Wir fahren fort in der Aussprache zur Ersten Lesung. Herr Dr. Rieger hat sich inzwischen auf den Weg gemacht. Er ist der Nächste. Ihm folgt Herr Kollege Streibl.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Grundsatz "Sorgfalt vor Schnelligkeit" hat das Bayerische Staatsministerium der Justiz einen praktikablen und realistischen Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft vorgelegt.
Herr Schindler, bei diesem Entwurf sind alle Belange der Betroffenen berücksichtigt und abgewogen worden.
Betont werden insbesondere die Unschuldsvermutung für den Untersuchungsgefangenen einerseits und der Anspruch des Rechtsstaats auf Durchführung eines ordentlichen Strafverfahrens auf der anderen Seite. Wenn Herr Schindler für die Opposition behauptet, dieser Gesetzentwurf wäre ein Wunschkonzert, so begibt er sich in die Stellung dessen, der zwar anschafft, es aber nicht bezahlen will.
In die Abwägung der einzelnen Belange muss auch einfließen, was bei der gegebenen Haushaltssituation machbar ist. Herr Schindler, Sie fordern immer nur, müssen es aber nicht bezahlen. Das möchte ich schon einmal erwähnen.
Meine Damen und Herren, das Untersuchungshaftvollzugsgesetz ist eine zeitgemäße Fortentwicklung der bisherigen praktikablen Regelungen, die auf einer bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift beruht haben. Der Entwurf sieht eine zeitgemäße Anpassung der Untersuchungshaft an die heutigen Gegebenheiten vor. Ich möchte auf die Grundpositionen dieses Entwurfs eingehen.
Selbstverständlich steht an erster Stelle die Unschuldsvermutung. Der Untersuchungsgefangene ist entsprechend zu behandeln. Meine Damen und Herren, anhand des prominenten Beispiels eines französischen Staatsbürgers in den USA können Sie beobachten, was passiert, wenn dieser Unschuldsvermutung nicht genügend Rechnung getragen wird. Weiter ist ausschließlicher Zweck der Untersuchungshaft die sichere Unterbringung der Gefangenen, um die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten. Selbstverständlich Herr Schindler hat es bereits angesprochen - ist eine ausreichende Hilfe für den in Untersuchungshaft Befindlichen zu gewähren. Sein legitimes Verteidigungsinteresse ist zu wahren.
Beschränkungen für Untersuchungsgefangene sind jedoch unumgänglich, um einerseits die Sicherheit und Ordnung der Anstalt und andererseits ein geordnetes Strafverfahren zu gewährleisten. Ich will auf einige wesentliche Grundregelungen eingehen, die mir wichtig erscheinen. Grundsätzlich wurde das Gebot der Trennung von Untersuchungsgefangenen und Strafgefangenen sowie der Einzelunterbringung aufrechterhalten. Eine Erhöhung des derzeitigen Arbeitsentgelts für erwachsene Untersuchungsgefangene findet nicht statt. Frau Staatsministerin Dr. Merk hat bereits gesagt, dass für erwachsene Untersuchungsgefangene eine Mindestbesuchszeit von zwei Stunden im Monat gelte. Aus Sicherheitsgründen erfolgt keine Lockerung der Außenkontakte. Das haben wir bereits diskutiert. Die Zulassung eines uneingeschränkten Kommunikationsverkehrs würde eine Gefahr für die Anstalten darstellen.
Die medizinische Behandlung erfolgt grundsätzlich durch den anstaltsärztlichen Dienst. Der Empfang von Lebensmitteln bleibt wie im Strafvollzug ausgeschlossen. Die Gefahr des Einschmuggelns unerlaubter Gegenstände oder Drogen wäre zu groß.
Besonders sensibel wird mit den jungen Untersuchungsgefangenen umgegangen. Aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation und ihrer Haftempfindlichkeit - das hat Frau Staatsministerin Dr. Merk bereits ausgeführt - gibt es Sondervorschriften. Auf erzieherische Maßnahmen wurde besonderer Wert gelegt. Es besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme an beruflichen und schulischen Bildungsmaßnahmen - auch aus arbeitstherapeutischen Gründen. Für Jugendliche beträgt die Mindestbesuchszeit vier Stunden im Monat. Zusätzliche Besuche für Sorgeberechtigte und Kinder sind möglich.
