Danke schön, Herr Kollege Hanisch. - Als Nächster hat Kollege Florian Herrmann das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute vorliegenden Gesetzentwürfe befassen sich im Kern mit einigen Änderungen des Kommunalwahlrechts bzw. des Landkreis- und Gemeindewahlgesetzes. Größtenteils
enthalten sie ähnliche oder sogar identische Regelungen. Was Kollege Hanisch am Ende seiner Ausführungen gesagt hat, ist völlig richtig: Trotz einiger Punkte, in denen wir uns nicht einig werden konnten, gibt es eine Vielzahl von Punkten, in denen zwischen uns Einigkeit herrscht.
Anlass für die Gesetzesänderung ist die Evaluierung der Kommunalwahl von 2008, die turnusmäßig alle sechs Jahre stattfindet. Dann erkennt man, was sich in der Praxis bewährt hat und welche gesetzlichen Regelungen an die veränderten Verhältnisse in der Gesellschaft bzw. bei den Wählerinnen und Wählern angepasst werden müssen.
Daraus folgt, dass unsere Herangehensweise an diese Gesetzesänderung eine sehr pragmatische ist. Das, was Kollege Hanisch ausgeführt hat - wir werden es bestimmt noch von anderen Rednern hören -, ist eher Ausdruck einer ideologischen Herangehensweise.
Unsere Herangehensweise an die Gesetzesänderung - wir versuchen, Probleme praxisnah zu regeln - halte ich für angemessen.
Lassen Sie mich zunächst einmal die Punkte erwähnen, über die wir nicht ganz so intensiv diskutiert haben, auch um dafür zu sorgen, dass die Debatte nicht ganz so emotional geführt wird; denn das hielte ich für unangebracht. Wir diskutieren hier nicht über die Zehn Gebote, sondern über ein Wahlgesetz. Das kann man pragmatischer und weniger grundsätzlich angehen.
Es handelt sich um verschiedenste Punkte: Die Mindestaufenthaltszeit im Wahlkreis zur Erlangung des aktiven Wahlrechts wird auf zwei Monate und für das passive Wahlrecht auf drei Monate verkürzt. Die Erleichterung bei der Briefwahl wurde schon angesprochen. Auch hier kommt sehr gut wie bei allen Änderungen das Prinzip von Wahrheit und Klarheit zum Ausdruck. Es soll nicht etwas geregelt werden, was in der Praxis nicht gelebt wird. Das entspricht nicht unserem Verständnis. Wir wissen doch, dass die Bürger am Wochenende wegfahren und auf der Wahlbenachrichtigung ankreuzen, dass sie verhindert sind, obwohl sie es gar nicht sind. Wir wollen nicht, dass die Bürger die Unwahrheit bekunden müssen, sondern sie sollen ihr Wahlrecht so flexibel wie möglich ausüben können. Das Gesetz enthält Erweiterungen von Heilungsmöglichkeiten bei Formmängeln, die Absenkung des passiven Wahlalters für Erste Bürgermeister, Landräte und Bezirkstagspräsidenten von 21 auf 18 Jahre, die Erweiterung der Entscheidungsbefug
nisse des Beschwerdeausschusses und die Rückkehr zu der vor 2008 geltenden Rechtslage hinsichtlich des Rücktritts vor der Stichwahl. Das ist das Beispiel, das Kollege Hanisch angesprochen hat und das eben zeigt: Wenn sich in der Praxis bestimmte Regelungen nicht bewähren, kann man sie wieder ändern. Das ist nicht in Stein gemeißelt, sondern es geht um praktische Lösungen.
Außerdem geht es um die Einführung eines Quorums für die gerichtliche Wahlanfechtung, um die Beseitigung von Auslegungsschwierigkeiten bei den Artikeln 50 und 52 des Gesetzes, um die Streichung der Zuständigkeit der Rechtsaufsichtsbehörde bei der Versagung der Aussagegenehmigung für ehrenamtlich tätige Gemeinde-, Kreis- und Bezirksbürger, den Verzicht auf die Verpflichtung eines Gläubigers einer bürgerlich-rechtlichen Geldforderung gegenüber einer Kommune, diese vor Einleitung der Zwangsvollstreckung der Rechtsaufsichtsbehörde zuzustellen sowie die Zusammenfassung der Rechts- und Fachaufsicht über die Großen Kreisstädte bezüglich der Aufgaben nach Artikel 9 Absatz 2 der Gemeindeordnung bei den Regierungen. Außerdem finden sich zahlreiche andere Aktualisierungen, die beispielsweise dem Wegfall der Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern im TVöD geschuldet sind.
