dann freut uns das. Aber umso mehr ist es erforderlich, Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns die nötige Zeit nehmen, die zum Teil schwierigen Fragen, wie wir das Landesplanungsgesetz, wie wir die Regionalplanung in Zukunft ausgestalten wollen, wie wir die Zuständigkeiten ausgestalten wollen, wie wir die Organisation ausgestalten wollen, miteinander zu diskutieren und zu klären, um dann wieder Vollgas zu geben und unser Land weiterhin positiv zu gestalten.

(Lebhafter Beifall bei der CSU - Georg Schmid (CSU): Bravo!)

Vielen Dank, Herr Kollege. Ich darf Frau Kollegin Karl für die SPD-Fraktion das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das zu Recht viel gescholtene Gutachten des Zukunftsrates hat einen positiven Aspekt. Denn es beschreibt in aller Deutlichkeit und Ehrlichkeit die Ergebnisse von Jahrzehnten bayerischer Strukturpolitik, nämlich eine immer größere Spreizung der Lebensverhältnisse in Bayern.

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CSU)

Man braucht nur den Zukunftsatlas der Prognos-Studie zu Rate zu ziehen, die wirklich nicht sozialistischer Umtriebe verdächtig ist. Man kann an Daten nehmen, was man will, die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, die Einwohnerentwicklung, es ist vollkommen egal, es kommt immer das Gleiche heraus: Spreizung der Lebensverhältnisse zum Nachteil der nordöstlichen Regionen Bayerns.

(Zuruf des Abgeordneten Alexander König (CSU))

Das Gutachten schreibt diese Situation konsequent unter dem Ziel maximaler Wettbewerbsfähigkeit fort. Nach rein betriebswirtschaftlichen Maximen sollen vermeintlich starke Abteilungen gestärkt und defizitäre abgestoßen oder verkauft werden. Zu der unverschämt einseitigen Sicht, Stärke nur in den sogenannten Leistungszentren zu verorten, komme ich noch später.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte lehrt, dass das Abstoßen von angeblich nicht ertragreichen peripheren Regionen sich manchmal im Nachhinein als wirklich miese Entscheidung entpuppt. So hat Napoleon seine Kolonie Louisiana 1803 an den US-Präsidenten Jefferson für einen Appel und ein Ei verkauft. Die USA haben dadurch ihr Staatsgebiet um das Doppelte vergrößert und den Grundstein für eine Entwicklung als Weltmacht gelegt - wahrlich keine nachhaltige politische Entscheidung von Napoleon.

(Zuruf des Abgeordneten Alexander König (CSU))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Staatsregierung macht mit ihrem Fokus auf Leuchtturmpolitik und vor allen Dingen seit dem Einzug der Roland Bergers in die Politik längst kurzfristig nur noch betriebswirtschaftliche Stellgrößen zur alleinigen Grundlage bayerischer Regionalentwicklung.

(Alexander König (CSU): Das ist unwahr! - Zuruf des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Die Verwaltungsreform mit all ihren jetzt offenkundigen Verwerfungen spiegelt genau dieses Gottvertrauen in die Segnungen immer größerer Einheiten in Struktur und Verwaltung getreu dem Grundsatz: Weg vom Menschen, weg vom Bürger.

(Zuruf des Abgeordneten Alexander König (CSU))

Wenn jetzt die Staatsregierung und Abgeordnete der Regierungsparteien die Vorschläge des Zukunftsrates vehement zurückweisen und sich täglich in immer schrofferen Äußerungen gegenseitig überbieten, dann stellt sich mir eine Frage: Folgen diesen Lippenbekenntnissen, die wir seit Jahrzehnten ohne Konsequenzen hören, nun tatsächlich auch Taten?

(Beifall bei der SPD)

Ich bin deshalb den Freien Wählern sehr dankbar, dass sie mit der Interpellation dieses Thema auf die Tagesordnung des Landtags gesetzt haben. Die Inter

pellation spricht alles an, beantwortet wird nichts. Aber das gibt uns die Gelegenheit, miteinander über sinnvolle und nachhaltige Entwicklung aller Teile Bayerns unter dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse zu reden.

Das Landesentwicklungsprogramm ist zunächst einmal ein koordinierender fach- und ressortübergreifender Ordnungsrahmen für die Entwicklung des Landes. Die Staatsregierung bekennt sich in ihrer Antwort zu Recht zum Erhalt dieser Entwicklungsaufgabe als ich zitiere - "wesentlichen Bestandteil der staatlichen Gemeinwohlpolitik". Das ist ein wohltuender Gegensatz zu der permanenten Deregulierungsrhetorik, die wir hier sonst oft hören.

Aber was folgt daraus seitens der Staatsregierung konkret? Schauen wir auf die Fakten. Vonseiten der Staatsregierung folgt zunächst einmal ein erneuter Rückfall in die Kleinstaaterei durch die völlig müßige Erstellung eines Vollgesetzes konkurrierend zum Raumordnungsgesetz des Bundes,

(Erwin Huber (CSU): Vollkompetenz!)

das - ich erinnere gern daran - auch mit den Stimmen von Bayern nach langen Mühen verabschiedet worden ist. Wovon will man sich eigentlich abgrenzen, Herr Huber? Für alles, was in der Antwort auf die Interpellation steht, reichen redaktionelle Änderungen.

(Erwin Huber (CSU): Nein, das gibt es nicht!)

Zum Landesentwicklungsprogramm folgt die Ankündigung, dass sich das neue Landesentwicklungsprogramm nur noch auf raumwirksame Aspekte beschränken soll. Dies ist auch in diversen Diskussionsrunden vonseiten des Ministeriums so bestätigt worden. Dies wird auf der anderen Seite mit der Ankündigung verbunden, die wir sehr begrüßen, der Grund für eine völlige Neufassung sei die Verankerung von Klimaschutz und demografischem Wandel im Landesentwicklungsprogramm.

Aber was bedeutet das, wenn man es mit der Beschränkung auf den Raumbezug verbindet? Das bedeutet - auch hier die Information aus dem Ministerium -, dass zum Beispiel Klimaschutz dahingehend auftaucht, dass man die Gebiete ausweist, die durch den Klimawandel verstärkt überschwemmt werden und deshalb nicht bebaut werden dürfen. Dazu sage ich: Es geht nicht um Reagieren, es geht um planvolles, sinnvolles Agieren. Das ist unser Verständnis von Politik.

(Beifall bei der SPD)

Genau dieses aktive Planen kommt nicht vor. Es gibt keine Privilegierung von erneuerbaren Energien als Maßnahme zum Klimaschutz, keine Vorgaben für Regionalpläne, regionale CO2-Bilanzen aufzustellen und für die Reduzierung Wege und Ziele aufzuzeigen alles das nicht. Vorgesehen ist nur ein Management, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Die Auffassung, Bayern als Land mit all seinen Bewohnern, die alle ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse haben, nur als eine zu optimierende Aktiengesellschaft zu sehen, die ich dann mit der Beschleunigung von Marktmechanismen voranbringen will, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Abschied vom Staatsbild einer sozialen Marktwirtschaft. Genau dieses Staatsbild hat doch Deutschland so stark und stabil gemacht, wie wir es jetzt haben und wofür wir dankbar sind. Es ist nicht unser Staatsverständnis, dies zu ändern.

(Beifall bei der SPD)