Meine Damen und Herren, insgesamt liegt ein realistischer und praktikabler Gesetzentwurf vor, der im Hinblick auf die gegebene Haushaltssituation - das ist
auch zu berücksichtigen - finanziert werden kann. Deshalb danke ich Frau Staatsministerin Dr. Beate Merk und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich für die geleistete Arbeit. Das Gesetz kann pünktlich zum 01.01.2012 in Kraft treten. Bis dahin gilt die bundesgesetzliche Übergangsregelung. - Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! "Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen", sagt Tacitus. Frau Ministerin, wenn Sie meinen, das Gesetz, das wir uns heute anschauen, stamme aus der Praxis und sei für die Praxis, verstehe ich die Welt nicht mehr. Dieses Gesetz, das aus 45 Artikeln besteht, hat 39 Verweise auf 120 weitere Artikel. Ist das praxisbezogen? Wer soll damit arbeiten? Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger werden sich freuen, wenn sie ein solches Gesetz in die Hände bekommen. Das erschwert nur die Arbeit. Von den Justizangestellten im Strafvollzug, die mit diesem Gesetz ebenfalls arbeiten sollen, will ich gar nicht reden.
Mir drängt sich der Gedanke auf: Manche Gesetze sind wie ein kalter Teller voll alter Pasta - egal, wo man hineinsticht, gibt es einen Verweis. Man weiß nicht, was herausgezogen wird. Die Verweise auf den Strafvollzug, die en masse vorhanden sind, erwecken zudem den Anschein, dass eine Angleichung an den normalen Strafvollzug beabsichtigt wird.
Wir müssen aufpassen. Untersuchungshaft bedeutet, dass Menschen, die als unschuldig gelten, in Haft genommen werden. Die Sicherung des Ermittlungsverfahrens ist der Zweck der Untersuchungshaft. Das muss berücksichtigt werden. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht mehrere Grundsätze formuliert, die berücksichtigt werden müssen. In einem Beschluss vom 4. Februar 2009 heißt es: "Nicht die Untersuchungsgefangenen haben sich an der allgemeinen Praxis oder den allgemeinen Verhaltensbeschränkungen in der Haftanstalt zu orientieren, sondern der Untersuchungshaftvollzug ist einzelfallbezogen an den Grundrechten des als unschuldig geltenden Gefangenen auszurichten." Das muss das oberste Credo für jeden Untersuchungshaftgefangenen sein. Das sehe ich in diesem Gesetz leider nicht.
In Bayern befinden sich jährlich 10.000 Menschen in Untersuchungshaft. Aus diesem Grund muss eine scharfe Trennung zu den Strafgefangenen vorgenommen werden. Zwar gibt es den Trennungsgrundsatz, der in diesem Gesetz berücksichtigt wird und berücksichtigt werden soll, jedoch gibt es auch immer wieder Ausnahmen. Man sollte jedoch weiter gehen. Die Fraktion der FREIEN WÄHLER wird diesen Gesetzentwurf mit einer gehörigen Anzahl an Änderungsanträgen flankieren, um einige Regelungen ins Rechte zu rücken.
Der Gesetzentwurf kam aus der Verbandsanhörung genauso heraus, wie er hineingegangen ist. Lediglich in Artikel 1 wurde eine Änderung vorgenommen. Darüber hinaus wurde in Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden Artikel 30 Absatz 6 neu eingeführt. Nach unserer Kenntnis haben die Verbände wesentlich mehr Anregungen und Wünsche zur Einbringung in das Gesetz vorgebracht, als aufgenommen worden sind. Das alles ist nicht geschehen. Aus diesem Grund sollte man weiterhin den Finger in die Wunde legen und sagen: Liebe Staatsregierung, Sie haben fünf Jahre gebraucht, um dieses Gesetz zu entwerfen. Früher haben Sie noch abgeschrieben, jetzt wird verwiesen. Da geht nichts richtig vorwärts.
Des Weiteren orientiert sich dieser Gesetzentwurf nur an den Gegebenheiten in Stadelheim. Man hat versucht, ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz zu schaffen, das die Grundrechte der Menschen an der Haushaltslage ausrichtet. Meine Damen und Herren, die fundamentalen Grundrechte, die wir als Bürger haben, dürfen wir nicht mit der Haushaltslage aufrechnen.
Das sind die Rechte, die jeder Bürgerin und jedem Bürger in diesem Staat zustehen. Diese Rechte können nicht deshalb abgeschafft werden, weil kein Geld vorhanden ist.
Ich freue mich auf die Auseinandersetzung und die Diskussion in den Ausschüssen. Wir werden dieses Gesetz kritisch begleiten und hoffen, dass wir noch manches geradebiegen können.
Herr Präsident, meine Herren und Damen! Mir erschließt sich nicht, über welchen Gesetzentwurf Herr Rieger und Frau Staatsministerin Dr. Merk gesprochen haben. Der Gesetzentwurf der Staatsregierung war es sicher nicht. Dieselbe Staatsregierung muss im Jahre 2006 nach der Föderalismusreform ganz überraschend von den neuen Zuständigkeiten getroffen worden sein. Anders lässt es sich nicht erklären, wieso wir erst ewig auf ein Strafvollzugsgesetz, dann auf ein Jugendstrafvollzugsgesetz und schließlich fünf Jahre lang - Herr Kollege Schindler hat es angesprochen - auf ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz warten mussten. Immerhin haben es zwölf Bundesländer unter Absprache fertiggebracht, 2008 einen einheitlichen Entwurf vorzulegen. Nur Bayern hat auf einer Extrawurst bestanden. Aus Erfahrung wissen wir: Was lange währt in diesem Haus, wird noch lange nicht gut.
