Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Meine Damen und Herren, wir stellen uns dieser Diskussion. Die bayerische Polizei setzt ausschließlich einzelfallbezogene und streng in dem vom richterlichen Beschluss gesetzten Rahmen entwickelte Software ein. Ich betone noch einmal: Diese Software beinhaltet keine über den richterlichen Beschluss und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinausgehenden Funktionalitäten. Es ist gut, wenn das jetzt vom Datenschutzbeauftragten überprüft wird.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen abschließend aber auch: Es ist angesichts dieser aufgeregten Debatte richtig, dies bis zur Berichterstattung an den Landtag durch den Datenschutzbeauftragten zu unterbrechen, zumal die bislang eingesetzte Software aufgrund der Publikation des Chaos Computer Clubs ohnehin nicht mehr verwendet werden kann, weil sie jetzt auf allen Antivirenprogrammen läuft. Wir sind technisch jetzt ohnehin nicht in der Lage, solche Maßnahmen mit der bisherigen Software weiterzuführen. Ich bleibe natürlich ganz klar bei der Auffassung, dass wir auch in Zukunft für unseren Rechtsstaat Quellen-TKÜ brauchen. Wir brauchen sie zur Bekämpfung schwerer Kriminalität; wir brauchen sie, wenn ein Ermittlungsrichter sie auf Antrag der zuständigen Staatsanwaltschaft anordnet. Wir haben die ganz klare Entwicklung, dass nicht nur wir alle uns über die Chancen der modernen Kommunikationstechnik freuen, sondern dass sich heute natürlich auch Verbrecher diese modernste Kommunikationsmöglichkeit zunutze machen. Früher wurde über die klassische Post, die vielleicht noch von Thurn und Taxis transportiert worden ist, und ab Beginn des

20. Jahrhunderts mit dem klassischen Festnetztelefon kommuniziert. Heute müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass sich Kriminelle zum Beispiel auch des Internettelefons bedienen. Wir haben Fälle, in denen es sich bei der Überwachung von Handys ergibt, dass sich Kriminelle am Handy verabreden, abends über das verschlüsselte Internettelefon miteinander zu kommunizieren, weil sie dabei wesentlich sicherer sind, nicht abgehört zu werden. Soll der Rechtsstaat davor kapitulieren, meine Damen und Herren? Sollen wir sagen, da hören wir auf?

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Der Rechtsstaat, unsere Justiz und unsere Polizei achten und schützen die Privatsphäre unserer Bürgerinnen und Bürger. Zugleich haben wir aber auch einen klaren Auftrag, unsere Bürgerinnen und Bürger bestmöglich vor Vergehen und Verbrechen zu schützen. Dem stellen wir uns in Bayern auch in Zukunft.

(Lebhafter anhaltender Beifall bei der CSU)

Wir haben noch eine Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Tausendfreund.

Herr Staatsminister, Sie haben vorhin vorgelesen, was in der Bewertung des Chaos Computer Clubs stand. Ich habe es auch nicht anders dargestellt. Es geht um die Nachladbarkeit weiterer Ausspähsoftware. Sie haben nicht vorgelesen, was der Chaos Computer Club in seiner Stellungnahme sonst noch geschrieben hat. Dieser Punkt ist aber sehr wichtig; ich lese ihn ganz kurz vor:

Aufgrund der groben Design- und Implementierungsfehler entstehen außerdem eklatante Sicherheitslücken in den infiltrierten Rechnern, die auch Dritte ausnützen können.

Ich meine, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Mit der Ausspähsoftware, auch wenn sie nur zum Zweck von Bildschirm-Shots eingesetzt wird, können Rechner unsicher gemacht werden. Damit werden Scheunentore aufgemacht, über die Dritte in diese Rechner eindringen können. Diese Funktion hat Ihr Trojaner. Das haben Sie nicht erwähnt. Das ist ein sehr großes Problem.

Ein zweiter Punkt: Sie haben vorhin einen der zumindest geldmäßig gravierenderen Fälle erwähnt. Es ging um einen Schaden zwischen zehn und 30 Millionen Euro. Es gibt aber auch andere Fälle wie zum Beispiel den Münchner Fall der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Hehlerei. In diesem Fall konnte kein Nach

weis für diesen Vorwurf erbracht werden. Ein Beschuldigter ist zu zwei Jahren Haft verurteilt worden.

(Zurufe von der CSU)

Die anderen beiden sind gerade einmal zu 90 bzw. 100 Tagessätzen verurteilt worden. Die Fälle, die hier genannt worden sind, sind gerade nicht die Kapitalverbrechen, die es zu verfolgen gilt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister, bitte sehr.

