Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

der FREIEN WÄHLER. Wer diesem seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Fraktionen der FREIEN WÄHLER, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen bitte! – Die CSU-Fraktion. Gibt es Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf der Drucksache 17/575 – das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – seine Zustimmung geben will, bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gleiches Ergebnis, nämlich die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FREIEN WÄHLER. Gegenstimmen bitte! – Die CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Dann ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Jetzt kommen wir zur namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/555 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion. Ich eröffne die Abstimmung. Sie haben fünf Minuten Zeit.

(Namentliche Abstimmung von 17.01 bis 17.06 Uhr)

Meine Damen und Herren, die Abstimmungszeit ist beendet. Ich schließe die Abstimmung und bitte, das Ergebnis außerhalb des Saales zu ermitteln und bitte Sie, wieder Platz zu nehmen, damit wir die Sitzung fortsetzen können.

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Christine Kamm u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Keine weiteren Abschiebungen nach Afghanistan! (Drs. 17/557)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Dr. Hans Jürgen Fahn u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Abschiebungen nach Afghanistan einstweilen aussetzen! (Drs. 17/576)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Kamm. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir bitten Sie in diesem Antrag, Abschiebungen von Bayern nach Afghanistan auszusetzen. Wir stellen diesen Antrag als Dringlichkeitsantrag aufgrund eines aktuellen Vorfalles in der letzten Woche.

Nach wie vor werden junge Männer aus Bayern nach Afghanistan abgeschoben. Letztes Jahr waren es

zum Beispiel drei. Während der Plenarsitzung letzte Woche hat uns die Flüchtlingsorganisation REFUGIO Petitionen und Unterschriftslisten überreicht, um die Willkommenskultur in Bayern für Ausländer zu verbessern. An und für sich war das ein sehr schöner Termin, auf dem sehr schöne Worte gefunden wurden. Mitten in diesem Termin erreichte uns die Information, dass ein junger Afghane in Abschiebehaft sitzt und uns um unsere Hilfe bittet, die Abschiebung auszusetzen.

Hadi Arefi – das ist der junge Mann; die "Süddeutsche Zeitung" berichtete – arbeitet in zwei Jobs, in einer Wäscherei und auch als Vorarbeiter eines Reinigungskommandos am Hauptbahnhof. Er spricht gut Deutsch, ist gut integriert, spielt in einem Fußballklub und möchte eigentlich nichts anderes, als dieses Leben bei uns fortführen. Wir telefonierten mit ihm und auch mit den Beamten der Polizeiinspektion Dachau, wo er in Abschiebehaft war. Uns wurde versichert, dass keine Vorstrafen vorlägen und dass die Beamten auch nicht verstünden, warum er jetzt abgeschoben werden sollte. Wir telefonierten mit dem Innenministerium. Das Innenministeriums sagte: Nein, die Abschiebung sei jetzt im Vollzug; man könne sie nicht aussetzen.

Hadi Arefi ist jetzt wegen einer Verzweiflungstat im Krankenhaus. Zu befürchten ist jedoch, meine Kolleginnen und Kollegen, dass er anschließend wieder in Abschiebehaft genommen werden könnte. In Afghanistan wartet niemand auf ihn. Seine Familie ist auch geflohen. Stattdessen läuft er als Rückkehrer in das zurzeit außerordentlich winterliche Afghanistan Gefahr, der Spionage verdächtigt zu werden, was in Afghanistan lebensgefährlich sein kann.

Der UNHCR sieht junge Männer im wehrfähigen Alter bei ihrer Rückkehr gefährdet. Von Ausweitung der Konfliktgebiete ist die Rede, von Zwangsrekrutierung, von unsicherer Lage und von Verschlechterung der Sicherheitssituation. Heute wurde im Bundeskabinett der neue Fortschrittsbericht Afghanistan vorgestellt. Auch darin liest man nichts Gutes. So verzeichneten beispielsweise die afghanischen Sicherheitskräfte in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres rund doppelt so viele Gefallene wie im Vorjahreszeitraum, nämlich 4.600 tote afghanische Sicherheitskräfte, 80 Gewalttaten pro Tag – ein Rekordwert – und sehr viele Binnenvertreibungen. Viele Bundesländer in Deutschland haben daher die Abschiebung nach Afghanistan ausgesetzt. Wir bitten Sie: Weisen Sie die Ausländerbehörden in Bayern an, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die nächste Wortmeldung stammt vom Kollegen Dr. Fahn. – Bitte schön.