Ich stelle enttäuscht fest, das Bayerische Untersuchungshaftvollzugsgesetz - Herr Streibl, anscheinend haben wir beide noch kein Mittagessen gehabt, weshalb wir Lebensmittelbeispiele verwenden - wurde, anders als Käse, durch Drehen und Wenden nicht reifer. Es trägt dieselbe Handschrift wie die vorangegangenen Gesetze im Bereich des Vollzugs mit der fatalen Folge, dass sich U-Haft in Bayern kaum vom Strafvollzug unterscheidet. Damit wird das bayerische U-Haftvollzugsgesetz den Vorgaben des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs nicht gerecht. Mit verbaljuristischer Kosmetik soll übertüncht werden, dass jede Verbesserung, die angedacht ist, letztendlich unter Finanzierungsvorbehalt steht - das haben Sie, Frau Ministerin, auch selbst eingeräumt. Ich frage mich nur: Wieso können andere Länder, deren Haushalte nicht besser sind, etwas, was Bayern nicht auf die Reihe bringt?
Rührend, wirklich rührend ist das von Herrn Rieger angeführte Beispiel Strauss-Kahn. Das ist nicht unbedingt das beste Beispiel. Er konnte nämlich die U-Haft verlassen, wenn auch mit Fußfessel, und er hatte vor allem genügend Geld, um sich Anwälte leisten zu können. Das alles haben U-Häftlinge in Bayern in der Regel nicht.
Ich wundere mich auch sehr, dass die FDP hier mitgemacht hat. Lieber Herr Fischer, als wir unseren grünen Gesetzentwurf 2010 im Ausschuss vorgestellt haben, durfte ich mir von Ihnen anhören, Ihnen sei unser Entwurf nicht liberal genug. Lieber Herr Kollege,
Allein die Einbeziehung der Verbände war eine einzige Farce; die hätten Sie sich sparen können - die Kollegen haben es gesagt. Es gab kaum Veränderungen. In allen wichtigen Bereichen bleibt der Gesetzentwurf damit Schlusslicht im Ländervergleich.
Wie schon beim Strafvollzug gehen Sie davon aus, dass die Menschen, die einrücken müssen, Strafgesetzbuch, Strafprozessordnung und natürlich auch das Strafvollzugsgesetz mit sich herumtragen bzw. auswendig können. Aus meiner Sicht ist an diesem Gesetzentwurf wie schon an den vergangenen Gesetzentwürfen das Ärgerlichste, dass es unlesbar und auch unbestimmt ist. Wie sich daran Strafgefangene oder U-Häftlinge orientieren sollen, ist mir schleierhaft. Ich bin dafür, dass wir den Strafgefangenen und U-Häftlingen in Bayern als Allererstes eine Grundausstattung an Gesetzestexten mit an die Hand geben.
Für die weitere Debatte möchte ich einige Stichpunkte nennen, bei denen wir dringenden Nachbesserungsbedarf sehen. Das ist die Formulierungsweise, das sind aber auch die Besuchszeiten, die, anders als von Ihnen dargestellt, auch von der personellen Situation abhängen. Es fehlt eine Suizidprophylaxe. Der Trennungsgrundsatz zwischen Ruhezeit und Tageszeit ist nicht wirklich eingehalten. Es gibt kein Taschengeld für Bedürftige. Das Arbeitsentgelt wird so geregelt, dass U-Häftlinge schlechter gestellt sind als Strafgefangene. Zu den jungen U-Haftgefangenen kommen wir in der Debatte auch noch.
Sehr geehrte Frau Ministerin, liebe FDP, nach den Redebeiträgen muss ich das nun annehmen, als ich mich aber vorbereitet habe, habe ich mich gefragt: Stehen Sie wirklich hinter diesen Entwürfen, oder wurden sie Ihnen diktiert? Wir als GRÜNE sind jedenfalls so frei und lehnen diesen Entwurf ab.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Ihnen, Frau Kollegin Stahl, nur in einem einzigen Punkt recht geben: Ich
Meine Auffassung ist - auch diesbezüglich bin ich anderer Meinung als Sie -: Gut Ding will Weile haben. Selten hat dieses Wort aus dem Volksmund so viel Berechtigung wie heute.
Uns liegt ein Entwurf des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes vor, der zwar lange und intensive Vorbereitungen erfordert hat, der aber auch ein großer Erfolg ist. Heute ist ein guter Tag für den Rechtsstaat in Bayern. Deswegen möchte ich zunächst der Staatsministerin der Justiz, Frau Dr. Merk, und ihrem Haus ganz herzlich für den Entwurf danken und auch für die konstruktiven und sachlichen Verhandlungen.