Protokoll der Sitzung vom 18.05.2017

(Beifall bei der CSU)

Armutsgefährdung im Alter betrifft häufiger Frauen, weil ihre Lebensleistung, ihre Erziehungsleistung, nicht ausreichend gewürdigt wird.

(Beifall bei der CSU)

Wir haben deshalb die Mütterrente durchgesetzt. Sie bekämpft zielgerichtet die Armutsgefährdung älterer Frauen und muss noch weiter ausgebaut werden. Alle Mütter müssen gleich behandelt werden, und deswegen brauchen wir die Anrechnung von drei Rentenpunkten auch für Mütter,

(Beifall bei der CSU)

deren Kinder vor 1992 geboren worden sind. Das ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht größte Herausforderung ist die Integration. Sozial ist, dass Integration auch in Zukunft gelingt. Bayern hat hier einen klaren Kurs: Integration ist keine Einbahnstraße, und deshalb haben wir mit dem Bayerischen Integrationsgesetz unseren Grundsatz des Förderns und Forderns verbindlich festgelegt. Wir fördern Integration. Als andere noch über Zugang und Unterkunft debattiert haben, haben wir bereits im Oktober 2015 mit

unserem mehrjährigen Sonderprogramm "Zusammenhalt fördern, Integration stärken" umgehend Zeichen gesetzt, und das bundesweit. Dabei haben wir besonderen Wert auf Deutsch-Förderung gelegt; denn die Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Zusammen mit der bayerischen Wirtschaft fördern wir mit der Initiative "Integration durch Ausbildung und Arbeit" den Schritt von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Über 60.000 Flüchtlinge haben wir bereits Ende 2016 in Ausbildung, Arbeit oder in ein Praktikum gebracht – ein riesiger Erfolg. Mein Dank geht hier ganz besonders an die bayerische Wirtschaft und auch an die Arbeitsverwaltung.

(Beifall bei der CSU)

Zudem fördern wir den Wohnungsbau durch die Gemeinden und private Investoren. Wir bauen aber als Freistaat über den Wohnungspakt Bayern auch selbst. Bis zum Jahr 2019 werden so bis zu 28.000 neue Mietwohnungen für alle, für die einheimische Bevölkerung und auch für anerkannte Flüchtlinge, entstehen. Das ist unsere Planung.

Wir fördern Integration nicht nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern sie auch ein mit klaren Regeln für unser Zusammenleben, aber auch mit Respekt füreinander und Sensibilität für andere Kulturen. Aber – und das muss man schon in aller Deutlichkeit sagen –: Bayern muss Bayern bleiben.

(Beifall bei der CSU)

Zur Wahrheit in der Integrationsdebatte gehört auch die Aussage: Kein Land hält auf Dauer unbegrenzten Zuzug aus. Deshalb ist unsere Haltung klar: Humane Unterbringung während des Asylverfahrens, eine rasche Rückführung abgelehnter Asylbewerber und eine Begrenzung der Zuwanderung, damit Integration auch gelingen kann.

(Beifall bei der CSU)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Bayern hat sich gerade in dieser Legislaturperiode hervorragend entwickelt. Wir haben den besten Arbeitsmarkt in Deutschland, wir bieten beste Chancen für Familien, wir haben einen nie gekannten Wohlstand erreicht, wir bauen Barrieren systematisch ab, wir ermöglichen Teilhabe und Integration wie kein anderes Land. Der Vierte Sozialbericht ist der Auftakt zu einer breiten Diskussion, zu einem breiten Diskurs, um diese Erfolge fortzuführen. Arbeitnehmer und Unternehmer, Junge und Alte, Männer und Frauen, Menschen mit und ohne Behinderung und mit und ohne Migrationshintergrund, Altbayern und Franken, Schwaben und unser vierter Stamm – wir alle gemeinsam haben diese bayerische Erfolgsgeschichte geschrieben, und

wir werden sie auch in Zukunft fortschreiben. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich kurz über die Redezeiten informieren: Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 96 Minuten und verteilt sich wie folgt: CSU 32 Minuten, SPD 24 Minuten, FREIE WÄHLER und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeweils 20 Minuten. Die fraktionslose Abgeordnete Claudia Stamm hat 4 Minuten Redezeit. Jetzt eröffne ich die Aussprache. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Rauscher von der SPD. – Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Frau Ministerin Müller! Für heute haben wir alle damit gerechnet, dass Sie die Lage in Bayern eher in den leuchtendsten Farben schildern. Wir wollen die Situation in Bayern auch überhaupt nicht schlechtreden,