Es gibt also eine ganze Reihe von Änderungen, die aus unserer Sicht völlig unproblematisch sind. Aber drei zentrale Punkte wurden natürlich kontrovers diskutiert. Das ist die Ermöglichung der Ablehnung der Wahl und des Rücktritts ohne wichtigen Grund. Das ist zweitens die Abschaffung des Erfordernisses des Aufenthalts mit dem Schwerpunkt der Lebensbeziehungen für das passive Wahlrecht und die Änderung dahin, dass man nur einen Haupt- oder Nebenwohnsitz braucht, und es ist drittens die Anhebung der Höchstaltersgrenze für die Wählbarkeit auf 67 Jahre ab der Kommunalwahl 2020.
Zu diesen drei Punkten möchte ich schon noch einige Anmerkungen machen. Im Gegensatz zu dem hohen Anspruch, den Kollege Hanisch geäußert hat, dass die Bürger möglichst alles frei entscheiden sollen und das kommunale Wahlrecht möglichst einfach und transparent sein soll, glaube ich, dass gerade der Aspekt des freien Rücktrittsrechts einer ist, den man wirklich aus der Praxis heraus in den Mittelpunkt stellen sollte. Jeder von uns kennt die Fälle, in denen ein langjähriges Gemeinde- oder Kreistagsmitglied aus freien Stücken irgendwann sagt, ich möchte nicht mehr kandidieren, ich habe das 30 oder 40 Jahre lang gemacht, ich möchte mich allmählich zurückziehen, ich möchte vielleicht noch im Kreistag bleiben, weil es da weniger Sitzungen gibt, aber nicht mehr den wöchentlichen Aufwand im Gemeinderat haben. Wir
sagen - Wahrheit und Klarheit -, wenn jemand freiwillig für ein Amt kandidiert, dann muss er die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen. Was derzeit abläuft, ist häufig unwürdig. Die Beispiele kennen wir alle, wo man sich in der Presse dafür rechtfertigen muss, wie krank man eigentlich ist, ob man für den Gemeinderat zu krank, aber für den Kreistag noch fit genug ist. Dies und ähnliche Debatten halten wir für unwürdig. Jemand, der sich freiwillig intensiv und viele Jahre mit dem Ehrenamt befasst und es ausübt, soll die Möglichkeit haben, sich freiwillig zurückzuziehen. Ihr Fehlen würde übrigens die Attraktivität von ehrenamtlicher Tätigkeit für die Jüngeren nicht fördern, die vielleicht gar nicht die Perspektive von sechs Jahren haben, weil sie nicht wissen, was mit ihnen beruflich passiert, ob sie den Studienort wechseln oder Ähnliches und daher erst gar nicht kandidieren. Ich glaube, das wäre für das Ziel der Verjüngung unserer Gremien falsch.
Ebenso falsch ist, was die FREIEN WÄHLER für die hauptamtlichen Bürgermeister fordern, nämlich dass auch diese künftig einen wichtigen Grund für einen Rücktritt vorbringen müssten, was derzeit nicht der Fall ist. Das halte ich schon aufgrund der Tatsache, dass es in jedermanns freier Entscheidung stehen sollte, ob er zurücktritt oder nicht, für falsch, aber auch mit Blick auf Artikel 12 des Grundgesetzes, also die Berufsfreiheit.
Was das passive Wahlrecht angeht, möchte ich dafür werben, das weniger aufgeregt zu diskutieren. Es geht selbstverständlich darum, dass jemand, der in einer Gemeinde oder in einem Landkreis kandidiert, dort auch verankert sein muss. Das wird niemand in Abrede stellen. Ich halte das Argument für absurd, dass auf einmal ein Prominenter aus Buxtehude für den Freisinger Kreistag kandidieren soll, weil das etwas bringt. Das halte ich für einen völlig falschen Gedanken. Es geht darum, eine Regelung zu finden, die wiederum der Wahrheit und Klarheit geschuldet ist. Die Schnüffeleien müssen aufhören, die wir aufgrund der derzeitigen Rechtslage haben. Wir alle kennen die Fälle, wo die Stromrechnung überprüft wird, wo man sich darüber lustig macht, dass jemand vielleicht nicht mehr zu Hause wohnt, sondern bei einem neuen Lebenspartner oder einer neuen Lebenspartnerin im Nachbarort oder Ähnliches. All diese Fälle kennen wir. Das sind nicht wenige Fälle. Die wenigen Fälle, die vor dem Verwaltungsgericht oder im Ministerium bekannt werden, kennen wir auch. In der Realität kommen solche Fälle viel häufiger vor, aber meistens geben die betroffenen Persönlichkeiten vorher auf. Um diesen Aspekt geht es. Weil man einen An
knüpfungspunkt braucht und der so unbürokratisch wie möglich sein soll, schlagen wir vor, einfach den Erst- oder Zweitwohnsitz zu nehmen. Es ist richtig, dass die Hürde für den Zweitwohnsitz deutlich geringer ist als für den Erstwohnsitz. Auf der anderen Seite denke ich die Regelungen, die wir treffen, nicht immer vom potenziellen Missbrauch her. Sie haben vorhin das Vertrauen angesprochen. Sie sagen, die Wähler sollen das alles frei entscheiden. Die werden das auch zu würdigen wissen, wenn auf einmal jemand kommt und als völlig Unbekannter kandidieren will. Die Bürger werden dann schon sagen: Der hat mit unserer Gemeinde eigentlich gar nichts zu tun, der ist in keinem Verein verankert. Also wird er auch nicht gewählt werden. Uns geht es ausschließlich darum, bürokratische Hürden abzubauen und der Schnüffelei Einhalt zu gebieten. Das ist die Motivation für diese Regelung.