Erstens, zu dem von Ihnen behaupteten Scheunentorproblem: Ich habe zur Kenntnis genommen, was der Chaos Computer Club behauptet; ich sage Ihnen aber auch, dass diese Behauptung aus der Sicht unserer Fachleute nicht stichhaltig erscheint. Ich kann es persönlich nicht beurteilen. Diesen Punkt soll bitte der Datenschutzbeauftragte beurteilen. Ich stelle nur fest, dass es nach unseren Feststellungen und den Mitteilungen des Bundesinnenministers und der anderen Landesinnenminister keinen einzigen Scheunentorfall gegeben hat, seit es diese Ausspähsoftware gibt. Übrigens hat es seit den Veröffentlichungen des Chaos Computer Clubs auch massive Hackerangriffe auf die bayerische Polizei, das Landeskriminalamt und den Sicherheitsbereich gegeben. Keiner dieser Hackerangriffe war erfolgreich. Ganz blöd sind wir bei unseren Firewalls offensichtlich auch nicht.

(Beifall bei der CSU)

Gleichwohl nehme ich dieses Problem ernst, damit Sie mich nicht falsch verstehen, Frau Kollegin Tausendfreund. Dieses Problem ist einer der Punkte, die der Datenschutzbeauftragte zusammen mit den Mitarbeitern des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik genau betrachten und worüber er dem Hohen Haus berichten wird. Wenn es dabei Defizite geben sollte, muss man sie in Zukunft natürlich auch berücksichtigen. Die Frage, ob es irgendwelche Defizite gibt, ist aber kein Punkt, über den sich gleich die gesamte Bundesrepublik Deutschland in dieser Art und Weise aufregen sollte. Ich nehme das Problem sehr ernst. Das gehört auch zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Ich erwarte von unseren Behörden, dass diese Probleme sehr genau beachtet werden.

Zweitens zur Schwere der Fälle: Ich sehe, dass schon wieder unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Wenn man weiß, wie großzügig Gerichte manchmal mit Bewährungsstrafen sind, ist einer, der zu zwei

Jahren Haft verurteilt wird, zumindest kein Kleinkrimineller mehr. So sehe ich es jedenfalls.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Dass die GRÜNEN auf diesem Gebiet gerne zur Bagatellisierung neigen, ist mir schon bekannt.

Ich will noch zwei Punkte ansprechen. Zuvor berichtete ich vom Landesamt für Verfassungsschutz. Natürlich müssen wir auch im Zusammenhang mit Extremismus konkreten Verdachtsmomenten nachgehen. Die Kollegen aus der G-10-Kommission und dem PKG wissen, dass es Maßnahmen gibt, bei denen sich im Rahmen der Überwachung herausstellt, dass sich der Verdacht nicht bestätigt und jemand dem Extremismus nicht zuzuordnen ist. Vielleicht hatte er zufällig einmal mit einem anderen Extremisten Kontakt, selbst aber ist er nicht verdächtig. Dann wird die Maßnahme beendet. Damit ist der Verdacht ausgeräumt, und dann hat sich der Fall. Das heißt aber nicht, dass es völlig unsinnig war, die Maßnahme durchzuführen. So ist es nun einmal, egal, ob es um Rechtsextremismus, Linksextremismus oder islamistischen Extremismus geht.

Zu den Maßnahmen, die vom Ermittlungsrichter nach der StPO angeordnet worden sind, sage ich Ihnen nur noch einmal, dass darüber der Ermittlungsrichter entscheidet. Ich wundere mich schon, dass gerade die GRÜNEN damit ein solches Problem haben. Sie wären die Ersten, die es mir vorwerfen würden, wenn ich als Innenminister es mir erlauben würde, in die Anordnungen eines Ermittlungsrichters einzugreifen.

(Beifall bei der CSU)

Als ein Vorstandsvorsitzender der Telekom von einem Ermittlungsrichter in Nordrhein-Westfalen verhaftet wurde, hätte da der Innenminister sagen dürfen, ich habe Bedenken dagegen, dass ein Vorstandsvorsitzender einfach verhaftet werden soll? Das wäre doch abstrus gewesen. Wenn der Ermittlungsrichter sagt, dass ermittelt werden muss, dann sind die Ermittlungen vom Landeskriminalamt durchzuführen. Ich habe daran überhaupt nichts auszusetzen. Zur Frage, wozu der Täter am Schluss verurteilt wird: Entschuldigung, das ist schon saudummes Zeug, was Sie hier erzählen.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Sie wissen ganz genau, dass in unserem Land jede Woche ein Ermittlungsrichter irgendwo eine Hausdurchsuchung anordnet. Natürlich gibt es auch Fälle, bei denen die Ermittlungen der Kriminalpolizei ergeben, dass sich die Verdachtsgründe gegen den Beschuldigten nicht bestätigt haben und dass er un