(Thomas Kreuzer (CSU): Bravo! – Beifall bei Abgeordneten der CSU)

aber wir wollen ein ehrliches Wort sprechen. Wir müssen ein paar Dinge benennen, ohne die Situation in Bayern schlechtzureden; denn die wirkliche Situation konnten wir im Bericht zur sozialen Lage in Bayern sehen. Dort haben wir festgestellt, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Das ist doch das eigentlich dramatische Ergebnis dieses Sozialberichts.

(Beifall bei der SPD)

Aber wie Sie es schaffen, all die Menschen zu verdrängen, deren Leben täglich eine Herausforderung darstellt, finde ich wirklich unglaublich.

(Beifall bei der SPD)

Für Bayern gilt doch vielmehr: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Mit Verlaub, Frau Ministerin, Sie hörten sich eben fast eher wie eine fröhliche Wirtschaftsministerin an denn wie eine Sozialministerin. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass wirtschaftlicher Erfolg letztendlich auch eine sehr wichtige Voraussetzung für eine gute Entwicklung im sozialen Bereich darstellt – aber halt auch nur dann, wenn nicht nur die, wie Sie sagten, Fleißigen und gut Ausgebildeten daran partizipieren können, sondern alle Bürgerinnen und Bürger in einem an sich wohlhabenden Land.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem reichen Bundesland sind 1,4 Millionen Menschen von Armut bedroht. Darunter sind fast 400.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Wie das ein Grund zu so überwältigender Freude sein kann, ist für mich persönlich und auch für die SPD-Landtagsfraktion ein Rätsel.

(Beifall bei der SPD)

Die Zahlen zeigen doch vielmehr: Sie haben es in den vergangenen Jahren schlichtweg versäumt, Sozialpolitik so zu gestalten, dass der Wohlstand auch nur annähernd bei diesen 1,4 Millionen Menschen ankommt. Nicht nur kommt die gute Gesamtlage diesen Menschen nicht zugute; Sie haben es nicht einmal geschafft, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verkleinern oder gar zu schließen. Ganz im Gegenteil: Sie haben es zu verantworten, dass das Armutsrisiko weiter gestiegen ist und dass sich heute mehr Menschen als zuvor eben nicht im Glanze Ihres Selbstlobs sonnen können.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben es zu verantworten, dass die Kluft zwischen den Menschen mit und den Menschen ohne Geld noch einmal ein Stück größer anstatt kleiner geworden ist. Das ist ein Armutszeugnis für die Staatsregierung und eben kein Freudentag.

(Beifall bei der SPD)

Dass es Menschen gibt, die in besonderer Weise gefährdet sind, in Armut und prekäre Verhältnisse abzurutschen, ist nicht erst seit vorgestern bekannt.

Auch die Personengruppen sind bekannt; denn es trifft ja leider immer wieder die gleichen: Kinder und Jugendliche, deren Armutsquote weiter nach oben geht, Alleinerziehende mit ihren Kindern, von denen über ein Drittel mit Armut kämpfen, kinderreiche Familien, die in besonderer Weise zur Gesellschaft beitragen und gleichzeitig bestraft werden, weil sie mehr als doppelt so oft von Armut bedroht sind wie Familien mit nur zwei Kindern.

Das Gleiche gilt für Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund, Arbeitslose und auch für Seniorinnen und Senioren. Allein zwischen 2011 und 2014 sind mehr als 40.000 Menschen über 65 Jahren in die Kategorie "Armut" hineingerutscht. Da nützt es dem Einzelnen doch überhaupt nichts, dass ein Durchschnittswert von 70.000 Euro Vermögen pro Rentnerhaushalt angegeben wird.