Erschreckend ist dabei allerdings der Vorschlag der FREIEN WÄHLER, eine eidesstattliche Versicherung von allen Kandidaten darüber zu verlangen, wo der Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehung ist. Ich dachte, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen pragmatische Lösungen finden. Was Sie hier züchten, ist ein Bürokratiemonster der Extraklasse. Wer 44.000 Kandidaten - so viele sind es ungefähr bei einer Kommunalwahl - verpflichten will, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, der züchtet Bürokratie, die wir überhaupt nicht wollen. Ohne dass Sie es vielleicht wollen, aber durch so eine Regelung tun Sie das: Sie stellen Leute, die sich im kommunalen Bereich engagieren wollen, unter einen Generalverdacht. Sie wissen genau, dass der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen ein juristischer Fachterminus ist, über den man viel diskutieren kann.
Ein normaler Bürger, der kandidiert, stellt sich die Frage nicht in dieser Tiefe. Da können Sie gleich weitermachen mit der Schnüffelei, die wir beklagen und abschaffen wollen, nur dass Sie für die Schnüffelei in Zukunft die Staatsanwaltschaft gleich mit ins Boot nehmen können, weil Sie dann einfach Strafanzeige erstatten. Dann schnüffelt nicht nur der politische Gegner, sondern von Amts wegen auch die Staatsanwaltschaft.
Ich glaube nicht, dass es das sein kann, was Sie eigentlich anstreben. Darum lehnen wir diesen Vorschlag als völlig lebensfremd, unbürokratisch und falsch ab.
Zum Schluss möchte ich noch auf den Aspekt der Altersgrenze eingehen. Ich will darauf hinweisen, dass die Debatte vom Kollegen Gantzer angeregt wurde, der sich seit Längerem für die Abschaffung der Wählbarkeitsgrenze stark macht und eine völlige Freigabe vorschlägt. Das wurde sehr intensiv im Parlament und außerhalb des Parlaments mit den Spitzenverbänden, mit Betroffenen, mit Nichtbetroffenen, mit Jüngeren diskutiert, die kandidieren möchten, auch mit Älteren, die sich vielleicht die Chance für eine zusätzliche Kandidatur ausgerechnet haben. Natürlich spricht einiges dafür, zu sagen: Das soll der Wähler entscheiden, gebt das frei, das ist doch völlig gleichgültig.
Aber aus meiner Sicht gibt es die besseren Argumente dafür, zu sagen: Nein, bei hauptamtlichen Bürgermeistern und Landräten brauchen wir eine Wählbarkeitsgrenze. Wir müssen auch daran denken, dass es immer wieder eine personelle Erneuerung geben muss. Man kann quasi von einer faktischen Kraft des Normativen ausgehen; denn Sie wissen genau: Es gibt viele, die ihre Planung nicht danach ausrichten, vernünftigerweise irgendwann aufzuhören, sondern nach dem Motto handeln: Einer geht noch. Dass die Erneuerung im System und in der gesetzlichen Regelung automatisch enthalten ist, muss strukturell angelegt sein;
denn es handelt sich bei den Bürgermeistern und Landräten weder um Abgeordnete noch um Minister und Ministerpräsidenten.
Die Verantwortlichkeiten von Landräten und Oberbürgermeistern sind klar umrissen und sehr groß. Sie haben eine enorme Personalverantwortung, die teilweise mehrere hundert bis mehrere tausend Mitarbeiter betrifft. Auch tragen sie Verantwortung für eine Vielzahl von Sachgebieten in ihren Verwaltungen. Hier geht es nicht nur darum, dass der Bürger will, dass jemand auch mit 70 Jahren noch einmal kandidiert, sondern auch darum, dass bei einer Änderung der Regelung die kontinuierliche und effektive Amtsführung im Mittelpunkt steht. Das darf man hier nicht vergessen; denn die Aufgabe eines Landrats oder Oberbürgermeisters umfasst mehr als die Tätigkeit eines Abgeordneten.