Meine Damen und Herren! Wie Kollegin Kamm schon gesagt hat: In diesem aktuellen Fall geht es um einen jungen Afghanen, der 22 Jahre alt ist, in einer Wohngemeinschaft in Dachau lebt, fließend Deutsch spricht und, was auch wichtig ist, sich gut integriert hat. Zwar wird immer gesagt, in den letzten Jahren seien wenig oder kaum Leute abgeschoben worden. Wenn es dann aber zwei oder drei sind, sind es auch immer zwei oder drei zu viel. Im Moment liegt er in einem Krankenhaus, und wahrscheinlich wird er anschließend wieder in Abschiebehaft kommen.

Vielleicht ist es einmal ganz interessant zu sehen, wie im Moment die Lage in Afghanistan ist. Die Lage ist dort sehr unklar. Die NATO soll 2014 ihre Truppen abziehen. Wie dies aber genau gehen soll, weiß man im Moment noch nicht. Die Taliban erstarken im Moment wieder. Deshalb ist die Lage sehr instabil. Zwar sollen 320.000 Afghanen ab Ende 2014 die Verantwortung übernehmen. Die NATO will nur noch mit 10.000 Soldaten, sogenannten Trainern, dort tätig sein, Deutschland dann vielleicht mit 600 bis 800 Mann. Aber niemand weiß, inwieweit sich zum Beispiel die USTruppen dort noch engagieren. Es fehlt nämlich ein entsprechendes Abkommen, und ohne dieses Papier kann die NATO auch nicht planen. Deshalb ist die politische Lage in Afghanistan derzeit sehr heikel und sehr unsicher. Das nutzen natürlich auch die Taliban aus. Es gibt im Moment viele dramatische Verluste.

Daher sollten wir in Deutschland bzw. in Bayern mit der Abschiebung restriktiv umgehen, bis die Situation geklärt ist. Zum Beispiel hat die Innenministerkonferenz im Dezember 2013 beschlossen, die Lage in Afghanistan im Frühjahr 2014 neu zu bewerten. Dann kann man konkret schauen, wie Afghanistan bewertet wird und wie wir dann insgesamt vorgehen. Verschiedene andere Bundesländer haben inzwischen schon entsprechende Anweisungen getroffen.

Nicht zu verstehen ist, dass ein junger Erwachsener, der sich gut integriert hat und einen Arbeitsplatz hat, jetzt in ein politisch völlig instabiles Land abgeschoben werden soll. Deshalb lautet unser Antrag folgendermaßen:

Die Staatsregierung wird aufgefordert, geplante und bisher eingeleitete Abschiebungen nach Afghanistan … so lange zurückzustellen, bis die Innenministerkonferenz die Situation in Afghanistan neu bewertet hat.

Insofern geht unser Antrag nicht ganz so weit wie der Antrag der GRÜNEN. Aber wir meinen, aus humanitären Gründen darf es derzeit keine Abschiebung nach Afghanistan geben.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Vielen Dank. Die nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Guttenberger, bitte sehr.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Menschen, die politisch verfolgt werden, genießen Asyl, sagt das Grundgesetz. Für uns heißt das, dass jeder einzelne Fall sorgfältig geprüft werden muss und dass immer dann, wenn kein Asylgrund vorliegt, der Aufenthalt zu beenden ist, es sei denn, es gibt besondere Abschiebungshindernisse oder es wird von der Härtefallkommission ein ganz besonderer Härtefall festgestellt.