(Beifall bei der SPD)

Geändert hat sich für diese Gruppen seit dem letzten Bericht rein gar nichts. Es ist sogar schlimmer statt besser geworden.

Für mich ist Ihr Bericht zur sozialen Lage in Bayern das Hohelied der Selbstgefälligkeit und nicht, wie vorgegaukelt, ein ehrlicher und objektiver Blick auf unser Land.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)

Für Sie zählt offensichtlich nur die Lebenswelt der Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Das ist nicht nur heute so, sondern das ist Ihre Politik seit vielen Jahren. Die Menschen auf der Schattenseite ignorieren Sie so gut wie irgendwie möglich; denn wer spricht schon gerne von den Abgehängten, wenn er von den Überfliegern schwärmen kann?

Bei allen positiven Entwicklungen: Es ist schockierend, wie sehr Sie die Augen davor verschließen, dass es in unserem reichen Land Bayern viel zu viele Menschen gibt, die von diesem Wohlstand überhaupt nicht profitieren können. Wenn 1,4 Millionen Menschen – Frauen, Alleinerziehende, Familien mit ihren Kindern, Senioren und Migranten – von Armut bedroht sind und diese Zahl sogar noch gestiegen ist, ist doch die Alarmglocke zu läuten, nicht die Festtagsglocke der Wirtschaft, des Wohlstands und der hochtrabenden Zahlen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)

Frau Müller, als Sozialministerin wäre es doch Ihre Aufgabe, die Anwältin der sozial Schwächeren in unserem Land zu sein, die Anwältin der Abgehängten und der Menschen, die täglich ums Überleben kämpfen, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen und an Not leiden.

Dabei sagen Sie, sozial sei, wenn der Erfolg auch bei den Menschen ankomme. – Natürlich! Stattdessen zeigen Sie all den Menschen, die sich im Alltag schwertun, die eben nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, die abends mit grauen Perspektiven und Gram ins Bett gehen und sich fragen, wie sie mit ihren Kindern den nächsten Tag finanziell überstehen sollen, heute mit Ihrer glanzvollen Darstellung doch eher die kalte Schulter.

(Beifall bei der SPD)

Sie zeigen ihnen nicht nur die kalte Schulter, sondern Sie behandeln diejenigen, die schon im vergangenen Jahr zu den sozialen Verlierern gehört haben, fast

schon als die Schmuddelkinder der Nation, die man im Bericht zur sozialen Lage lieber irgendwie im Brei allgemeiner Formulierungen und Durchschnittszahlen untergehen lässt, frei nach dem Motto: Worüber wir nicht reden, das gibt es bei uns auch nicht.

Wer sich nur an Durchschnittswerten orientiert, kann auch nur durchschnittliche Sozialpolitik machen. Das trifft vor allem die Schwächsten. Dabei sollte eine Regierung doch gerade für die Ärmsten in der Gesellschaft da sein. Das ist mein Anspruch an hervorragende Sozialpolitik.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)

Wo ist denn eigentlich Ihr Anspruch geblieben, niemanden in unserem Land zurückzulassen? Wo ist Ihr Anspruch, dass alle gleichermaßen von der durchaus guten wirtschaftlichen Entwicklung bei uns in Bayern profitieren sollen, weil wir es uns in unserem Land auch leisten könnten? Wo ist Ihr Anspruch auf ein würdiges Leben ohne große finanzielle Nöte? – Alldem werden Sie – das zeigt dieser Bericht, wenn man ihn genau liest – wiederum nicht gerecht.

Dem Großteil der Menschen in unserem Land geht es gut, zum Teil richtig gut. Auch das ist Realität. Was Sie aber nicht erwähnen, ist zum Beispiel, dass Bildung in Bayern nach wie vor vom Geldbeutel der Eltern abhängt, dass uns nach wie vor 33.000 Krippenplätze fehlen und die Betreuung in den Randzeiten eben nicht so ist, dass Eltern ihrem Beruf ausreichend nachgehen könnten. Das bedarfsgerechte Ganztagsangebot für Grundschüler fehlt ebenfalls.