Ich will unsere Arbeit nicht geringschätzen, aber sie ist, wie wir alle wissen, eine andere Arbeit. Landrat ist immer nur einer, der jeweils alleine auf der Fahrerseite sitzt, und zwar über sechs Jahre hinweg; das ist eine lange Zeit. Das ist der Unterschied zum Minister, der, wenn es nicht mehr passt, morgen abgelöst werden kann. Wenn wir hier anders entscheiden und es andere Mehrheiten gibt, kann auch der Ministerpräsident abberufen werden. Da gibt es zum Landrat und Oberbürgermeister eben einen großen Unterschied. Außerdem sind die Menschen unterschiedlich leistungsfähig. Das wissen wir. Wir müssen hier aber allgemeine Regelungen und nicht auf einzelne Personen zugeschnittene Regelungen schaffen. Deshalb ist dies keine Altersdiskriminierung.
Wir fordern ferner als Kompromiss eine Anhebung der Altersgrenze auf 67. Dann ist jemand, der diese Tätigkeit beendet, 73, also sechs Jahre älter als ein Normalbürger, der in Ruhestand geht. Ich kann hier keine Diskriminierung erkennen.
Zum letzten Punkt: Warum fordern wir eine Änderung dieser Regelung ab 2020? Das hängt mit der Wahrheit und Klarheit zusammen.
Herr Kollege Professor Dr. Gantzer, ich unterstelle Ihnen, dass Sie keine Lex Ude schaffen wollen, sondern dass es um Ihre Argumente geht, die für Ihre Situation sprechen und die Sie immer wieder bringen. Genauso wollen wir keine Lex Specialis für Einzelne schaffen, denn das würde bei einer völlig überraschend getroffenen Regelung provozieren. Jeder, der im Jahr 2008 kandidiert hat, wusste: Für mich ist es dann zu Ende. Übrigens war dies auch für die Bürger klar, die ihn gewählt haben.
Daher bitten wir aufgrund der Erfahrungen im Jahr 2008 und geschuldet dem Prinzip "Wahrheit und Klarheit" um Zustimmung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung, der ausgewogen formuliert ist, zum 01.03.2012 in Kraft treten soll und alles, was wir diskutiert haben, berücksichtigt.
Herr Kollege Dr. Herrmann, bleiben Sie bitte am Redepult stehen, denn Herr Kollege Pohl hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Pohl.
Herr Kollege Dr. Herrmann, die erste Frage lautet: Sie sagten, mit dem Wegfall des Wohnsitzprinzips entfalle die Schnüffelei. Geben Sie mir recht, wenn ich sage, dass der Ordnungswidrigkeitentatbestand aus dem Melderecht bestehen bleibt?
Zweite Frage: Sie fordern, dass der Zweitwohnsitz Voraussetzung für die Wählbarkeit ist. Wollen Sie das nur als Formalie im Gesetz verankert wissen oder wollen Sie das auch kontrollieren?
Dritte Frage: Sie sprachen von der Notwendigkeit einer effektiven Amtsführung als Begründung dafür, dass Sie die Altersgrenze nicht freigeben. Gesetzt den Fall, Ihr Gesetz tritt in Kraft und der frisch gewählte Oberbürgermeister von Ingolstadt hat keine Lust mehr auf seinen Job, er muss ja keine Begründung abgeben. Dann wird im August 2014 neu gewählt und Sie würden sagen: Ministerpräsident Seehofer kann in Ingolstadt nicht Oberbürgermeister sein, weil man eine Person braucht, die eine effektive Amtsführung gewährleistet. Gleichzeitig wollen Sie aber den gleichen Mann im Jahr 2013 diesem Parlament als Ministerpräsidenten vorschlagen. Das bitte ich zu erklären.
Herr Kollege Pohl, die letzte Frage nehme ich als vorgezogenen Faschingswitz, den Sie sich dann selber beantworten können.
(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Sie wollen es also nicht beantworten? Haben Sie keine Argumente, weil Sie nicht in der Lage sind, das zu hören?)
Herr Kollege, Sie wissen: Der Begriff "Schwerpunkt der Lebensbeziehungen" hat eine riesige Rechtsprechung und Auslegung erzeugt. Da gibt es eine relativ hohe Hürde. Der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen gilt derzeit für das Wahlrecht.