Afghanistan ist unverändert eines der Hauptherkunftsländer für Asylbewerber. Über 48 % der Anträge auf Asyl wurden durch das Bundesamt positiv verbeschieden. Das heißt aber auch, dass über die Hälfte der Anträge gerade keinen Asylgrund enthalten haben und dass diese Personen auch nicht politisch verfolgt werden. Das heißt auch, dass in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt wurde, dass eine Rückführungspflicht besteht.

Derzeit halten sich übrigens 462 Personen aus Afghanistan hier auf, die zwar ausreisepflichtig, aber geduldet sind. Seit Jahren trägt die Innenministerkonferenz der schwierigen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan dadurch Rechnung, dass nur vier Personengruppen abgeschoben werden: Straftäter, Sicherheitsgefährder, Personen, bei denen Ausweisungsgründe vorliegen, und alleinstehende erwachsene Männer.

Bei der Sitzung im Dezember des vergangenen Jahres hat die Innenministerkonferenz deshalb auch um eine Neubewertung der Sicherheitslage gebeten, zugleich aber – das wird in dem Antrag der GRÜNEN bewusst ausgeblendet – an der Abschiebung auf Grundlage des bisherigen Beschlusses festgehalten. Das heißt, nach der aktuellen Einstufung des Auswärtigen Amtes hat sich die Rückführungssituation in der letzten Zeit gerade nicht dramatisch verschlechtert, wie hier dargelegt wird, sodass eine Abschiebung allgemein unzumutbar wäre. Auch der UNHCR hält eine Rückführung immer dann für möglich, wenn eine sorgfältige und intensive Prüfung des Einzelfalls, des einzelnen Asylantrags vorausgegangen ist.

Frau Kollegin, darf ich kurz unterbrechen. Ich darf bekannt geben, dass die CSU-Fraktion namentliche Abstimmung für den Dringlichkeitsantrag der Fraktion der GRÜNEN beantragt hat. – Bitte schön.

In dem Antrag der GRÜNEN wird zunächst ein Einstellen der bisher eingeleiteten Abschiebungsverfahren gefordert, dann ein sechsmonatiger Verzicht auf Abschiebung und am Schluss ein Hinwirken auf einen generellen Abschiebungsstopp. Für so einen Abschiebungsstopp ist nach unserem Dafürhalten hier überhaupt kein Raum. Im Übrigen stünde das auch in politischem Widerspruch zum Einsatz der Bundeswehr. Die Bundeswehr tut in Afghanistan gerade deshalb Dienst mit Streitkräften aus anderen Ländern, um für Sicherheit und für den Aufbau eines demokratischen Gesellschaftssystems zu sorgen.

Wir lehnen deshalb beide Dringlichkeitsanträge ab.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Guttenberger. Ich darf bekanntgeben Frau Weikert, Sie dürfen einstweilen schon ans Mikrofon treten –, dass die Fraktion der FREIEN WÄHLER über ihren Antrag auch namentliche Abstimmung beantragt hat. – Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Weikert. Bitte schön.

(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Kolleginnen und Kollegen! Frau Guttenberger, darf ich Sie ein kleines bisschen berichtigen? Die Menschen, die aus Afghanistan kommen, erhalten in der Regel kein Asyl, sondern sie erhalten Flüchtlingsschutz. Flüchtlingsschutz wird nach der Genfer Flüchtlingskonvention vergeben. Ungefähr 50 % bekommen sofort einen Flüchtlingsschutz. Der Rest bekommt ihn deshalb nicht, weil er aus Regionen Afghanistans kommt, die anscheinend nicht so gefährdet sind wie andere Regionen. Das ist im Grunde der Unterschied.

