Protokoll der Sitzung vom 24.11.2011

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage an Ihre Adresse: Rüsten Sie verbal ab!

(Georg Schmid (CSU): Rüsten Sie verbal ab!)

Reden wir dort Klartext, wo es notwendig ist, nämlich beim Kampf gegen die Nazis.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN - Georg Schmid (CSU): Peinlich! Peinlich!)

Beispielsweise brauchen wir keine "Soko Bosporus", wie sie auch bis vor Kurzem genannt wurde, sondern wir brauchen eine "Soko Rechtsterrorismus". Nennen wir sie doch endlich beim richtigen Namen, wo es notwendig ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Eine solche Sonderkommission darf nicht eng agieren. Sie muss zum Beispiel auch überregionale Zusammenhänge herstellen und Fragen vorbehaltlos prüfen: Gab es Kontakte der Münchner, der bayerischen Rechtsextremisten zum Zwickauer Trio? Gab es Kontakte von einzelnen, noch heute im "Freien Netz Süd" aktiven Neonazis zur Zwickauer Terrorzelle? All diese Fragen wurden bisher nicht gestellt.

(Dr. Manfred Weiß (CSU): So ein Blödsinn!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns in unserer 150-jährigen Geschichte nie weggeduckt und werden uns auch nie wegducken.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen alle genauer hinschauen. Im gemeinsamen Kampf gegen Rechtsterrorismus, ob in Springerstiefeln oder im Anzug, muss endlich zivilgesellschaftliche Expertise anerkannt werden.

(Dr. Andreas Fischer (FDP): Wo ist denn Ihre Gemeinsamkeit?)

Wir brauchen mehr demokratisches Engagement statt mehr Verfassungsschutz, und vor allem brauchen wir wackere, engagierte Demokraten beim Verfassungsschutz, die nicht auf einem Auge sehschwach oder blind sind.

(Zuruf des Abgeordneten Erwin Huber (CSU))

- Herr Huber, das ist keine Polemik. Das Thema ist bitterernst.

(Erwin Huber (CSU): Billige Polemik!)

Das Thema ist bitterernst.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Ein "Weiter so" wird es nicht geben.

Herr Huber, Herr Schmid, sorgen Sie dafür, dass endlich die nötigen Haushaltsmittel für den Kampf gegen Rechts eingestellt werden. Das waren Sie und niemand anders.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und den GRÜ- NEN - Zurufe der Abgeordneten Erwin Huber (CSU), Alexander König (CSU) und Georg Schmid (CSU))

Vielen Dank, Frau Kollegin Kohnen. Nächster Redner ist Herr Kollege Freller. Bitte schön, Herr Freller.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gerade 11 Monate her, dass wir hier in einer würdigen Gedenkstunde und in Anwesenheit von Überlebenden der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung gedacht haben und der Sinto Hans Rosenbach über Angst, Folter und Mord, ausgelöst von der menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten, berichtete.

Wir waren uns einig: Dieses verbrecherische Denken darf in unserem Land nie wieder Wurzeln schlagen. Umso mehr erfüllt es uns mit Entsetzen, dass seither kein Jahr vergangen ist und die Tatsache brutaler Nazimorde der Gegenwart jedem von uns zeigt: Es ist nicht vorbei. Die braune Saat geht immer wieder auf. Im Namen der CSU-Fraktion will ich unsere tiefe Trauer, tiefe Betroffenheit und tiefe Bestürzung über die erschreckende Serie von Morden und Anschlägen hoch krimineller neonazistischer Verbrecher zum Ausdruck bringen. Unser tiefstes Mitgefühl gehört den Familien und Freunden der Opfer, die geliebte Menschen verloren haben und die zusätzlich noch mit der

Verdächtigung leben mussten, dass ihre Angehörigen in kriminelle Aktivitäten verwickelt gewesen seien. Dieses fürchterliche Geschehen und die Tatsache, dass sich die Täter jahrelang unerkannt in unserer demokratischen Gesellschaft aufhalten konnten, sind für die Angehörigen der Opfer eine schwere Belastung, aber auch für uns, die wir politische Verantwortung tragen. Wir können und dürfen - darauf werde ich noch eingehen - es nicht bei unserer echten und tiefen Trauer belassen. Gemachte Fehler müssen aufgedeckt und natürlich auch beseitigt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will mir die Ruhe meiner Rede nicht nehmen lassen, auch nicht von Ihnen, Frau Kohnen, aber es hat weh getan. Sie hatten Schaum vorm Mund, als Sie gesprochen haben.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Sie haben Menschen schwer getroffen und beleidigt, die sich seit Jahrzehnten aktiv für diese Demokratie einsetzen.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Markus Rinderspacher (SPD): Jetzt ist aber genug!)

