Vielen Dank, Herr Staatsminister Herrmann. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf jetzt die allgemeine Aussprache eröffnen. Wir haben im Ältestenrat 15 Minuten pro Fraktion vereinbart. Es sind inzwischen drei Minuten aufgelaufen. Wir haben nun 18 Minuten pro Fraktion. Ich darf als Erster für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Kohnen das Wort erteilen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle in diesem Hohen Haus sind wie alle anständigen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land entsetzt, zutiefst bestürzt und trauern um die Opfer der neuen Nazis in unserem Land. Wir blicken in einen Abgrund. Die Morde sind Terrorakte gegen unsere Gesellschaft, unsere Demokratie, unsere Zivilisation.
Wir Politiker dürfen nicht sprachlos bleiben, sondern müssen uns einer schonungslosen, offenen Debatte
und harten Analyse des Naziterrors in unserem Land und seinen Ursachen stellen. Herr Innenminister Herrmann hat den aktuellen Stand der Ermittlungen dargelegt, der im Wesentlichen noch nichts Neues ergeben hat. Eines ist für uns alle klar: Wir dürfen nicht so tun, als sei seit den grausamen Verbrechen in Hoyerswerda, Solingen und Mölln nichts weiter passiert. Wer sehen wollte, der konnte sehen.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung Berlin taxiert die Zahl der Opfer deutschlandweit auf 182, die Bundesregierung auf 47! Auf die Frage, wie sich diese Diskrepanz erklärt, gibt es immer noch keine befriedigende Antwort. Dass bei vielen Mordanschlägen der vergangenen zehn Jahre an ausländischen Mitbürgern bis vor wenigen Tagen von "Dönermorden" gesprochen wurde, dass eine Milieuzuordnung stattfand und stattfindet, ohne einen rechtsextremen Hintergrund nachhaltig zu prüfen, das muss uns doch alle aufschrecken.
Wir müssen uns fragen: Welche Rolle spielte und spielt der Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus tatsächlich in Deutschland und auch in Bayern? Allein fünf Morde der Zwickauer Neonazis wurden in Bayern verübt, in Nürnberg und in München. Warum gerade hier bei uns in Bayern? Bloß tödliche Zufälle? - Wohl kaum. Haben Sicherheitsbehörden und der Verfassungsschutz versagt? Wenn ja, warum? Wollte das BKA überregional ermitteln? Manche bejahen das. Warum wurde das am Ende aber nicht wirklich vollzogen? Warum ist das nicht geschehen? Welche Rolle hat das bayerische LKA bei diesen Fragen gespielt? Das bleibt abschließend zu klären, Herr Herrmann. Warum gibt es so viele ungeklärte Fragen?
Wir haben eine erhebliche Vertrauenskrise in unserem Verfassungsschutz, und diese Krise darf nicht zur Staatskrise werden. Wer jetzt glaubt, etwas zurückhalten zu können oder zu relativieren oder zu beschönigen, hat den Ernst der Lage nicht begriffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie war es wirklich? Wie konnte es dazu kommen, dass mitten unter uns,
in Bayern, eine Bande von neuen Nazis diese fünf Menschen in den letzten zehn Jahren ermorden konnte und selbst unentdeckt geblieben ist? Warum wurde bisher nicht thematisiert, dass die beiden Münchner Tatorte in unmittelbarer Nähe zu neonazistischen Schauplätzen liegen? Die Täter stammen aus dem Osten und agieren in Bayern. Welchen Raum gibt es hier? Fragen über Fragen, die dem Vertrauen der Menschen in die innere Sicherheit in unserem Freistaat definitiv nicht förderlich sind.
Vor diesem Hintergrund wird eines sehr deutlich: Die Berichte des Bayerischen Verfassungsschutzes in den vergangenen zehn Jahren waren und sind verharmlosend, grob fahrlässig und irreführend und deshalb häufig schlicht Fehleinschätzungen.
Festgestellt wurde, dass die Neonazi-Szene zwar im Wachsen sei, dass aber die braunen Kohorten, die Kameradschaften, die dort, wo sie auftreten, Angst und Schrecken verbreiten, aufgrund fehlender Strukturen schwer angreifbar seien. So die Feststellung des Verfassungsschutzes. Auf Deutsch: Man ließ die braune Pest der neuen Nationalsozialisten schlichtweg grassieren.
Umso stärker wurde der Linksextremismus ins Visier genommen, nicht ohne auch hier eklatante Fehleinschätzungen zu produzieren. So wurden aktive gesellschaftliche Organisationen, Initiativen und Vereine gegen die neuen Nazis, wie zum Beispiel a.i.d.a., unter Beobachtung gestellt.
Diese Verfassungsschutzberichte waren und sind ein fatales Signal an die Gesellschaft, ein Schlag ins Gesicht aufrechter Demokraten, die sich aus Zivilcourage gegen Rechtsextremismus und für unseren Staat einsetzen.