Es ist auch gleichzeitig das Dramatische an dieser Sache, dass denjenigen, die keinen Flüchtlingsschutz bekommen, im Prinzip angedroht wird, dass sie das Land verlassen müssen. Ihnen wird auch eine Abschiebung angedroht. Diese wird aber in der Regel nicht vollzogen. Frau Kamm hat es gesagt: Nur drei sind letztes Jahr abgeschoben worden. Aber das ganz Dramatische ist – deswegen brauchen wir hier grundsätzlich einen Wechsel, Frau Müller – die Frage: Was machen die Menschen? Sie bekommen keinen Flüchtlingsschutz, sie bekommen eine Duldung, wissen aber überhaupt nicht, wie es weitergeht. Das wirkt natürlich psychologisch auf diese Menschen unheim

lich problematisch, weil sie nicht wissen, was morgen passiert. Sie wissen aber auch nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Sollen sie Deutsch lernen, sollen sie eine Ausbildung machen, sollen sie sich eine Arbeit suchen? Was sollen sie tun? Sollen sie sich vielleicht auch rüsten für eine Rückkehr in, was weiß ich, welcher Zeit? Also ist die Entscheidung "Schiebt man nun ab nach Afghanistan, oder schiebt man nicht ab nach Afghanistan?" das eigentliche Problem. Die schieben Sie seit Jahren vor sich her. Darunter leiden letztlich die betroffenen Menschen tagtäglich. Das genau macht die Situation für die Betroffenen so dramatisch, unabhängig von dem Einzelfall, Frau Kamm. In der letzten Woche haben wir diese Petition gemeinsam – Frau Stamm und viele Abgeordnete –mit viel Getöse in Empfang genommen. Unabhängig davon bleibt die Situation für alle betroffenen afghanischen Flüchtlinge in Deutschland sehr unbestimmt. Es ist eine verlorene Zeit für die Betroffenen. Sie können nichts für sich selber tun, sie können nichts für ihre Ausbildung tun, sie tun letztlich auch nichts dafür, vielleicht ein Stück der Sozialleistungen zurückzugeben dadurch, dass sie sich ausbilden lassen oder einer Arbeit nachgehen.

Deshalb stimmen wir beiden Anträgen zu und fordern die Staatsregierung auf, sich endlich zu entscheiden, was mit afghanischen Flüchtlingen in Zukunft passiert, nachdem die Situation in Afghanistan mehr als ungewiss ist, auch wenn sich die Bundeswehr am Ende des Jahres aus dem Land zurückzieht.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Weikert. Frau Kamm hat sich -

(Zuruf der Abgeordneten Christine Kamm (GRÜNE))

- Nein, üblich ist, Frau Kamm, dass die Staatsregierung abschließend spricht.

Sehr geehrte Frau Guttenberger, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CSU! Wir haben Sie mit dem Antrag gebeten, in Kenntnis der Situation in Bayern und in Kenntnis der Situation in Afghanistan die Ausländerbehörden anzuweisen, Abschiebungen nach Afghanistan einzustellen und für einen Zeitraum von sechs Monaten auszusetzen.

Wir tun dies nicht ohne Grund. Ich bitte Sie wirklich dringend. Setzen Sie sich mit dem Bericht auseinander, der beispielsweise heute im Bundeskabinett zur Lage in Afghanistan gegeben wurde. Man kann doch nicht einfach so darüber hinweggehen und sagen, die

Bundeswehr ist ja irgendwie noch dort, wenn man sieht, dass die Anzahl der Terrorattentate und Gewalttaten so stark nach oben geht, wenn man sieht, dass so viele afghanische Sicherheitskräfte umgebracht werden, und wenn der UNHCR schreibt, dass gerade junge Männer in der Gefahr stehen, zwangsrekrutiert oder der Spionage verdächtigt zu werden. – Nehmen Sie sich doch bitte ein Herz und denken Sie nach, in welche Not Sie diese Leute bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. Abschließend hat Herr Staatssekretär Eck das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur einige Dinge klarstellen und zurechtrücken. Dort, wo man nicht in Verantwortung steht, ist es natürlich leichter, Dinge zu fordern, die man in den Ländern, wo man in der Verantwortung steht, einfach nicht fordert. Das ist die erste Feststellung. Wir haben keinen förmlichen Abschiebestopp in einem Land, in dem Grün und Rot mitregieren.

(Christine Kamm (GRÜNE): Schauen Sie nach Niedersachsen!)

Wir haben keinen förmlichen Abschiebestopp. Ich will das auch fürs Protokoll festhalten.