Das tut dieser Debatte nicht gut. Ich sage es in diesem ruhigen Ton. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde mich nicht provozieren lassen, aber es tut einfach weh. Ich sage Ihnen auch warum. Jetzt ist die Stunde, wo wir Demokraten zusammenhalten müssen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Es kann nicht angehen, dass wir streiten, und die Neonazis lachen sich ins Fäustchen. Das ist die Sorge, die mich bei dieser Thematik befällt.

(Harald Güller (SPD): Sie hätten vor Jahren auch schon zusammenhalten sollen! Da haben Sie gehetzt! Ihr Ministerpräsident war es!)

- Darf ich in aller Ruhe weiterreden, Herr Kollege? Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns alle zusammen die politische Kultur Bayerns leben, bewahren und verteidigen. Die Verfassungsväter und -mütter haben Bayerns Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg in einem klaren Bewusstsein begründet: Nie wieder. Sie haben diese Motivation mit klaren Worten unserer Verfassung vorangestellt, ich zitiere:

Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten

Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschluß, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauerhaft zu sichern …

Dieser Konsens gilt heute unverändert für alle Demokraten. Das klare Bekenntnis "nie wieder" ist viel wichtiger als tagespolitischer Streit. "Nie wieder", das war die Motivation, mit der sich ganz unterschiedliche politische Kräfte in allen demokratischen Parteien der Nachkriegsgeschichte eingebracht haben.

Ich weiß, meine sehr verehrten Damen und Herren, und sage es im Wissen um den historischen Widerstand der SPD gegen die Machtübernahme der NSDAP: Ich habe hohe Achtung vor Menschen wie unserem früheren Landtagsvizepräsidenten Berthold Kamm, der mir vor zwei Wochen - Kollege Dr. Beyer war dabei - erzählte, er sei 17-jährig von den Nazis wegen Hochverrats angeklagt und inhaftiert worden, nur weil er der katholischen Jugend beigetreten war.

Lassen Sie mich bewusst auch an prominente Gründungsväter der eigenen Partei erinnern, an Alois Hundhammer, Josef Müller, Josef-Ernst Fürst Fugger von Glött, Michael Horlacher, Georg Meixner, Fritz Schäffer, Karl Scharnagl, Adam Steigerwald. Sie alle gehörten zu den Opfern der Verfolgung durch das NS-Regime und wirkten daran mit, dass die CSU in ihrer ersten programmatischen Erklärung vom 31. Dezember 1945 - ich zitiere - "die Ausmerzung der letzten Spuren nationalsozialistischen Denkens, die gerechte Bestrafung der wirklich Schuldigen und die Wiedergutmachung der vom Dritten Reich verübten Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten" zu einer ihrer zentralen Aufgaben machte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bayern bekennt sich zu seiner Geschichte und zu seiner Verantwortung aus dieser Geschichte. "Nie wieder" - diese Worte sind im KZ Dachau in Stein gemeißelt. Das ist eine mehrfache Aufforderung: ein Aufruf zum Gedenken, ein Auftrag zur Prävention, ein Auftrag zum Handeln. 260 sichtbare Gedenkorte in Bayern gemahnen an die Schrecken des NS-Terrors. Allein 2004 bis 2010 hat der Freistaat Bayern über 36 Millionen Euro für die Gesamtheit der Gedenkorte in Bayern ausgegeben. Ich danke dem Kultusminister, dass er veranlasst hat, dass jeder Schüler während seiner Schulzeit mindestens einmal eine Gedenkstätte besucht haben soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade in meiner Verantwortung für die bayerischen Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg sage ich: Die Erinnerung an die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft wachzuhalten und die geschichtlichen Erfahrungen,

die daraus gewonnenen Erkenntnisse weiterzutragen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ihr müssen wir uns in höchstmöglicher Weise stellen. Dies sind wir den Opfern und ihren Angehörigen ebenso schuldig wie unserer Jugend und dem Fortbestand unserer Demokratie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit gestern Abend weiß ich vom Präsidenten des Bayerischen Landeskriminalamts, dass auch mein Name auf einer der Listen steht, die bei den Nazis gefunden wurden. Dies bestärkt mich allenfalls in meiner Motivation. Barbara Stamm hat vorhin ein ganz wichtiges Wort gesagt: "Wir dürfen uns von neonazistischem Terror nicht einschüchtern lassen."

Ich kann feststellen: In Bayern herrscht Gott sei Dank ein übergreifender gesellschaftlicher Konsens wider das Vergessen. Danke sage ich an dieser Stelle den engagierten Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen dieses Hauses. Doch das Erinnern an die Vergangenheit und der Einsatz von Polizei und Justiz gegen jegliche Form des neonazistischen Handelns wird nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn es uns gelingt, braunes, menschenverachtendes Denken gar nicht erst in einem jungen Menschen entstehen und groß werden zu lassen. Deswegen ist Prävention so ungemein wichtig.