Der jetzt wieder viel zitierte "Aufstand der Anständigen" muss, wie es Frank-Walter Steinmeier vor zwei Tagen in Berlin formulierte, zu einem "Anstand der Zuständigen" werden, allen voran beim Verfassungsschutz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts des Terrors der neuen Nationalsozialisten verbietet es sich, die Entwicklung zu verharmlosen oder zu relativieren. Der braune Terror richtet sich auf brutalste Weise gegen Menschenleben, und deshalb verbieten sich auch Aussagen wie die von Peter Gauweiler vom September 2007, der in der "Süddeutschen Zeitung" verlauten ließ: "Der Kampf gegen rechts ist in Deutschland durch viel Hysterie und Selbstgerechtigkeit gekennzeichnet." Ich hoffe, dass es zu solch unverantwortlichen Sätzen nicht mehr kommt.
Denn wer auf dem rechten Auge sehschwach oder blind ist, der gefährdet die innere Sicherheit eines Landes oder wird gar selbst zum Problemfall.
Nicht minder sträflich sind auch die lockeren Sprüche des Generalsekretärs der CSU, Alexander Dobrindt, der in der ihm eigenen Art kürzlich behauptete: "Nirgends werden Rechtsradikale entschlossener und effektiver bekämpft als im CSU-regierten Bayern." Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich frage Sie, wenn es denn tatsächlich so wäre: Warum haben Sie dann nach dem Fall Mannichl 2008 zwar eine Resolution gegen Rechtsextremismus unterzeichnet, aber sich bei den anschließenden Haushaltsverhandlungen 2009 geweigert, Geld für den Kampf gegen den Rechtsextremismus in einer eigenen Titelgruppe bereitzustellen? Auf diese Frage haben wir noch keine Antwort bekommen.
An die Adresse von Herrn Dobrindt sage ich: Entschlossene und effektive Politik sieht ganz klar anders aus.
Die CSU muss auch erklären, warum sie als Koalitionär der gegenwärtigen Bundesregierung die Extremismusklausel eingeführt hat, eine Klausel, die Projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus dazu zwingt, eine sogenannte Demokratieerklärung zu unterschreiben. Damit sollen sich die Projekte verpflichten, ihre Partner auf Verfassungstreue zu prüfen. Als Grundlage sollen ausgerechnet die Berichte des Verfassungsschutzes dienen. Diese Klausel erschwert die Arbeit antifaschistischer Organisationen, die tagtäglich den Kampf gegen Rechtsextremismus führen. Diese Klausel ist kontra
produktiv. Sie schadet dem Kampf gegen die neuen Nazis, sie bringt damit die Menschen auf Distanz zu diesem Staat, statt demokratisches Engagement zu stärken.
Ich fordere Sie deshalb auf: Schaffen Sie diese Extremistenklausel auf Bundesebene unverzüglich ab. Und, Herr Herrmann, korrigieren Sie endlich die Fehleinschätzung, dass der Verein a.i.d.a. linksextremistisch sei. Es ist Zeit.
Richten Sie stattdessen endlich ein landeseigenes Förderprogramm ein, wie es zum großen Teil auch die anderen Bundesländer tun, um die präventive Arbeit von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen dauerhaft auf eine solide Grundlage zu stellen. Das bürgerschaftliche, das demokratische Engagement gegen Rechtsextremismus muss gefördert werden, nicht zuletzt weil es erst langfristig Wirkung zeigen kann.
Ein Weiteres an die Adresse des Herrn Ministerpräsidenten, der heute nicht da sein kann: Bedienen Sie nicht Ressentiments durch sprachliche Entgleisungen! Ich meine den Satz des CSU-Vorsitzenden vom letzten Aschermittwoch, er werde sich in der Berliner Koalition "bis zur letzten Patrone" dagegen wehren - ich wiederhole: bis zur letzten Patrone -, "dass wir eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme bekommen."
- Nein, Herr Huber. "Die Zeit" kommentierte diese unsägliche Wortwahl am 10. März dieses Jahres wie folgt:
Diese Äußerung des Parteivorsitzenden ist eine ungeheuerliche Entgleisung der politischen Rede in diesem Land.
Die Metaphorik des bewaffneten Kampfes gegen Einwanderung in Stellung zu bringen bedeutet eine unverantwortliche Eskalation des Diskurses.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN - Georg Schmid (CSU): Was unterstellen Sie da? Sie beschädigen den Ministerpräsidenten!)
- Ich beschädige nicht den Ministerpräsidenten. Ich zitiere eine Kommentierung der Presse. Es waren die Worte Ihres Ministerpräsidenten und nicht meine.
(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN - Georg Schmid (CSU): Aber Sie nehmen das auf! Sie stellen den Zusammenhang her!)
Herr Schmid, Rechtsextremismus entwickelt sich auch in der Sprache. Wir müssen hier vorsichtig sein.