schuldig ist. Es gibt Leute, die am Schluss trotz der Anklage durch die Staatsanwaltschaft freigesprochen werden. In diesen Fällen hat man die Entscheidung des Ermittlungsrichters, dass durchsucht werden muss, genauso zu akzeptieren wie hinterher die Entscheidung des Gerichts, dass der Angeklagte freigesprochen wird. Ich habe das Gefühl, dass Sie inzwischen mit der Unabhängigkeit unserer Justiz ein bisschen auf Kriegsfuß stehen. Als Innenminister mische ich mich hier jedenfalls nicht ein.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CSU)

Wir haben zu diesem Tagesordnungspunkt noch zwei Wortmeldungen. Zunächst wird Herr Kollege Schindler und danach Frau Kollegin Bause sprechen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich wollte Sie bei Ihren Ovationen wirklich nicht stören. Ich habe aber festgestellt, dass sich der Beifall seitens der Kolleginnen und Kollegen von der FDP deutlich in Grenzen gehalten hat. Mir ist überhaupt keiner aufgefallen, der hier geklatscht hätte.

(Thomas Hacker (FDP): Herr Schindler, bei Ihnen klatschen wir auch nicht!)

Im Übrigen danke ich dem Herrn Innenminister ausdrücklich dafür, dass er heute Informationen preisgegeben hat, die uns bislang nicht bekannt waren. Wir wussten bislang nicht - das war Teil der Fragen -, dass auch beim Landesamt für Verfassungsschutz entsprechende Software eingesetzt worden ist. Wir haben das nicht gewusst. Meine Damen und Herren von der CSU, vielleicht haben Sie es gewusst. Wir wussten es nicht. Das war Gegenstand unserer Fragen. Wir wussten auch nicht, dass Artikel 34 d des Polizeiaufgabengesetzes, der damals angeblich unbedingt erforderlich war, bis heute überhaupt nicht zur Anwendung gekommen ist. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass der Innenminister einräumt, dass es an der einen oder anderen Stelle berechtigterweise einen Grund gibt, zu überprüfen, ob die Software überhaupt das hält, was sie verspricht. Vielen Dank dafür. Das war der Zweck der Übung.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist ehrenhaft, wenn sich der Innenminister hinter seine Beamten stellt. Das ist seine Aufgabe.

(Barbara Stamm (CSU): Richtig!)

Es ist aber die Aufgabe dieses Parlaments, dann, wenn Vorwürfe und Behauptungen in die Welt gesetzt und bundesweit diskutiert werden, nachzufragen und Aufklärung einzufordern. Dieses Recht lassen wir uns auch durch noch so wortgewaltige Ausführungen des Innenministers nicht nehmen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, keiner will die Kapitulation des Rechtsstaats. Herr Innenminister lassen Sie doch diese - mit Verlaub - dümmlichen Unterstellungen. Im Gegenteil.

(Ernst Weidenbusch (CSU): Fragen Sie doch Herrn Kollegen Dr. Dürr!)

Zu einem funktionierenden Rechtsstaat gehört aber nicht nur eine funktionierende Polizei, die Befugnisse für die Erledigung ihrer Arbeit und auch genügend Personal braucht. Zu einem funktionierenden Rechtsstaat gehört auch, dass das Grundgesetz und die Rechtsprechung beachtet werden. Das ist eingefordert worden. Das wäre auch Ihr Job.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin deshalb dem Chaos Computer Club dankbar, dass er diese Diskussion angestoßen hat.

Frau Staatsministerin Dr. Merk, ich möchte noch zwei, drei Sätze zu Ihnen sagen. Hätten Sie doch geschwiegen.

(Beifall bei der SPD)

Niemand hier hat die Justiz auch nur mit einem Wort angegriffen. Niemand. Sie haben wie eine Innenministerin geredet. Sie haben nicht wie eine Justizministerin geredet.

(Harald Güller (SPD): Nein, sondern wie jemand, der nach dem Parteitag etwas gutzumachen hat!)

Ich bin gespannt, was die Frau Bundesjustizministerin zu Ihren Ausführungen sagen wird. Ich würde gerne erfahren, wie sie Ihre Ausführungen aufgenommen hat. Wahrscheinlich genauso wie die Kollegen von der FDP: Da kann man nur noch den Kopf schütteln.

(Beifall bei der SPD)