Was heißt Prävention? - Prävention heißt, darauf hinwirken, dass es in der Zukunft niemals mehr Opfer gibt, hinwirken, dass es in der Zukunft niemals wieder Täter gibt. Prävention kann nur gelingen, wenn eine ganze Nation unbeirrbar zusammenhält; wenn Eltern schon ihren kleinen Kindern beibringen: "Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andern zu"; wenn an den Schulen genügend Zeit für Herzund Charakterbildung in einem fundierten Geschichtsunterricht bleibt - nur wer die Geschichte kennt, kann aus ihr lernen -; wenn Menschen wegen ihres Glaubens, ihrer nationalen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Veranlagung, ihres Alters, ihrer Behinderung nicht nur nicht diskriminiert, sondern aktiv vor Diskriminierung geschützt werden; wenn Institutionen nicht dulden, dass in ihren Reihen Funktionsträger die Existenz der Konzentrationslager leugnen; wenn der Freistaat Bayern, seine Kommunen - ich nenne beispielhaft Herrn Beck, den tapferen Bürgermeister von Wunsiedel - und viele Bürgerinnen und Bürger weiterhin ihren Beitrag zum "Nie wieder" auf vielfältige Weise einbringen. Ich bin dankbar für die unzähligen Integrationsprojekte im Lande.

Ich nenne beispielhaft die aufrichtige Arbeit, die der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, leistet. In der Lehrerfortbildung, zum Beispiel bei der Projektstelle gegen

Rechtsextremismus in Bad Alexandersbad, wird ebenso hervorragend gearbeitet wie bei der Medienerziehung an Schulen, der Jugendsozialarbeit und der politischen Bildung. Der Freistaat unterstützt Projekte wie "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage", Pädagogik rund um das Dokumentationszentrum in Nürnberg oder die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus. Auch im Schulalltag leisten unsere Lehrkräfte vieles, um zur Demokratie und zum "Nie wieder" zu erziehen. Eines ist klar: Nur starke, selbstbewusste junge Persönlichkeiten, die sich kritisch mit vielfältigen Inhalten auseinandersetzen, sind weniger anfällig für rechtsextremistisches Gedankengut.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, "Nie wieder" braucht eine wehrhafte Demokratie. Auftrag und Haltung der Polizei sind glasklar und müssen glasklar sein, nämlich hart und wirksam gegen Extremisten jeder Art vorzugehen. Bei uns sollte man auch nicht vergessen, dass bayerische Verfassungsschützer dazu beigetragen haben, Anschläge der Kameradschaft Süd, Martin Wiese, zu vereiteln. Wir erinnern uns: Die Gruppe hatte ein Sprengstoffattentat auf das jüdische Kulturzentrum am Jakobsplatz in München geplant. Lassen Sie mich an dieser Stelle an unzählige Polizistinnen, Polizisten und Ordnungskräfte erinnern, die zum Teil schwerste Verletzungen erlitten, als sie mutig die Anwendung von Gewalt durch Extremisten unterbanden. Vergessen wir nicht: Auch die junge Polizistin in Baden-Württemberg ist brutal von braunen Terroristen ermordet worden. Jede Gewalttat ist eine zu viel. Wir werden lange brauchen, bis wir über die Ermordung von fünf unschuldigen Mitbürgern türkischer bzw. griechischer Herkunft in unserem Bayernland hinwegkommen. Umso mehr müssen wir den Kampf gegen rechten Terror und rechte Gewalt unvermindert und entschlossener denn je fortsetzen.

Ich begrüße die Ankündigung von Staatsminister Joachim Herrmann, den NPD-Verbotsantrag zu stellen. Gleiches habe ich bereits im Rahmen der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Dachau am 2. Mai 2010 - Frau Präsidentin Stamm, Sie waren dabei - gefordert. Es mag durchaus fachliche Gründe gegen ein Verbot geben. Aber es geht mir wie vielen im Lande zutiefst gegen den Strich, wenn widerwärtige Gestalten, Sprüche gegen unsere Demokratie skandierend, durch die Straßen ziehen und wir das aus Steuern, die als Wahlkampfkostenerstattung an die NPD gehen, mitfinanzieren müssen. Ich unterstütze ausdrücklich - ich habe das an dieser Stelle schon einmal erwähnt - die Initiative des Kollegen Dr. Christoph Rabenstein vom 9. Juli 2010 zu einem Verbot der NPD. Ich war froh, dass alle Parteien in diesem Landtag mitgestimmt haben, dass Gemeinsamkeit in

der Absicht gegeben war, ein klares Zeichen nach außen zu setzen, dass wir im Parlament uns von diesem braunen Gesindel nicht einschüchtern lassen.